Es freut mich, dass ich dich erfreuen durfte, aber ich befürchte deine Maustaste klemmt ein wenig oder gehörst du zu den Leuten, die es nicht schaffen, sich ohne eine Horde Emojis zu artikulieren?
Einige nennen es aus aus einer guten Portion Halbwissen heraus vielleicht Doktrin. Fakt ist, dass Dehio einer der Pioniere der Denkmalpflege ist. Ohne ihn hätte diese im 20. Jahrhundert nicht die hohen Standards entwickeln können, von denen wir heute profitieren. Natürlich darf die kritische Frage gestattet sein, wie sich die Denkmalpflege des 21. Jahrhunderts weiterentwickelt hat. Dehio aber derart herabzuwürdigen, das zeugt von keinem wirklich fachkundigen Verständnis der Materie. Daher hier vielleicht zur schnellen Orientierung ein kurze Geschichte der Denkmalpflege vom 18. Jahrhundert bis heute: https://www.zeilenabstand.net/eine-kurze-ges…-denkmalpflege/
Stell dir vor, dass Dehio "Pionier" war, weiss ich. Wir leben aber nicht mehr im Kaiserreich - und ich denke du weisst sehr gut, dass der 2. Weltkrieg unsere Städte so ein bischen verändert hat, sehe ich das richtig ? Um zu wissen, wer George Dehio war, und was genau er postulierte - und inwieweit seine Lehre heute die Denkmalpflege beeinflusst - würde übrigens ein Viertelwissen ausreichen.
Ich muss kein Kunsthistoriker sein, um zu sehen welcher Schrott und formensprachliche Makulatur seit 1945 unsere Städte "ziert". Dazu reicht es, ein sensibler Mensch mit künstlerischer Veranlagung zu sein (bin u.a. klassischer Musiker, d.h. Kenntnisse in mehr als 3 Akkorden und Polyphonie etc.). Hilfreich ist auch, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, eine Eigenschaft für die Du nicht nicht unbedingt bekannt bist, um es höflich zu formulieren. Es muss auch niemand Politikwissenschaftler sein, um zu erkennen welche Katastrophenpolitik gewisse politische Parteien betreiben.
Da die Denkmalpflege der Meinung ist, Rekonstruktion sei "verboten" (wenige Ausnahmen) - obwohl es keine rechtliche Norm gibt die dies verböte, eine "moralische" wäre vermessen - also genau diese absurde Vorgehensweise durchführt die Dehio forderte, erlaube ich mir, dies "Doktrin" zu nennen. Ich denke nicht, dass du in der Position bist, denkenden Menschen die Wahl ihrer Terminologie zu bestimmen, vor allem wenn diese begründet ist. Willst Du behaupten, die Denkmalpflege vertritt Dehios Ansichten nicht bis heute?
Was Dehio im Kaiserreich forderte war sinnvoll, denn der Kaiser wollte Burgruinen aufbauen, was man tatsächlich als Verfälschung betrachten kann. Betonung lieft auf "kann". Ich wäre nicht grundsätzlich dagegen, wir waren als Kinder oft auf der Burg Hohenzollern, ein Erlebnis dass so beeindruckte dass die Erinnerung noch sehr lebendig ist. In einem intakten Gebäude ist Leben, ein Gang durch den bemoosten holprigen Boden einer leeren Ruine wäre nicht vergleichbar. Insofern finde ich die Reko der Burg Hohenzollern auf keinen Fall einen Fehler. Im Gegenteil, es wäre ein folgenschwerer Fehler gewesen sie nicht aufzubauen.
Man kann darüber streiten, wie hoch die Anzahl der Ruinen hätte sein "dürfen" (Kunsthistoriker scheinen gerne Juristen zu spielen, vielleicht überschreiten sie hier ihre Kompetenz), aber das Entscheidende ist, dass Dehios Forderung im damaligen Kontext der Zeit (die Burgenromantik des Kaisers) sinnvoll war.
Dehio aber starb vor dem 2. Weltkrieg, konnte also weder die Katastrophe ausradierter Städte ansehen, daher auch seine Forderung nicht revidieren.
Paul Clemen, Zeitgenosse Dehios, kannte sowohl die intakten Städte des Kaiserreichs als auch die Katatstrophe der zerstörten Städte, denn anders als Dehio überlebte Clemen den 2. Weltkrieg. Er begann sehr schnell, sioh selber zu widerlegen und hielt in Rheinländischen Kirchen Vorträge mit der Botschaft:
"Baut es lieber doch wieder auf".
Eine "Doktrin" ist übrigens ein anderes Wort für "Lehre", und zwar für eine als allgemein gültig anerkannte. Wenn Du mir erzählen willst, Du wüsstest nicht dass die Deutsche Denkmalpflege diese Lehre ( = Doktrin) bis heute als alleingültige vertritt und wider besseres Wissen rigide an ihr festhält - und dabei die Konsequenzen der Weltkriege ignoriert - dann bist Du ein gar seltsamer Kunsthistoriker.