Der Nachkriegswiederaufbau

  • Nachkriegswiederaufbau nach Nazi-Vorbild?
    Da ich dieses dämliche Nazi-Argument, das Reko-Befürwortern regelmäßig um die Ohren gehauen wird, nicht mehr hören kann, habe ich mal diesen Thread aufgemacht, um darzulegen, wie groß die Kontinuität ist hinsichtlich der Nazi-Planungen und des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Argumente, wie sie in der Frankfurter Debatte gebracht wurden (= Zerstörung der Stadt im Krieg war durch die Nazis verschuldet, der Wiederaufbau nach dem Krieg hingegen war ein demokratischer Prozess und darf daher nicht in Frage gestellt werden), sollten somit entkräftet werden können.

    Ich beginne einleitend mit diesem Zitat von Peter Körner aus dem Buch "Die Löwenapotheke zu Aschaffenburg":


    Zitat

    Die frühere Enge der gewachsenen Städte war nun ideologisch verdächtig. Hier, in dumpfen und schlecht belichteten Quartieren, in alten und ungesunden Häusern soll der Ungeist seine Nahrung gefunden haben, der sich ohne Charakter und Widerspruch zu den Verbrechen des Dritten Reichs mißbrauchen ließ. Der Erfolg der Wirtschaft, der eine rationale Strategie unterstellt wurde, erhob die Funktionalität zum Vorbild. Die alten Gebäude, nicht zuletzt Fachwerk, konnten in diesem Sinne niemals als rationale Strukturen betrachtet werden, ob es sich um die Technik oder um die Kosten handelte.
    Erst die jüngere Architekturforschung der letzten Jahre hat dieses Selbstverständnis stark relativiert. Die Kontinuität von Architektur und Städtebau von der Vorkriegszeit bis in die fünfziger Jahre erweist sich als mächtiger als es bisher angenommen wurde. Die Zerstörung der deutschen Städte etwa wurde in Stäben von Hitlers Minister Albert Speer als Chance betrachtet, die notwendige Modernisierung und Aufweitung der Zentren in Angriff zu nehmen, nach ähnlichen Grundsätzen, wie sie nach dem Krieg wirksam wurden.

  • Sehr lesenswert ist in dieser Hinsicht der Aufsatz "Bomben für den Aufbau" von Heinrich Schwendemann, der sich in dem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Buch "Als Feuer vom Himmel fiel" befindet. Ich präsentiere einige Auszüge:

    Jetzt soll noch einmal ein Modernist einen Nazi-Vergleich wagen... :boese:

  • Ein wichtiges Thema, das ganze ist mir auch erst seit einem Jahr bewusst, ich denke, es gibt hier noch viel Aufklärunsbedarf. In "Kriegsschicksale deutscher Architektur" wird das Thema übrigens auch behandelt.

  • @restitutor
    Das müsste man, wie Sauerländer erwähnte, noch viel stärker untersuchen.

    @restitutor
    Könntest Du nochmal die genauen Quellen angeben, aus denen Du die Aussagen hast? Da werde ich mal recherchieren!

    Man müsste als erstes mal eine Bestandsaufnahme machen, in welchen Städten konkret der Wiederaufbau nach alten Plänen vonstatten ging, wo modifiziert wurde und in welchen sich der Wiederaufbau völlig von den alten Plänen abhebt.

  • Zitat

    Man müsste als erstes mal eine Bestandsaufnahme machen, in welchen Städten konkret der Wiederaufbau nach alten Plänen vonstatten ging, wo modifiziert wurde und in welchen sich der Wiederaufbau völlig von den alten Plänen abhebt.
    _________________

    Von Dresden weiss ich ziemlich genau, dass das, was nach dem Krieg städteplanerisch passierte, seine Wurzel in NS-Planungen hatte. So hatte man vom Hauptbahnhof aus gesehen vor, zwei schneisen zu schlagen: eine im Beriech der Reitbahnstraße bis zum Postplatz, die andere wurde realisiert: die Petersburger Straße auf dem Verlauf der ehem. Christianstraße.

  • Dabei währe vielleiocht auch interessant, inwieweit Planungen nach dem Kriege umgesetzt wurden, die ursprünglich woanders vorgesehen waren...

    Beispiel: Das Polizeipräsidium Rostock wurde nach Plänen des Architekten Hermann Giesler in den 1950ger jahren errichtet. Der zugrunde liegende Plan ist der der nie gebauten "Hohen Schule der NSDAP" in Herrenchimsee, lediglich etwas verkleinert, in den Gebäudeproportionen jedoch dem Originalentwurf treu.

    Teilweise stammen die "aufgelockerten" Stadtplanungen aber auch aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus, namentlich aus der Zeit der "neuen Sachlichkeit", wie beispielsweise in Rostock.

    Prinzipiell halte ich die "Architektur der Stadtlandschaften" und den Monumentalismus der 30-50ger Jahre nicht für schädlich. Allerdings ist sie immer dann abzulehnen, wenn gewachsene Innenstadtstrukturen dadurch zerstört werden/wurden.

    Interessant währe an dieser Stelle, dass sich auch die "sowjetische Architektur" und die "neue amerikanische Architektur" der selben Argumente bediente. Es ist also kein Nationalsozialistisches Phänomän.

    Desweiteren weise ich darauf hin, dass jegliche politischen und piolitisierenden Argumente in Rekonstruktions- und Stadtreperaturdebatten fehl am Platze sind. Sie führen zu einer Verhärtung der Fronten und damit zum Stillstand.

    "... es allen Recht zu machen, ist eine Kunst, die niemand kann..." (Goethe)

  • Passt zwar gerade nicht zum Thema Nazi-Stadtplanung, aber da sich der Aufsatz im selben Buch befindet, schreibe ich es trotzdem mal hierher...

    In "Als Feuer vom Himmel fiel" schreibt auch der Nobelpreisträger Günter Blobel über Dresden ("Der Himmel wurde feuerrot", S. 39-41). Hier ein Auszug, der sich meiner Meinung nach auch gut dazu eignet, als Zitat in einen eigenen Text eingeflechtet zu werden:


    Zitat

    Später hatte ich selten Gelegenheit, mein Dresden zu besuchen. In den Jahren nach dem Kriege kam die zweite Zerstörung der Stadt durch die Kommunisten. Sogar berühmte Barockhäuser der Rampischen oder Meißner Gasse wurden, obwohl sie die Bomben nur zum Teil zerstört hatten, einfach abgerissen: Das unsäglich hässliche Dresden entstand, die "sozialistische Großtstadt" mit öden und überdimensionierten Plätzen und viel zu breiten Straßen, gesäumt von phantasielosen Plattenbauten. Die von den Kommunisten wiederaufgebauten historischen Bauwerke wie Zwinger, die Hofkirche und die Semperoper wirkten in diesem Milieu fast grotesk.
    Unter den älteren Dresdnern aber blieb die Erinnerung an ihre großartige Stadt. Und unter den jüngeren Dresdnern ist das Interesse am alten Dresden bewundernswert lebendig. Im Ausland, besonders in den USA und in England, wird die Bombardierung Dresdens von vielen als Verbrechen gegen die Menschheit und gegen ihr kulturelles Erbe empfunden. Amerikaner und Engländer wollen mithelfen, dies Verbrechen ihrer damaligen Regierungen wieder gutzumachen und zur Versöhnung beizutragen. Das macht Hoffnung.

  • Zwischenstand:

    In folgenden Städte basiert der Wiederaufbau auf Plänen von NS-Städtebauern:

    Bremen -> Wortmann
    Düsseldorf -> Friedrich Tamm
    Hannover -> Rudolf Hillebrecht, Gutschow
    Dresden -> ? (lt. ekv2d)


    Wer kann noch Beispiele und zugehörige Belege/Textstellen/Artikel ergänzen?

    Das kann ein Totschlag-Argument werden auf Podiumsdiskussionen... :auslachendoppelt:

  • Zitat

    Das kann ein Totschlag-Argument werden auf Podiumsdiskussionen...

    Ja, es könnte, aber ich denke wir sollten es immer nur dann anwenden, wenn der "Gegner" uns irgendwas nazimäßiges in die Schuhe schiebt oder der Nachkriegswiederaufbau über alle maßen gelobt wird.
    Grundsätzlich bin ich eher für eine politikfreie Debatte. Uns geht es schließlich um schöne Städte und das Erleben von Historie. Die Debatte um den Palast der Republik hat gezeigt, dass eine Debatte auf politischer und ideologischer Ebene nur schwierig wird und umso länger dauert.

  • Schließe mich Andreas' Meinung an, wir sollten doch besser eher unpolitisch bleiben.

    Zitat von "Jürgen"

    Zwischenstand:

    In folgenden Städte basiert der Wiederaufbau auf Plänen von NS-Städtebauern:

    Bremen -> Wortmann
    Düsseldorf -> Friedrich Tamm
    Hannover -> Rudolf Hillebrecht, Gutschow
    Dresden -> ? (lt. ekv2d)

    Basieren auf NS-Plänen oder Plänen von NS-Städtebauern? Das ist in meinen Augen ein Unterschied.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ich würde Sauerländer auch zustimmen.
    Eigentlich haben wir es gar nicht nötig, solche "Totschlagargumente" zu benutzen. In subtilerer Form gerne, nämlich indem mal der enge Zusammenhang zwischen Bauhaus-Modernität und Nazi-Modernität (siehe z.B. die enge Verbindung, die in Italien der Futurismus mit dem Faschismus eingegangen ist) oder der Zusammenhang von Bombenkrieg und "Auflockerungs"-Doktrin (weniger Bebauungsdichte, um evtl. Auswirkungen von Bombardements zu verringern) theoretisch diskutiert werden.
    Aber lieber nicht als "Totschlagargument" in der Art: "Stadt xy ist nach Nazi-Grundsätzen vom politisch belasteten Stadtplaner z wiederaufgebaut worden, deshalb müssen wir jetzt aus Gründen der politischen Korrektheit was anderes dahinstellen."
    So was könnte übrigens auch nach hinten losgehen, denn irgendwo findet man bestimmt auch politisch Belastete unter den Stadtplanern, die Wiederaufbau eher in unserem Sinn bestrieben haben. Und dann steht's wieder Unentschieden.

  • Zitat

    der enge Zusammenhang zwischen Bauhaus-Modernität und Nazi-Modernität


    :? Das sind doch nun wirklich 2 grundverschiedene Paar Schuhe. Schließlich haben die Nazis die Bauhäusler als entartet aus dem Lande hochkantig rausgeschmissen.

    In Weimar gibt es ein Haus, welches sich ehemals in den 30ern ein wohlhabender jüdischer Bürger im Bauhausstil errichten ließ. Nachdem dieser enteignet wurde, ist das Haus als undeutsch abgestempelt worden und deswegen aufgestockt und aus dem einst flachdachigen Haus in eins mit Giebel verwandelt worden.

  • Zitat

    Das sind doch nun wirklich 2 grundverschiedene Paar Schuhe. Schließlich haben die Nazis die Bauhäusler als entartet aus dem Lande hochkantig rausgeschmissen.


    Wenn man allerdings nicht die Bauhaus-Architektur, sondern den entsprechenden Städtebau betrachtet, stimmt es wieder.

  • Nein, ich hatte jetzt auch nicht ursprünglich im Sinn, Rekonstruktionen oder traditionelles Bauen im Allgemeinen darüber zu rechtfertigen, dass man die derzeitigen Stadtstrukturen als belastet weil aus Nazi-Planungen herrührend bezeichnet.


    Ich denke aber, dass es ein gutes Gegenargument ist, wenn Bartetzko & Co wieder damit anfangen, irgendeine Altstadt könne nicht wieder aufgebaut werden, weil die Nazis sie toll fanden und sie daher belastet sei. In so einem Fall könnte man in einer Diskussion darauf verweisen, dass die Gegenseite konsequenterweise auch eine "architektonische Entnazifizierung Hannovers" fordern müsste, und es eben entsprechend dem obigen Artikel erläutern, dass wenn schon irgenetwas als Nazikram bezeichnet werden müsste, dann doch wohl der Nachkriegswiederaufbau und nicht etwa die Altstadt. Anschließend kann man ja noch klarstellen, dass man selbst eine solche ideologische Betrachtung von Gebäuden und Stadtstrukturen nicht für sinnvoll hält - aber wenn die Gegenseite es tut, dann soll sie es doch bitte richtig tun und sich lieber mit der quasi-faschistischen Nachkriegsmoderne auseinandersetzen und nicht mit unseren Rekonstruktionsvorhaben.

  • Danke für die Klarstellung, Sauerländer. So war's tatsächlich gemeint.
    Um's noch ein wenig zu präzisieren: Generell scheint man ja feststellen zu können, daß die großen Ideologien der Moderne, wenn sie sich auch in vielen Punkten voneinander absetzen, und dann oft entsprechend radikal bis hin zu Mord und Vertreibung bekämpfen, doch in manchen verblüffend übereinstimmen. So in der Vorstellung, einen neuen Menschen schaffen zu müssen, mit der überkommenen Zivilisation radikal brechen zu müssen, alles einem Prinzip unterordnen zu müssen, die Welt vereinheitlichen und die Technik bis zum äußersten entfesseln zu müssen.
    Und darin denken die LeCorbusier-Ideologen häufig nicht anders als ein Hitler oder ein Stalin (wenn auch gottseidank bei den ersteren nur auf dem relativ harmlosen Gebiet der Stadtplanung und natürlich nicht vergleichbar mit den Massenmorden, in denen dieses Denken bei den beiden letzteren mündete). Das sind nunmal gemeinsame Züge praktisch aller dezidiert moderner Ideologien. Siehe Adorno/Horkheimers brillante philosophische Analyse in der "Dialektik der Aufklärung".

    @Restitutor:
    In dieser Form finde ich es - auch strategisch - sehr gut. So kann man vorgehen und das dürfte auch entsprechend Wirkung entfalten.

  • Ich habe das Buch "Die zweite Zerstörung Münchens" vom Münchner Denkmalpfleger Schleich gelesen. In diesem Buch spielt Schleich auch immer wieder darauf an, wie sehr der Wiederaufbau von den Ideen des dritten Reichs geprägt war.

    Um nur 2 Beispiele zu nennen: Über die Alte Pinakothek sagt er in etwa: "Man beseitigte die elegannte Loggia Klenzes und ersetzte sie durch einen kahlen Treppenaufgang, genauso wie man es im dritten Reich gelernt hatte".

    An einer anderen Stelle spricht er davon, dass Hitler in der berühmten (und anscheinend unversehrten) Ludwigsstrasse vier elegannte Palais von Klenze abreißen lies (weil sie zu wenig monströs waren) und dort den Nazibau des heutigen Landwirtschaftsministeriums platzierte. Nach dem Krieg sei es typisch gewesen, dass der erste Bau, der in der Ludwigstraße denkmalgerecht wiederaufgebaut wurde, dieser Nazipalast war, während man andere wichtige Baudenkmale beseitigte.

  • Zitat

    Über die Alte Pinakothek sagt er in etwa: "Man beseitigte die elegannte Loggia Klenzes und ersetzte sie durch einen kahlen Treppenaufgang, genauso wie man es im dritten Reich gelernt hatte".

    Die Pläne des 3. Reiches sahen vor die Pinakothek zu erhalten und durch Anbauten zu ergänzen:

    Weitere Informationen: http://plato.alien.de/muenchen/ns/pinakothek.php

    Die Pinakothek wurde im Krieg schwer beschädigt, der Abriss war bereits beschlossen. Nur durch den Einsatz von Hans Döllgast wurde dieser verhindert, er schaffte es mit dem Geld, das für den Abriß bestimmt war, die Pinakothek notdürftig zu retten.Mit Steinen von der nahen Türkenkaserne stellte er die fehlenden Teile wieder her - und zwar so, dass später der Vorkriegszustand wiederhergestellt wird. Daher sind die gleichen Umrisse (Fenster etc) vorhanden und die Ziegelmauer liegt tiefer im Bauwerk, so dass die alte Fassade davor wiederhergestellt werden kann.
    Man sollte sich also an Kritik an DIESEm Wiederaufbau zurückhalten, schließlich ist es Hans Döllgast zu verdanken, dass dieses Gebäude noch steht.

    Zitat

    An einer anderen Stelle spricht er davon, dass Hitler in der berühmten (und anscheinend unversehrten) Ludwigsstrasse vier elegannte Palais von Klenze abreißen lies (weil sie zu wenig monströs waren) und dort den Nazibau des heutigen Landwirtschaftsministeriums platzierte. Nach dem Krieg sei es typisch gewesen, dass der erste Bau, der in der Ludwigstraße denkmalgerecht wiederaufgebaut wurde, dieser Nazipalast war, während man andere wichtige Baudenkmale beseitigte.

    Viel schlimmer noch ist der Abriss des gegenüberliegenden Herzog-Max-Palais (in dem Sissi geboren wurde :D ). Bei diesem handelt es sich um den bedeutensten Palastbaus Klenze. Angeblich wurde das Palais "aus Versehen abgerissen, wie das passieren kann ist mir aber unklar.
    Soweit mir bekannt ist (Literatur: Nerdinger, Bärnreuther usw.) war das Ministerium nicht beschädigt worden.
    Das "Zentralministerium", heute Ministerium für Landwirtschaft:

    Weitere Informationn: http://plato.alien.de/muenchen/ns/zm.php

    Hier noch ein Bild des Reichsbankgebäudes, das an Stelle des erwähnten Herzog-Max-Palais errichtet wurde:

    Es ist zwar weitaus schlechter als das abgerissene Palais, passt sich aber in die Ludwigstraße ein:

  • Wow... was für eine Straße... leider macht die Breite Fahrbahn das Bild etwas kaputt... aber naja, dafür macht's sicher Spaß mit dem Auto da lang zu fahren...

    Hab aber gehört, dass von den Häusern keines mehr die originale Innenausstattung besitzt.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Habs wieder gefunden: Paul Wolf, 1938

    http://www.das-neue-dresden.de/gauforum.html

    Übrigens Thomas, sehr informative und gelungene Seite!