Denkmalpflege Student

  • Zitat von "Booni"

    Warum ist Denkmalschutz eigentlich eine Vertiefungsrichtung von Architektur? Sollten sich nicht auch vor allem Kunstgeschichtler darum kümmern? Ich denke mir, dass diese durchaus weniger dogmatisch sind und so Dinge wie das ehemalige Frankfurt Hotel Union (ihr wisst schon, das Gebäude, das neben dem Neubau mit dem schrägen Stahldach zur PERsiflage verkommt) am ehesten zu verhindern wissen.

    Die Denkmalpfleger, die ich kenne, sind großteils Kunsthistoriker, aber teils auch Architekten mit Zusatzausbildung. Letztere habe ich häufiger in den Unteren Denkmalschutzbehörden angetroffen. Ich kann aber nicht sagen, wer weniger dogmatisch ist. Ich habe aber das Gefühl, daß die Architekten in der Verwaltung eher zu Kompromissen bereit sind als Kunsthistoriker; insoweit wollen letztere Denkmäler tatsächlich vehementer schützen. Aber das ist alles rein spekulativ und nur selektiv beobachtet.

  • Hallo Studi,

    Du wirfst einige Fragen auf:

    Zitat

    aber ein zeitgemäßer ehrlicher Bau mit ehrlichen Materielien wie Metall, Glas auch in Verbindung mit Holz oder Beton ist doch jeder Rekonstruktion vorzuziehen.

    Was bitte soll denn ein "ehrliches" Material sein? Wieso soll Metall oder Glas ehrlich sein, Holz und Beton auch, Ziegel und Sandstein oder Putz hingegen nicht? Mit Verlaub - was maßt Ihr Architekten Euch eigentlich an? Erklär' doch bitte mal, was Du damit meinst - und wenn Du es nicht erklären kannst, dann ist es vielleicht einfach Dein persönlicher Geschmack (was natürlich in Ordnung ist, aber dann sag's es doch bitte auch so).

    Zitat

    Sicher werden auch heute hässliche Gebäude gebaut aber der moderne Stil ist doch mitlerweile so weit dass er die maßstäbe nicht mehr so sprengt wie früher oder gar erdrückend wirkt.

    Das glaubst Du doch selbst nicht, schau Dir doch mal Neubauten in Großstädten an (Frankfurt, Berlin etc.)! Die Mehrzahl der Neubauten, die zwischen Altbauten gepreßt werden, sprengt die Maßstäbe. Das passiert nur dort nicht, wo es eine Satzung gibt, die den Architekten und Investoren eine maximale Traufhöhe vorschreibt. Ohne Reglementierung würden 100m-Glastürme mitten in barocke Altstadtviertel reingestellt. Ich wette, es hätte nach der Wende genug Archis gegeben, die den Pariser Platz mit Hochhäusern zugestellt hätten, neben denen das Brandenburger Tor ähnlich mickerig ausgesehen hätte wie der Reichstag auf dem Speer-Modell von "Germania".

    Zitat

    Nach gut 4 Jahren Studium hab ich oft festgestellt, dass gerade in Deutschland kaum Verständniss für moderne Architektur vorhanden ist.

    Ich höre immer Verständnis. Wann versteht Eure Zunft denn eigentlich, daß der Mensch nicht alles verstehen will, sondern vieles einfach nur anschauen und nach seinem Geschmack beurteilen will. Wenn ein modernes Gebäude mir gefällt, dann gefällt es mir. Und wenn ich es zum Wegrennen häßlich und langweilig finde, dann wird es auch nicht davon schöner oder erträglicher, wenn ich versuche, es zu "verstehen".

    Zitat

    Ansonsten muss man nunmal akzeptieren dass ein über Jahrhunderte "gewachsenes" Haus unwiederbringlich verloren ist wenn es zerstört wurde

    Man "muß"? Wer sagt das, wer schreibt das vor? Wo steht das geschrieben? Muß es nicht vielmehr heißen "kann". Man kann sich mit der Zerstörung abfinden, man kann es wiederaufbauen oder man kann etwas völlig anderes bauen. Keins von beiden ist ein "muß", sondern es sind zwei Optionen.

    Ich sehe schon, den Studenten wird an den Unis überall dasselbe eingetrichtert, ein Wunder, daß es unter den Archis auch noch Andersdenkende gibt.

  • Zitat von "Antiquitus"

    Ja, in der Tat etwas enttäuschend. Kommt, haut einige halbgare oder dogmatische Thesen raus, die er vermutlich unkritisch von einem Prof oder aus einem Buch übernommen hat, und wenn Gegenrede kommt, vergeht im die Lust. Wen soll das überzeugen? Ich hätte gehofft, die orthodoxe Denkmalpflege wäre etwas agiler - damit wir unsere Argumentationen verfeinern können. ;)

    ...na ja, ich sehe das etwas anders: Ihm (Studi) hat es einfach die Sprache verschlagen!!!!!!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...


  • 1.
    Mit "ehrlichen Materialen" meinte ich nicht dass einige schlechter oder billiger sind, sondern dass man sie zeitgemäß und sinnvoll verwendet.
    Zíegel z.B. wurden häufig -in dem Fall "ehrlich"- im Historismus eingesetzt, dort bestehen Mauern, Tragwerk und Decken (als Gewölbe oder Bögen) aus Ziegeln und das spiegelt sich in der Fassade mit allen Gesimsen und Ornamenten wieder. Man sieht dem Bau seine Konstruktion an, aus der sich auch die Gestaltung ergibt.
    Bei einem modernen Bau aus Stahlbeton oder einem Einfamilienhaus von der Stange sind die Ziegel nur als "Tapete" verwendet und gaukeln dem Betrachter vor, er hätte ein Ziegelgebäude vor sich. In diesem Fall wäre Putz ehrlicher oder noch besser (für die ganz hartgesottenen, bzw. Architekten) Sichtbeton oder Metallbahnen, da das Gebäude so wieder offen zeigen würde was es ist.
    100%ige Rekonstruktionen sind ok, Stahlskelettbauten mit vorgenageltem Fachwerk oder eine historisierenden Fassade empfinde ich als störend jemand, der genauer hinsieht vielleicht auch..

    2.
    Würd ich so nicht sagen. Ich bin immer wieder gerne in Berlin und auf die meisten Neubauten kann man wirklich stolz sein. Natürlich gibts auch heute noch viel schlechtes aber wenn das nich so wäre würde man die guten ja nicht so zu schätzen wissen.

    3.
    Doch das wird es!! Du musst es nur einmal versuschen :zwinkern:

    4.
    Na gut, man "kann".

    5.
    Ich kenne viele Profs die (die meisten würden es hier Betonklötze nennen) von ihren Studenten erwarten und jeden Winkel der nicht 45 Grad hat oder jeden Versprung in der Fassade und jedes geneigte Dach kritisieren. Aber eingetrichtert wird den Studenten nichts, wer sich für moderne Architektur interessiert hat scheinbar auch die gleichen Vorstellungen von Gestalltung.


    Die Sprache verschlagen hat es mir schon ein wenig.. vor allem als ich beim Überfliegen einiger Beiträge in den Signaturen Dinge wie sinngemäß "Lieber Vetruvius als Gropius" oder "in den 60ern hat die Baukunst ihren Tiefpunkt erreicht" lesen musste.
    Da rede ich mir dann ein, dass das nur ein Scherz sein soll.. :?

  • OK - verputzter Beton ist also einigermaßen "ehrlich", Beton mit vorgeblendetem Mauerwerk (was ja in Beispiel des Dresdner VVk-Projekts tatsächlich richtig gemauert wird) "unehrlich". Ist nicht eine Putzfassade prinzipiell "unehrlich", weil man das darunterliegende Material nicht mehr erkennen kann (spontan würde man ja eher an Mauerwerk denken)? Oder eine gestrichene oder gar tapezierte (igitt!) Innenwand, weil man die ursprüngliche Farbe der Ziegel nicht mehr sehen kann.

    Gewissermaßen die Übertragung des computerisierten WYSIWYG-Prinzips auf die Kunst. Obwohl man ja im Computerbereich gern mal ein Frontend vorblendet, um die ehrlichen Befehlszeilenoptionen zu verdecken.

    Was mich interessieren würde:

    Weshalb muß Kunst (=Architektur) ehrlich sein? Weshalb enthalten diese Theorien überhaupt keine ästhetische Komponente? Wer legt fest, zu welchem Zeitpunkt in welchem Stil gebaut werden muß? Wie hoch muß der Prozentsatz an erhaltenem Material sein, um eine Rekonstruktion zu erlauben? Wieso werden Entscheidungen der Vergangenheit als "geschichtlich" akzeptiert (beispielsweise willkürlicher Abriß), während Neubauten im Stil des vorherigen Zustands "geschichtsfälschend" sind?

    Was ist von Betonverkleidungen zu halten, die erhalten gebliebener Architektur vorgeblendet werden (konkretes Beispiel: Rathausturm Stuttgart)? Wäre es da nicht viel besser, die Betonplatten zu entfernen, um den spannenden Kontrast zwischen alt und neu herauszuarbeiten?

  • Zitat

    Man sieht dem Bau seine Konstruktion an, aus der sich auch die Gestaltung ergibt.
    Bei einem modernen Bau aus Stahlbeton oder einem Einfamilienhaus von der Stange sind die Ziegel nur als "Tapete" verwendet und gaukeln dem Betrachter vor, er hätte ein Ziegelgebäude vor sich. In diesem Fall wäre Putz ehrlicher oder noch besser (für die ganz hartgesottenen, bzw. Architekten) Sichtbeton oder Metallbahnen, da das Gebäude so wieder offen zeigen würde was es ist.

    Und der große Gewinn für uns Menschen läge dann WORIN... ??????


    Ich meine, was bringt uns - oder dir - dann dieses Wissen um die Ehrlichkeit des Gebäudes? Hurra, es sieht aus wie hingerotzt, aber wenigstens ist es ehrlich??? Muss man diese Ansicht denn haben?

    Auf den Menschen übertragen: Keine Kleidung kaufen, die die Problemzonen kaschiert :gg: DAS IST NÄMLICH UNEHRLICH! Lieber Kleidung kaufen, die die Problemzonen betont, oder am besten gleich nackt rumlaufen... wird zwar in einigen Fällen sehr unästhetisch, ist aber erfrischend ehrlich :augenrollen:

    Nochmal zur Verdeutlichung:

    Zitat

    Einfamilienhaus von der Stange sind die Ziegel nur als "Tapete"

    Die Tapete bei mir an der Wand ist auch "nur Tapete", aber doch immer noch schöner als die nackte Wand! Warum darf das nicht für das Äußere eines Gebäudes gelten?

    Ansonsten hast du aber meinen Respekt dafür, dass du hier als einzelner die Diskussion mit nahezu dem ganzen Forum bestreitest...


  • Das kommt ganz auf die Wand dahinter an. Dass eine Tapete grundsätzlich besser ist würde ich nicht sagen.

    Ich wollte ja gar nicht mit dem ganzen Forum diskutieren, nur mal mitteilen, wie sehr sich die Architektur und Denkmalpflege wie ich sie lerne und verstehe von denen hier im Forum unterscheidet.
    Ich habe schon mehrmals mitbekommen wie einige Professoren die Entwürfe eines Studenten aus dem ersten Semester (die in der Regel eine Menge an Ornamenten, Gauben, Walmen, Stuck oder anderen historisierenden Elementen anwenden) im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen wurden

  • Zitat

    Das kommt ganz auf die Wand dahinter an. Dass eine Tapete grundsätzlich besser ist würde ich nicht sagen

    Aber so grundsätzlich sind Tapeten doch nichts Schlechtes, oder? :zwinkern:

    Und ist letztlich die Vorliebe für "ehrliche" Gebäude nicht einfach nur... persönliche Geschmackssache?
    Ich meine, welches wissenschaftliche Prinzip soll sich dahinter verbergen? Was ist der Nutzen? Wenn es aber keinen Nutzen gibt, dann ist es lediglich eine Vorliebe, vielleicht auch ein Trend, eine Modeerscheinung...

    Ich wollte nur darauf hingewiesen haben, dass deiner Logik nach entkernte Gründerzeitler ebenso "unehrlich" sind wie der Stuttgarter Rathausturm, wie Schloss Neuschwanstein, wie das Lustschlösschen in Hanau-Wilhelmsbad und wie verputzte oder verschieferte Fachwerkhäuser.

  • "Ich habe schon mehrmals mitbekommen wie einige Professoren die Entwürfe eines Studenten aus dem ersten Semester (die in der Regel eine Menge an Ornamenten, Gauben, Walmen, Stuck oder anderen historisierenden Elementen anwenden) im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen wurden"

    Mit welchem Recht eigentlich? Gibt es neuerdings eine Geschmackspolizei?

    Abgesehen davon - ich bin unglaublich froh, daß ich mich damals dann doch gegen ein Architekturstudium entschieden habe. Und das hängt nicht nur mit den bescheidenen Verdienstmöglichkeiten zusammen.

    Obwohl ich so eine "elitäre" nackte Betonwand mit zwei dünnen Säulchen davor sicher auch noch zusammenklicken könnte. Ist sicher konsensfähig und wettbewerbsgewinnfähig - siehe Braunfels und Co.

  • Ich finde Studis Beiträge auch wertvoll, wenn ich auch noch auf einige Antworten warte. Aber Zeit haben wir ja.

    Was die Ehrlichkeit betrifft, so meine ich, daß das ein völlig unbrauchbarer Begriff ist. Ehrlichkeit gibt es in Reinform ohnehin kaum, und ist bei komplexen Aussagen selten überprüfbar. Es mag zwar etwas kühn und pathetisch klingen, und ich hasse eigentlich solche Sprüche, aber wenn sich die Ehrlichkeit in unserer Gesellschaft in der Architektur widerspiegeln sollte, wäre "ehrliche" Architektur das denkbar Falscheste.

    Das Selbstverständnis von Bauherren spiegelt ja auch nur dieses wieder und nicht das, was die Wahrheit über die Bauherren ist. (Und was ist das schon?)

    Beispielsweise finde ich es blanken Hohn, wenn ein Glasgebäude "Transparenz" symbolisieren soll - und im Inneren gelogen und betrogen wird, daß sich die Balken biegen.

    Ergo wäre es das Ehrlichste, wenn man akzeptiert, daß Architektur unabhängig von "technischer" Ehrlichkeit immer "ehrlich" ist, wenn sie das Selbstverständnis des (dem ehrlichen Architekten lästigen?) Bauherrn ehrlich widerspiegelt. Denn am Schluß steht das, was der Bauherr wollte.

    Studi und die weiteren für Ehrlichkeit im Bau eintretenden Zeitgenossen meinen mit dem Ehrlichkeitszeug sicher etwas anderes, ich vermute mal eher funktionalistische Gesichtspunkte. Es ist wohl eine Regel der architektonischen Kunst, daß man möglichst elegant und mit möglichst geringem Aufwand die übertragene Aufgabe löst, z. B. einen Raum zu bauen. Wenn er fertig ist, braucht man keine Klinker oder Sandsteinplatten mehr dranzukleben. Das würde den Qualitäts-Quotienten für den Architekten ungünstiger machen. Und die Ästhetik? Was konstruktiv-technisch gut ist, ist grundsätzlich automatisch schön. Die Gestaltung darf sozusagen nur innerhalb der Konstruktion erfolgen, das ist der bekannte Grundsatz. Die große Kunst liegt halt eben darin, schön zu konstruieren.

    Mit diesem Gefühl im Bauch arbeitet man eben gefühlsmäßig und praktisch sehr entfernt von Rekonstruktionen, Rücksichtnahme und Anpassung und hat natürlich Schwierigkeiten damit. Ich denke, wenn man Umfelder der Bauten wichtiger nähme und weniger das Gebäude selbst, gelänge es auch besser, völlig neue Bauten in sensibles historisches Umfeld einzupassen. Denn mit den heutigen architektonischen Waffen können im Handstreich ganze Städte vernichtet werden. Die Verantwortung ist insoweit höher als früher (wenn freilich auch in der Gründerzeit Mittelalter- und Barockvernichtung betrieben wurde, aber die Unterschiede waren trotz allem noch nicht so groß wie heute).

    Wenn heutzutage Gebäude herauskommen, die anecken, dann ist das im Sinne der architektonischen Lehre im übrigen gut (und attraktiv nach dem Motto "Leg dich quer, (nur) dann biste wer").

  • Zitat

    100%ige Rekonstruktionen sind ok, Stahlskelettbauten mit vorgenageltem Fachwerk oder eine historisierenden Fassade empfinde ich als störend jemand, der genauer hinsieht vielleicht auch..

    Dazu meine 100%ige Zustimmung. Ich würde im Areal einer ehemaligen Altstadt wie in Frankfurt oder Dresden zwar eine bloße Fassaden-Rekonstruktion immer noch dem Verzicht auf jede Rekonstruktion vorziehen - eben weil zumindest die Fassade wiederentsteht -, richtig glücklich bin ich mit so was aber auch nicht.

    Was ich allerdings noch wesentlich "unehrlicher" finde, sind diese sogenannten "kritischen Rekonstruktionen", die sich nur "in Grundriß und Kubatur an das frühere Gebäude" anlehnen".
    Siehe manche Entwürfe des würgshops für die ehem. Frankfurter Altstadt: Moderne Materialien, aber mit demselben Grundriß wie das ehemalige Fachwerkhaus, mit derselben Fassadengliederung wie das ehemalige Fachwerkhaus und mit denselben Giebeln wie das wie das ehemalige Fachwerkhaus. Was soll denn so was bitte? Warum rekonstruiert man dann nicht lieber gleich das ehemalige Fachwerkhaus?! Das wäre dann tatsächlich wesentlich ehrlicher! Was einem stattdessen vorgesetzt wird, ist nämlich wirklich eine neue Form des Historismus: ein Historismus der Form statt - wie im 19. Jahrhundert - des Ornaments.

  • Mich stört die Kombination aus zeitgemäßem Innenleben und moderner Haustechnik (auch Bautechnik) und einer an klassischen Vorbildern angelehnten Fassade überhaupt nicht.

    Natürlich sollte ein vorhandenes Original erhalten werden, aber wenn es nicht mehr vorhanden ist und eine Bereicherung für die Stadt war - weshalb nicht nachempfinden und die Stadt an dieser Stelle wieder reparieren? Natürlich handelt es sich dabei um einen Neubau, aber wo ist das Problem, einen älteren Stil zu zitieren? Schließlich gibt es ja auch dafür genug Vorbilder (Neobarock, Neorenaissance usw.).

  • So, ich habe mich erstmal durch den ganzen Thread durchgewühlt und will als angehender Archäologe und (im Nebenfach) Denkmalpfleger auch mal meinen Senf dazu geben:

    Erstmal zur "ehrlichen" Architektur: Ich denke, damit ist gemeint, dass ein Bauwerk keine Materialien vortäuschen sollte, aus denen es nicht besteht. Wenn zum Beispiel ein Betonbau nur mit Sandsteinplatten verkleidet wird (zum Beispiel die Reko des Braunschweiger Schlosses) oder man ihm eine Fachwerkfassade vorhängt, die kein bisschen zur Konstruktion des Gebäudes beiträgt, dann dürfte das als unehrlich gelten - genauso wie Schaumstoffverkleidungen an Zimmerdecken mit Holzmaserung oder Stuckimitat. Natürlich hat man auch früher schon "unehrlich" gebaut (Stichwort Stuckmarmor, der schon in der Antike mehr vortäuschen sollte als man tatsächlich hatte - wobei dieser oft auch einfach deshalb verwendet wurde, weil er sich viel leichter formen und bearbeiten lässt als echter Marmor).
    Der Unterschied zwischen früherer "Unehrlichkeit" und heutiger ist wohl nur im Umfang zu sehen. Um noch mal das Braunschweiger Schloss zu erwähnen. Was dort momentan gebaut wird, wird von allen Beteiligten als Rekonstruktion angesehen, von manchen vielleicht gar als originalgetreue - dabei handelt es sich streng betrachtet um einen Betonneubau mit angeschlossenem Brachialeinkaufszentrum und ohne Rekonstruktion des Innenlebens. Wenn man dies dann als (originalgetreue) Rekonstruktion bezeichnet, dann kann man sicher von "unehrlicher Architektur" sprechen.

    Hinzu kommt ja auch, dass sich viele Rekonstruktionen lediglich auf die Fassade beschränken (zum Beispiel viele Bauten am Hildesheimer Marktplatz) oder wenn man Glück hat auf die Umfassungsmauern. Zu einem Gebäude gehört allerdings mehr als schöne Fassaden. Denn bloß auf diese zu achten ist vielen historischen Baudenkmälern teils bis in jüngste Zeit zum Verhängnis geworden, indem man sie ihres historischen und teils über Jahrhunderte gewachsenen Innenlebens beraubt hat (Stichwort: Entkernung), um mehr Platz für Geschäfte und Wohnungen zu schaffen. Und darum geht es ja auch bei manchen "Rekonstruktionen". Um zum dritten Mal das Braunschweiger Schloss anzusprechen: Hierbei geht es doch keineswegs darum, einen historischen, zerstörten Zustand wiederherzustellen, sondern lediglich um Profit. Der Erbauer will sein überdimensioniertes Einkaufszentrum mitten in die Innenstadt pflanzen, und um die Bürger zu besänftigen, hängt er die Fassaden des Schlosses davor. Dafür geht dann der gesamte Schlosspark, immerhin eine Grünanlage mitten im Zentrum, verloren und die Einzelhändler in der Fußgängerzone fürchten noch mehr um ihre Existenz. Dennoch wird diese Maßnahme von vielen Leuten bejubelt, weil dadurch ja das Schloss wieder entsteht und das Stadtbild aufgewertet wird :augenrollen: .

    Ich glaube, das ist auch das, wovor die meisten Denkmalpfleger Angst haben: Durch Rekonstruktionen könnte in der Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass ein echtes Baudenkmal weniger Wert haben könnte, weil man es ja jederzeit wieder rekonstruieren könnte - und dann vielleicht noch praktischer als das alte, im Inneren verbaute und verwinkelte Original. Oder man hängt gleich nur die alte Fassade davor, um dahinter parzellenübergreifende Kaufhäuser und ähnliches zu bauen.

    Darum bin ich der Meinung: Rekonstruktionen sind nur dann okay, wenn sie mit höchstem wissenschaftlichen Anspruch und so originalgetreu wie möglich geschehen, und auch so weit wie möglich am ursprünglichen Standort. Und wenn dort ein neueres, denkmalwertes Gebäude steht, dann muss man auf die Rekonstruktion eben verzichten.

  • Zitat von "Maxileen"


    Der Unterschied zwischen früherer "Unehrlichkeit" und heutiger ist wohl nur im Umfang zu sehen. Um noch mal das Braunschweiger Schloss zu erwähnen. Was dort momentan gebaut wird, wird von allen Beteiligten als Rekonstruktion angesehen, von manchen vielleicht gar als originalgetreue - dabei handelt es sich streng betrachtet um einen Betonneubau mit angeschlossenem Brachialeinkaufszentrum und ohne Rekonstruktion des Innenlebens. .

    Betonneubau? Ich dachte, dass alle erhaltenen Originalteile mitintegriert werden?

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • So viele sind das aber meines Wissens gar nicht - zumal es immer schwierig ist, ausgeglühtes Steinmaterial wiederzuverwenden.

    Sicher werden einige erhaltene Teile als Spolien mit eingebaut, aber unter http://home.arcor.de/bruno.hase/\r
    home.arcor.de/bruno.hase/ sieht man, dass das Gebäude vor allem aus Beton besteht, der dann verkleidet wird.

  • Maxileen schrieb:

    Zitat

    Erstmal zur "ehrlichen" Architektur: Ich denke, damit ist gemeint, dass ein Bauwerk keine Materialien vortäuschen sollte, aus denen es nicht besteht. Wenn zum Beispiel ein Betonbau nur mit Sandsteinplatten verkleidet wird (zum Beispiel die Reko des Braunschweiger Schlosses) oder man ihm eine Fachwerkfassade vorhängt, die kein bisschen zur Konstruktion des Gebäudes beiträgt, dann dürfte das als unehrlich gelten - genauso wie Schaumstoffverkleidungen an Zimmerdecken mit Holzmaserung oder Stuckimitat.

    Spielt denn das wirklich so eine große Rolle oder wird dem nicht zuviel Bedeutung beigemessen? Wenn ich an den Ursprung aller Kultur (das antike Ägypten) denke, dann fallen mir ad hoc die Pyramiden von Gizeh ein. Immerhin waren diese ursprünglich auch komplett mit , wie ich glaube, Kalksteinplatten verkleidet, obwohl die Steinquader dahinter aus einem anderen Material waren.

    Wenn man ganz pedantisch, kritisch wäre, müßte man doch auch verlangen, dass alle gemauerten Gebäude auch gemauerte Geschoßdecken besitzen müßten, was den Einbau von Holztramdecken und Dippelbäumen wohl ausschließen würde, da sie bekanntlich aus einem anderen Material sind.

    Ich denke, dass diese Diskussion von Seiten des Denkmalschutzes sowieso ins Leere geht, da dieser immerhin bei manchen Gründerzeitgebäuden vorgibt, dass die Fassade erhalten werden muß, während ein Investor das dahinter befindliche Innenleben komplett auskoffert und eine neue Konstruktion in Form von Stahlbeton schafft.

    Ich bin der Meinung, dass man alles übertreiben kann. Den meisten wird es wohl egal sein, ob ein Gebäude "ehrlich" ist oder eben nicht.

  • Diese Diskussion zu "Ehrlichkeit" ist sowieso absurd - wieso soll man denn einem Gebäude ansehen, aus welchem Material es gebaut wurde? Was soll denn das für ein Kriterium sein?

    Die Fassadengestaltung ist doch gerade das künstlerische Element... und Kunst besteht nun mal aus Anspielungen, Vexierspielen und einem Unterschied zwischen "Sein und Schein".

    Gilt ja auch für andere Künste wie die Kochkunst, wo ich einem Wiener Schnitzel auch eine "unehrliche" Fassade aus Panade vorblende, anstatt einen "ehrlichen" Teigklumpen nur aus Paniermehl zu formen. :gg:

  • Wie ich schon mal sagte sind für mich "Authenzität" und "originale Substanz" die dümmlichsten Argumente gegen Rekonstruktion, wenn die Rekos mit den Originalmaterialien ausgeführt sind.

    Wer damit argumentiert, soll bitte dann auch Rom als Disneyland bezeichnen, denn auch hier wurde ständig nachgebildet und umgeformt. Der Engel auf der Engelsburg ist z.B. ein Abguß (Authenzität?) und vor die Kirche St. Paul vor den Mauern stellte man dann im Barockzeitalter eine Barockfassade, was demnach reiner Fassadismus/Disneyland ist. Überhaupt wurden zahlreiche Bauten in aller Welt zigmal zerstört und zigmal genauso wieder aufgebaut.

    Aber Herr Dehio sagt ja, das ist in der Neuzeit nun verboten. Und was Herr Dehio sagt, glaubt der brave Student, denn Herr Dehio ist unfehlbar.
    :gehtsnoch:
    Ich kenne viele gläubige Katholiken, aber diese sind doch wenigstens meistens in der Lage, ihre Dogmen kritisch zu hinterfragen, die Denkmalpflege scheint mir da verkrampfter zu sein. Und vor allem kommt es mir manchmal so vor, als wären Architekten und Denkmalpfleger ziemlich undemokratische Berufe, denn der Wille der Bürger interressiert ja nicht.

  • Zitat von "jojojetz"

    Und vor allem kommt es mir manchmal so vor, als wären Architekten und Denkmalpfleger ziemlich undemokratische Berufe, denn der Wille d
    er Bürger interressiert ja nicht.

    Es sind vielmehr undemokratische Menschen die in einer Art Sekte
    ihr Unwesen treiben. Die Sekte nennt sich "Bauhaus" und meint, wie alle anderen Sekten auch, unfehlbar zu sein...

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • @silesianospostato: Natürlich kann es ein künstlerischer Ausdruck sein, wenn man zum Beispiel Stuckmarmor verwendet und ihn in Farben und Formen bringt, die echter Marmor gar nicht haben kann, oder wenn man Gebäude mit Fresken oder Sgraffitomalerei versieht und so Reliefs und Werkstein vortäuscht, aber bei den modernen Rekonstruktionen, bei denen vor einen Betonkern die Fassaden nur vorgehängt oder Holzbretter vorgeklebt werden, geht es doch nicht um künstlerisches, sondern bloß darum, möglichst billig zu bauen und den Leuten was fürs Auge zu bieten.

    Jojojetz: Dehio gilt vielen vielleicht als eine Art "Gott der Denkmalpflege", allerdings werden seine Meinungen auch oft in einen falschen Zusammenhang gebracht: Meines Wissens hat er nie gegen Komplettrekonstruktionen gewettert (was damals ja auch eher unüblich war), sondern eher gegen das Rekonstruieren alter Zustände bei noch existenten Baudenkmälern, die im Historismus oft zurückgebaut oder vollendet wurden, wobei nicht nur große Teile der Originalsubstanz überformt oder ersetzt wurden, sondern auch wertvolle spätere Umbauzuständen aus Renaissance, Barock und Klassizismus verschwanden.

    Meines Wissens hat er die Rekonstruktion des eingestürzten Campanile am Markusplatz in Venedig sogar befürwortet, weil er als ein Wahrzeichen der Stadt galt und die Bürger dieses Wahrzeichen unbedingt zurück haben wollten.