Halberstadt - Allgemeines

  • Vor drei Wochen war ich in Halberstadt (also 2 Jahre nach dem Beitrag von Maxileen), nicht das erste Mal, aber ich hatte erstmalig eine halbwegs vernünftige Kamera dabei, von meinen Bildern möchte ich einige einstellen. Davor war ich vor drei Jahren in HBS, davor (vor ca. 6 Jahren) waren wir, aus Quedlinburg kommend, auf dem Weg zurück nach HB auf der Durchfahrt. Damals waren wir (ohne uns vorher über HBS kundig gemacht zu machen) sofort weiter gefahren, wenn man sich HBS von Süden nähert, ist der erste Eindruck vernichtend.
    Mittlerweile habe ich über HBS einiges gelesen und kann sagen, dass Maxileen hier bereits einen umfassenden Überblick präsentiert hat, ich kann mich also auf einige Details konzentrieren und vieles weglassen.
    Zunächst zum vernichtenden Luftangriff vom 08.04.1945, vier Wochen vor Kriegsende. Der Anriff galt eigentlich dem benachbarten Staßfurt, der kam aus irgendwelchen Gründen nicht zustande, so wurde HBS als Ausweichziel angegriffen. Das Resultat war laut "Kriegsschicksale deutscher Architektur" so, wie es hier auch schon diskutiert wurde, dass Halberstadt zu 80 % zerstört wurde, von 5400 Häusern waren 2200 verloren. Aber allein schon die Relation 5400 zu 2200, weiter die Aufführung einzelner Straßenzüge in "Kriegsschicksale ... " sowie auch mein persönlicher Eindruck läßt mich davon ausgehen, dass die Angabe von 80 % Zerstörung eher zu hoch gegriffen ist. Zerstört wurde sicher der Süden der Stadt um Holz- und Fischmarkt, díes aber total. Schon der nördliche Bereich des Domplatzes dürfte wesentlich weniger abbgekommen haben, ebenso die Wohngebiete nördlich (um die Bakenstraße) sowie östlich (Vogtei, Gröperstraße) des Domplatzes.
    Bei meinem Besuch vor drei Jahren nahmen wir an einer Stadtführung teil, die ortansässige Führerin sprach davon, dass vor dem Krieg HBS, Quedlinburg, Werningerode und Nordhausen im östlichen Harzbereich als einigermaßen ebenbürtig anzusehen waren, HBS galt als die reiche Stadt (zu sehen an den großen Kirchen), WR als die bunte Stadt, QLB als die alte Stadt. Während der DDR-Zeit wurden WR und QLB noch halbwegs instandgehalten, gerade WR war Vorzeigestadt für ausländische Delegationen, vermutlich gerade, weil es in WR keine großen Kirchen gibt. HBS lies man systematisch vergammeln, mit dem Resultat der hier bereits genannten Flächenabrisse in den 80ern. Irgendwo habe ich unlängst gelesen, dass die Wende für HBS fünf Jahre zu spät kam. Für andere Städte (Erfurt!) kam sie gerade noch rechtzeitig.
    "1990 erhielt Halberstadt den Status einer Modellstadt für Stadtsanierung. Bereits drei Jahre später wurde die Stadt für ihre Erfolge bei der Erhaltung und Erneuerung historischer Stadträume mit einem Bundespreis ausgezeichnet. Der Wiederaufbau des Stadtzentrums bis 1998 gilt in der gesamten Bundesrepublik als einmalig. Beim bundesweiten Wettbewerb 2001/2002 "Leben in historischen Innenstädten und Ortskernen" bekam Halberstadt eine Goldmedaille. (aus http://www.halberstadt.de\r
    http://www.halberstadt.de)". Das Resultat dieser Aktion lässt sich heute im Bereich Holz-/Fischmarkt betrachten, der, soweit ich weiß, zu DDR-Zeiten völlig brach lag. Der Grundriss beider Plätze wurde ab 1990 wiederhergestellt. Allerdings wurde nur die Ratslaube rekonstruiert, beim Neubau von Komisse und Stelzfuß gab es Anlehnungen an die Vorgängerbauten (die aber fast wie eine Karikatur wirken), sonst wurde auf Rekonstruktionen verzichtet. Damit hat man in HBS zwar nach der Wende einiges geschafft, aber eine riesige Chance vertan, denn hier wäre weit mehr möglich gewesen. Zumindest ein paar alte Fachwerkhäuser wären zu rekonstruieren gewesen, dies hätte der Stadt auch sicher mehr publicity verschafft und damit zu mehr Besucherineresse verholfen.

    Jetzt geht's aber los mit ein paar Bildern. Zunächst eine klasse Luftaufnahme des südlichen Innenstadtbereiches vor dem Krieg. Rechts in der Mitte die Martinikirche. Rechts davor der Holzmarkt, aus Betrachtersicht dahinter der Fischmarkt.

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    Die nächsten beiden Bilder zeigen den Holzmarkt nach dem Krieg, zur Orientierung kann immer der Brunnen in der Mitte dienen.

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    Jetzt sehen wir den südlichen Bereich des Holzmarktes vor dem Krieg mit der Komisse links. Dies aus einer sehr ähnlichen Perspektive wie bei dem letzten Bild. Man achte wieder auf den Brunnen, aber auch auf die Litfaß-Säule und den Laternenpfahl rechts vom Brunnen.

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    Wieder der Holzmarkt, hier sehen wir die Südwestecke. Das Bild schließt sich rechts an das Bild zuvor an. Über diese Ecke verläuft heute ein breite Straße. Wir sehen massive Häuser, keineswegs nur Fachwerk. Irre, dass der Angriff vom 08.04.1945 auf diese Häuser restlos ausradiert hat.

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    Jetzt sehen wir vom Holzmarkt am Rathaus vorbei in Richtung Fischmarkt.

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    Und hier ist der Stelzfuß an der Nordwestecke des Holzmarktes.

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    Jetzt sehen wir den Bereich um die Komisse aktuell...

    ... und den Stelzfuß in seiner traurigen Form aktuell.

    Hier haben wir die Rückseite des Rathauses mit Blick vom Fischmarkt vorher ...

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    ... und nachher. Man beachte, dass zumindest die Formen der Gebäude doch halbwegs angenommen wurden.

    Gleiches gilt für den folgenden Vergleich.

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    Jetzt noch ein Blick über den aktuellen Fischmarkt. Wenn wir zum ersten Bild schauen, können wir ahnen, dass die Form übernommen wurde. Es gibt relativ kleine Geschäfte, immer noch besser als eine dicke shopping-mall. Viel los ist am Samstag um 10.30 allerdings nicht, das blieb auch weitgehend so.

    Und zum Abschluss hier noch ein Blick über die heutige Straße zum Holzmarkt. Vor dem Krieg hätte ich mich an dieser Stelle mitten im Altstadtgewirr befunden. Rechts sehen wir die Schatten der Plattenbaubebauung, die den Platz nach Westen abschließt. Die quer vor mir liegende Straße wurde in jedem Fall mitten durch den ehemaligen Holzmarkt geschlagen.

    Jetzt sehen wir Bilder von der Martinikirche...

    ... und der Liebfrauenkirche.

    Jetzt noch ein paar Bilder vom Dom.

    Hier ist der Lettner..

    ... und hier ein Fensterausschnitt aus dem Chorbereich. Die dunkleren Fenster sind original und steinalt.

    Jetzt sehen wir eine Vorkriegsaufnahme des Domplatzes, der heute im wesentlichen noch genauso aussieht, nur das Gebäude rechts vorne wurde kürzlich durch einen Neubau ersetzt. Maxileen's Beobachtung, dass der Platz merkwürdig kahl ist, kann ich nur teilen. Der Platz ist riesengroß, sehr schön und schreit nach Gastronomie. Wir hätten hier in jedem Fall gerne einen Kaffee getrunken, der aber nicht zu bekommen war.

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    Jetzt sehen wir einen vorher(1961!)-nachher-Vergleich vom Wassertorturm...

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    ... und der Kulkstraße, mit Blick zur Innenstadt. Dies ist so etwas wie eine Insel in einer sonst trostlosen Ecke. Auf den ersten Blick sehen die Bilder sehr gleich aus, nur auf dem alten Bild sehen wir zwischen den Häusern im Vordergrund auch im Hintergrund noch alte Bebauung.

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    In der Bakenstraße haben sich die Verhältnisse (wie überall in der Stadt) ab 1990 deutlich gebessert, aber ich möchte nicht wissen, was hier nach dem Krieg alles abgerissen wurde. Laut unserer Stadtführerin gab es hier auch nach der Wende noch Abrisse, einiges war einfach nicht mehr zu retten. Dies gilt auch für das Haus rechts neben dem gelben Haus auf der linken Straßenseite, das Maxileen hier vor zwei Jahren noch gesehen hat. Dass heute an die Litfaß-Säule keine Plakate mehr geklebt werden, ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen.

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    Gleiches auch in der Bakenstraße etwas weiter nördlich...

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    ... und an der Ecke Bakenstraße/Rosenwinkel, die vorbildlich saniert wurde. Der Rosenwinkel hat den Krieg und die Nachkriegszeit unbeschadet überstanden, wurde hier aber schon gezeigt.

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    Abschließend kann ich Halberstadt nur zum Besuch empfehlen, eine geschlossene Altstadt liegt ja nun nicht mehr vor, aber die Stadt ist dennoch sehr interessant. Wir waren sicher fünf Stunden da, allerdings inklusive einer Führung durch Dom und Domschatz, der mich allerdings nicht umgehauen hat. In jeder Ecke von HBS waren wir aber nicht, weder das Stadtmusem noch die Kirchen im nördlichen Stadtbereich haben wir gesehen, einen oder zwei Tage kann man in HBS also locker verbringen.

  • Ich verstehe nicht, daß man nicht wenigstens den Stelzfuß originalgetreu rekonstruiert hat, wo man sich beim Rathaus mit der Ratslaube doch einige Mühe gemacht hat. Es wäre dort wirklich ein Hingucker (wie andere verstreute Altstadtreste/Fachwerkhäuser auch).
    Die heutigen Bauten am Holzmarkt/Fischmarkt haben einen hohen Platzhaltergehalt, so als ob langfristig Rekonstruktionen angedacht wären. Ist aber wohl wünschdenken von mir..

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Diese Platzhalteridee ist gar nicht schlecht. Vielleicht nicht bewußt so beabsichtigt, vielleicht aber unbewußt. Wenn man allerdings alle Seiten und Fotos dieses Diskussionsstranges durchforstet, muß man feststellen, daß das akute Hauptproblem Halberstadts nicht die mangelnden Rekonstruktionen sind, sondern die immer noch gefährdeten Teile der bestehenden unsanierten Fachwerksubstanz. Hier muß an vielen Stellen dringend (öffentliche und private) Hilfe ansetzen, um zu retten, was noch zu retten ist. Zudem geht es natürlich im Kleinen auch noch um die gärtnerische Aufwertung bzw. Gestaltung von bislang lieblosen Schmuddelecken. Dies sind die Probleme der Gegenwart, die es zu meistern gilt. Über Rekonstruktionen kann man hier dann in 10, 20 Jahren reden.

  • Bin nicht begeistert aber auch nicht betrübt von Halberstadt.
    Wer weiss wird im Zukunft doch noch einiges original rekonstruiert......es könnte noch immer ein
    Umschlag geben in D. (wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] ständig zeigt) zur Günste Rekonstruktionen oder Bauten die sehr Ähnlich sind am Original.

  • Mein Eindruck ist zweischneidig. - Zum einen bin ich überrascht, dass es doch noch so viel Historisches gibt - in der Bilderreihe kommen doch so einige sehr schöne Blicke und Ecken zusammen - habe eigentlich von Leuten gehört, dass es viel schlimmer sein soll. Andererseits ist der Verlust, wenn man die alten Bilder sieht, natürlich erschreckend und vor allem traurig. Halberstadt muss ja mal eine ganz besonders tolle Stadt gewesen sein, die einige Städte (z.B. in Bayern) die heute Hauptziel japanischer Touristen sind, früher wohl klar in den Schatten gestellt haben muss. Einer der vielen traurigen Verluste des Krieges und sicher eine der Städte, deren Verlust besonders schwer wiegt. -- Aber wie gesagt - es gibt scheinbar doch noch erstaunlich viele schöne Ecken - hätte ich nicht gedacht.

  • ganz richtig bemerkt. ich würde den Verlust in eine Reihe mit denen von Frankfurt, Nürnberg, Braunschweig, Kassel und Hildesheim stellen.

  • Ich habe die häßlichen Ecken natürlich weitgehend weggelassen und die schönen gezeigt, aber noch nicht einmal alle. Wenn man mit dem Wagen um den Domplatz fährt, bekommt man einen schönen Eindruck, man darf sich eben nur nicht von der furchtbaren Ortseinfahrt aus Richtung Süden abschrecken lassen. In jedem Fall sieht man auf den ersten Blick weit mehr schöne Ecken als z.B. in Hildesheim, wo man die historischen Inseln wirklich suchen muss.

  • Das stimmt Halberstadt hat wirklich hübsche Ecken. Vor allem hat die Stadt noch jede Menge Potenzial sich weiterzuentwickeln. Durch Rekonstruktionen könnte man noch viel mehr aus dieser Stadt herausholen.

    LG Magdeburg1990

  • Das auf Seite zwei gezeigte Stadtmuseum ist einen Besuch wert und es ist sehr leicht zu erreichen, befindet es sich doch direkt neben dem Dom:
    die dort arbeitenden Frauen identifizieren sich in einem Maße mit dem Haus, wie ich es selten erlebt habe, sie wissen auf alle Fragen Antworten und unterhalten sich sichtlich gern mit den Besuchern; desweiteren gibt es im ersten Raum rechts neben dem Eingang ein Modell der Stadt aus dem späten 18. Jahrhundert, das an Detailverliebtheit dem des Leipziger Stadtmodells im Alten Rathaus in nichts nachsteht und wenn seine Schönheit das Herz des Betrachters so recht innig zum Bluten gebracht hat, atmet man tief durch und wechselt nach links in den gegenüberliegenden Raum, dort wartet ein weiteres Modell, fahrt hin, laßt Euch überraschen!