Dresden - Gestaltungskommission Neumarkt

  • Nicht nur die Moderne ist in die Jahre gekommen, vor allem auch unsere Fachleute. Seit Jahrzehnten schon schulen sie ihre Augen, leisten das Kunststück, wohlabgewogene Betonquader traditionellen Formen vorzuziehen. Auf ihre alten Tage werden diese Personen nicht mit ihren Angewohnheiten brechen. So sind alte Leute nun mal.

    Ich finde es schade, dass immer über den Historismus geschimpft wird, wo das Problem doch ein ganz anderes ist. Die Kommission hat versagt, denn die Rekonstruktionen sind größtenteils nicht qualitätvoll genug geworden und die "Füllbauten" sind kein Stück besser. Nach der Argumentation der Fachleute würde die Qualität schlagartig steigen, wenn architektonische Brüche erzeugt würden. Warum denn eigentlich? Weil man vor lauter Entsetzen die schlechte Bauausführung nicht mehr beachtet? Wann endlich wird auch nur einer der Fachleute zugeben, dass die "zeitgenössischen" Formen nicht das ästhetische Bedürfnis unserer Zeit widerspiegeln. Und wann werden sie zugeben, dass die große Masse "zeitgenössischer" Bauten einfach schlecht ist?

  • Diese Leute behaupten schlicht und einfach dass das Volk zu dumm und ungebildet ist um Schönheit zu erkennen. Als hätten sie einen sechsten Sinn der ihnen ermöglicht moderne Gebäude anders zu betrachten als der Rest der Menschen. Das ist natürlich ganz bequem, da man das Gegenteil nicht beweisen kann...Einfach alles verintellektualisieren :lehrer: bis man (selbst) den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Das Problem ist nur dieser kleine Kreis der Altmodernisten. Alle anderen (vor allem Politiker) sind letztlich bloss Fahnen im Wind.

  • Ich glaube nicht, dass es um Schönheit geht. Eigentlich geht es darum, wer das Deutungsmonopol "unserer Zeit" besitzt. Diese gebildeten Damen und Herren (denn das wollen wir ihnen ja nicht absprechen) beanspruchen, die angemessenen Formen für "zeitgenössische" Bauwerke besser einschätzen zu können, als das "gemeine Volk" es kann. Ganz unrecht habe sie ja nicht, denn wir würden uns die Sixtinische Madonna ja auch nicht von irgendeinem Hanswurst erklären lassen, der sie einfach nur schön findet. Problematisch bei den Architekten ist nur, dass der öffenliche Raum Austragungsort dieser Kontroverse um Identifikation ist, und daher nicht ganz am "gemeinen Volk" vorbei stattfinden darf. Lösen kann man das Problem eigentlich nur, indem die Fachleute ausgetauscht werden, nur dann könnten Rekonstruktionen endlich als Mittel der Identifikationsstiftung anerkannt werden, anstatt verteufelt zu werden. Die angealterten Damen und Herren im Gestaltungsbeirat verteidigen mit Händen und Zähnen einen Formenkanon, der längst überholt ist und städtebaulich versagt hat.

  • Danke Henry.

    Zitat von "youngwoerth"

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, wie die Gestaltungskommission ihre Mitbürger für dumm und unmündig erklärt. Es ist traurig und ernüchternd für mich, auf der einen Seite die jahrzehntelang ehrenamtlich kämpfenden Bürger für eine identitätsstiftende und stadtbildreparierende Architektur zu sehen und auf der anderen ein paar Wenige, die sich und ihr Urteil anscheinend überschätzen und über Jahre hinweg arrogant genau die Bauten forcieren, die dem Stadtbild Dresden und der Freude der Büger an einer Reparatur ihrer so geschunden Stadt großen Schaden zufügen. Ich finde das Verhalten von Stadtplanung und Gestaltungsbeirat respektlos gegenüber den Bürgern dieser Stadt, den vielen Spendern auf der ganzen Welt, und schließlich gegenüber der großen Vergangenheit und Bedeutung Dresdens.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Ich finde es immer wieder interessant, wenn hier auf der einen Seite von der "abgehalfterten Moderne" und auf der anderen von einer sogenannten neuen Generation gesprochen wird. Da stellt sich für mich die Frage, wer diese neue Generation von Architekten ist und wie sie ihre Bauten gestalten wird.
    In meinen Augen ist die Moderne noch lange nicht am Ende. Sie wird sich mit Sicherheit einmal mehr neu erfinden und bestimmt in nächster Zeit einen Weg beschreiten, der Rekonstruktionen nicht mehr verteufelt, sondern generell zulässt. Das wird allerdings nichts an der Verflachung unserer Baukultur ändern, die die Peripherie vernichtet, Ressourcen verschlingt und immer kurzlebigere Produkte hervorbringt. Das ist allerdings kein Fehler der Architekten, sondern unser pervertierter Umgang mit der Stadt an sich.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Habe ich eben an die SZ versandt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich erschrak regelrecht, als ich den Artikel über die "Gestaltungskommission" am Neumarkt DD las. Die Bürger sollen einfach auf die Architekten und deren "geschulten Blick" vertrauen. Das hat mit Demokratie und Mitbestimmung der Bürger NICHTS zu tun. Es gibt kein Monopol auf einen geschulten Blick! Ich habe hunderte Städte gesehen, mich mit den unterschiedlichsten Baustilen auseinandergesetzt und es macht mich zornig, wenn selbsternannte und vergreiste Altmodernisten die Gedanken- und Meinungsfreiheit der Bürger bevormunden wollen! Allein schon aus diesem Grunde, anmaßende Überheblichkeit und mangelnde Demokratiefähigkeit, sollte man die sogenannte "Gestaltungskommission" in Rente schicken.

    Mit freundlichen Grüßen...

  • Habt ihr schon den netten Artikel über die "geschulten Augen" in den News der GHND gelesen? :wuetenspringen:

    "Willst du eine Stadt vernichten, baue Kisten, Kisten, Kisten!"

  • Habe beim SZ-Artikel über die Verunstaltungskommission auch mal "meinen Senf dazugegeben". Ich schaffe es irgendwie nicht, bei so etwas sachlich und nüchtern zu schreiben, aber es musste einfach mal raus... :zwinkern:

    "Sehr geehrte Damen und Herren,

    Wenn Frau Nalbach meint, sie hätte Ihre Augen jahrzehntelang geschult, komme ich unweigerlich zum Schluss, dass sie entweder ständig in die falsche Richtung geguckt hat oder mit der Zeit etwas kurzsichtig geworden ist... Wenn sie historisierende Architektur für verlogen hält, dürfte es weder Klassizismus, noch Neogotik oder Neorenaissance geben, die Herren Schinkel, Klenze, Semper waren demnach ganz große Lügner, denn alle diese Stile weisen auf ältere Vorbilder zurück. Es geht hier - wie schon unzählige Male bemerkt - um die Wiederherstellung eines vergleichsweise winzigen Areals im Stadtgebiet. Vielleicht könnte ja sogar eine Frau Nalbach mal über ihren Schatten springen und für die Dresdner akzeptable Lösungsvorschläge machen? Vielleicht steigt sie ja doch aus ihrem Elfenbeinturm herunter und hört sich mal die Meinung des "Nichtfachmanns" über dieses Thema an? Das wäre schön.
    Danke für die Aufmerksamkeit & freundliche Grüße"

  • Für eine Kritik an dieser "Führer befiehl - wir folgen-Mentalität" bist du, finde ich, noch sehr freundlich geblieben.

    "Willst du eine Stadt vernichten, baue Kisten, Kisten, Kisten!"

  • Hier eine Antwort eines Linksfraktions-Politikers, "einige Überlegungen ..., von denen wir uns in der Stadtratstätigkeit bzgl. der
    Neumarktgestaltung leiten lassen", und die "der Einfachkeit halber eine
    email-Antwort zum gleiche Thema aus dem vorigen Jahr (ca. Mai 2008)" wiedergibt, was m.E. eine Veröffentlichung hier im Forum unbedenklich erscheinen lässt:

    "1. Bau des Gewandhauses

    Ich könnte mir die Bebauung des Gewandhaus-Grundstücks durchaus vorstellen,
    wenn diese nicht eine solche Dominanzwirkung gegenüber der Frauenkirche
    entwickelt, die die Platzbeziehung und den Gesamtcharakter entsprechend dem
    städtebaulich gestalterischen Konzept des Neumarkts stört. Insofern stellen
    für mich die Wettbewerbsergebnisse noch bei weitem nicht die Idealform einer
    architektonischen Lösung dar. Andererseits sollte die Diskussion zur
    räumlichen Gliederung des Neumarkts mit oder ohne Gewandhaus noch
    unvoreingenommen weitergeführt werden. Auch stehe ich architektonischen
    Akzenten unserer Zeit auf dem Neumarkt durchaus aufgeschlossen gegenüber,
    soweit die angestrebte Kleinteiligkeit angemessen gewahrt bleibt und die
    Leitbauten und Leitfassaden als Maßstab respektiert werden.

    2. Verbindliche Gestaltungssatzung

    Die gewählte Arbeitsweise für Entscheidungen zur Neumarktbebauung auf der
    Grundlage eines städtebaulich gestalterischen Konzepts halte ich für
    geeignet als Richtschnur für die konkrete Quartiersbebauung. Wichtig ist für
    mich dabei die Autorität der Gestaltungskommission aus berufenen,
    unabhängigen Experten als Beratungsgremium für die Stadt sowie die
    umfassende Einbeziehung der Bürger und insbesondere der Gesellschaft
    historische Neumarkt. Die Tätigkeit der GHND stärkt maßgeblich den Aspekt
    der Rückgewinnung eines Platzes mitten im Herzen der Stadt, der die
    historischen Bezüge und die Gestalt der Frauenkirche aufgreift. Für mich
    steht am Neumarkt die Akzeptanz und Aufenthaltsqualität für die Dresdner
    Bürger von heute und morgen noch vor der Ausstrahlung als touristisches
    Zentrum. Ich sehe bereits heute die Gefahr, dass der Neumarkt zu wenig auf
    die Dresdner selbst ausgerichtet ist und vom Neumarkt zu wenig Anziehung für
    die täglichen Bedürfnisse der Bürger ausgeht. Der Neumarkt muss stärker
    Leben ausstrahlen.

    Die Form einer Satzung halte ich deshalb für etwas einengend, um den
    Nutzungsbedürfnissen und Sichten von heute entsprechen zu können und mit
    geeigneten Nutzungsvorstellungen von Investoren in Übereinklang zu bringen.

    3. Verabschiedung eines Nutzungskonzeptes, um einer Wohnbebauung den Vorrang
    einzuräumen

    Soweit mir bekannt ist, enthält das städtebauliche Konzept die Orientierung
    auf Wohnnutzung in einem Umfang von mindestens 20 %. Dies sollte auch in den
    Quartieren der Mindestlevel sein. Das steht in engem Zusammenhang mit den
    vorgenannten Aspekten. - Insofern halte ich ein zusätzliches Nutzungskonzept
    nicht für erforderlich.

    4. vorgeschriebene intensive Qualitätsüberwachung in der Vor-,
    Ausführungsplanung und Bauüberwachung

    Die aufgetretenen offenkundigen Qualitätsmängel der bisherigen Bebauungen
    legen eine solche Qualitätsüberwachung nahe. Hier wäre über ein geeignetes
    Kontrollgremium kurzfristig nachzudenken. Zur Zusammenarbeit mit einem
    solchen Gremium sollten natürlich vor allem die Bauherren verpflichtet
    werden.

    5. Sicherstellung der Mitspracherechte der Bürgerinnen und Bürger Dresdens

    Diesen Aspekt hatte ich bereits oben hervorgehoben. Allerdings würde ich mir
    wünschen, dass hierbei Formen gefunden werden, die eine hohe Sachqualität
    der Diskussion der naturgemäß auftretenden unterschiedlichen Sichten
    ermöglicht. Die Mitwirkung der Bürger muss eine ständige Form sein. Ich
    werde mich für solche Mitwirkungsformen besonders einsetzen.

    6. Prüfung einer Stiftung Neumarkt

    Natürlich sind Stiftungsvorschläge in jedem Falle sorgfältig und
    aufgeschlossen zu prüfen.
    Zugleich muss vermieden werden, dass sich eine Stiftung abweichend vom
    gestalterischen Konzepts verselbständigt bzw. dass der Stadt zusätzliche
    finanzielle Belastungen daraus erwachsen, die nicht ausreichend abschätzbar
    sind.

    Soweit meine Gedanken in Kürze.

    Herzliche Grüße aus Dresden

    Rainer Kempe
    Linksfraktion.PDS"

    Klingt eigentlich nicht unvernünftig, aber das Problem in DD dürfte wohl die CSU sein.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat

    Klingt eigentlich nicht unvernünftig, aber das Problem in DD dürfte wohl die CSU sein.

    Ja, ja, die CSU in Sachsen. Jetzt wurde Dresden schon von den bösen Bayern eingemeindet :lachen:

    APH - am Puls der Zeit

  • Naja, für diese feinen Unterschiede kann einem Ausländer schon das richtige Organ fehlen...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Habe gestern abend den (aufgezeichneten) Bericht über die Diskussionsrunde mit den zukünftigen Stadträten gesehen, und wollte mich nur mal ganz doll bei Oktavian bedanken. Was für ein fantastischer Vortrag. Sachlich und trotzdem leidenschaftlich, hochinteressant und kritisch (ohne aber irgendwen bloßzustellen). Einfach genial.
    Schade, dass wir nicht mehr solche Leute hier in Dresden haben.

    Was mich noch brennend interessieren würde, ist die Beantwortung seiner Frage am Schluss der Sendung zur Verunstaltungskommission, denn nach der Fragestellung wurde plötzlich ausgeblendet. War jemand dort und kann uns bitte berichten? Haben sich die Damen und Herren konkret geäußert oder wieder nur "herumphrasiert"? Besonders der Herr von der CDU ist mir da unangenehm aufgefallen...

    Danke schonmal & Gruß
    Bert

  • Zitat

    Besonders der Herr von der CDU ist mir da unangenehm aufgefallen...

    Ach, ne?


    Ein deftiger Dank geht auch von mir an den besten Kunsthistoriker des Ostblocks! :D

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Ich kann die oben gestellte Frage beantworten.

    Alle phrasierten nur herum. Lediglich Frau Jähnigen von den Grünen forderte O. vom Podium herab auf, in die Gestaltungskommission zu kommen um diese dann etwas ... äh .... aufzumischen ... :)

    Aber das SPA wirds schon so zu drehen verstehen, daß das aus irgendwelchen Verwaltungsrichtlinien nach § soundso, Absatz soundso natürlich nicht geht... ;)

  • Kleine Ergänzung: In der gestrigen Diskussionsrunde wurden die Stadträte auch gefragt, ob sie am Tag vorher beim Symposium gewesen sind.
    Ergebnis: Alle waren da, nur der Herr von der CDU nicht. :trinken:

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat

    Lediglich Frau Jähnigen von den Grünen forderte O. vom Podium herab auf, in die Gestaltungskommission zu kommen um diese dann etwas ... äh .... aufzumischen ... :)

    und ich denke, damit erntete sie auch regen Zuspruch...nicht nur bei mir ;)

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia