Ich liebe meine Heimatstadt von Herzen, aber für den Marktplatz schäme ich mich immer wieder. Da hilft auch kein neuer Anstrich. So a Klomp, sagen wir Schwaben da.
Stuttgart
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Als Th. W. Adorno in einem Vortrag formulierte: "Nichts Trostloseres als die gemäßigte Moderne des deutschen Wiederaufbaustils", hatte er just diese Machart im Auge, die den Stuttgarter Marktplatz und die ganze Wiederaufbau-Innenstadt prägt. Das Haus von Spielwaren Kurz ist durch den Umbau ein wenig von der "gemäßigten Moderne" zu einer konsequenten Moderne verschoben worden, und daher bedeutet der Umbau in meinen Augen einen ästhetischen Gewinn. Wenn alle Fassaden des Marktplatzes in ähnlichem Sinne umgestaltet würden, bekämen wir ein Ergebnis, mit dem man m.E. leben könnte.
Die Misere des deutschen Wiederaufbaus bestand ja darin, dass man keinen positiven Begriff von Moderne hatte. Alle Vorgaben - Grundstückszuschnitte, Bauhöhe, Kleinteiligkeit - blieben festgeschrieben, nur die Architektur sollte dem Prinzip "Weglassen alles Überflüssigen" gehorchen. Man begriff nicht, dass man damit Verrat an der Idee der Moderne, ja am Wesen der Architektur überhaupt beging und ein so lächerliches wie deprimierendes Zerrbild einer Altstadt zuwegebrachte. "Modern" bauen heißt eben nicht: Zierrat weglassen, Stuck abschlagen, Gliederungselemente einsparen, Sprossenfenster durch Einscheibenfenster ersetzen und ähnliche Akte architektonischer Negation. Solches bedeutet schlicht eine ästhetische Selbstentleibung einer Stadt.
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In Stuttgart wird man langsam aber sicher komplett wahnsinnig. Jetzt plant man ernsthaft, das alte Gebäude der ehemaligen Teppichgalerie, neben dem Tagblattturm, abzureißen! Meines Wissens stammt der Bau aus den 1840er Jahren und ist an dieser Stelle eines der letzten Gebäude aus diesem Zeitraum. Natürlich denkmalgeschützt, aber die Stuttgarter Stadtoberen interessierte der Denkmalschutz ohnehin noch nie. Ich bin ehrlich gesagt zutiefst schockiert!
Link zum Artikel: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.staedte…b03eee7eff.html
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Wenn ein Investor mit Geld und Beziehungen aufkreuzt, betreibt der baden-württembergische Denkmalschutz nicht selten das, was die Amerikaner als brown nosing bezeichnen. Im verlinkten Artikel der Stz wird der Architekt wie folgt zitiert: „Wir werden die Fassade katalogisiert abbauen“, erklärt Willwersch. Das bedeutet, ein Sachverständiger wird Buch führen, welche Teile der klassizistischen Front beim späteren Neubau wieder eingesetzt werden müssen. „Die Fassade wird am Ende genau so aussehen wie jetzt – nur frischer. Zum Teil werden wir dafür aber neues Material verwenden“. Und: "Statt einem spitzen Giebel wird über der neuen, alten Front ein zurückgesetztes Staffelgeschoss entstehen."
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Solche Entwicklungen sind natürlich bitter, aber sie sind den politischen und wirtschaftlichen Vorgaben geschuldet. Der bewusst zugelassene und täglich propagierte Zuwanderungsdruck, die Geldflut durch die Niedrigzinspolitik, die nach Anlage in Sachwerte drängt, die Profitsteigerung durch explodierende Mietpreise in den Innenstadtlagen. Das könnte in der näheren Zukunft noch zu vielen Abrissen und Investitionsgroßprojekten führen, bis es dann schließlich crasht.
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Mannomann was ist denn das für ein "Denkmalschutz"? Ohne Not einfach mal einem Abriss zustimmen und dann auch noch mit Staffelgeschoss statt Giebeldach. Ein schlechter Scherz sowas.
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Das Gebäude ist arg heruntergekommen, und im Inneren war sicher nichts mehr historisch. Wenn es wieder äußerlich in exakt dem gleichen Zustand aufgebaut wird und die Fassade dann sogar wieder in neuem Glanz strahlt, soll es mir recht sein, dann ist nichts Entscheidendes verloren sondern eher eine Aufwertung eingetreten. Originalsubstanz schön und gut, aber es sollte auch nicht zum Dogma werden. Die Qualität der Architektur ist entscheidend, und hier wird ja äußerlich keine Veränderung zum Nachteil eintreten. Das zusätzliche Staffelgeschoss kann ich verschmerzen. Ich hoffe nur, daß die Versprechungen auch eingelöst werden und es nicht noch eine böse Überraschung gibt. Bisher bleib ich mal ruhig.
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Zitat
Das Leonhardsviertel verwahrlose zusehends, klagen die Anwohner. Das ist auch deshalb besonders brisant, weil dort noch verhältnismäßig viel historische Baussubstanz zu finden ist.
Quelle: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rotlich…fb494b4a99.html -
Gleich ob der Artikel von Roland Ostertag aus dem Jahr 2010 stammt, in Stuttgart ist das Thema fortwährend aktuell:
Zitat...das spätklassizistische Gebäude in der Eberhardstraße 65 unter Denkmalschutz, 1876 nach Plänen des Architekten Albert Eugen errichtet. Doch dem großstädtischen, den Charakter der Straße prägenden Gebäude wird nun durch die Bewilligung, die Fassade nach Erstellung eines Neubaus zu rekonstruieren, der letzte Rest an zeitgeschichtlicher Aussage genommen. Nicht nur der Krieg, auch unsensible Baumaßnahmen danach haben dem Gebäude vor allem im Inneren zugesetzt. Und so fragt man sich, warum zuständige Ämter und Architekten bis heute nicht darauf geachtet haben, möglichst viel von der historischen Substanz zu erhalten?
ZitatStuttgarts Stadtbild erzählt von vielen Verlusten. Derzeit erleben wir die fünfte Welle des Abrissfurors in unserer Stadt, der ihren Ruf als Abrisshochburg weiter festigt. Ihre Opfer sind vor allem bescheidene, dem qualifizierten Alltag zugehörende und den Charakter der Stadt maßgeblich beeinflussende Gebäude.
ZitatDas Messegelände Killesberg wurde durch die restlose Beseitigung der Bebauung in eine Brache verwandelt. Ein Teil der Bebauung der 1980er Jahre, die Messehalle 6 von Hellmut Weber, die Reste der Halle 7, die auf den Fundamenten der Blumenhalle der Reichsgartenschau errichtet wurde, in der Tausende Menschen jüdischen Glaubens zusammengetrieben und von dort in den Tod deportiert wurden, das Relief "Weinfreuden" des Bildhauers Alfred Lörcher von 1949 wären wert gewesen, vor Ort erhalten zu werden, um den Menschen die Geschichte des Areals zu vermitteln. Doch dafür fehlt in dieser Stadt die erforderliche Sensibilität.
Quelle: http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.denkmal…4df0f7a7c1.html -
passend zu zeitlos' Antwort im Strang Alt-Berlin und Marienviertel ein aktueller Artikel
Zitat von zeitlosDann empfehle ich einen Besuch in Südwestdeutschland. Dort wird vielfach mit modernistischer Provinzialität das letzte bisschen Baukultur auf Baggern abgefahren und von einer Wiederherstellung zerstörter Stadträume kann man dort bestenfalls nachts träumen.
Zitat
Stuttgart
Immer neue Malls, immer weniger LebenIn Stuttgart hat das zweite Einkaufszentrum innerhalb von zwei Wochen eröffnet. Die Einzelhändler zittern, das urbane Leben stirbt aus. Dabei warnen Soziologen schon seit Jahren vor großen Malls.
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Sieht man im Gerber von einer Joghurt-Eismanufaktur aus Athen und im Milaneo von der Billig-Klamotten-Kette Primark ab, bieten die Center das, was man auch andernorts kaufen kann. 2016 kommt in der Innenstadt, in unmittelbarer Nähe der Stuttgarter Markthalle, mit einer Fläche von 38.000 Quadratmetern für Büros und Geschäfte noch das „Dorotheenquartier“ hinzu. Mit ihm leistet das Kaufhaus Breuninger einen Beitrag zur städtebaulichen Erneuerung. Trostlose Betonschneisen, an denen man auf den Gedanken kommen könnte, Stuttgart sei nur eine Ansammlung von Tiefgarageneinfahrten, finden sich in der Stadt in Hülle und Fülle.
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Tilman Harlander ist Architekt und Stadtsoziologe. Im städtischen Bauausschuss hat er die Planungen der Stadt viele Jahre kritisch begleitet. „Im Grunde sind die introvertierten Malls heute nicht mehr zeitgemäß. Es bringt einer Stadt keine Urbanität, wenn die Leute mit dem Auto in die Tiefgarage der Shoppingcenter fahren, beim Einkaufen möglichst lange verweilen und dann wieder nach Hause fahren“, sagt Harlander. Wer städtebaulich etwas erreichen wolle, wer belebte Plätze und eine Verbindung von Wohnen, Arbeiten und Konsum wolle, der müsse mit kleinteiligen Parzellen und mit einer Vielzahl von Bauträgern planen.
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http://www.faz.net/aktuell/gesell…n-13199245.htmlSage niemand von den Herrschaften man hätte es nicht gewusst... im Prinzip weiß man es schon seit mindestens 30 Jahren...
Wahnsinn... -
Wie sich das ganze rechnen soll, erschließt sich mir auch nicht - es sind in diesen Einkaufszentren meist dieselben Ketten vertreten, und das künftig in der Innenstadt gleich mehrfach (Königsbau Passagen, Gerber, Milaneo und künftig auch noch Dorotheen Quartier).
Sogar die Fastfood-Ketten, die im "Food Court" der Königsbau-Passagen unter der Woche schon kaum noch ausgelastet sind, haben weitere Filialen in Gerber und Milaneo eröffnet... wobei ich zugeben muß, daß ich das Milaneo aufgrund seiner Größe und Auswahl schon beeindruckend fand. Nur die Lage ist reichlich ungünstig, zu Fuß wird da wohl kaum jemand von der Innenstadt aus hingehen.
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Deutschland hat seit 1945 eine lange Tradition, städtebaulich vieles verkehrt zu machen. Die problematischen Ansätze ändern sich, aber man handelt weiter kurzsichtig. War es einst die autogerechte Stadt, so sind es heute die Shoppingcenter. Kritiker melden sich in mahnend zu Wort, aber die Fakten schaffen andere, die gar nicht an Urbanität und Baukultur sondern vorrangig an Wirtschaftlichkeit und Effizienz interessiert sind. Bei der Abstimmung über solche Fehlplanungen ist jedoch der Stadtbürger gefragt, etwa indem er diese Einkaufzentren meidet und langfristig mit Konsumverweigerung bestraft. Dann wird man von derartigen Projekten auch wieder Abstand nehmen.
Ich komme ja aus Stuttgart, aber ich habe noch keines dieser Center von innen gesehen, weil mich deren Wesen abstößt. Ich will Straßen und Plätze erleben und keine künstlichen Shoppingwelten. Das Gerber ist das einzige Beispiel bei dem ich sagen kann, das kann man zumindest äußerlich so stehen lassen, hier hat sich städtebaulich was verbessert. -
Daß es langfristig wirklich noch wirtschaftlich ist (angesichts der Vielzahl solcher Projekte auch in Böblingen und künftig in Reutlingen), wage ich zu bezweifeln... auf Konsumverweigerung würde ich aber nicht hoffen wollen, ich war am Donnerstag bei der Eröffnung im Milaneo, und da war der Andrang so gigantisch, daß man kaum vorwärts kam.
Einige Fotos: https://www.flickr.com/photos/4556587…57648636984511/
Skurril fand ich die beiden "Wutbürger" mit ihrem Feinstaub-Plakat, ich wußte z. B. gar nicht, daß Benzinmotoren überhaupt Feinstaub ausstoßen...
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Das ist der Reiz des Neuen, außerdem gab es viele Rabatte. Das wird ganz bald wieder nachlassen, von diesem Eröffnungsansturm würde ich mich nicht beeindrucken lassen.
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Ich konnte mir von Anfang an nicht vorstellen und kann es auch jetzt noch nicht, dass das Milaneo jemals ein wirtschaftlicher Erfolg sein wird. Im Unterschied zum Gerber ist es weder Teil der Innenstadt noch ein Stadtteilzentrum; es liegt nach Norden zu verschanzt und isoliert durch Verkehrsstraßen und nach Süden umgeben von Büroklötzen, deren sterile Monokultur selbst tagsüber kaum Passantenverkehr entstehen lässt. Es stellt gewissermaßen eine zum Einkaufen bestimmte Funktionsinsel dar, die in Zukunft einmal wenigstens durch eine Stadtbahnhaltestelle erschlossen werden, bis dahin aber allenfalls durch den Autofahrer bequem anzusteuern sein wird. Warum aber soll überhaupt jemand den öden Fußweg oder die stauträchtigen Verkehrsstraßen auf sich nehmen, um Kettenläden aufzusuchen, die er mit gleichem Angebot auch in der Innenstadt vorfindet?
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Die Stadtbahnstation Türlenstraße (inzwischen als "Haltestelle Stadtbibliothek" bezeichnet) liegt unmittelbar neben einem der Eingänge, so daß man das Einkaufszentrum schon jetzt problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann.
Übrigens verläuft die Stadtbahn hier unterirdisch, man hat aber dennoch einen freien Blick in Richtung der Baugrube des ehemaligen Güterbahnhofs, an dessen Rand jetzt das Milaneo entstanden ist.
Zu meiner Überraschung ist das Milaneo aber gar nicht so besonders groß, wie aus dieser Aufstellung hervorgeht:
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Da ich das fertige Milaneo noch nicht gesehen habe, war mir die gute Erreicchbarkeit über die Haltestelle Türlenstraße nicht klar. Dennoch frage ich mich: erfüllt ein Einkaufszentrum, zu dem man hinfahren muss, die Erwartungen des Publikums? Gewiss, zu den EKZ, die früher auf der "grünen Wiese" errichtet wurden, ist man auch hingefahren, aber diese hatten noch eine gewisse attraktive Sonderstellung. Wenn ich aber heute wählen kann zwischen einem EKZ in der Einkauscity bzw. an einem Quartiersmittelpunkt und einem gleichwertigen anderen, zu dem ich hinfahren muss, und sei es nur eine Station weit, dann dürfte die Entscheidung eindeutig sein.
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Die neue Staatsgalerie in Stuttgart hat gerade mal 30 Jahre nach ihrer Erbauung das Prädikat Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung erhalten.
Moderationshinweis (-Tobias-): Um die jetzt schon unübersichtliche Menge der Stuttgart-Stränge halbwegs klein zu halten, habe ich die zwei Beiträge hier her verschoben.
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Lächerlich! Und wieder mal typisch "Stussgart":
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttga…11e5c12d1c.html
ZitatStuttgart - Was lange währt, kommt endlich doch: Im Schatten des denkmalgeschützten Tagblattturms werden Mitte Juli die Neubaumaßnahmen beginnen. Danach wird von der ehemaligen Teppichgalerie in der Eberhardstraße 65 nur noch die Fassade zur Straße hin zu sehen sein – in rekonstruierter Form. Dahinter sowie in der Lücke zwischen ehemaliger Teppichgalerie und Tagblatturm entstehen Neubauten.
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