Hallo S. Hartmann!
Architektur war immer Kunst im öffentlichen Raum, deswegen sollte meiner Ansicht nach auch der äußere Eindruck überwiegen. Die Innenwirkung eines Gebäudes kann noch so überwältigend sein, sie verschließt sich dem Betrachter, der nicht in diesem Gebäude wohnt oder arbeitet; nur eine Minderheit hat Zugang.
In Anbetracht dieser Tatsache, sehe ich es als Aufgabe der Architektur, endlich wieder Ausseneindrücke "überwältigend" zu gestalten und so dem Menschen (durch Rückbesinnung auf Ästhetik) wieder ein Stück Lebensqualität zurückzugeben.
Die Zeit der "form follows function -Einstellung" sollte eigentlich vorbei sein, aber ich denke manchmal, die Architektur steckt noch ziemlich in diesen Denkschienen drin. Es wäre vielleicht an der Zeit, mal einen Blick auf die anderen Gesellschaftsbereiche zu werfen:
Resümieren Sie mal, wieviele Utopien und Ideale im 19./20. Jahrhundert entstanden und nach zum Teil schmerzlichen Erfahrungen wieder verworfen wurden... Ich denke da nur an die Gesellschaftsutopien Europas (Kommunismus, Faschismus), an den Manchester-Kapitalismus, an die reine Apparate-Medizin, an den Glauben, die Ressourcen der Umwelt wären endlos... überall und an jeder Stelle wurden die anfänglichen (z.T. radikalen/unmenschlichen) Denkweisen überdacht, relativiert und angepasst. Die Architektur ist meiner Meinung nach noch nicht in diesen Denkprozess eingetreten, auch nach fast 100 Jahren hält sie im Grundsatz noch an den Ideen von Bauhaus fest (damals revolutionär-neu) , obwohl sich die Welt komplett gewandelt hat...
Das kommt mir manchmal vor, wie in einem Altersheim voller Alt-Kommunisten in Moskau, die immer noch nicht glauben wollen, das die Revolution verloren hat und es besser so ist....
Schade nur, das wir als Deutsche unserer Generation (zwischen 20 und 35) in solchen Städten leben müssen; ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich fahre in zwei Wochen in die Toscana und meine Seele wird wegen der alten, harmonisch-gewachsenen Stadtbilder wieder mal richtig Luft holen können. Und diese Stadtkunstwerke hatten wir in Deutschland wenigstens ein Dutzend...
Grüße aus Nürnberg