Fassaden- und Dachbegrünung

  • Zu diesem doch recht wichtigen Thema haben wir noch keinen eigenen Themenstrang. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass irgendwie begrünte Fassaden und Dächer bei Visualisierungen von Neubauprojekten fast schon zum Standard gehören - je mehr Grünzeug, desto größer anscheinend die Wahrscheinlichkeit, dass die Planungen die Genehmigungsgremien erfolgreich passieren.

    Aber sind diese Visualisierungen auch realistisch? Werden die Häuser in 10 oder 20 Jahren dann wirklich so grün aussehen wie auf den Visualisierungen? Grund zur Skepsis gibt es für mich, weil man erstens in der Stadt nun einmal kaum erfolgreich langfristig begrünte Fassaden und Dächer sieht - aber das könnte sich ja in Zukunft noch ändern... und zweitens, weil ich aus eigener Erfahrung mit Kübelpflanzen und Flachdachbegrünung nur zu gut weiß, dass es extrem schwer ist, in Pflanzgefäßen befindliche höhere Vegetation über mehr als maximal 3-5 Jahre am Leben zu halten. Das Problem ist anscheinend nicht nur die Bewässerung, auch Drainage, Nährstoffmangel, Belüftung und Besonnung scheinen eine große Rolle zu spielen.

    Und es gibt dann ein weiteres Problem: abgestorbene, schon etwas herangewachsene Pflanzen aus Kübeln mitsamt der verbrauchten Pflanzerde von Balkonen oder gar Fassaden zu entfernen, ist ein enormer Kraftakt. Die Arbeit ist schwer, mit viel Schmutz und Schlepperei verbunden, die Entsorgungsfragen sind auch alles andere als banal.

    Bei Dachbepflanzungen, zB mit Sukkulenten oder anderer anspruchsloser Vegetation, gibt es das Problem der enormen Hitzeentwicklung in den Großstadtsommern. Die pralle Sonnenbestrahlung auf Flachdächern und die damit verbundene Bodentrockenheit überstehen nur die härtesten Pflanzen. Die Pflanzen müssen klein bleiben, damit das Wurzelwerk keine Schäden am Dach verursacht oder Drainagen verlegt. Sie langfristig zu bewässern, ohne einen Wasserschaden an der Immobilie zu verursachen, ist keineswegs einfach.

    Also: Augenwischerei bei den Visualisierungen, um das schlechte Gewissen der Planer und Entscheider zu beruhigen - ohne realistische Perspektive auf Nachhaltigkeit? So sieht es meiner Meinung nach aus.

    Man beachte die Visualisierungen in dem folgenden Artikel: wie wird dieses Gebäude in 20 Jahren realistischerweise aussehen? Wird der Hauseigentümer dann noch geneigt sein, das ganze Grün auf dem Dach kostenaufwändig zu unterhalten? Oder haben wir dann nur noch einen recht simplen, substanzarmen Gerüstbau, dem kaum eine längere Lebensdauer als 50-70 Jahre beschieden sein wird? Nachhaltig ist das nicht.

    Gewerbeprojekt "Glance" entsteht am Spreebogen in Charlottenburg | entwicklungsstadt berlin
    Am Spreeufer in Berlin-Charlottenburg realisiert das österreichische Immobilienunternehmen Signa bis 2024 das Projekt "Glance".
    entwicklungsstadt.de

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Wichtiger Strang. Ich habe das Thema vor längerer Zeit als Nicht-Architektur beschrieben. Architektur musste sich von je her gegen einen Überwuchs durch Pflanzen erwehren (außer in Regionen, in denen das Pflanzenwachstum eng begrenzt ist). Dieses Verhältnis beschreibt auch die oben erwähnten Inkompatibilitäten. Gebäude mögen kein Wasser, sie können schlecht mit einer hohen Masse umgehen, die auch noch je nach Wetter schwankt (oft wird ja so ein Gründach z.B. als Schwamm geplant, wodurch sich extreme Gewichtsunterschiede ergeben, die auch strukturell im Gebäude antizipiert werden müssen). Gebäude können schlecht auf organische Veränderungen reagieren, Verwurzelung, Leben auf chemischer Grundlage der verbauten Materialien (das Pflanzenwachstum muss also ständig kontrolliert werden), schlecht mit organischen Abfallprodukten umgehen. Pflanzen halten nur schlecht die stark erosiven Prozesse um Fassaden herum aus, sie leiden unter dem Stadtklima, bedingt durch begrenzte Kompensationskapazitäten aufgrund von wenig gesundem Humusboden und in der Natur typischen Beziehungen vieler verschiedener Arten miteinander. Es sind rein künstliche Habitate, die auch in diesem Zustand gehalten werden. Die Pflanzen brauchen Nischen im Habitat, wohingegen an Gebäuden auf gigantischen Flächen ähnliche Bedingungen herrschen, oder versucht wird mit gleichen Pflanzen unterschiedliche Habitaträume zu besetzen (z.B. an Hochhäusern von unten bis oben ähnliche Pflanzen trotz sehr unterschiedlicher Bedingungen).

    Das alles führt zu hohen Kosten, weil damit stetig die Gebäude und die Pflanzen überwacht werden müssen und für all diese Mangelhaftigkeiten Ausgleich geschaffen werden muss. In der Regel auf nicht-nachhaltige Weise, indem Pflanzen ständig ausgetauscht und nachgepflanzt werden müssen, indem Bauteile früher wieder repariert und ausgetauscht werden müssen, indem strukturelle Bauteile massiver ausgeführt werden müssen, indem mit viel Düngemittel und Wasserverbrauch gearbeitet werden muss, und indem Pflegearbeiten mit großem logistisch, maschinellem und organisatorischem Aufwand betrieben werden müssen.

  • Es kommt darauf an ...

    Ein Bewuchs mit Magerrasen auf einer dünnen Erdschicht auf einem Flachdach kann auch in unseren Breiten langfristig stabil sein - ohne jeden pflegerischen Eingriff! Entscheidend ist, dass die Erdschicht nicht so dick ist, dass sich Büsche oder Bäume ansiedeln können. Die sommerliche Hitze ist dabei erstaunlicherweise kein Problem. Das Gras wird gelb, erwacht aber wieder zum Leben, sobald die Witterung wieder feuchter wird.

    Das andere Extrem bilden Projekte wie die Begrünung des Feldstraßenbunkers in Hamburg, auf dem zum Teil sogar 20 jahre alte Bäume gepflanzt wurden bzw. werden.

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    So in etwa soll das Ganze später mal wirken - ich bin gespannt. Die Bepflanzung scheint mittlerweile weitgehend vollendet zu sein, aber die für den späteren Gesamteindruck wesentlichen Begrünungen der vertikalen Flächen mit Rankpflanzen werden einige Jahre brauchen, um sich voll zu entwickeln:

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    Generell ist mein Eindruck, dass die Tendenz, Dächer zu begrünen, in den letzten 10, 15 Jahren eher ab- als zugenommen hat. Heute dominieren auf Flachdächern neben schmalen Grünstreifen oft massive Anordnungen von Klimatechnik.

  • Ein Bewuchs mit Magerrasen auf einer dünnen Erdschicht auf einem Flachdach kann auch in unseren Breiten langfristig stabil sein - ohne jeden pflegerischen Eingriff! Entscheidend ist, dass die Erdschicht nicht so dick ist, dass sich Büsche oder Bäume ansiedeln können. Die sommerliche Hitze ist dabei erstaunlicherweise kein Problem. Das Gras wird gelb, erwacht aber wieder zum Leben, sobald die Witterung wieder feuchter wird.

    Wir müssen bei Gebäuden jedoch in ganz anderen Zeiträumen denken. Ein begrüntes Dach, das z.B. 40 Jahre lang besteht, das kann meines Erachtens keine so dünne Humusschicht mehr haben, weil die Pflanzen durchgängig Biomasse bilden aus Sonnenlicht und Luft. Bzw. wenn sie das nicht tun, weil sie z.B. im Sommer völlig trocken fallen und im Winter sowieso nicht wachsen, dann wäre das Versprechen gebrochen, mit dem diese Dächer gerechtfertigt werden: Weder gäbe es einen substanziellen Kohlenstoffumsatz, noch eine besondere Speicherwirkung von Wasser in einer sehr dünnen Humusschicht mit Kiesschicht darunter.

    Was ich sagen will, einen Tod stirbt man mit der Technik meinem Verständnis nach. Will man wenig bis keinen Aufwand, so ist die Maßnahme dann in der Wirkung eingeschränkt und demzufolge fragwürdig.

  • Ich habe die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen ja gar nicht bewertet. Es ist ein Fakt, dass Konstruktionen mit Magerrasen auf Dächern langfristig (- mindestens einige Jahrzehnte) ohne Eingriffe "funktionieren" können, sofern sie technisch mangelfrei ausgeführt wurden.

    Dass sich dort nur sehr, sehr langsam zusätzliche Biomasse aufbaut, ist klar. Die primäre Idee dabei ist ja wohl auch nicht die Bindung von Kohlenstoff, sondern die Reduktion von sommerlicher Erhitzung in den Städten.

    Vertiefende Studien zu dem Thema habe ich jetzt nicht gegoogelt. Ich könnte mir vorstellen, dass ein in weißer Farbe ausgeführtes Dach ein ausgeprägteren Effekt hätte als ein Magerrasen.

  • Danke für diesen Thread und für die wertvollen Beiträge! Ich bin eigentlich ein Verfechter für die Dachbegrünung, habe aber durch Eure Beiträge einen neuen Blick auf das Thema erhalten. Wenn ich z. B. von oben auf die Innenstadt von Frankfurt am Main schaue, dann sehe ich eine einzige Betonwüste. Fast keinerlei Dachbegrünung o.ä. - alles weit weg von der "Schwammstadt". Auf der anderen Seite muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die aktuellen Visualisierungen wohl eher aus Vermarktungsgründen eine Begrünung vorsehen und das ganze eher Dekor wie Klimaeffizient ist. Bei weiterer Überlegung ist wohl dann doch der gute alte, begrünte Innenhof die beste Alternative.

    ...

  • Zum Thema Visualisierung vs. Realität bzgl. Dachbegrünung:

    Haus Postplatz, Dresden - Visualisierung:

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    Bildnachweis: FAY Projects GmbH, Mannheim/ Deutschland in: Sächsische Zeitung

    und Realtiät:

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    Bildnachweis: RobBerg in: RE: Der Dresdner Ring

    Die sich in der Folge ab RE: Der Dresdner Ring ergebende Diskussion ist im Zusammenhang mit diesem Thema evtl. interessant.

    Ein weiteres Beispiel, das auf seine Verwirklichung wartet (deren Ergebnis man sich aber sicherlich denken kann): Fernbusterminal Wiener Platz, Dresden - Visualisierung erster Entwurf:

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    Bildnachweis: © Visualisierung: Knerer und Lang/Landeshauptstadt Dresden in: Sächsische Zeitung

    Visualisierung zweiter Entwurf:

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    Bildnachweis: © Knerer und Lang Architekten in: Sächsische Zeitung

    Man beachte die grüne Farbe der "Fassade", um den Täuschungseffekt noch zu verstärken. Die "Fassadenbegrünung" besteht schon in dieser Darstellung letztlich nur aus ein paar Efeuranken aus dem Blumenkasten, aber der Entwurf wird als "ökologisch" und "grün" beworben und wahrgenommen.

  • Vielleicht ganz interessant in diesem Zusammenhang, dass Stadtraumbegrünung schon am Boden und für einzelne Bäume keineswegs trivial ist, hier gezeigt am Beispiel Nürnberg:

    Dem Klimawandel trotzen: Wassermanagement für Stadtbäume | BR.de
    Stadtbäume sind nicht nur hervorragende Klimaschützer, sondern auch schön fürs Stadtbild. Um die Bäume vor Trockenheit und Dürre zu schützen, setzt Nürnberg…
    www.br.de

    Heute muss künstlich Wasser zugeführt werden, weil die Regenmenge nicht reichen. Es gibt Baum-Manager, spezielle Substrate, Monitoring, und eine aufwendige Logistik.