Das alte Koblenz

  • Architektonische Rundschau 1889.

    Palais Espenschied in Koblenz, erbaut nach Plänen von Mylius und Neher, Architekten in Frankfurt a. M., vollendet von Neher und von Kauffmann, Architekten daselbst:

  • Nachdem im Trier-Strang kürzlich eine Diskussion zum Zerstörungsgrad der Koblenzer Altstadt aufgekommen ist, habe ich mal etwas recherchiert, um genauer bestimmen zu können, wie sich die Zerstörungen im Altstadtbereich von Koblenz tatsächlich darstellen.

    Ich hatte in dieser Diskussion unter anderem die Vermutung geäußert, dass der Eindruck, die Koblenzer Altstadt hätte das Bombardement weitgehend intakt überstanden, eher darauf zurückzuführen sein könnte, dass diejenigen Teile, die ausradiert wurden, wirklich so gründlich ausradiert wurden, dass man heute nicht einmal mehr vermutet, dass dort mal Altstadt war. Das hat sich durch meine Recherche nun weitgehend bestätigt.

    Hier sieht man einen Stadtplan von Koblenz, der die mittelalterlich-frühneuzeitliche Bebauung mit der spätmittelalterlichen Stadtmauer zeigt, die dann später in die barocke Festungsanlage umgebaut wurde:

    Karte_Mittelalterliche_Stadtmauer_Koblenz.jpg

    Aus der Erinnerung an mehrere Besuche und aufgrund eines Vergleichs mit Luftaufnahmen der Kriegsschäden, sowie mit Aufnahmen von Google Earth würde ich ungefähr folgendes Schadensbild annehmen:

    1.) In dem engeren Altstadtring (eigentlich das Areal des alten römischen Kastells):

    a.) Westlicher Teil: Zerstörungsgrad ca. 50-60%

    b.) Östlicher Teil: Zerstörungsgrad ca. 30%, aber sehr viel guter Wiederaufbau

    2.) Areal zwischen dem engeren Altstadtring und dem Deutschen Eck, insbesondere die mittelalterliche Kastorstraße mit ihren Seitengassen: Totalverlust mit absolut scheußlichem "Wiederaufbau".

    3.) Areal südlich des engeren Altstadtrings inklusive südlichster Teil innerhalb des engeren Altstadtrings: nahezu Totalverlust mit Zerstörungsgrad 95-100%. Der einzige Trost ist, dass ein Großteil des Areals heute von der Einöde namens "Zentralplatz" eingenommen wird. Das hält das Areal zumindest für eventuelle Rekonstruktionsprojekte in ferner Zukunft frei.

    4.) Areal westlich des engeren Altstadtrings: Totalverlust.

    Insgesamt dürfte der unzerstörte Teil der Altstadt also maximal 30% ausmachen.

  • Hier ist eine recht interessante Website. Dort steht "...Insgesamt waren im Zentrum zwischen Rhein und Mosel 54 Prozent der Gebäude völlig zerstört, weitere 33 Prozent schwer beschädigt worden. In der gesamten Stadt hatten von den 25.635 Wohnungen nur 1.500 die Luftangriffe weitgehend unversehrt überstanden".

    Ich glaube es wurden viele beschädigte Gebäude wieder hergerichtet (die man in anderen Städten abgerissen hätte). Dann gibt es einige gute Lückenschlüsse in der Zeit der Postmoderne und auch die Altstadtsanierung hat einige Lücken geschlossen. Zudem hat man konsequenterweise den Plan und andere Plätze wieder teilweise rekonstruiert. Aber klar: Im Kastorviertel, das man wegen Hochwasserschutz nach dem Krieg höhergelegt hat, ist natürlich eine völlig banale Nachkriegsarchitektur entstanden.

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  • Hier ist eine recht interessante Website. Dort steht "...Insgesamt waren im Zentrum zwischen Rhein und Mosel 54 Prozent der Gebäude völlig zerstört, weitere 33 Prozent schwer beschädigt worden. In der gesamten Stadt hatten von den 25.635 Wohnungen nur 1.500 die Luftangriffe weitgehend unversehrt überstanden"

    Eine sehr interessante Seite. Nicht zuletzt, weil die zitierten Quellen einen erschreckenden Einblick in das technokratische Denken der (offensichtlich noch von der Nazizeit geprägten) Wiederaufbau-Planer gibt.
    Was die Prozentangaben angeht, nehme ich aber an, dass damit nicht nur der Bereich der Altstadt, sondern das gesamte Stadtzentrum gemeint war, das zum Zeitpunkt der Zerstörung ungefähr die doppelte Fläche der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Bebauung eingenommen haben dürfte.

    Sehr interessant auch, dass es offenbar den Verdacht gab, dass der Nicht-Wiederaufbau der Kastorstraße, die bis zur Zerstörung ein den Nazis wohl nicht ganz genehmes Arbeiterviertel war, Abrisspläne aus der Nazizeit umsetzte.

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    Was die Prozentangaben angeht, nehme ich aber an, dass damit nicht nur der Bereich der Altstadt, sondern das gesamte Stadtzentrum gemeint war, das zum Zeitpunkt der Zerstörung ungefähr die doppelte Fläche der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Bebauung eingenommen haben dürfte.

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    Ja, davon gehe ich auch aus.

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  • Wenn man die hohe Zerstörungsgrad Koblenz und die Deutsche Nachkriegsbaupolitik (= Abbruch & Vereinfachung) betrachtet, ist in Koblenz (zusammen mit Würzburg und Plauen) doch noch eine schöne und reizende Stadt entstanden. Leider sind diese drei die Ausnahmen.......

    Die "Vereinfachung" und "Abbruch" waren die grösste "Killer" der Deutsche Städtebilder. Wenn man Bilder der Nachkriegszeit anschaut gab es noch eine wunderbare und heile Vorkriegsatmosphäre wie z.B. viele Viertel in Berlin, Frankfurt rund das Schauspielhaus, Hamburg Innenstadt, Bremen Innenstadt.

    Heute sind diese herrliche Bilder leider nicht mehr da und gibt es überall eine sterile "sachlichkeit" mit zu vielen billigen Nachkriegsbauten.

  • Die "Vereinfachung" und "Abbruch" waren die grösste "Killer" der Deutsche Städtebilder.

    Das gab es in Koblenz allerdings auch zu Hauf, wenn man der von Wikos verlinkten Arbeit glauben kann. Die Politik in Koblenz scheint demnach gewesen zu sein: Den weniger beschädigten Teil der Kernaltstadt erhalten und, wo beschädigt, behutsam wiederaufbauen. Dafür alles außerhalb der Kernaltstadt brutal abräumen, auch wenn es wiederaufbaufähig ist. Das war anscheinend so etwas wie der "Koblenzer Kompromiss".

    Dem sind offenbar auch die wiederaufbaufähigen Ruinen des Dominikanerklosters (auf dem Stadtplan westlich der Kernaltstadt am Rhein gelegen) und des Franziskanerklosters (im Stadtplan nahe der Basilika St. Kastor) geopfert worden. Kirchenabrisse gab es nicht nur in der DDR ...

    Auch in der Kastorstraße selbst gab es wohl einige bloß beschädigte, aber wiederaufbaufähige Gebäude, die nachträglich abgerissen wurden. Anscheinend gegen den Protest der früheren Bewohner.

  • Ich finde die Quellen in dem von Wikos verlinkten Artikel wirklich in dieser Hinsicht interessant: Die generelle Idee der Stadtplaner scheint so etwas gewesen sein wie:

    "Gut, dass das das alte Koblenz kaputt ist; jetzt können wir ein neues, für die Wirtschaft fittes Koblenz bauen. Leider sind Menschen aber nostalgisch und wollen ihre gebaute Vergangenheit haben. Um diese Nostalgie zu bedienen, reservieren wir ein kleines Eckchen in Form der weniger zerstörten Kernaltstadt. Dann haben die Leute, was sie wollen und halten Ruhe, so dass wir dann ungestört im Rest von Koblenz so richtig mit der Moderne loslegen können."

    Das ist wirklich ein sehr interessanter Einblick in die Mentalität der Stadtplaner des Wiederaufbaus, weil sich beide Teile dieser Idee tatsächlich gar nicht widersprechen, wie es vielleicht dem oberflächlichen Blick erscheinen mag. Tatsächlich spricht aus beiden Teilen der Idee vielmehr ein rein technokratisches Denken.

  • "Gut, dass das das alte Koblenz kaputt ist; jetzt können wir ein neues, für die Wirtschaft fittes Koblenz bauen. Leider sind Menschen aber nostalgisch und wollen ihre gebaute Vergangenheit haben. Um diese Nostalgie zu bedienen, reservieren wir ein kleines Eckchen in Form der weniger zerstörten Kernaltstadt. Dann haben die Leute, was sie wollen und halten Ruhe, so dass wir dann ungestört im Rest von Koblenz so richtig mit der Moderne loslegen können."

    Das halte ich für unwahrscheinlich. Ich sehe da eher zwei Effekte in Erscheinung treten, zum einen, dass im innersten Kern die Keimzelle der Stadt liegt, da ist die Hürde sehr viel höher diese deutlich längere, und oft wichtiger erachtete gebaute Geschichte und noch identitätsstiftendere Zone platt zu machen. Und zum anderen gibt es den Effekt, dass etwas noch nicht so altes und als wenig besonders erachtetes weniger Wertschätzung erfährt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man ab den 1920ern so gesättigt war von der starken Bautätigkeit der Jahrzehnte davor, dass die Moderne eine willkommene Abwechslung bot, und der Schutz des noch relativ jungen Gebauten maximal gering war auch noch in den Wiederaufbaujahren.

  • Das halte ich für unwahrscheinlich. Ich sehe da eher zwei Effekte in Erscheinung treten, zum einen, dass im innersten Kern die Keimzelle der Stadt liegt, da ist die Hürde sehr viel höher diese deutlich längere, und oft wichtiger erachtete gebaute Geschichte und noch identitätsstiftendere Zone platt zu machen. Und zum anderen gibt es den Effekt, dass etwas noch nicht so altes und als wenig besonders erachtetes weniger Wertschätzung erfährt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man ab den 1920ern so gesättigt war von der starken Bautätigkeit der Jahrzehnte davor, dass die Moderne eine willkommene Abwechslung bot, und der Schutz des noch relativ jungen Gebauten maximal gering war auch noch in den Wiederaufbaujahren.

    Dazu nur mal zwei Zitate aus den Quellen, die in dem verlinkten Beitrag zitiert werden:

    "Der bauliche Zustand vor der Zerstörung darf beim Aufbau selbstverständlich nicht Leitbild sein; denn dieser ist früher schon als Zwangsjacke empfunden worden und würde heute, wenn er wieder entstände, für die Wirtschaft der Stadt geradezu katastrophale Folgen haben müssen."

    "Es wäre [...] völlig falsch, sich bei dieser Sanierung [des teilweise wiederaufbaufähigen Kastorviertels - Philon] von früheren Vorstellungen irgendwie beeinflussen zu lassen und dort eine Art von Pseudo-Altstadtmillieu anzustreben mit verträumten Höfen, Winkeln und Ecken [...] Denn in Koblenz ist der eigentliche Altstadtkern noch erhalten [...] Es wird also immerhin eine echte Altstadt da sein, der man wirklich keine synthetische an die Seite zu stellen braucht [...]"

    Ich finde, das klingt alles schon sehr nach meiner Hypothese.

  • Übrigens: Der verlinkte Beitrag nennt auch eindeutige Zahlen für das Altstadtgebiet: vor dem Krieg 900 Häuser, davon erhalten oder wiederaufgebaut: 200 Häuser.
    Also ca. 22% Erhaltungsgrad der gesamten Altstadt. Etwas weniger als ich selbst mit ca. 30% getippt hatte.

    P.S.: Ich ärgere mich gerade, dass ich nicht, wie ich ursprünglich wollte, "20-30%" geschrieben habe. Dann hätte ich jetzt aber so was von Auftrumpfen können :thumbup:

  • Ja, dass spricht schon eine deutliche Sprache. Dennoch gehört Koblenz für mich zu den sehenswerten Städten und es hat mir bei meinem Besuch vor 2 Jahren insgesamt gut gefallen. Sicher spielt das Kaiser-Wilhelm-Denkmal dabei eine Rolle, ebenso wie die Festung Ehrenbreitstein, sowie die "Fahrt" dorthin mit der Seilbahn. Ein wirklich schönes Erlebnis, dass ich jedem empfehlen kann. Ich muss noch zugeben, dass ich mir vorab, per Google-Maps, immer einen Wegeplan mache, der mich an den eher schönen Ecken vorbeiführt. So entsteht freilich meist ein eher positiver Eindruck, sofern das Stadtbild das hergibt. In Koblenz ist es aber m. M. nach so.

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Die generelle Idee der Stadtplaner scheint so etwas gewesen sein wie:

    "(...)Um diese Nostalgie zu bedienen, reservieren wir ein kleines Eckchen in Form der weniger zerstörten Kernaltstadt. Dann haben die Leute, was sie wollen und halten Ruhe, so dass wir dann ungestört im Rest von Koblenz so richtig mit der Moderne loslegen können."

    Diese von Dir kritisch betrachtete Haltung ist übrigens eine, die ich in der Vergangenheit oft der anderen Seite vorgeworfen habe. Immer wieder begegnet man nämlich der Haltung von Rekonstruktionsanhängern: "Ach, wenn wir nur dieses schöne Kirchlein wieder bekommen. Oder ein Marktplatzensemble..." Damit geben sie sich dann zufrieden und verkünden dabei mit einem Großmut, auf den die Modernisten gar nicht angewiesen sind, im Rest der Stadt könnten die modernen Architekten aber mal ihre "Kreativität" ausleben, die Stadt jenseits der Marktplatzes könne man ihnen als "Spielwiese" überlassen. Im Ergebnis führt dieses Denken zum Gleichen. Mit dem Unterschied, dass die Rekonstruktionsanhänger nun mit noch kleineren Drops zufrieden gestellt werden als in den 50er Jahren. Wobei viele Modernisten ihnen nicht mal das mehr gönnen.

  • Das Vernehmen der Modernisten ist, wie Heimdall so treffend vermittelt, wirklich asozial, egoistisch, frech und brutal.

    Das Kastor-Viertel war also Gründerzeitlich geprägt und wurde von der "Modernen" abgeräumt statt wiederaufgebaut.

    Die Ablehnung der Gründerzeit ist die Hauptursache das D. Städte "das Leib" oder lebendige, schöne und Urbane Gürtel fehlt. Glücklich gibt es in manche D. Städten noch vereinzelt schöne Gr.Zt. Bauten und Ensembles obwohl die Meisten leider verschwunden sind. Ich habe am Forum öfters sehr schöne Bilder gesehen aus München, Stuttgart, Wiesbaden, Offenbach, Bonn, Hannover, Dresden (Aussenbezirke), Halle, Leipzig, Magdeburg-Süd, Plauen, Görlitz, Friedenau, Kreuzberg-Ost und Prenzlauerberg, Aber das war es dann auch!!

    In die Niederlanden waren und sind die (erhobene) Gründerzeitviertel besonders geschätzt, weil die Häuser grosszügig sind, die Viertel mit vielen Bäumen versehen sind und man das nicht sonst so findet. Ganz selten werden Villa's abgebrochen und dann meistens für Ältersheimen.

    Schöne Gründerzeit Viertel gibt es in: Amsterdam-Ost & um der Vondelpark herum, Haarlem-Nord, Utrecht-Ost (Wilhelminapark), Den Haag: Staten Kwartier (Schevingen), Bezuide-Hout, Archipel Buurt und Arnhem-Ost.

  • Ja, als Gründerzeit-Fan hat man enorme Verluste zu beklagen in D. Besonders viele vermeidbare Verluste, die auf das Konto ideologiegelenkter Stadtplaner gehen. Was hilft's, wenn man versucht das aus der Zeit heraus zu verstehen? In den 50er-70ern galt Historismus schlicht als wertlos und konnte weg, ohne dass es große Einwände dagegen gab. Heute bedauern wir das, stellvertretend für die Verantwortlichen die zumeist nicht mehr leben. Für mich gibt es daher nur einen Trost: Mich an dem zu erfreuen, was noch geblieben ist, statt nur zu trauern um das, was verloren ging. Aber selbstverständlich darf man auch die Knallköpfe von damals manchmal still und heimlich verfluchen, vielleicht hören sie es ja.

    In dubio pro reko

  • Das Kastor-Viertel war also Gründerzeitlich geprägt und wurde von der "Modernen" abgeräumt statt wiederaufgebaut.

    Nein, es war mittelalterlich und frühneuzeitlich geprägt. Das Viertel war schon durch die Stadtmauer von 1250 mit umfasst, dürfte also im Hochmittelalter entstanden sein. Laut dem Artikel war es seit dem 19. Jahrhundert ein Viertel der Arbeiter und kleinen Gewerbetreibenden gewesen. Die Gründerzeitbauten dürften einige wenige Solitäre innerhalb einer mittelalterlich-frühneuzeitlichen Bebauung gewesen sein. Von daher führt die Gründerzeitdiskussion gerade völlig vom Thema weg.

    Offenbar hatte es schon vor dem Krieg die Idee gegeben, das Viertel zumindest teilweise abzureißen und neu zu bauen.