Denkmalschutz für Nachkriegsbauten

  • ...Das Klinikum Aachen zB finde ich aber architektonisch noch deutlich interessanter und imposanter.

    Das liegt sicher auch daran, dass das Klinikum in Aachen eher ein Unfall, als so geplant ist. Es zeigte sich, dass der Boden nicht tragfähig genug war und so kam es während des Baus zu extremen Setzungen. Die Versorgungs und Abwasserleitungen unter dem Klinikum brachen zum teil und mussten sehr aufwändig erneuert werden. Als die Setzungen in den 70ern am unfertigen Rohbau begannen wurde der Bau sofort eingestellt. Es sollte ursprunglich viel höher werden (zwischen den Türmen) und daher hat das Klinikum nun ein anderes, schrofferes Aussehen, als der Architekt ursprünglich geplant hatte.

  • Wenn hier so forsch geschrieben wird, dass ästhetische Belange keine Rolle spielen dürfen, sondern gleichberechtigt alle baulichen Repräsentanten der Zeitgeschichte quasi abgedeckt werden müssen, dann möge man mir sagen, warum Industriehallen, Verwaltungsbauten in Gewerbegebieten, Parkhäuser, Autowaschanlagen nicht exemplarisch und flächendeckend unter Denkmalschutz gestellt werden sollten?
    Ansonsten bin ich der Meinung, dass eine fotografische Dokumentation hässlicher Gebäude - und ja, es gibt da Maßstäbe des objektiven Empfindens und nicht alles ist grundsätzlich gleichwertig (welch kruder Gedanke überhaupt) - ausreichend ist. Mit den Bauten selbst muss man sich nicht das Leben belasten, quasi büßen für die Geisteshaltung und das gestalterische Unvermögen der Erbauungszeit. So ist es m. E. irre, fast alle Bauten rund um den Alexanderplatz, die Thälmann-Park-Siedlung, die Rathäuser von Elmshorn und Ahrensburg etc. etc. - und da gibt es sehr wohl einen erschreckenden Trend! - vermehrt unter Denkmalschutz zu stellen.

    Am Beispiel Hamburgs diese vernünftige Meinungsäußerung:http://www.zeit.de/2014/33/denkma…user-innovation

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ganz abgesehen von ästhetischen Gründen gibt es auch noch ganz praktische gegen diese : Der Denkmalschutz ist ja jetzt schon total überfordert, wenigstens das zu schützen was von vor '45 übrig geblieben ist. Land auf Land ab wütet eine Abrissorgie sondergleichen und der Denkmalschutz schaut hilflos zu. Die immer begrenzter werdenden Ressourcen jetzt auch noch mit anfälligen Beton-Brutalismus-Bauten aus den 60er/70er zu teilen ist in dieser Situation doch einfach nur absurd. (was heißt "jetzt": wir ja schon mitten im Prozess: vor 20 Jahren entdeckte man die 50er Jahre wieder und jetzt hat sich der Denkmalschutz langsam bis in die 70er vorgearbeitet, immer mit dem Tenor "schwierig, keiner will diese Gebäude, ästhetisch eigentlich eine Katastrophe, schwierig zu unterhalten ABER...und dann folgt seitenlange Erklärungen warum man das dann doch erhalten muss, und warum solche Gebäude und deren Architekten total unterschätzt sind, und überhaupt ist sind sie eigentlich doch ganz schön...)
    Wenn der Bau auf der grünen Wiese steht ist es noch verschmerzbar, aber oft befinden sich diese Bauten ja mitten in den Stadtzentren und vernünftige Stadtbildreparatur wird mit solchen Unterschutzstellungen unmöglich gemacht. Wo wären wir in Frankfurt wenn das technische Rathaus noch stünde? Wurde bei diesem nicht auch versucht, noch kurz vor Abbruch den Denkmalschutzstatus zu erwirken? Der einzige Ausweg wäre, wenn spätere Generationen die Entscheidung bereuen, das Gebäude dann gezielt verfallen zu lassen und dann aus wirtschaftlicher Unzumutbarkeit abzureissen, was aber den Denkmalschutz insgesamt schwächt und weiter aushöhlt.

  • @vulgow: Warum die Belanglosigkeiten in der Peripherie nicht unter Denkmalschutz gestellt werden, könnte daran liegen, dass sie auch von den Denkmalämtern als baugeschichtlich nicht relevant erachtet werden.

  • [color=#000000]Wenn hier so forsch geschrieben wird, dass ästhetische Belange keine Rolle spielen dürfen, sondern gleichberechtigt alle baulichen Repräsentanten der Zeitgeschichte quasi abgedeckt werden müssen, dann möge man mir sagen, warum Industriehallen, Verwaltungsbauten in Gewerbegebieten, Parkhäuser, Autowaschanlagen nicht exemplarisch und flächendeckend unter Denkmalschutz gestellt werden sollten?

    Also exemplarisch und flächendeckend widerspricht sich ja erstmal... abgesehen davon ist das ja so, z.B. das Parkhaus Hauptwache in Frankfurt, die Schwanentorbrücke in Duisburg. Auch Prora würde ich z.B. jetzt nicht unbedingt als ästhetisch bezeichnen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ich zitiere mal exemplarisch aus dem Sächsischen Denkmalschutzgesetz:

    " Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind von Menschen geschaffene Sachen, Sachgesamtheiten, Teile und Spuren von Sachen einschließlich ihrer natürlichen Grundlagen, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen. städtebaulichen oder landschaftsgestaltenden Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt." (Andere Denkmalschutzgesetze sind ähnlich)

    Der Kritierienkatalog ist eine oder-Aufzählung. Von Schönheit oder Ästhetik steht da nichts - "künstlerische Bedeutung" ist nicht identisch mit schön. (Ich finde z.B. die Bilder von Otto Dix auch nicht schön oder ästhetisch. Künstlerisch bedeutend sind sie allemal.)

    Die Denkmalpflege versucht, objektive wissenschaftliche Kriterien für ihre Arbeit zu finden und zu nutzen. Der Geschmack der Betrachter ist mit diesen Kriterien nicht notwendigerweise deckungsgleich. Das heißt noch lange nicht, dass deswegen gezielt Dinge geschützt werden, die "häßlich" sind. Jüngere Bauten entsprechen oftmals nicht den gängigen ästhetischen Kriterien - das ist aber nicht die "Schuld" der Denkmalpflege. Diese kann nur die Denkmaleigenschaft er- und begründen, sie arbeitet naturgemäß mit dem, was sie vorfindet.

    Zu Recht wird hier die mangelnde finanzielle und personelle Ausstattung der Denkmalpflege bemängelt. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen den Absichten des Gesetzgebers und den finanziellen Zielen der jeweiligen Landesregierungen. Sollen die Denkmalbehörden deswegen aufhören, ihre Arbeit zu machen, so gut sie eben können? Das dürfte wohl kaum das Ziel sein. Also wird die Denkmalpflege weiterhin unter Anwendung der gesetzlich festgeschriebenen Kriterien auch neue Denkmale ausweisen.

  • Ich spreche mich ganz klar gegen Denkmalschutz für Nachkriegsbauten aus - warum? Diese Bauten sind meist aus Mangel an Material zu Stande gekommen, auf Ästhetik konnte da ned groß geachtet werden....hauptsache sie waren funktional. Es waren schlichtweg Notbauten! Und was so manche Architektur der 70iger Jahre anbelangt, kann ich nur sagen "ist des Kunst oder kann des weg?"

  • Ich spreche mich ganz klar gegen Denkmalschutz für Nachkriegsbauten aus - warum? Diese Bauten sind meist aus Mangel an Material zu Stande gekommen, auf Ästhetik konnte da ned groß geachtet werden....hauptsache sie waren funktional. Es waren schlichtweg Notbauten!

    Diese Behauptung ist m.E. nicht zu halten. Gerade in den 50er-Jahren sind eine Vielzahl von Unternehmen sehr schnell wieder zu Geld gekommen und konnten sich sehr opulente Geschäftsbauten leisten, bei denen sehr wohl ein großer Wert auf Ästhetik gelegt wurde. Nur weil diese nicht Deiner Ästethik entspricht, kann man dies den Bauten nicht generell absprechen.

    Beispiele gefällig? Bitteschön:

    - Blau-Gold-Haus (1952), Köln
    - Gerling-Viertel (um 1953), Köln
    - Haus Hardenberg (1956), Berlin
    - Haus der Kulturen der Welt (1957), Berlin
    - Junior-Haus (1951), Frankfurt a. M.
    - Alte Kongresshalle (1952), München


    Edit: Natürlich gibt es auch Notbauten, die als Zeugnis ihrer Epoche m.E. zu recht unter Denkmalschutz stehen, wie z.B. der Bochumer Katholikentagsbahnhof. Diese Gebäude haben aber eine sehr kleine Lobby, ohne Denkmalschutz gäbe es sie vmtl. gar nicht mehr.

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    Karl Kraus (1874-1936)

    Einmal editiert, zuletzt von Booni (9. Dezember 2015 um 00:43) aus folgendem Grund: Ergänzung

  • Prinzipiell stimme ich zu, dass Ästhetik sicherlich nicht das ausschlaggebende Kriterium sein kann und darf.

    Zu Recht wird hier die mangelnde finanzielle und personelle Ausstattung der Denkmalpflege bemängelt. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen den Absichten des Gesetzgebers und den finanziellen Zielen der jeweiligen Landesregierungen. Sollen die Denkmalbehörden deswegen aufhören, ihre Arbeit zu machen, so gut sie eben können? Das dürfte wohl kaum das Ziel sein. Also wird die Denkmalpflege weiterhin unter Anwendung der gesetzlich festgeschriebenen Kriterien auch neue Denkmale ausweisen.

    Da muss man dann eben Prioritäten setzen und diese können sicherlich nicht auf Gebäude der sechziger/siebziger Jahre liegen wenn andernorts bedeutende Gebäude aus dem Mittelalter oder der Barockzeit zerstört werden. Teilweise weil man erst nach dem Abriss festgestellt hat wie alt sie tatsächlich sind, teilweise aufgrund der Untätigkeit der Denkmalschutzbehörden: Überhaupt, es gibt noch so viele Gebäude die überhaupt nicht erfasst sind! Als ob da noch nicht genug Arbeit wäre.
    Wenn man dann einschlägige Fachpublikationen der Denkmalschutzbehörden der letzten Jahre und Monate liest, wie zum Beispiel die Denkmalpflege Informationen (lustig, ohne es zu vorher gewusst zu haben: die letzte Ausgabe vom Juli 2015 ziert eines dieser Ergüsse aus 60er Jahren) vom BLfD oder vor kurzem die "Monumente", die einen Aufmacher mit dem Thema hatte, dazu das Gejammer, welche Kostbarkeiten uns da verloren gingen (als ob diese Zeit eine besondere architektonische/gesellschaftliche Blüte darstellen würde!) und immer diese subtilen Hinweise was für Vorzüge diese Gebäude hätten und was für unglaublich verkannte Genies deren Architekten waren, gleichzeitig aber nebenan wertvollste historische Bausubstanz vernichtet wird, frägt man sich schon ob die Damen und Herren die dort in den Behörden und Stiftungen arbeiten noch ganz bei Trost sind. Der bayerische Landeskonservator hat ja bei seinem Amtsantritt sogar gesagt, dass diese Bauepoche einer seiner Prioritäten wird. Vielleicht hat dort ein Ermüdungsprozess eingestellt und man langweilt sich mit wirklich alter Bausubstanz, so dass man sich mit solchen Dingen beschäftigen will... :schockiert:
    Der einzige Trost ist, dass das gemeine Volk für solche Gebäude keine Spenden gibt bei einer Restaurierung (außer vielleicht noch im Falle der Kirche am Ort), wie kürzlich ein Mitarbeiter des Denkmalschutzes in einem TV Beitrag beklagt hat. Viele Menschen die für den Denkmalschutz spenden, haben noch eher ein Gespür wo die Prioritäten gesetzt werden müssen oder eben nicht.

  • Ich zitiere mal exemplarisch aus dem Sächsischen Denkmalschutzgesetz:

    " Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind von Menschen geschaffene Sachen, Sachgesamtheiten, Teile und Spuren von Sachen einschließlich ihrer natürlichen Grundlagen, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen. städtebaulichen oder landschaftsgestaltenden Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt." (Andere Denkmalschutzgesetze sind ähnlich)

    Gesetze kann man ändern und präzisieren. Schönheit ist ebenso wie Wahrheit keine Kategorie, es ist hypertropher Anspruch. Ich glaube es wäre gut "Stadtbildlichkeit" in solche Gesetze zu übernehmen.

  • Ich spreche mich ganz klar gegen Denkmalschutz für Nachkriegsbauten aus - warum? Diese Bauten sind meist aus Mangel an Material zu Stande gekommen, auf Ästhetik konnte da ned groß geachtet werden....hauptsache sie waren funktional. Es waren schlichtweg Notbauten!

    Und was ist mit Bauten des Stalinklassizismus? Die sind ja geradezu Protzarchitektur und entsprechen häufig dem traditionellem Verständnis von Ästhetik, wenngleich sie mit dieser Ästhetik auch spielen. Natürlich ist der Kontext in dem sie entstanden sind abzulehnen, dennoch, ganz häßlich sind sie nicht!

    http://www.feg-leipzig.de/wp-content/upl…02/IMGP6316.jpg

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…tmarkt_2011.jpg

    http://mw2.google.com/mw-panoramio/p…um/58357545.jpg

    http://www.sichtbarkeiten.de/wordpress/wp-c…mg_3312_web.jpg

  • Danke Kaoru für die Ergänzung. Ich denke, die Bauten des Stalinklassizismus sind das ostdeutsche Gegenbeispiel zur deutschen Nachkriegsmoderne und in vielen Fällen ebenfalls schützenswert. Bei der WBS 70 dagegen reicht es, wenn man aufgrund des fehlenden Ortsbezuges in der Gestaltung ein (kleineres) Exemplar museal erhält.

    Welches Gebäude ist das auf Deinem dritten Link (http://mw2.google.com/mw-panoramio/p…um/58357545.jpg)? Es scheint mir unbekannt, evtl. liegt es aber auch nur an der Perspektive.

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    Karl Kraus (1874-1936)

  • Dem zuletzt von thommystyle geschriebenen stimme ich völlig zu, insbesondere auch was die Denkmalpflege-Infos und das Heft "Monumente" betrifft. Letzteren habe ich schon mal geschrieben, daß sie aufgrund der Ergüsse zu ihren Nachkriegswunderwerken von mir nicht mehr mit weiteren Spenden rechnen brauchen.
    Nebenbei, die aktuelle Denkmal-Info für den Monat November lässt auf sich warten. Gestern war ich in der Innenstadt. Der wunderbare Innenhof der Münze, die Residenz der Denkmalpflege, scheint unter der Woche regelmäßig vollgeparkt mit Autos zu sein, toll...

    Problematisch finde ich bezüglich dem Denkmalschutz insbesondere Gebäude wie in München die "Murxburg" (Neue Maxburg) oder das Stadtsteueramt (München - Kriegs- und Nachkriegsverluste) sowie in Nürnberg z.B. Pellerhaus. Architekturen, die in einer Altstadt nichts zu suchen haben und abgerissene bzw. untergegangene großartige einstige Baukunst, die zwingend rekonstruiert hätte werden müssen, heute "besetzen".

    Keine Frage es gibt Denkmalschutzwürdiges nach 1945. Aber dann darf in Zeiten finanzieller und personeller Knappheit in den Behörden ja nun wirklich dies keine Priorität haben.

    Gespannt kann man sein, was z.B. in den nächsten Jahren in M von den Bauten der 70er Jahre denkmalgeschützt wird, insbesondere in Bezug auf den Kaufhof-Komplex am Marienplatz, den die Münchner Stadtbaurätin Merk ja unbedingt unter Denkmalschutz stellen möchte. Siehe München.

    2 Mal editiert, zuletzt von Markus (9. Dezember 2015 um 14:09)

  • Welches Gebäude ist das auf Deinem dritten Link (http://mw2.google.com/mw-panoramio/photo…um/58357545.jpg)? Es scheint mir unbekannt, evtl. liegt es aber auch nur an der Perspektive.

    Das ist das sog. Parkschloß in Markkleeberg:

    http://4.bp.blogspot.com/-ma3egq1xFcY/V…Br%C3%BCcke.JPG

    off topic: Man beachte auch den nebstliegenden Herfurthschen Park mitsamt sog. Weißem Haus, der natürlich kein Stalin-klassizismus ist, aber interessanterweise eines der frühsten Beispiele von Neoklassizismus. Da baut man um 1900 ein Schloß und Park, das aussieht als sei es von 1820 (aber auch nur oberflächlich, es finden sich auch eklektizistische Elemente)

    http://www.agra-park.info/sites/default/…samtansicht.jpg

    http://www.agra-park.info/sites/default/files/reis.jpg

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (9. Dezember 2015 um 22:46)

  • Das Parkschloss ist mir tatsächlich nicht bekannt, der Bau gefällt mir aber außerordentlich gut. Danke für die Infos.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Da muss man dann eben Prioritäten setzen und diese können sicherlich nicht auf Gebäude der sechziger/siebziger Jahre liegen wenn andernorts bedeutende Gebäude aus dem Mittelalter oder der Barockzeit zerstört werden. Teilweise weil man erst nach dem Abriss festgestellt hat wie alt sie tatsächlich sind, teilweise aufgrund der Untätigkeit der Denkmalschutzbehörden: Überhaupt, es gibt noch so viele Gebäude die überhaupt nicht erfasst sind! Als ob da noch nicht genug Arbeit wäre.

    Wer fühlt sich denn berufen, die Kriterien für denkmalpflegerisches Handeln festzulegen? Auf welcher Grundlage?
    Wonach soll entschieden werden, was denkmalwürdig ist? Baujahr? Ist alles nach ´45 unwichtig? Warum dann 1945? Oder darfs auch 1950 sein? 1960? 1970? Wann fängt Geschichte an?
    Oder ist der Maßstab dann doch ästhetisch zu wählen? Nur was "schön" ist, darf Denkmal sein? Wer legt dann fest, was "schön" ist?
    Oder fallen bestimmte Gebäudetypen raus? Wohnungsbau? Bürobauten? Industrieanlagen? Oder Materialien - Ziegelbau darf, Beton nicht?

    Was soll Denkmalpflege erreichen? Soll sie eine historische Hilfswissenschaft sein, die dazu dient, überkommen Zeugnisse menschlichen Handelns zu erhalten? Oder soll sie eine Stadtbildpflege und Pflege des Landschaftsbildes betreiben? Ästhetische Sehgewohnheiten vermitteln?

    So wie es gegenwärtig gehandhabt wird, ist Denkmalpflege m.E. als historische Hilfswissenschaft zu verstehen, als Verwalter eines gebauten Archives (die Archive landauf, landab klagen auch alle über mangelnde Mittel, zu wenig Personal und meist zu wenig Platz, fällt mir dabei ein).
    Da zu sagen, einen Teil des Archivgutes ignorieren wir einfach mal, geht nicht.

  • Und was ist mit Bauten des Stalinklassizismus? Die sind ja geradezu Protzarchitektur und entsprechen häufig dem traditionellem Verständnis von Ästhetik, wenngleich sie mit dieser Ästhetik auch spielen. Natürlich ist der Kontext in dem sie entstanden sind abzulehnen, dennoch, ganz häßlich sind sie nicht!

    An solche Gebäude habe ich zugegebenermaßen garnicht gedacht. Mir kam natürlich als erstes die gängige Nachkriegsarchitektur in den Sinn....wobei entsprechende Scheußlichkeiten ja schon in den 20iger Jahren entstanden. Die "schwangere Auster" in Berlin hingegen, wäre für mich genau so wenig denkmalwürdig wie die "Flunder" in München am Giesinger Bahnhof (die 2013 abgerissen wurde). Von den quadratisch, praktisch, langweiligen Schachteln der Nachkriegszeit, mag ich gar ned reden.
    Freilich, es gibt noch heutige Bauten welche allemale denkmalwürdig sind - daß die Frage der Ästhetik und der Baukunst beim Denkmalschutz keine Rolle spielen sollen, ist mir persönlich unverständlich.

  • ...- daß die Frage der Ästhetik und der Baukunst beim Denkmalschutz keine Rolle spielen sollen, ist mir persönlich unverständlich.

    Im sächsischen Denkmalschutzgesetz steht die "künstlerische Bedeutung" als eines von mehreren Kriterien ausdrücklich drin. Kunst kann also beim Denkmalschutz eine Rolle spielen, und spielt sie auch oft genug. Es ist eben nur nicht das einzige Kriterium für Denkmalschutz. Ästhetik im Sinne von "Schönheit" ist eher subjektiv. Der Begriff "Kunst" ist natürlich auch nicht völlig objektiv fassbar. Aber eine künstlerische Bedeutung läßt sich wahrscheinlich insgesamt eher einigermaßen objektiv erfassen als "Schönheit".

  • Booni:
    'Flächendeckend' ist eher wie "deutschlandweit pro menschliche Ansiedlung" gemeint und widerspricht sich demzufolge nicht grundlegend mit 'exemplarisch'.
    Darüber hinaus ist doch klar, dass nicht die gesamte Nachkriegszeit vom Denkmalschutz ausgenommen werden sollte - aber nach 1950 wird es m. E. nunmal verdammt dünn. Deshalb gibt es für mich da auch keine Gleichsetzung/Nivellierung von Baukunst und Bewahrenswertem/ -würdigem gegenüber Pipifax und Schrottbauten.
    ---
    Das Haus 'Marktplatz N°17' in Lübeck, obzwar keine klassische Bausünde, ist übrigens unter Denkmalschutz stehend; recht deutlich fällt im nachfolgend verlinkten Bild der Unterschied zwischen Menschheitserbe und Belanglosigkeit aus - und das ist nicht einfache Geschmacksfrage. Deshalb schönen Dank auch für die Unterschutzstellung/Perpetuierung des minderwertigen Zustands dieses Teils des Lübecker Markts.
    https://lh3.googleusercontent.com/-rzHzfx9SUzk/U…40427231114.jpg
    Wer es nicht zuordnen kann, es ist das Gebäude ganz links vor der Marienkirche.  :lockerrot:

    http://media05.myheimat.de/2012/11/07/239….jpg?1352300484

    http://p5.focus.de/img/fotos/orig…nkmalschutz.jpg

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Okay, danke für die weiteren Ausführungen. Bei Markt 17 in Lübeck stimme ich Dir zu, dieses Haus ist zwar typisch für die norddeutschen 50ern, aber irgendwie sowas von gesichtslos, dass eine Unterschutzstellung für mich auch etwas merkwürdig wirkt. Oder ist es das erste Haus der Wiederaufbauzeit oder auf sonstige Art und Weise bedeutend?

    Ich selber habe lange Zeit mit sämtlicher Nachkriegsarchitektur gehadert, mittlerweile gefallen mir aber viele Bauten der 50er und manchmal noch der frühen 60er Jahre ganz gut. Wenn, wie bei den von mir verlinkten Beispielen, damals schon ein gewisser Gestaltungsanspruch vorhanden war, ist ja meist auch was ansehnliches bei herausgekommen. Für eine ordentliche Fassade und erträgliche Dimensionen braucht es keinen Stuck. Die Bauhausmoderne ist ja m.W. auch mit dem Anspruch gestartet, eine Architektur zu entwerfen, die den damals neu aufkommenden Baumaterialien genüge tut, da den Bauhausarchitekten die Massen an Gründerzeitlern mit Katalogbestuckung aus der Fabrik als nicht mehr zeitgemäß vorkam. In den 50ern sind dann ja wirklich interessante Dinge entstanden, die Giesinger Flunder kannte ich bis dato z.B. gar nicht.

    Wo ich mir allerdings sehr schwer tue ist die Akzeptanz von maßstabssprengenden Großbauten wie die Dortmunder WestLB von Harald Deilmann, die ebenfalls unter Denkmalschutz steht. Die Architektur ist in ihrer Art und Weise schon stark herausstechend und aus meiner Sicht auch denkmalwürdig. Allerdings zementiert sie die in diesem Gebiet fehlende Altstadtstruktur, das Viertel wurde aufgrund des höhen Zerstörungsgrades damals völlig neu zugeschnitten. Außerdem wirkt das Gebäude eher von oben als aus der Fußgängerperspektive, so dass man mit einem Modell im Maßstab 1:25 (o.ä.) im Dortmunder Stadtmuseum vielleicht auch Vorlieb nehmen könnte.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)