Dresden, Altstadt - Quartier VIII

  • Natürlich könnte vieles auf dem Neumarkt handwerklich hochwertiger ausgeführt werden, aber mit der grundlegenden Richtung bin ich schon zufrieden. Früher ging man ja auch nicht gerade schonend mit dem Bestand um, da wurde großflächig abgerissen (man denke nur an die Brühlsche Terrasse oder an das neue Dresdner Rathaus), hinzugefügt (wie die Türme der Sophienkirche), umgestaltet oder entkernt - wie eben die Häuser, aus denen das erste Hotel de Saxe zusammengefügt wurde.

  • Zitat

    Weiß jemand ob das Ritterrelief am Johanneum vom PirnaischenTor her kommt?

    Du meinst sicher dieses Relief hier:


    Bildquelle: bildindex der Kunst und Architektur

    Hier noch einmal im vergrößerten Ausschnitt, dort kann man die Bildunterschrift unter dem Relief lesen:

    http://www.bildindex.de/bilder/MI09545d04a.jpg

    So weit ich das entziffern kann, lautet die Inschrift etwa:
    Erbaut unter Kurfürst Christian I. im Jahr?
    Restauriert (im Sinne von umgebaut/erneuert) unter König Johann im Jahr 1872

    Zur Fassadengestaltung des Johanneums schreibt Dirk Sndram:

    Zitat

    Textquelle: „Das Dresdner Schloss – Von der Residenz zum Museum“, 2001

    Zwischen 1872 und 1876 wurde das Gebäude durch HAENEL erneut umgebaut (Anm.: *erneut* deshalb, weil es schon im 18. Jahrhundert etliche Umbauaktionen gab, damals verschwanden die Renaissancegiebel, und hinzugefügt wurde u. a. die prächtige Freitreppe zum Jüdenhof). Neben erheblichen Veränderungen der Struktur des Rokoko und der Errichtung eines flachen Daches mit umlaufender Balustrade erhielt die Fassade einen historistischen Schmuck durch CHRISTIAN BEHRENS, der sich auf die Geschichte und die neue Funktion (Anm.: als Museum für die Rüstkammer und die Porzellansammlung) des Stallgebäudes bezog.

    Dieses Ritterrelief wäre also demnach eine Schöpfung aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aber die obige Vermutung von GruttePier ist keinesfalls „abwegig“. Auch das Pirnaische Tot entstand – ebenso wie das Stallgebäude (erst nach dem letzten relevanten Umbau Johanneum genannt) – in der Regierungszeit von Kurfürst Christian. Dieses Tor, gemäß Gurlitt *ein starker Thurm von zwei Geschossen*, befand sich am Ausgang der Inneren Pirnaischen Straße. Es wies einen reichhaltigen Skulpturenschmuck auf, der vor allem die Rittertugenden des Bauherrn Christian thematisierte. Der Bauzeitraum ist bei Gurlitt mit 1590-91 angegeben.

    Zum Skulpturenschmuck des Pirnaischen Tores nachfolgend ein Auszug aus einem Artikel in den Dresdner Geschichtsblättern, Jahrgang 1902, Heft 2:

    Zitat

    Das Thor war an beiden Seiten mit nämlichen Bildwerken geziert (Anm.: Die folgende Beschreibung – formuliert für eine Torseite – gilt aber sowohl für die äußere als auch die stadtseitige Front des Tores):
    Es enthielt einen dreifachen Durchgang, der mittlere war doppelt so hoch wie die beiden seitlichen. Die Seitenpforten (Anm.: diese waren gemäß Gurlitt für die Fußgänger) flankierten je zwei dorisierende Säulen, die einen dreieckigen Giebelaufbau trugen. Über der linken Pforte sah man das Kurwappen, über der rechten das Wappen des Herzogtums Sachsen. In den Giebeldreiecken zu beiden Seiten war je eine Büste eines bärtigen Mannes mit Helm und großem Helmbusche angebracht. Die Spitzen der Giebel zierten auf Sockel gestellte, überlebensgroße Ritterfiguren in großer Rüstung, auf deren Schilde Provinzwappen gemeißelt waren. Der überhöhte Mittelbau trug in einer großen Nische das Reiterstandbild Christians I. auf galoppierendem Pferde in Vorderansicht, darüber in dreieckigem Giebel eine Männerbüste.

    Es befanden sich demnach von figürlichem Schmucke am Ein- und Ausgange des Pirnaischen Tores: sechs Büsten, zwei Reiterdenkmale und vier überlebensgroße Rittergestalten, von denen Weck sagt
    (Anm.: Weck – Chronist der „Weckschen Chronik“, aus diesem Werk sind auch bildliche Darstellungen des Tores in Form von Kupferstichen überliefert)
    „Zu beyden Seiten aber seyend zweene gerüstete Männer, fast in Größe zweyer Riesen gleich, als Schildwachten, so gleicher Gestalt aus Steine gehauen.“

    Bei der Belagerung Dresdens im Jahre 1760 wurden die beiden Reiterdenkmale verstümmelt, später ganz entfernt und an ihrer Stelle Trophäen angebracht.

    Und hier eine zeitgenössische Abbildung des Pirnaisches Tor (um 1800 – die Reiterskulpturen fehlen also schon):

    http://fotothek.slub-dresden.de/fotos/df_0250001/df_0253047.jpg

    Zu den beiden Reiterskulpturen noch folgende interessante Ausführungen aus dem oben genannten Artikel in den Dresdner Geschichtsblättern:

    Zitat

    Kunstgeschichtlich von höchstem Interesse für uns sind die Reiterbildnisse des Kurfürsten auf galoppierendem Rosse.
    […] Wenn man bedenkt, daß bei der aufgebäumten Stellung des Pferdes die ganze Last des Monumentes nur geringe Stützpunkte an den hinteren Pferdehufen und etwa dem herabhängendem Schweife findet, so kann man leicht erklären, daß ein solches Denkmal zu fertigen sich nur ein Künstler zutrauen durfte, der die Schwergewichtsberechnungen völlig beherrschte und das größte Selbstvertrauen zum eigenen Können besaß. Als einen solchen müssen wir unseren Meister Andreas Walther (Anm.: der gilt als Schöpfer der Skulpturen) ansprechen, dessen Reiterdenkmale am Pirnaischen Thore wohl die frühesten ihrer Art sind, die bis jetzt in Deutschland bekannt wurden.

    Der Autor des Artikels mutmaßte übrigens, dass die Reiterskulptur Augusts des Starken auf dem Neustädter Markt die beiden Monumente Christians „auf galoppierendem Pferde“ zum künstlerischen Vorbild hatte (die standen ja damals noch, als das August-Monument geschaffen wurde).

    Und noch einmal zur Frage von GruttePier, die wird nämlich mit folgendem Zitat von Gurlitt eindeutig beantwortet:

    Zitat

    Textquelle: Cornelius Gurlitt „Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen“, 1901

    Der einzige Rest des Thores ist ein kolossaler Manneskopf mit Helm in Sandstein im städtischen Museum. Es dürfte einer jener Köpfe gewesen sein, welche die Verdachungen verzierten.

    Das ist aber, wie gesagt, Stand 1901. Ob dieser Kopf heute noch (oder wieder?) im Bestand des Stadtmuseum ist, weiß ich nicht (Bombardierung, Nachkriegswirren, "Trophäen"-sammler der Roten Armee…).

  • Danke vielmals Bautzenfan für deine sachkundige Recherchen!
    Sehr schade das diese wichtige Skulpturen verschwunden sind, hier folgt noch das Bild welches zu meine Frage führte.

  • Zitat von "BautzenFan"

    So weit ich das entziffern kann, lautet die Inschrift etwa:
    Erbaut unter Kurfürst Christian I. im Jahr?
    Restauriert (im Sinne von umgebaut/erneuert) unter König Johann im Jahr 1872

    Ich lese MDLXXXVI, also 1586.

    Was heißt eigentlich "ORNAVIT"? (Ich selber hatte nie Latein, das online-Wörterbuch gibt auch nichts her...)

  • Zitat von "Kindvon2dresdnern"

    Ich lese MDLXXXVI, also 1586.

    Was heißt eigentlich "ORNAVIT"? (Ich selber hatte nie Latein, das online-Wörterbuch gibt auch nichts her...)

    ...das Online_Wörterbuch wird da auch nicht viel hergeben, da es bei Latein vor allem auf die Grammatik und den Zusammenhang des Wortes mit den anderen im Satz bedarf.

    Also, meine Matura ist zwar schon ein Zeitl her, aber dafür langt es noch: "ornavit" - Dritte Person; Perfekt; - Er, Sie , Es hat geschmückt, versehen, ausgestattet... Je nach Bedarf, kannst Du Dir nun ein passendes Verb aussuchen.

    Im Übrigen habe ich vor einiger Zeit in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] einen relativ großen, schönen Kupferstich von Anton Weck erwerben dürfen, welcher auch in Fritz Löfflers "Das alte Dresden" abgebildet ist und das "Churfürstliche Reit- und Schießhaus" als Motiv hat. Wahrscheinlich aus Wecks Hauptwerk herausgeschnitten, aber sehr dekorativ. Anton Wecks "Beschreibung von Dresden" als Gesamtwerk wäre im Antiquariat zwar auch zu erwerben gewesen, aber € 3.500 waren mir dann doch etwas zuviel...

  • Vielleicht zur Abwechslung mal wieder etwas Thematisches, ok?... ;)

    Ich war gerade in der Altstadt und stellte mit größtem Entsetzen fest, daß im [lexicon='Quartier VIII'][/lexicon],1 bis auf einen alle Keller weggebaggert worden sind.

    Ich muß sagen, Dresden schafft es immer wieder, einen total zu schocken...

  • Als ich das Bild gesehen habe, war ich auch total schockiert:

    Wie ist sowas nur möglich? Das waren doch die ältesten Keller am Neumarkt und dazu auch noch zum Teil sehr gut erhalten. Müssen denn überall Tiefgaragen entstehen? Der Altmarkt ist doch nicht weit entfernt und da entsteht doch zur Zeit eine riesige Tiefgarage.
    Ansonsten lassen sich doch alte Keller auch mit heutigen Nutzungsanforderungen vereinbaren. :augenrollen:

    Schade, ich würde gerne mal einige historische Keller nach der Wiederherstellung besichtigen. Das müsste ein sehr beeindruckendes Erlebnis sein, wenn man die Keller betritt, in denen Menschen im Februar 1945 qualvoll verbrannt oder erstickt sind. Diese Keller wären meiner Meinung nach herausragende Mahnmale für die Schrecken des Krieges.

  • Zitat von "saibo"


    Schade, ich würde gerne mal einige historische Keller nach der Wiederherstellung besichtigen. Das müsste ein sehr beeindruckendes Erlebnis sein, wenn man die Keller betritt, in denen Menschen im Februar 1945 qualvoll verbrannt oder erstickt sind. Diese Keller wären meiner Meinung nach herausragende Mahnmale für die Schrecken des Krieges.


    Es wäre eine gute Idee, einen Keller, der Luftschutzraum gewesen war, als solchen originalgetreu zu rekonstruieren und als Museum einzurichten.
    LSR-Pfeile würden dann die vom Barock-Glamour der Neumarktfassaden erfüllten Touristen in das kalte Mauerwerk hinunterleiten und so auf architektonisch ganz unaufdringliche Art für den doch immer so gewünschten "Bruch" sorgen.

  • In Dresden wird die Funktion der Bagger weder durch Leichen aus der Sophienkirche noch durch die ältesten erhaltenen Keller beeinträchtigt.
    Das ist dann das andere Dresden, das man bei der Vermarktung den Touris listig verschweigt.

  • Wozu braucht ein Hotel überhaupt riesige Kellerräume? Und außerdem waren das in diesem Quartier doch recht große Keller mit Kreuzgratgewölbe. Man hätte sie als Weinkeller, Wellnessbereich, Restaurant, usw. nutzen können. Außerdem gibt es doch mittlerweile genug Investoren, die sich für die Neumarktquartiere interssieren. Dann sucht man einen Investor aus, der die historischen Keller auch nutzen will. :augenrollen: Das Problem ist doch, dass man die Flächen rund um den Neumarkt möglichst schnell bebaut haben will. In dem jetztigen Tempo scheint das Areal bereits 2012 vollständig bebaut zu sein. Aber die Aufteilung der Quartiere in kleinere Parzellen und die Vergabe an kleine private Investoren wäre die wesentlich bessere Lösung gewesen (siehe Neumarkt 16 und 17). Allerdings wär der Neumarkt dann erst 2040 fertig geworden. Leider muss heutzutage alles möglichst schnell gehen. :(

  • Zitat von "saibo"

    Und außerdem waren das in diesem Quartier doch recht große Keller mit Kreuzgratgewölbe. (

    Einer davon (der den Du oben fotografiert hast) wird auch erhalten. Er ist der einzige welcher nach 1945 nicht geöffnet und mit Schutt verfüllt wurde. Deswegen ist er auch vollständig erhalten und wird in das Hotel integriert.Die anderen Keller waren schon sehr instabil und zerstört.

  • Ich habe gerade nochmals die Fotos von Kellern auf der GHND-Seite angesehen. Die sind ja teilweise gerade mal 2 Meter hoch und häufig bestenfalls 1 bis 3 Meter breit. Eine effektive Nutzung kann ich da nicht erkennen.

  • Ein ziemlich aktuelles Statement (April 2008) der CDU-Fraktion zum [lexicon='Quartier VIII'][/lexicon]. Verfasser ist Stadtrat Klaus-Dieter Rentsch, Fraktionssprecher für Stadtentwicklung und Bau:

    Textquelle: http://www.dresden-cdu.de

  • Herr Dietze hat es so gemeint, dass eine Bebauung von QVI -- ob mit Gewandhaus oder ohne -- für den Neumarkt zwecks Abschluss wichtig ist, worin ich ihm zustimme. Ich hoffe sehr, es wird ohne Gewandhaus gebaut. Wenn man das komplette QVI für zehn Jahre frei halten würde, beginge man den bisher schönsten Schildbürgerstreich in Dresden.

    --
    Aenos

  • Mich wundert, dass kein Archäologe jemals Bedauern über den Abriss der vielen Keller ausgesprochen hat. Das, was erhalten bleibt, ist lachhaft wenig.
    Soll das Quartier 6 in nächster Zeit nicht bebaut werden? Ich dachte nur die Gewandhausfläche ist davon betroffen. Langsam blick ich nicht mehr durch.

    Zitat

    Noch ein Wort zur Gesellschaft Historischer Neumarkt, die immer wieder den Stiftungsgedanken ins Spiel bringt. Mit der Entscheidung vom 06. 12. 2007 (Bebauung [lexicon='Quartier VIII'][/lexicon] –Neumarkt) sollten diese Gedanken vom Tisch sein. Das ist richtig so, denn wer wirklich neben der Nichtfinanzierbarkeit dieser Stiftung beispielsweise für das [lexicon='Quartier VIII'][/lexicon]/1 Wohnungen vorschlägt, wo aufgrund der massiven Überbauung kaum ein Lichtstrahl in den Innenhofbereich fällt, sollte sich, bevor er sich blamiert, demutsvoll zurückziehen. Solange Investoren am Neumarkt sich um die Ausschreibungen von Grundstücken bemühen, haben wir keinen Grund, diese Baumaßnahmen auf viele Jahre zu verschieben.

    Also Hauptsache bauen, schnell noch die Keller wegbaggern und dann alles für den Massentourismus zurechtzimmern. Und schnell muss es gehen. Schon sehr peinlich, wie dem potentiellen Stifter vor den Kopf gestoßen wird, sehr peinlich...