Verheerendes Urteil zu Abriss-Kündigungen

  • Daran dachte ich auch gestern, als ich das in den Nachrichten hörte. Symptomatisch auch, dass es im konkreten Fall um ein um 1910 (?) erbautes Haus im ohnehin abrissgeplagten Heidelberg ging, das jetzt einzig für eine höhere Rendite einem ekelerregenden Neubau-Klotz weichen muss – der übliche Kubus mit pseudofranzösischen Fenstern, Tiefgarage und Staffelabschluss. Zusammen mit dem immer mehr aufweichenden Denkmalschutz scheinen wir irgendwie wieder auf dem Weg zurück in die 60er zu sein. In den 80ern waren die postmodernen Neubauten ja wenigstens noch erträglich...

  • Zitat von "RMA"

    Daran dachte ich auch gestern, als ich das in den Nachrichten hörte. Symptomatisch auch, das es im konkreten Fall um ein um 1910 (?) erbautes Haus im ohnehin abrissgeplagten Heidelberg ging, dass jetzt einzig für eine höhere Rendite einem ekelerregenden Neubau-Klotz weichen muss – der übliche Kubus mit pseudofranzösischen Fenstern, Tiefgarage und Staffelabschluss. Zusammen mit dem immer mehr aufweichenden Denkmalschutz scheinen wir irgendwie wieder auf dem Weg zurück in die 60er zu sein. In den 80ern waren die postmodernen Neubauten ja wenigstens noch erträglich...


    Sehr gut zusammen gefasst! Es war ein langer Weg vom Europäschen Denkmalschutzjahr 1975 über die Diskussionen zur "kritischen Rekonstuktion" in den 80iger Jahren bis hin zur Infragestellung der Grundannahmen der Moderne durch die Postmoderne Architektur. Unterm Strich müsste jetzt eigentlich eine geistige Haltung erreicht sein, bei der die zeitgenössische Architektur für eine menschengerechte Formensprache im Zeichen der Stadtreparatur steht. Das Gegenteil ist leider der Fall. Nach diesem BGH-Urteil sitzt der Frust noch tiefer. Das ist ein Rückschritt in die 60iger Jahre, den ich nicht für möglich gehalten hätte.

    ...

  • Ich denke, man muß nicht gleich in Panik verfallen. Das Urteil könnte ja auch den Abriß häßlicher Bausünden erleichtern - man denke an einen versifften Plattenbau, aus dem ein paar Spießer partout nicht ausziehen wollen (während in derselben Stadt sanierte Altbauwohnungen zum Schleuderpreis leerstehen). Außerdem erwischt es ohnehin so viele leerstehende Altbauten, daß die eigentlichen Probleme doch ganz woanders liegen. Ein komplett vermietetes Haus wird seltener abgerissen als ein leerstehendes. Und wer unbedingt abreißen und neu bauen will, der hat es bislang auch irgendwie geschafft, Mieter rauszuschaffen - durch Abfindungezahlung, rausekeln etc.

    Das Haus in Heidelberg, laut Fernsehen rund 100 Jahre alt, sah übrigens merkwürdig aus: Von Pracht oder Eleganz keine Spur, es wirkte eher wie ein 50er-Jahre-Billig-Haus, mit quadratischen Fenstern. Vermutlich ist es Tode saniert und umgebaut worden. Damit ist es wohl auch kein großer Verlust mehr. Aber - und da gebe ich RMA recht - was anstelle dieses Hauses jetzt gebaut wird, ist eben leider keinen Deut besser, sondern übelste 0815-Investorenmoderne.

  • Zitat von "Schloßgespenst"

    Ich denke, man muß nicht gleich in Panik verfallen. Das Urteil könnte ja auch den Abriß häßlicher Bausünden erleichtern - man denke an einen versifften Plattenbau, aus dem ein paar Spießer partout nicht ausziehen wollen (während in derselben Stadt sanierte Altbauwohnungen zum Schleuderpreis leerstehen). Außerdem erwischt es ohnehin so viele leerstehende Altbauten, daß die eigentlichen Probleme doch ganz woanders liegen. Ein komplett vermietetes Haus wird seltener abgerissen als ein leerstehendes. Und wer unbedingt abreißen und neu bauen will, der hat es bislang auch irgendwie geschafft, Mieter rauszuschaffen - durch Abfindungezahlung, rausekeln etc.


    Das stimmt soweit - es ist trotzdem ein ungeheuerlicher Freibrief für Investoren Altbauten platt zu machen. Zusammen mit den staatlichen Abrissprämien z.B. in Sachsen-Anhalt, wird geradezu dazu aufgerufen insbesondere auch die alte Bausubstanz zu tilgen.

    ...

  • Ok, aber das märchenhafte aber auch marode Hotel am Bahnhof in Zittau und hunderte 100 Jährige gut und schlecht unterhalten oder sogar sanierten Bauten in Chemnitz hat doch das Todesurteil erfasst. Dann doch auch der Abbruch des maroden "Fulco Märchenhaus" ein Gründerzeitwunder in der [lexicon='Leipzig'][/lexicon].....die Friedrich Ebert Strasse ist schon gut abgeräumt.

    An die andere Seite finde ich die Neubau im traditionelle Still in Chemitz und Dresden doch auch sehr gelungen.....

    So geht es doch irgendwo bergaufwärts und irgendwo bergabwärts.......

  • Zitat von "uaoj36"

    So geht es doch irgendwo bergaufwärts und irgendwo bergabwärts.......

    Sehr schön lyrisch ausgedrückt, "uaoj36". Und wir sind dazu da, als Regulativ dafür einzuspringen, damit es bergaufwärts geht. Und uns stets auch an den Früchten unseres Beharrens zu freuen...

  • @ uaoj36

    Das meinte ich ja - das weitaus größere Problem dürften die leerstehenden Altbauten sein, denn die bringen dem Eigentümer definitiv keinen Profit, so daß Abrisse dort am naheliegendsten und eben deshalb auch am häufigsten sind.

  • Ich sehe das nicht so kritisch. Mittel- bis langfristig dürften von diesem Urteil aufgrund des demografischen Wandels und des damit verbundenen Bevölkerungsrückgangs die am Stadtrand liegenden Neubauviertel viel stärker betroffen sein als das Zentrum. Also würde ich das ganze jetzt nicht überbewerten.

  • Hm... dann könnte ja jemand, der seine Mietwohnungen gerne in Eigentumswohnungen umwandeln möchte aber die Mieter nicht herausbekommt auch einfach abreißen und neu bauen, oder?

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Es lässt sich nicht leugnen, dass man das so sehen kann, aber 1. steht jedem Betroffenen in unserem Land der Klageweg offen (also "einfach" funktioniert das nicht) und 2. kann man natürlich auch einen hässlichen Zweckbau abreißen und ein hübsches neues Gebäude errichten. Da wären doch bestimmt alle hier im Forum selig (ich übrigens auch :zwinkern: ).

  • Das Urteil ist wichtig. Deshalb sollte man auf die ausführliche schriftliche Begründung des BGH warten, bevor man vorschnell weitreichende Schlüsse zieht. Die Presse steht unter dem Erwartungsdruck der Öffentlichkeit nach schnellen Schlagzeilen. Jedenfalls verlangt der BGH auch zukünftig eine genaue Einzelfallprüfung.

    Am Philosophenweg sollte auf alle Fälle hochwertige Architektur entstehen, die sich dem Charakter dieses historischen Villenviertels anpasst. In den letzten Jahren wurden zwei Neubauten in angepasst traditionellen Formen nicht ungeschickt in den höher gelegenen Bereich des Ensembles eingefügt. Die Häuser wurden zurückgesetzt in ein Gartengelände hinter Sandsteinstützmauern gebaut. Die am höchsten gelegene repräsentative Villa am Philosophenweg wurde in den neunziger Jahren ebenfalls in traditionellen Formen gebaut.

  • Bei den Milliardärsvillen am Philosophenweg sollte mit guter Architektur auch nicht gespart werden. Was maps live so zeigt, sieht das auch alles toll aus. Haben wir es hier mit der besten Wohnlage Deutschlands zu tun oder bietet jemand noch was besseres?

    Das verfahrensgegenständliche Haus Nr. 1 a freilich steht nicht in der 1-a-Lage (= beste Lage) des Philosophenweges, sondern unterhalb an dessen Beginn.

  • Nah, "Milliardärsvillen" ist beim Philosophenweg doch etwas übertrieben. Von den knapp 20 Häusern gehören drei der Universität, der Rest verteilt sich auf Professoren der Uni und vor allem Rechtsanwälte und Ärzte.

    Als noch etwas bessere Lage in Heidelberg wird üblicherweise der Schloß-Wolfsbrunnenweg genannt, wo u.a. Carl Bosch und die Speer-Familie ihre Villen in Heidelberg hatten. Die Villa Bosch gehört heute einer Stiftung des Milliardärs Klaus Tschira, in der Speer-Villa wohnt heute Ernst Speer. Auch Wissenschaftler wie der du-Merite-Ordensträger Rommelaere wohnen dort. Selbst kleinere Villen ohne Historie gehen dort nicht unter 1,5 bis 2 Millionen Euro weg.