Bei meinem diesjährigen Usedom-Urlaub habe ich auch mal einen kleinen Abstecher nach Swinemünde gemacht.
Swinemünde, polnisch Świnoujście ist mit 41.000 Einwohnern die größte Stadt auf Usedom und war vor 1945 auch das bekannteste Seebad in der Gegend. Heutzutage kann man völlig problemlos von den Kaiserbädern aus mit einem normalen Stadtbus, mit der Bahn, mit dem Seebäderschiff oder mit dem Fahrrad hinüberfahren. Man fährt zwar über eine Grenze und in ein anderes Land, aber das ist mittlerweile nicht mehr viel spektakulärer, als wenn man über den Rhein von Mainz nach Wiesbaden fährt.
Über Swinemünde hatte ich mal vor Jahren, im "Spiegel" glaube ich, etwas gelesen von wegen "im Krieg völlig zerstört und anschließend als polnische Retortenstadt auferstanden". Da kann ja nicht mehr viel aus deutscher Zeit stehen, dachte ich. Völliger Quatsch. Die Stadt hat natürlich deutlich sichtbare Wunden und einige Bausünden, aber nicht mehr als viele heute noch deutsche Städte. Swinemünde hat seine Identität in weiten Teilen bewahrt - in der Innenstadt von Kassel sieht man weitaus weniger Vorkriegsbauten. Ich habe nur einen etwa zweistündigen Rundgang gemacht (mit dem Schiff hin und mit dem Bus zurück, kann ich empfehlen), daher ist die nachfolgende Galerie nur einigermaßen repräsentativ, aber nicht annäherend vollständig. Es steht noch sehr viel mehr, vom alten Rathaus bis zum historischen Leuchtturm - aber einen ganz guten ersten Eindruck vermittelt mein Rundgang auf jeden Fall.
Zu sehen sind in der folgenden Galerie viele im Originalzustand erhaltene und mustergültig restaurierte Altbauten aus deutscher Zeit - Bäderarchitektur, Villen und gründerzeitliche Stadthäuser (ich habe übrigens keinen einzigen modernistisch verhunzten Vorkriegsbau gesehen) sowie diverse angepasste bis historisierende Neubauten.
Zunächst ein paar Blicke aus Ufer bei der Einfahrt in den Hafen:
Dieses alte Foto hing an einem Schaukasten am Ufer - ich bin nicht ganz sicher, aber das könnte sogar ungefähr dieselbe Ansicht sein.
Wir gehen in Richtung Innenstadt, vorbei an ein paar um Einfügung bemühten Neubauten...
... bevor sich dann immer mehr ansehnliche Gründerzeitbebauung zeigt:
Im Hintergrund die 1788–1792 erbaute Christuskirche.
Wir gelangen zum ehemaligen Kleinen Markt.
Der Platz, der wie aus dem Ei gepellt aussieht, hat einige Namenswechsel hinter sich. Heute heißt er Plac Wolnosci - im 20. Jahrhundert musste er die Namen von zwei verschiedenen Massenmördern tragen. Da kann man mit dem heutigen Namen, der übersetzt Freiheitsplatz heißt, doch eigentlich sehr gut leben.
Noch eine Vorkriegsansicht
Wir gehen in die ulica Bohaterów Września, die ehemalige Lotsenstraße.
Solche alten Ansichten mit mehrsprachiger Erläuterung sind auf Tafeln an vielen Stellen in der Stadt zu sehen - Swinemünde bekennt sich offen zu seiner deutschen Vergangenheit.
Die deutsche Gegenwart ist auch schon da...
Weiter in der Fußgängerzone, in der sich erhaltene Altbauten und angepasste Neubauten abwechseln und einen recht harmonischen Eindruck hinterlassen.
Dieser auf alt gemachte Neubau ist natürlich etwas sehr gekünstelt geraten - gut gemeint ist nicht immer gut gemacht...
...aber immer noch weitaus besser als das, was sich direkt gegenüber erhebt:
Am anderen Ende der Straßenkreuzung dann ein sanierungsbedürftiger Altbau...
Und ein bisschen 20er oder 30er Jahre in der früheren Wasserstraße, heute Jana z Kolna
Ein Krankenhaus, das Szpital Miejski
Hofseite. Man beachte den...
behutsamen Erweiterungsbau. Bei uns wäre das mit Sicherheit ein modernistischer Glaskasten mit Flachdach - Hut ab!
Ein Blick in den weitläufigen und schönen Kurpark, der zum entspannten Flanieren einlädt. Durchschnitten wird er durch die ehemalige Königs-Allee, heute Bolesława Chrobrego
Seitlich des Kurparks kommt man an Wohnvierteln für die vermutlich Besserverdienenden vorbei. Oder für die polnischen Spießer - in einem Vorgarten sah man eine Springbrunnen-und-Wasserfall-Idylle mit Gartenzwergen.
Wir näheren uns dem Strand - hier beginnen die Gebäude mit den Ferienwohnungen.
Ein modernistisches Neubauprojekt, das so gar nicht hierher paßt.
Und da, restaurierte alte Bäderarchitektur! Ach, nein - doch nicht, wie der geübte Blick eines APH-Nutzers dann sogleich entdeckt: Es sind historisierende Neubauten.
Das Bemühen der Architekten und Bauherren, etwas von dem alten Flair zurückzuholen, ist deutlich erkennbar. Aber man merkt dann doch, dass solche Neubauten "im alten Stil" einfach kein adäquater Ersatz sind für echte historische Bauten der Bäderarchitektur. Aber keine Angst - die kommen auch noch!
Wir laufen nun die Strandpromenade entlang (einer der wenigen polnischen Straßennamen, die leicht zu schreiben, auszusprechen und zu merken sind - das ist die Promenada)
Am diesem Ende der sehr gepflegten und einladenden Flaniermeile (die Radfahrer haben eine eigene, parallel laufende Spur) scheint kaum ein Gebäude älter als 10 Jahre zu sein; alles nett, sauber, piccobello - aber eben auch nichts besonderes.
Hier ein paar Vorkriegsaufnahmen von der Promenade. Die Konzertmuschel steht auch heute noch; sie war allerdings mit einem Veranstaltungszelt verbaut, daher habe ich kein Foto gemacht. Die Seebrücke hingegen existiert - wie alle historischen Seebrücken der Ostsee mit Ausnahme der Ahlbecker Brücke - leider nicht mehr.
Durch viele Buden macht das Ganze streckenweise leider einen etwas jahrmarktartigen Eindruck, aber vielleicht wird sich da auch noch etwas ändern (etwas edlere Pavillons vielleicht?)
Und je weiter man in Richtung Ahlbeck geht, um so mehr Villen und andere Bauten aus der Vorkriegszeit säumen den Weg (wir laufen jetzt durch die Stefana Żeromskiego , die frühere Admiral-Scheer-Straße).
Hier ist es fünf vor Zwölf. Es wäre schade um dieses Haus.
Das ist allerdings die einzige leerstehende Bruchbude, die ich auf meinem Rundgang gesehen habe - sonst waren alle in einem passablen bis sehr guten Zustand.
Diese Seitenstraße namens Emilii Gierczak hieß bis 1935 Damenbadstraße, danach, dem Zeitgeist entsprechend, Carl-Peters-Straße.
Der Rundgang endet (weil hier die Haltestelle für den Bus nach Bansin ist) in der ehemaligen Friedrichstraße, heute Juliusza Słowackiego. Und diese Straße, das habe ich dann leider erst auf der Rückfahrt aus dem Bus gesehen, weist noch eine wunderbar geschlossene Vorkriegsbebauung mit diversen Villen auf. Wer also nach Swinemünde kommt, der mache bitte unter anderem hier noch ein paar Bilder.