Hans Stimmann - ehemaliger Senatsbaudirektor

  • Man muß sich nur mal den Schweizer-Botschaft-Ergänzungsbau von Ortner&Ortner anschauen um zu wissen, welch merkwürdige Architekturauffassung in der Schweiz herrscht...

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Es gibt viel mutige Dinge in der Architektur, aber Modernismus und Greisenmoderne gehören nicht dazu. Die sind nur zweierlei: hässlich und dämlich.

    Aber abwarten, was am Ende konkret geschieht. Worte sind in der Politik ja zu 90% heiße Luft.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Übrigens wird Hans Stimmann am 31.01.07 an der Fachhochschule für Architektur in Münster um 18.oo Uhr einen Vortrag halten.
    Amadeus und ich werden dort sein!

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Heute waren Amadeus und ich im vortrag von Hans Stimmann.
    Es war eine gelungene Veranstaltung!
    Morgen werde ich versuchen, einen Bericht zu schreiben. :?

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Am 31.01.07 fand an der Fachhochschule für Architektur im Münster ein Vortrag des ehemaligen Berliner Senatsbaudirektors Hans Stimmann statt.

    Das Thema lautete
    Die europäische Stadt

    Stimmann erzählte zunächst, daß er aus Lübeck stamme und daß er als junger Student mit großem Interesse nach Münster gereist sei, weil man dort so unverständlich reaktioär die Innenstadt wieder aufgebaut habe. Schrecklich habe er das damals gefunden, diese unnötige Enge, diese alten Giebel, diese vielen Kirchen. Damals, als er als zorniger junger Linker mit langen Haaren, Jeans und Parka durch das verschlafene Münster mit seinem "Muff aus tausend Jahren" stapfte...
    Stimmann lächelt bei dieser Erinnerung.
    Ein gutes Jahrzehnt später, als er Stadtbaudirektor von Lübeck war, fuhr er noch einmal in die Provinzhauptstadt Westfalens. In Lübeck sollte nämlich ein Kaufhaus gebaut werden und das Karstadt in Münster war ihm als vorbildlich empfohlen worden: Es war das bisher einzige ohne das "Kettenhemd" einer Wabenfassade. Es hatte eine Hülle aus zwar wenigen, aber immerhin gesproßten Fenstern, Klinkern und ein (sic!) Berliner Dach...

    Berlin war schon immer eine Spielwiese für Visionäre. Im Zeichen der Bauhaus-Moderne entwarf Ludwig Hilberseimer einen radikalen Umbau für das Areal zwischen „Unter den Linden“ und der Leipziger Straße, dem Gendarmenmarkt und der heutigen Glinkastraße: riesige monotone Blocks, Zeilenbauten, wie sie 50 Jahre später in Trabantenstädten Realität wurden. Wohlgemerkt: damals war die Friedrichstadt äußerst dicht und qualifiziert bebaut (aus dem Auditorium war beim Anblick des Skizze ungläubiges lachen zu hören)!
    Auch für den Umbau des Alexanderplatzes, für den 1929 ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, fanden sich erstaunlich rücksichtslose Entwürfe: Peter Behrens, Ludwig Mies van der Rohe, Johann Emil Schaudt zeigten autistische glatte Mäander oder Würfel, die sich um den damals obligatorischen Kreisverkehr schaarten. Teile des Behrens-Entwurfs wurden tatsächlich umgesetzt und stehen noch heute dort.
    Stets war die Begründung für die Kahlschläge in dicht bebautem Bestand, daß man mit dem Alten, Überholten brechen müsse und etwas ganz Neues zu versuchen sei.

    Dann kamen die National-Sozialisten mit ihrer ganz anderen Art, Akzente zu setzen.
    Während die faschistischen Regime in Italien oder Spanien ihre Revolution mit moderner Formensprache dekorierten (Anmerkung: m.E. Trifft das nur auf Italien zu) wählten die NS-Architekten Säulen, Pilaster, Architrave zur Dekoration ihrer Monumentalbauten. Daher ist es heute immer noch so schwierig, in Deutschland irgendetwas mit Säulenreihungen und würdigem historischem Dekor zu bauen: sofort muß man sich des Faschismusverdachtes erwehren! - Hört, hört!

    Als Berlin nach dem Krieg Bilanz zog, da war das ein trauriges Bild: 45.000 Tonnen Bomben, die Innenstadt flächendeckend zerstört, die Infrastruktur ein Flickenteppich, die Stadt viergeteilt.
    Während die Bürger zu überleben suchten, war bei den Stadtplanern und Architekten Aufbruchstimmung. Hans Scharoun wurde von den Alliierten zum Stadtbaurat und Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen des Magistrats eingesetzt.
    Wieder glaubte man, nun die Stadt „ganz neu erfinden“ zu müssen. Das Ergebnis war ein Plan, die gesamte Innenstadt mit ihren Ruinen abzuräumen und eine von Stadtautobahnen durchzogene Parklandschaft zu schaffen. Nur ausgewählte Monumente, bislang in die Stadt eng eingebettet, sollten in dieser „heiteren Stadtlandschaft“ (Scharoun) Fixpunkte bilden. Brandenburger Tor, der Gendarmenmarkt, die (alte) Nationalbiblothek und der Dom hätten dann wohl einsam zwischen Grünanlagen ihr Dasein gefristet.
    Mit dem Beginn des „kalten Krieges“ und der Berliner Blockade verlor Scharoun seinen Posten und die Radikal-Erneuerer den Boden für ihre Visionen.
    Stimman begleitete diese Ausführungen damit, daß er seine Hand mit gespreizten Fingern vor dem Gesicht kreisförmig bewegte...

    In den 50er Jahren versuchte jede Gesellschaftsform ihre Architektur als besonders zukunftsweisend darzustellen. Der Osten baute die Stalin-Alle mit ihren „Wohnpalästen für Arbeiter“, der Westen das Hansaviertel mit seinem von Grün durchzogenen ungeordneten Arrangement von Hochhäusern, das zur iBau 1957 vorgestellt wurde.
    Stimmann präsentierte hier die Schwarzpläne aus der Vorkriegszeit und blendete zu denen der Nachkriegsbebauung über: der Verlust an beziehungsreicher Dichte war überdeutlich.

    Dann wurden die Wohnungsbau-Projekte der 70er und 80er Jahre vorgestellt. Stimmann ließ kein gutes Haar an Marzahn und Gropiusstadt, an Hellersdorf und dem Märkischen Viertel.
    Er meinte lachend, daß es wohl ein schlechter Witz sei, wenn innerhalb einer Generation von Stadtplanern unter großem Aufwand hunderttausende von Wohnungen gebaut würden, die dann wieder ebenso mit Steuergeldern finanziert wieder rückgebaut oder abgerissen werden müßten, weil „niemand“ dort wohnen wolle.
    In Berlin stünden weit über hunderttausend Wohnungen leer – aber eben nicht in Jugendstilhäusern und Gründerzeitwohnblöcken (dort lebten Studenten, Sozialdemokraten und Architekten gerne) sondern eben in Marzahn und anderen Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus.

    Als Stimmann 1991 von Lübeck nach Berlin kam, traf er auf eine große Euphorie in der Architektenzunft: jetzt sei die Zeit, alles Überholte über Bord zu werfen und etwas ganz Neues zu versuchen. Wieder einmal.
    Dafür war Stimman genau der „Richtige“: er propagierte das Leitbild der „Europäischen Stadt“! Den Spekulantenträumen, die für die Friedrichstadt Hochaus-Agglomerationen vorsahen, setzte er mit der „Berliner Traufhöhe“ enge Grenzen. Die Blockrandbebauung zwang die Architekten in das Korsett des alten Stadtrasters, die Rekonstruktion alter Straßenverläufe (z.B. Spittelmarkt, Getraudenstraße, Mühlendamm, Molkenmarkt) sollen die Reparatur zersiedelter Stadtbereiche erzwingen.
    Natürlich hat sich Stimmann dabei viele Feinde gemacht, er ist aber stolz darauf, nicht eingeknickt zu sein. Daß er linke Wurzeln habe, hätte ihm aber geholfen.

    Anhand der Schwarzpläne von 1940, 1953, 1989 und der Extrapolation für 2015 zeigte er die Verluste durch den Krieg und die „kalten Feuergarben“ der Nachkriegsbaupolitik auf.
    Die Stadt neu erfinden zu wollen sei ein Irrwitz gewesen. Was für Ressourcen wären so widerum verschleudert worden! Nicht nur wegen der knappen Kassen, auch und gerade wegen des Selbstverständnisses der Menschen, die in dieser Stadt gelebt haben und weiterhin leben wollten sei es wichtig, auf der Arbeit und Erfahrung früherer Generationen aufzubauen.
    Stimmann beklagt auch, daß man in Berlin kein Geschichtsbewußtsein habe. Geschichte reiche gerade mal bis 1933 zurück, vielleicht noch bis 1918, wo Karl Liebknecht die Republik ausgerufen habe. Aber davor sei in Berlin alles nur Mittelalter. So sei zum Beispiel bei Diskussionen um Verkehrsberuhigung und Straßenrückbau ein immer wiederkehrendes Totschlagargument: „Enge Straßen? Wollen Sie zurück ins Mittelalter?“

    Der Wettbewerb für den Potsdamer Platz 1992 schilderte Stimmann schmunzelnd. Welch abstruse Entwürfe wurden dort präsentiert. Am weitesten von der Realität entfernt war wohl der von Daniel Libeskind: riesige Pfeile, ins Leere zielend, kreuz über quer. Als Stadtplanungsentwurf klassifizierte der Senatsbaudirektor dies als völlig verfehlt.
    Als Libeskind deslhalb von der Mehrheit der Jury im ersten Durchgang aus dem Wettbewerb „geworfen“ wurde, quittierte der Stararchitekt Rem Kohlhaas sein Amt als Jury-Vorsitzender. Und so war es möglich, daß der Entwurf von Hillmer & Sattler den Wettbewerb gewann (Mit einer Handskizze, die man heute keinem Student im ersten Semester durchgehen ließe)!
    Stimmann zeigte sich weitgehend zufrieden mit der Umsetzung dieses Entwurfs nach heutigem Stand.

    Zum Schluß ging Stimmann noch auf die „Townhouses“ am Friedrichswerder ein.
    Die Parzellengröße bzw. die Scheibenbreite sei aus politischen Gründen so schmal vorgegeben worden, nicht aus architektonischen. Man hatte überlegt, was so ein Haus kosten dürfe: nicht Millionäre sollten diese Häuser bauen sondern (so Stimmann wörtlich) „gut betuchte Sozialdemokraten“. Die Idee, das Bauen ohne jegliche Vorgaben zu erlauben, hielt Stimmann zwar für eine gute Idee, mit dem konkreten Ergebnis zeigte er sich jedoch nicht allzu zufrieden. Zu chaotisch sei das Erscheinungsbild geworden.

    Auf meine Frage hin, welche Bedeutung die Einstellung seiner Nachfolgerin Regula Lüscher-Gmür zu den Townhouses und der Hochhaus-Agglomeration am Alexanderplatz habe, meinte Stimmann, daß alles „auf Schiene“ sei und Berlin wie ein Supertanker. Was einmal auf Kurs sei, das wäre kaum noch abzuwenden.


    R. R., Münster

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Ich muss schon sagen, dass es ein wirklich interessanter Vortrag war. Durch die anschaulichen Ausführungen bin ich nun in der Lage, die städtebauliche Geschichte Berlins nachzuvollziehen und das gegenwärtige Erscheinungsbild zu verstehen.
    Wichtig wäre vielleicht noch zu erwähnen, dass Stimmann weder Rekonstruktionen noch hypermoderne Architektur als solche bevorzugt sondern dass sein Verständnis von Städtebau eher darauf abzielt, eine Stadt im kulturellen, historischen und politischen Kontext zu sehen. Das "Leitbild einer europäischen Stadt" basiert darauf, die Hintergründe einer Stadt zu erkennen und darauf aufbauend die Urbanität des Stadtbildes zu fördern. Die großen Plattenbau-Siedlungen gestand Stimmann enttäuscht als größten Planungsfehler der Baugeschichte ein. Erstmalig gebe eine Regierung Mittel dafür aus, eigens gebaute Objekte abzureissen, weil sie unbrauchbar, ja schädlich für das Stadtbild seien. Stimmann kritisierte solche "Siedlungen", die nichts mit der eigentlichen Stadt zu tun hätten...

    Zukunft für unsere Vergangenheit

  • Was mich im nachhinnein wundert:
    Stimmann hat nichts dazu gesagt, wie und warum er dazu kam, die Blockrandbebauung zu propagieren.
    Wir hätten ihn fragen sollen... :zwinkern:

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
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    Das Schloss kommt zurück!

  • Ich denke, da Stimmann die ganze Zeit gegen die Zersiedelung der Städte gewettert hat und einer "Stadtlandschaft" mehr als nur kritisch entgegenstand, können wir davon ausgehen, dass er die Blockrandbebauung als Typus empfindet, der einem innerstädtischen Raum am ehesten gerecht wird. Stimmann gab ja auch die viktorianischen Villen als Vorbild seiner planerischen Gedanken an: wenn sogar die modernen Architekten darin wohnen wollen, können die ja nicht verkehrt sein :D
    Besser jedenfalls, als die Strassenzüge durch großzügige Vorgärten und Freistreifen von den Gebäuden zu trennen, so dass man weniger das Gefühl hat, sich in einem städtischen Zentrum zu befinden.

    Zukunft für unsere Vergangenheit

  • Hans Stimmann beschreibt die Stadtentwicklungspolitik bzgl. der historischen Mitte im Jahr der Wahlen zum Abgeordnetenhaus.

    Zitat

    [...]Das hervorstechende Merkmal der Positionen aller Parteien im Umgang mit den Gründungskernen Berlins sind die für eine europäische Metropole einmalige Erinnerungslosigkeit und Unkenntnis. Die Vorschläge für die Areale zwischen Rathaus und St. Marien, Molkenmarkt und St. Petri sind beliebig – oder erst gar nicht vorhanden. Die hier im 13. Jahrhundert angelegten und über 700 Jahre existierenden Stadtgrundrisse mit Kirchen, Kloster und Rathaus haben im Bewusstsein der Partei entweder den Status einer bewahrenswerten Grünfläche (Grüne und Linke) oder eines unbekannten Ortes für Spurensuche (FDP). Für die regierende SPD und die oppositionelle CDU ist der Ort offenbar zu unwichtig. Beide haben ihn erst gar nicht ins Wahlprogramm aufgenommen.[...]


    Stadt ohne Mitte – Parteien ohne Plan - Berlin - Tagesspiegel

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

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    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.