• Städter mögen Altbauwohnungen in Blockrand-Quartieren. Doch seit 100 Jahren baut sie keiner mehr: Die Geschichte einer verpönten Stadtform und warum ihr in Zürich eine Renaissance bevorsteht.

    "Die Moderne habe dabei versagt, städtische Räume zu schaffen, sagt Lampugnani. Das zeige sich auch in Zürichs Neubaugebieten: «Man hat eine Siedlung an die andere gereiht. Diese architektonischen Einheiten stehen für sich allein, gehen keine Verbindung miteinander ein. So entsteht keine Stadt.» Als Beispiel könnte auch Lampugnanis ETH-Institut dienen: Es liegt in einem 60er-Bau, zwischen Feldern auf dem Hönggerberg, abgekoppelt von der Stadt. Das Städtische gründet laut Lampugnani auf drei Stützen: 1. Wohnungen, Büros, Kleingewerbe, Läden und Restaurants müssen sich mischen. 2. Es braucht eine ausreichende Dichte an Häusern und Menschen. 3. Strassen, Plätze und Pärke müssen sorgfältig als öffentliche Räume gestaltet werden. «Die meisten Blockrand-Quartiere erfüllen diese Bedingungen. Sie sind heute, wie vor 150 Jahren, Bausteine einer lebendigen Stadt.»

    Ein weiterer Vorteil der Gründerzeithäuser liege darin, dass sie grosszügige, hohe Räume bieten. Ausser Bad und Küche sind die Zimmer nicht definiert. «In modernen Wohnungen geben die Grundrisse oft vor, wo man was tun muss.»

    Architektur als Sündenbock

    Die Abneigung gegen den Blockrand hält Vittorio Magnago Lampugnani für überholt. «Im Gründerzeit-Berlin waren Armut und Spekulation für die Probleme verantwortlich. Doch man hat sie der Architektur angelastet.» Das zeige sich heute: Die einst als «Mietskasernen-Wüsten» verschrienen Viertel haben sich längst zu beliebten Wohnlagen entwickelt. Auch Zehntausende Zürcher würden ihren Altbau niemals gegen eine umgrünte Randwohnung eintauschen."


    http://bazonline.ch/leben/wohnen/D…/story/31701677

    In dubio pro reko

  • Ich möchte darauf hinweisen, dass in einer letztes Jahr erschienenen Veröffentlichung innerhalb der SCHRIFTENREIHE STADTBILD DEUTSCHLAND e.V. (Harald Streck, "Was ist modern?") dieser Aspekt heutigen Bauens ausführlich thematisiert wird, und zwar im letzten Kapitel mit der Überschrift "Die wiederzugewinnende Stadtbaukunst".

  • Ein weiteres Loblied der Blockrandbebauung am Beispiel Zürichs (s.o.).

    Zitat

    Seit 15 Jahren strömen die Schweizer wieder in die Städte. Die Wertschätzung urbaner Qualitäten hat stark zugenommen. Wohnungen in Gründerzeit-Blockrandgevierten gehören zu den beliebtesten in Zürich. Sie bieten das umfassende Stadtgefühl. Ein weiteres Argument spricht für den Blockrand: Effizienz. Keine andere Wohnform schafft mehr Dichte.[...]

    Lernen vom 19. Jahrhundert - tagesanzeiger.ch

    Dann folgt aber das altes gutes Beispiel angeführte Wohn- und Gewerbebauprojekt "Kalkbreite" - heidewitzka, doch nicht so! :gehtsnoch:
    Das Genossenschaftsgebirge

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Mit dem Schließen von Blöcken ist es eben noch nicht getan. Damit bleibt man auf halbem Wege stehen. Schließlich wurden seit den siebziger Jahren geschlossene Blockstrukturen gebaut (z.B. Berlin Rollberge, Hamburg Steilshoop), die noch keineswegs Urbanität im Sinne der traditionellen europäischen Stadt zurückgewonnen haben. Vielmehr gehören zu der Blockrandbebauung folgende weiteren Komponenten: 1. Die bewusste Konturierung öffentlicher Straßen- und Platzräume, 2. parzellierte Grundstücke, auf denen sukzessive Wandlung, Erneuerung und Verbesserung des Häuserbestandes erfolgen kann und 3. eine Fassadenarchitektur, die dem Einzelgebäude eine auf den öffentlichen Raum bezogene repräsentative Ausstrahlung verleiht, im Sinne eines "Gesprächs" der Hausfassaden untereinander. Das will die heutige Architektenschaft noch immer n icht begreifen; sie denken noch immer in Kuben, mit denen man keine funktionierende Stadt bauen kann.

  • Du hast noch einen wichtigen Punkt vergessen: Die Einrichtung von gewerblich oder sonstwie nutzbaren, jedenfalls nicht ausschließlich Wohnnebennutzungen (Tiefgarageneinfahrt, Müllraum, Fahrradabstellraum, Kinderwagenabstellraum...) zugewiesenen Räumen im Erdgeschoss bzw. in der Sockelzone der Häuser - Wohnungen allein schaffen keine Urbanität.

  • Du hast noch einen wichtigen Punkt vergessen: Die Einrichtung von gewerblich oder sonstwie nutzbaren, jedenfalls nicht ausschließlich Wohnnebennutzungen (Tiefgarageneinfahrt, Müllraum, Fahrradabstellraum, Kinderwagenabstellraum...) zugewiesenen Räumen im Erdgeschoss bzw. in der Sockelzone der Häuser - Wohnungen allein schaffen keine Urbanität.


    Das ist richtig, aber schwierig zu verwirklichen unter den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen, die für kleinere Läden ungünstig sind. In Tübingen wurden mehrere Neubauviertel mit überwiegender Blockrandbebauung errichtet (ähnlich dem Vauban-Viertel in Freiburg), in denen eine gewerbliche Nutzung der Erdgeschosse vorgeschrieben ist. Dort stehen leider viele Ladenflächen leer oder werden nur von kirchlichen Sozialprojekten genutzt. Gut funktionierende Läden mit stärkerem Kundenandrang sind selten. Und das ist so, obwohl in Tübingen und insbesondere in jenen Neubauvierteln jede Menge gut verdienendes Bürgertum wohnt, von dem man annehmen kann, daß es kleine Läden und ökologisch korrektes Einkaufen in der Nachbarschaft in der Theorie gut findet.

  • Es müssen ja nicht nur Läden sein, die sich in Erdgeschossen ansiedeln. Das sind auch gute Räume für Arztpraxen, Büros, Entfaltungsräume für Gründer/Startups, Cafés usw. - die entsprechenden Freiheiten müssen natürlich eingeräumt werden. Oft zieht sich sowas auch über mehrere Jahre, bis es richtig belebt wird, sowas muss wachsen und sich etablieren.

    Blockrandbebauung ist jedenfalls eines der zentralen Themen, um unsere Städte zurückzugewinnen, zu reparieren. Hier der Wiki-Artikel dazu, den ich mittlerweile zahlreich verlinkt habe, um das mehr auf die Tagesordnung der Kommunen zu setzen (in diversen Medien findets schon vermehrt statt): https://de.wikipedia.org/wiki/Blockrandbebauung

  • ^ Und es zeigt sich, dass Städte, Planer und Meinungsmacher das zahlreich aufnehmen, wenn man es nur auffällig und häufig platziert. Willkommen in der neuen Gründerzeit! :thumbup:

    Hamburg will wieder dichte Blockrandviertel wie in der Gründerzeit bauen

    Aus den Fehlern der 60er- und 70er-Jahre hat Hamburg offensichtlich gelernt. Wie seinerzeit muss die Stadt heute wieder ganz verstärkt neue Wohnungen bauen. Aber dafür plant sie nicht mehr Hochhaussiedlungen auf der grünen Wiese, sondern sucht nach Potenzialen in der Stadt – "Innen- vor Außenentwicklung", so heißt der klar definierte Auftrag für die Stadtentwicklungsbehörde. Und dabei gelte es, die dem "jeweiligen Standort angemessene Bebauungsmöglich auszuschöpfen", sagt Oberbau­direktor Jörn Walter und verweist auf Vergleiche mit anderen Städten. Tatsächlich zeigt sich Hamburg in solchen Statistiken sehr aufgelockert: 23 Einwohner pro Hektar leben an der Elbe, in Berlin sind es 39 pro Hektar, in München 40 und in Wien sogar 41.

    http://www.abendblatt.de/hamburg/articl…burg-bauen.html

  • Hamburg will wieder dichte Blockrandviertel wie in der Gründerzeit bauen

    Aus den Fehlern der 60er- und 70er-Jahre hat Hamburg offensichtlich gelernt.

    Ich lese da nur von "höher und dichter", aber nichts von Blockrand?!

    "Innere Verdichtung" wurde in Hamburg bereits in den 80ern vom damaligen Oberbaudirektor thematisiert. Im damals gedachten und hier beschriebenen Sinne umgesetzt wurde sie aber kaum. Wenn "Innen" nennenswert gebaut wird, dann meist dort, wo größere Flächen aus ihrer Nutzung herausfallen (ehem. Industrie- oder Bahnanlagen, Kasernen etc.). In letzter Zeit durchaus mit beachtlicher Dichte, aber bisher leider ohne Blockrand - wodurch z.T. bedrückende Raumwirkungen produziert werden (s. z.B. die "Othmarscher Höfe" in Bahrenfeld oder das "Parkensemble Barmbek").

    Ich verstehe Stadtplaner und Architekten nicht. Sie haben europaweit funktionierende, beliebte und belebte städtische Strukturen und Architektur aus der Zeit vor 1914 vor Augen. In diesen Gebäuden zu wohnen ist vielerorts längst zu einem teuren Privileg geworden. Trotzdem bekommen sie es nicht auf die Reihe, dort einfach mal abzukupfern.

  • Steht in dem Artikel nicht, das stimmt. Allerdings stands so im Hamburger Abendblatt, der Artikel ist allerdings bereits kostenpflichtig.

    Jörn Walter ist durchaus ein guter Mann, der diese Vision anschieben und umsetzen kann. Es ist auch schon so einiges deutlich besser geworden in Hamburg in den letzten Jahren, auch architektonisch tut sich was, es entsteht geradezu eine Art Backsteinexpressionismus 2.0. Da hab ich Vertrauen.

  • Also, ich habe Tante Gugl ein wenig bemüht - dass erste neue Quartier in Hamburg fast komplett in Blockrandbebauung ist in der Tat bereit im Entstehen - die sogenannte "Neue Mitte Altona " auf dem Gelände des Altonaer Bahnhofs. Anbei ein Youtube-Werbevideo eines der beteiligten Projektentwickler, dass einen ganz guten Eindruck von dem Vorhaben vermittelt.

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  • Ach, da gibts noch einiges mehr und auch (architektonisch) Besseres! Ich verweise an der Stelle mal quer aufs deutsche SSC-Hamburg, dort wird von mehreren Forumern eine ganz individuelle Groß-Übersicht angefertigt, die Dimensionen sind schon beeindruckend!

    Übersicht Hamburger Großprojekte

    Wobei da natürlich längst nicht alle schönen kleineren Projekte dabei sind, da gibts viel Vorbildliches. Hamburg ist da mit Berlin deutschland- und geradezu europaweit Vorreiter im Wiederauflebenlassen der "europäischen Stadt". Einfach mal etwas im Hamburg-Forum dort stöbern (denke der Verweis ist legitim, da SSC einfach viel umfassender zu Projekten aller Art ist; dort verweise ich auch regelmäßig aufs APH).

  • Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst hat unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Sonne ein nettes Video zur Nutzung von Höfen im Blockrand erstellt, die Animationen sind schön klar und zeigen verschiedene Typologien und mögliche Nutzungen:

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