Millionengrab Moderne

  • Das ist typisches Denken der Moderne mit ihrem blinden Ressourcenumsichwerfens und Fortschrittsglauben.

    Exakt. Der ganze Modernismus beruht ja auf diesen zwei Säulen. Bei der Masse der Bauvorhaben auf möglichst billige Weise den höchstmöglichen Profit herauspressen, auf der anderen Seite hingegen - bei den Prestigeprojekten - das Geld ohne Blick auf Nachhaltigkeit und die Zukunft zu verpulvern.

    Bloß war bislang immer das Geld vorhanden, es einfach so zu machen. Erst ein gewisser Mangel wird wieder dazu führen, dass stärker über Nachhaltigkeit nachgedacht wird. Dazwischen liegt dann aber eine Strecke des Verfalls und die Erfahrung der Verwahrlosung. Leider funktioniert es wohl in den meisten Fällen beim Menschen nur so. Indes, von dieser Situation scheinen wir noch entfernt, denn offenbar sind ja locker 84 Millionen Euro dafür noch vorhanden, dass der Spaß bzw. die Brot und Spiele dort weitergehen.

  • Und genauso ist es mit Sport- und Eventanlagen mit einer Lebenszeit von 15 Jahren. Das ist typisches Denken der Moderne mit ihrem blinden Ressourcenumsichwerfens und Fortschrittsglauben.

    Ich kann mir nicht helfen - ich finde das konkrete Beispiel Olympiastadion München aus dem oben genannten Grund der Zugehörigkeit zur Kategorie der "temporären Architektur" schlecht gewählt. Temporäre Architektur gab es auch schon vor der Moderne, sie ist nicht spezisch oder typisch für unsere Zeit. Beispiele wären etwa die zum Teil sehr aufwändigen "Ehrenpforten" im Barock, der Kristallpalast in London oder der Eiffelturm in Paris.

    Passender sind IMHO die zahllosen Nachkriegs- oder 70er Jahre Bauten, die bereits nach wenigen Jahrzehnten entweder ungeplant massive Mängel aufweisen, oder nicht mehr den gewandelten Ansprüchen genügen und wieder abgerissen werden.

  • HelgeK Wenn ich gerne auf Dein Beispiel des Kristallpalastes aus London eingehen darf. Ein gutes Beispiel, denn es ist ein Gebäude, das zum Zwecke eines Events geplant wurde und mit hochwertigen Werkstoffen errichtet wurde. Jedoch zeigen sich gerade hier auch Unterschiede, die meine Kritik sogar unterstreichen:

    Der Kristallpalast ist aus Werkstoffen die nicht weggeworfen werden müssen. Er wurde modular errichtet aus Glas und Gusseisen. Diese Materialien können auch altern (billiges Glas kann z.B. eintrüben, Gusseisen beim modularen Auf- und Abbau brechen und allgemein rosten). Aber bei etwas qualitativer Auswahl und Pflege kann so eine Struktur hunderte Jahre halten. Und entsprechend wurde es ja dann auch nicht einfach abgerissen oder teilweise entsorgt, sondern nach der Weltausstellung sorgfältig abgebaut und in Sydenham sogar in vergrößerter Form dauerhaft aufgestellt. Erst ca. 80 Jahre später ist es durch einen Brand zerstört worden.

    Wo ist das also hier ein Wegwerfprodukt, wie im Falle des Olympiastadions? Und wenn Wir schon bei Olympia in Deutschland sind und bei angeblich ,,temporärer Architektur": Das Berliner Olympiagelände wurde auch nicht so gebaut, dass man das Stadion und andere Teile nach 15 Jahren einstampfen hätte sollen. Auch in anderen Staaten sind Olympiastadien keineswegs ,,temporäre Architektur". Ich kann also nicht so ganz folgen, warum man erwarten kann, dass für irgendwelche Events Milliarden verbaut werden, die dann scheinbar in ,,temporäre Architektur" fließen, was ausdrücken soll, dass es völlig legitim ist, das nach dem Event wieder alles in die Tonne zu kloppen?

  • Ist was dran. Viele Gebäude der Weltausstellungen wurden im 19. Jahrhundert für einen temporären Zweck gebaut. Industriebauten wie Hallen ebenfalls. Und gleichzeitig wurden sie idR so widerstandsfähig und massiv konstruiert, dass sie teils Jahrhunderte problemlos überstehen, oft mit überschaubarem Pflegeaufwand.

  • Rathaus Marl, erbaut 1960-66, Denkmalschutz seit 2015, Sanierung geplant, ca. 70 Mio. €
    Kulturzentrum München-Gasteig, 1978-85, Generalsanierung geplant, ca. 450 Mio. €
    Schauspielhaus Düsseldorf, 1965-69, Sanierung seit 2016, Sanierungskosten bisher ca. 56 Mio. Euro
    Nationaltheater Mannheimer, 1955-57, Generalsanierung geplant, Kosten über 250 Mio. Euro

    Bitte ergänzen..

    Dieser Brocken ist nicht ganz so fett, aber doch erheblich - zumal man für das Geld echte Stadtreperatur hätte betreiben können und müssen, statt diese städtebauliche Plattenbau-Mauer am Rande der Altstadt zu protegieren:

    • Rathaus Neubrandenburg ("Kreml"), Mecklenburg, erbaut 1965, Sanierung läuft, ca. 22 Mio. Euro (geplant waren mal 14,5 Mio.)

    DDR-Plattenbau: Rathaus-Sanierung in Neubrandenburg wird nochmal teurer


    Und einer der Neubauten der letzten Jahre, die ich am meisten verachte, der vierkantige Stengel "432 Park Avenue" in Manhattan, ist eine absolute Baukatastrophe:

    https://www.blick.ch/ausland/wasser…id16329044.html


    Man ist fast geneigt zu sagen: selbst schuld, wer sich in so eine provozierend stadtschädliche Beton-Hybris einkauft.

  • Man ist fast geneigt zu sagen: selbst schuld, wer sich in so eine provozierend stadtschädliche Beton-Hybris einkauft.

    Jedenfalls fällt es etwas schwerer, Mitleid für Leute zu empfinden, die 15 Millionen Dollar für eine Wohnung in diesem Turmbau zu Babel hinlegen (oder gar 88 Millionen für ein Penthouse), während hierzulande eine Menge Leute nicht wissen, ob sie ihre Heizrechnung bezahlen können.

  • Querverweis zum Beitrag von Ostwestfale zum Museumsbau Marta in Herford:

    Ostwestfale
    26. Januar 2023 um 21:14
  • Alles Schnäppchen! Die Sanierung der Beethovenhalle in Bonn (Aktualisierung zu diesem Beitrag) kostet jetzt schon 221 Mio. Euro. Zu Baubeginn 2016 ursprünglich geplant waren ca. 60 Mio. Euro, nachdem ein Gutachten vier Jahre zuvor noch von 30 Mio. Euro ausging. Die Wiedereröffnung soll nun 2025 sein. Zuvor wurde die Halle übrigens Ende der 1990er Jahre nach Brandschäden modernisiert und umgebaut (Kosten: 22,6 Mio. DM), Brandschutzmaßnahmen 2007 kosteten 1,5 Mio. Euro.

    Das Ding steht seit 1990 unter Denkmalschutz, u.a. mit dieser Begründung:

    Die Beethovenhalle „verkörpert baugeschichtlich die Richtung des organischen Bauens“, die sich vom rein „funktionalen Bauen“ abhebt. „Sie reiht sich bundesweit“, so die Begründung weiter, „in die Gruppe von Konzertbauten der Nachkriegszeit ein, wie zum Beispiel die Philharmonie in Berlin oder die Liederhalle in Stuttgart.

    [...]

    In exponierter Lage, auf dem erhöhten Rheinufer gelegen, gehört sie zur unverwechselbaren Stadtsilhouette Bonns.“

    1280px-Beethovenhalle.jpg

    Bildnachweis: Leonce49=Hans Weingartz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons