Interview in der NZZ: Ein Architekt versucht es sich schönzureden, dass er für eine Diktatur baut...
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NZZ: Lange glaubte man im Westen an eine politische Öffnung Chinas. Die Vorfälle rund um Tibet zeigen nun aber, dass in der Volksrepublik weiterhin die Menschenrechte mit Füssen getreten und Minderheiten unterdrückt werden. Wie erleben Sie das als in China tätiger Architekt?Jacques Herzog: Um diese Vorfälle und die Entwicklung im heutigen China ganz generell zu verstehen, sollte man dieses unermessliche Land nicht nur aus einem westlichen Blickwinkel betrachten. China hat eine ganz andere Geschichte als Europa, und die Gesellschaften haben sich deshalb ganz unterschiedlich entwickelt. China ist eine Hochkultur, die seit über 5000 Jahren besteht und in dieser langen Zeit Werke von unglaublicher Innovationskraft und Schönheit hervorgebracht hat. [...] Gleichzeitig hat China Verhaltensmuster hervorgebracht, die sich von den unseren unterscheiden. [...]
NZZ: Bietet China den westlichen Architekten Möglichkeiten, die sie zu Hause nicht haben?
Herzog: Wir bauen überall auf der Welt und haben keine Lieblingsorte. [...] Das Land ist für uns aber auch deswegen interessant, weil dort noch handwerkliche Traditionen vorhanden sind und eingesetzt werden können, die es hierzulande gar nicht mehr gibt. [...]
NZZ: Haben Sie keine moralischen Bedenken, Ihre Arbeit in China könnte das totalitäre Regime direkt oder indirekt bejahen?
Herzog: Nein. Wir sehen zwei mögliche Haltungen: Man kann sagen, in einem Land, das nicht unsere gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder moralischen Standards hat, engagiere ich mich nicht. Dann könnte man aber an vielen Orten nicht bauen, im Grunde nicht einmal im Amerika der Bush-Administration. Wenn man aber nach China geht, kann man sich für einen Prozess der Öffnung starkmachen. Im Kleinen – und ich möchte die Architektur nicht überbewerten – macht man das auch mit einem Bauprojekt.
NZZ: Historisch gesehen kommt es immer wieder zu einer Einvernahme der Architektur durch die Macht. Wie sehen Sie diese Problematik?
Herzog: Auch hier kann man zwei Haltungen unterscheiden. Entweder lässt man sich in eine Ideologie einspannen, oder man tut es nicht. Für die, welche diese Ideologie mitzutragen bereit sind, gibt es als Ausdrucksmittel die ideologische Architektur, die sich in den Dienst der Macht stellt und diese mit einer eigenen Ästhetik auszudrücken sucht, wie das die Nazi-Architekten oder die stalinistischen Architekten machten. Wir setzten in China ganz entschieden nicht auf eine derartige Ästhetik. Vielmehr drückt unser Design eine radikale Freiheit aus. Das Interessante am Olympiastadion ist vielleicht weniger die kühne Form als vielmehr die Tatsache, dass es ein Potenzial hinsichtlich des öffentlichen Raums besitzt wie kein zweites Projekt in China. Es ist eine begehbare Skulptur in der Art des Eiffelturms, wo die Menschen sich treffen können. Das Stadion ist die öffentliche Plattform des neuen Peking. So gesehen ist dieses Gebäude eine Art trojanisches Pferd: Es will zwar keinesfalls etwas zerstören, aber es wird eine Wirkung haben. [...]
NZZ: Wie reagieren Sie auf den Vorwurf, die grossartige Architektur Ihres Stadions habe nur in einem autoritären System und nur auf Kosten von rechtlosen Wanderarbeitern realisiert werden können?
Herzog: Je komplexer eine Bauaufgabe, desto qualifiziertere Leute braucht es auf allen Ebenen der Planung und Ausführung. Das Olympiastadion ist ein sehr komplexes Objekt, an dem die Chinesen für die Zukunft viel lernen konnten. Wie bereits gesagt, versuchen wir einen Prozess der Öffnung zu unterstützen und gewiss nicht den Status quo zu zementieren. Die billigen Arbeitskräfte sind eine Tatsache. [...]
NZZ: Wir Europäer sehen in unseren Kulturschaffenden – anders als in Firmen und Investoren – gerne moralische Vorbilder. Steven Spielberg, Sharon Stone und andere Schauspieler sowie der Künstler Ai Weiwei haben die chinesische Politik kritisiert. Fühlen Sie sich da nicht auch gefordert?
Herzog: Ich möchte hier noch einmal betonen, dass wir das Nichtbeachten von Menschenrechten auf das Schärfste verurteilen. Aber wir sind vergleichsweise unbedeutend. Wenn wir nun öffentlich verkünden würden, Herzog & de Meuron distanzieren sich wegen der jüngsten Entwicklung im Bereich der Menschenrechte von ihrem Stadion und gehen nicht an die Eröffnung der Olympischen Spiele, so wäre das lächerlich und hätte darüber hinaus keinerlei Wirkung, weil es der Regierung ganz einfach egal wäre. Vielleicht wäre es ihnen sogar recht, denn die Karten sind heiss begehrt. [...]
Quelle: http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/ein_sporttempel_fuer_einen_totalitaeren_staat_1.752586.html\r
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/li ... 52586.html