Dresden - die Johannstadt

  • In Bezug auf die Wohnqualität möchte ich meinen Vorrednern durchaus zustimmen. So das soziale Gleichgewicht stimmt, bieten die aufgelockert bebauten Siedlungen eine Wohnqualität, die gerade mit Kindern so manchem Gründerzeitviertel überlegen sein dürfte. Da kann man auch den weiteren Weg zum Café oder in eine Bar verschmerzen.

    Zur Johannstadt sei angemerkt, dass in absehbarer Zeit keine zusätzliche Verdichtung der Bebauung aus den 70'er Jahren stattfinden wird. Hier werden höchstens kleinmaßstäbliche Gebäude als Ergänzung der sozialen Infrastruktur (Kindergärten, Schulen, etc.) hinzukommen.
    Anders sieht das in Bereichen aus, wo sich Reste der Vorkriegsbebauung erhalten haben. So werden an der Pfotenhauer und Schrapelstraße sowie am Tatzberg die Blockränder ergänzt oder erst wieder aufgegriffen. Ähnliches dürfte in den nächsten Jahren am Kollwitz-Ufer und an der Gerok-/Elisenstraße zu erwarten sein.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Meine Antwort zur aufgelockerten Bauweise fällt knapp aus:

    Die Grünflächen zwischen den Platten sind doch in aller Regel leider schlecht gepflegt und vollgeschissen. Voller Müll. Wer will seine Kinder da spielen lassen? Also wirklich.

    Wie schön ist dagegen eine ruhige, völlig verkehrsfreie Hof-Grünfläche in einem Gründerzeitquartier. Da kann mir keiner was erzählen, da ist die Lebensqualität drölfzig mal höher.

  • Urbanes Leben gibt es meines Erachtens nur da, wo eine Stadt mit traditionellen Straßen und Plätzen vorhanden ist (zur Not auch mit Nachkriegsbebauung), ich habe mir die gesamte Johannstadt mal zu Fuß erwandert und fand sie genauso öde und tot wie das mir besser bekannte Waldhäuser-Ost in Tübingen.

    Eine Luftaufnahme der Johannstadt gibt es auf Bing: http://binged.it/1pSecs0

  • Urbanes Leben gibt es meines Erachtens nur da, wo eine Stadt mit traditionellen Straßen und Plätzen vorhanden ist (zur Not auch mit Nachkriegsbebauung)


    Eben. Deshalb gilt es jetzt, diese urbane Stadtbebauung wieder zu ermöglichen. Wer immer nur in dem Schema denkt "im Plattenbauviertel können nur Plattenbauten stehen", der kommt nie voran. Gerade dort müssen wieder städtische Strukturen entstehen. Das ist alles machbar und auch notwendig.

  • Erbse, hier Zustimmung. An Abriss der Plattenbauten ist bei der aktuellen Wohnungsmarktentwicklung in Dresden nicht zu denken, aber es bietet sich die Chance auf Nachverdichtung und dies sollte man m. E. mit 3-5-stöckiger Blockrandbebauung und Platzausbildungen/Raumbildungen tun. Es ist ja nicht so, dass es in Dresden keine Bauflächen mehr zu besetzen gäbe. Ich verstehe deswegen ums Verrecken nicht, warum man hier gleich wieder 10-Geschosser ansetzen muss. Das ist ein anachronistischer Städtebau aus den 60/70er Jahren.

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia

  • Moderne und Postmoderne wechseln sich immer ab. In den 60er und 70er wurde in Ost wie West "gewürfelt," was das Zeug hält, aber in den 80er und 90er Jahren hat man sich der baulichen Traditionen besonnen, ohne dabei unmodern zu werden. Seit den 2000ern sind die Kubenbauer zurück und werden wahrscheinlich noch bis zum Ende dieser Dekade ihre Spuren in unseren Städten hinterlassen. Dummerweise wird gerade jetzt viel gebaut.

  • Urbanes Leben gibt es meines Erachtens nur da, wo eine Stadt mit traditionellen Straßen und Plätzen vorhanden ist (zur Not auch mit Nachkriegsbebauung), ich habe mir die gesamte Johannstadt mal zu Fuß erwandert und fand sie genauso öde und tot wie das mir besser bekannte Waldhäuser-Ost in Tübingen.

    Das ging mir ähnlich. Ich hatte mal in Dresden extra ein Tagesticket für die Strassenbahn gelöst, und wollte die Johannstadt erkunden (damals wusste ich noch nicht so gut über Dresden Bescheid). So nach ca. 30 min. Laufen im Bereich Grunaer Strasse/Strasburger Platz/Canalettostrasse überkam mich ein solch heftiger psychischer Notstand, ich weiss nicht wie ich es anders ausdrücken soll (klinische Depression?), dass ich die für den ganzen Tag geplante Tour abbrach und das teure Tagesticket nicht mehr benutzte. Mir war vorher natürlich schon klar gewesen dass dort nicht mehr viel historisches steht, aber eine solche Tabula Rasa, eine dermaßen konsequente Auslöschung einer Stadt hatte ich nicht erwartet. Das hatte mich auch irgendwie innerlich zerstört (Gott sei dank konnte ich mich recht fachgerecht bereits am nächsten Tag wieder rekonstruieren).

    (Wobei ich heute weiss, ich hätte einfach nach links ein bischen in die Seitenstrassen der Grunaer gehen müssen, weg von den Betonblöcken, Mathildenstrasse et cetera, die haben ja fast Altbaucharacter, das hätte mich vermutlich etwas beruhigt).

    Wenn ich allerdings anfange darüber nachzudenken, was dort ein Ausmaß an Zerstörung stattfand, östlich der Innenstadt bis weit über den Fetscherplatz hinaus bis nach Osten, ich darf gar nicht daran denken.

    OK das war's schon, aber deine Wanderung durch die Johannstadt "triggerte" dies bei mir.

    "Die Modernisten sollten sich endlich eingestehen, dass sich die Qualität einer Stadt konventioneller Architektur verdankt" - (H. Kollhoff).

  • Da wir hier vor einigen Tagen über die Reurbanisierung der Johannstadt fabuliert hatten, möchte ich einige wenige in der Ära Just (Baubürgermeister von 1994 bis 2001) entstandene Neubauten zeigen, die dazu bereits einen Beitrag geleistet haben. Sie befinden sich allesamt nordöstlich des Totalschadensgebietes und unterstreichen damit die Notwendigkeit des Vorhandenseins von Wachstumskernen oder zumindest Anknüpfungspunkten, die einen gewissen Maßstab vorgeben.

    Aber seht selbst:


    Hier sehen wir z.B. das Haus Pfotenhauerstraße 46, dem sich...


    ...ein Gebäude der damals noch stadteigenen Woba in der Pfotenhauerstaße 48 anschließt.


    Nach einer weiteren Baulücke, folgt mit der Nummer 52 ein bereits renoviertes Exemplar (neuer Anstrich) aus den späten 90'er Jahren.


    Gegenüber, in der Pfotenhauerstraße 43, schien man damals stark der Postmoderne zu frönen.


    Das Gegenüber, Pfotenhauerstraße 45, wirkt dagegen fast schon zeitlos.


    Jedoch beweist dieser umfangreiche Bau in der Gutenbergstraße 5, dass man auch ohne eine bewusste Verleugnung der Entstehungszeit, zu durchaus wertigen Ergebnissen finden konnte. Chapeau!

    Bilder sind von mir.

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  • Da nach über 15 Jahren des baulichen Stillstandes noch viele Brachen einer Verwertung harren (allein sie lassen Träumereien von umfangreichen Abrissen im Plattenbaubestand als obsolet erscheinen), sollen nun auch die aktuellen Fortschritte in der Johannstadt präsentiert werden.


    Hier sehen wir allerdings erst noch eine recht umfangreiche Baulandreserve an der Gerokstraße/Elisenstraße.


    Diese wird durch das hektargroße Areal des ehemaligen Carolaheimes/Plattenwerkes ergänzt.

    Hier zwei Links zum Gelände:

    http://www.johannstadtarchiv.de/?article_id=53

    http://www.johannstadtarchiv.de/?article_id=60

    Kommen wir nun aber zu den bereits angesprochenen Bauvorhaben:


    So ist der Erweiterungsbau der KVS in der Marschnerstraße (Entwurf: nps tchoban voss) bereits weit gediehen.


    Die Fassade macht bisher einen wirklich wertigen Eindruck.

    Hier ein Link zum Vorhaben:

    http://www.nps-tchoban-voss.de/projekt.php?id=432&b=1&k=3&pg=0


    Das Wohnungsbauvorhaben in der Pfotenhauerstraße 35-41 scheint sich jedoch durch eine gewisse Insolvenz (Infinus!) verzögert zu haben, wird nun aber wieder vorangetrieben.

    Hier ein Link zum Vorhaben aus alten Tagen:

    http://www.ecoconsort.de/files/Report_02_2013-07.pdf


    In der Alfred-Schrapel-Straße 6-8 geht es ebenso gemächlich zu. Ist erst einmal die Baustelleneinrichtung verschwunden, wird in der Baulücke gegenüber (Brandwand links) ein weiteres Vorhaben verwirklicht.

    Hier ein Link:

    http://www.bauforum-dresden.de/media/johannst…adt_11-2013.pdf


    Bald scheint es auch an diesem Wohnkomplex am Käthe-Kollwitz-Ufer/Hertelstraße loszugehen.

    Zumindest legen das diese Visualisierungen Andreas Hummels nahe:

    http://www.arte4d.de/index.php/details/items/dresden.51.html

    Bilder sind von mir.

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  • In der Alfred-Schrapel-Straße 6-8 geht es ebenso gemächlich zu. Ist erst einmal die Baustelleneinrichtung verschwunden, wird in der Baulücke gegenüber (Brandwand links) ein weiteres Vorhaben verwirklicht.

    Hier gibt es einen weiteren Link zum Vorhaben der Baugemeinschaft, der immerhin eine recht einfache Visualisierung zeigt:

    http://www.f29architekten.de/projekte/226/?cid=details&iid=1

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  • Die Gagfah zieht derzeit in Erwägung, ihre letzte verbliebene Wohnzeile (Typ WBS 70) an der Nicolaistraße nicht mehr zu verkaufen, sondern sie selbst abzubrechen und auf dem Grundstück Neubauten zu errichten. Diese sollen zu einem - in meinen Augen nicht mehr realistischen - Mietpreis von sieben Euro pro Quadratmeter angeboten werden.

    Hier der Artikel dazu:

    http://www.sz-online.de/nachrichten/ne…nt-2936485.html

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  • So, nun gibt es zu den Ankündigungen, an der Nicolaistraße neu zu bauen, auch ein Bild:
    http://www.sz-online.de/nachrichten/bi…am-1407272h.jpg
    Was soll ich dazu sagen?! Ich bin wirklich fassungslos! Man muss hier überhaupt noch nicht einmal über die Architektur zu sprechen. Schon der Städtebau ist absolut unterirdisch. Ich hatte so gehofft, dass dort an die Blockrandbebauung des Fetscherplatzes angeknüft wird. Dazu vielleicht auch eine Straße quer durch das Areal hindurch angelegt wird. Aber das? Das ist schlimmer als alles was in der DDR so gebaut wurde. Dagegen sind selbst die langweiligsten Plattenbauviertel noch inspieriert.
    Wenn das bei der Stadtplanung und im Rat so durchgeht, gebe ich jegliche Hoffnung auf eine positive Entwicklung in Dresden auf. Dann ist mit allem zu rechnen!

    Einmal editiert, zuletzt von Arwed (3. Dezember 2014 um 15:10)

  • Herrlich, wunderschön, ich bin entzückt! :daumenoben:

    Erkennt ihr nicht die geradezu szintillierende Synthese zwischen dem Monochromen?

    Das wurde hier in einzigartiger Weise umgesetzt. Frappierend, wie dem Arschitekten die quasi lemmatisierte Transponierung
    der Dialektik des Monochromen auf den Ist-Zustand unseres soziokulturellen Umfeldes gelingt. Einfach transzendent!! :applaus:

  • Vielleicht ist jetzt die stete Kritik mancher Forumsteilnehmer an der aktuellen Bauplanung in Dresden nachvollziehbarer? Auf solche Weise jedenfalls verschlechtert sich das Stadtbild eher. So sehr ich den Wunsch nach Wiedererlangung städtebaulicher Struktur verstehen kann, bisweilen ist es doch besser, Brach- und Grünflächen für die nächste Generation zu erhalten.

  • Der neue lange Block an der Nicolaistraße ist ja wenigstens noch am Blockrand, den könnte man am Ende links und rechts zu bauen.
    Aber dieser Kubus mitten auf der Wiese anstatt des einen alten Blocks zerstört sämtliche urbane Strukturen. Sowas geht absolut nicht.

    Wenn nicht anders angegeben, sind alle Bilder von mir.

  • Nun kann es doch beim besten Willen niemand mehr leugnen: Dresden braucht einen städtebaulichen Rahmenplan!
    Einen konsequenten Masterplan wie jenen von Hans Stimmann für Berlin, der die Rückgewinnung städtischer Strukturen im Blockrand vorzeichnet.

    Anders kriegt die sächsische Landeshauptstadt es offenbar nicht gebacken, das ist doch der reinste Wildwuchs! In diesem Zusammenhang kann man sich auch explizit noch einmal über ästhetische Funktionen von Neubauten in gewachsenen wie auch neuen Quartieren unterhalten.