München - die Kirchen (Galerie)

  • Bevor es hier wieder weitergeht, noch eine Meldung aus aktuellem Anlass im Zusammenhang mit der Hofkapelle der Residenz: dort liegt in diesen Tagen ein Kondolenzbuch zum Tod von Franz Beckenbauer aus, in das man sich eintragen kann. Ich finde die Idee, das Kondolenzbuch in der Hofkapelle auszulegen, natürlich sehr passend für den Kaiser :)

    Beckenbauer-Hofkapelle-1.jpeg

    Beckenbauer-Hofkapelle-2.jpeg

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Kommen wir zur letzten vor dem 1. Weltkrieg in der Münchner Altstadt gebauten Kirche.

    St. Willibrord (altkatholisch; ursprünglich anglikanische Kirche St. Georg; neugotisch)

    Blumenstraße 36
    Erbaut 1911-13
    Typus: Einfacher Saalraum mit kreuzgratgewölbtem Altarraum und rückwärtiger Empore

    53471405298_07434865ce_h.jpg

    53471577594_ff9af29418_h.jpg

    53471577599_ab4d5efb4e_h.jpg


    Baugeschichte:

    - 1911 Grundsteinlegung in der ab 1873 angelegten Grünanlage an der Blumenstraße im Bereich des ehemaligen Stadtgrabens anstelle des abgebrochenen Glockenbachbrunnhauses, 1913 Fertigstellung, 1914 Weihe mit Patrozinium St. Georg. Die Ausstattung ist schlicht im Sinne einer englischen Landkirche: nur die 11 Bildglasfenster der Münchner Firma F. X. Zettler, das Taufbecken sowie das neugotische Altarretabel sind nennenswert.
    - Mit Kriegsbeginn August 1914 Auflösung der englischen Gemeinde, die auch 1918 nicht wieder aufgebaut wird; die Kirche bleibt aber in englischem Besitz. Ab 1919 wird die Kirche von den Altkatholiken gemietet, die diese schließlich 1929 den Engländern abkaufen. 1930/31 Einbau von Glocken in den Turm (welcher vorher keine besaß) und einer neuen Orgel.
    - 1944 schwere Schäden: Innenraum vollständig zerstört, nur Turm, Chorraum und Westmauer bleiben stehen.
    - Ab 1946 erste Notmaßnahmen wie z.B. die Eindeckung des Turmes, ab 1948 dann der Wiederaufbau der Ruine in äußerlich originalgetreuer Form, innen aber komplett neu und sehr schlicht; nur der Taufstein und das Holzrelief mit dem Letzten Abendmahl aus dem alten Altarretabel können aus der alten Kirche übernommen werden. Das ursprüngliche hölzerne Tonnengewölbe wird durch eine ebenfalls hölzerne Flachdecke ersetzt.
    - 1949 Neuweihe unter dem Patrozinium St. Willibrord
    - 1955-57 Herstellung eines neuen farbigen Glasfensters für das Chorfenster nach Entwürfen von Jean Krille und Ludwig Maurer-Franken, außerdem Ersetzung der Nachkriegs-Holzdecke durch eine moderne Akustikdecke; 1962 Aufstellung eines Volksaltars und Versetzung des Tabernakels an die Seite; 1963 neuer Bronzedeckel für den Taufstein; 1964 neue Tabernakeltüren aus Bronze und neues Altarkreuz aus Messing; 1965 neues Relief für die Kanzel und neue Orgel.
    - 1972 Renovierung der Fassaden und Neuanstrich des Inneren; 1981 Ausbesserung von Rissen, die durch den U-Bahn-Bau am benachbarten Sendlinger Tor entstanden waren.
    - 1983 und 1991 Sanierung des feuchten Unterraums: der feuchte Schutt der zerstörten Kirche war nach dem Krieg teilweise in die Unterkirche geräumt worden und griff mit seiner Feuchtigkeit die Bausubstanz an; nun wird der Schutt entfernt und im freigewordenen Raum ein Gemeinschaftssaal mit Küche eingerichtet (Döllingersaal genannt in Anlehnung an Ignaz von Döllinger, einen der geistigen Väter der Altkatholischen Kirche). Außerdem wird ein neuer Eingang auf der Nordseite der Kirche eingerichtet, da der bisherige Eingang auf der Südseite direkt am vielbefahrenen Altstadtring lag und bei größerem Andrang etwas gefährlich zu benützen war; zusätzlich wird auf der gleichen Seite eine überdachte Treppe als Zugang zur Unterkirche hinzugebaut.
    - 2010 Beseitigung der Akustikdecke von 1957 und Einbau einer Satteldachdecke aus Holz; 2011 Neugestaltung des Altarraums: neuer Altar, Ambo und Osterkerzenleuchter.


    Die altkatholische Kirche St. Willibrord am Rande der Altstadt ist sicherlich eine der unbekannteren Kirchen der Innenstadt: sie steht zwar am vielbefahrenen Altstadtring, ist aber auf der einen Seite durch die Bäume der benachbarten Grünanlage etwas versteckt, während auf der anderen Seite die Autos vorbeirauschen. Außerdem ist sie fast immer geschlossen.
    Die Kirche wurde 1911-13 als anglikanische Kirche St. Georg für die englische Gemeinde in München gebaut, konnte aber aufgrund bürokratischer Probleme erst im Mai 1914 geweiht werden; unglücklicherweise brach ein paar Monate später der 1. Weltkrieg aus und die englische Gemeinde musste als Angehörige eines feindlichen Landes die Stadt München verlassen. Nach dem Krieg wurde die englische Gemeinde nicht wieder aufgebaut und somit konnte die Kirche ihren ursprünglichen Zweck leider kaum ausüben. 1929 kaufte die altkatholische Gemeinde den Engländern schließlich die Kirche ab und benützt sie bis heute; nach dem 2. Weltkrieg wurde sie zur Feier des Wiederaufbaus unter dem Patrozinium St. Willibrord neu geweiht. Seit 1974 bietet sie außerdem der rumänisch-orthodoxen Kirchengemeinde Münchens Heimat, weswegen im Altarraum auch zwei Ikonen stehen.

    Das Innere der neugotischen Kirche, die an englische Landkirchen erinnern sollte, war auch schon in seiner ursprünglichen Fassung recht schlicht; beim Wiederaufbau nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg wurde der neugestaltete Innenraum noch schlichter und leerer gestaltet. Trotzdem wirkt der Kirchenraum in natura recht freundlich und einladend, auch wenn für meine Augen der neue Altar von 2011 in Lochziegel-Optik arg befremdlich wirkt.

    Leider ist die Kirche seit Jahren an ihrer Nord- und Ostseite mit Graffiti beschmiert; in der direkt daneben liegenden Grünanlage an der Hauptfeuerwache treffen sich abends des öfteren Jugendgruppen zum Feiern, außerdem ist das Glockenbachviertel, eine Partyhochburg mit vielen Nachtlokalen, in unmittelbarer Nähe.

    Innenansicht vor 1945:

    aa4f120d93.jpg
    (https://www.alt-katholisch.de/unsere-gemeind…indegeschichte/)

    Nach der Zerstörung:

    569c5d6887.jpg
    (https://www.alt-katholisch.de/unsere-gemeind…indegeschichte/)

    Weitere Ansicht nach der Zerstörung:

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bild.aspx?VEID=418247&DEID=10&SQNZNR=1

    Heute:

    53471266201_86aae82bba_h.jpg

    53470361357_77d5948016_h.jpg

    53471683860_89673aa9d2_h.jpg

    53470361467_d0d8eee598_h.jpg

    53471266206_23014b372f_h.jpg


    Weitere Bilder von St. Willibrord hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720314154371

    Einige Bilder aus der Umgebung: RE: München (Galerie)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Nun sehen wir uns die zwei Kirchen der Altstadt an, die nach ihrer Zerstörung im 2. Weltkrieg abgeräumt und in modernen Formen neu errichtet wurden: die Herzogspitalkirche und St. Jakob am Anger.

    Herzogspitalkirche

    Herzogspitalstraße 7
    Alte Kirche St. Elisabeth erbaut 1555-72
    Heutige Kirche Mater Dolorosa erbaut 1954/55

    53481938386_457f0610d1_k.jpg

    Ansicht von Westen; links von der Bildmitte sieht man leicht die Damenstiftkirche hervorspitzen.


    Baugeschichte:

    - Errichtung des Herzogspitals von 1552-70 als Spital für besonders kranke Hofbedienstete
    - Errichtung der dazugehörigen Herzogspitalkirche ab 1555 durch Hofbaumeister Heinrich Schöttl; Ausstattung: Hochaltarbild der hl. Elisabeth von Andreas Wolf, rechtes Seitenaltarbild von Johann B. Unterstainer, Bildhauerarbeiten rechter Seitenaltar: Balthasar Ableitner
    - 1572 Weihe mit Patrozinium St. Elisabeth
    - 1651 Aufstellung der Mater dolorosa zusammen mit einer Darstellung des Gekreuzigten geschnitzt von Tobias Bader in der Mitte der Kirche, Beginn einer bedeutenden Marienwallfahrt
    - Barockisierung der Kirche mit Verschiebung des Gnadenbilds an die linke Seite der Kirche und einem neuen Wallfahrtsaltar von Blasius Ableitner mit zwei Engeln von Johann Baptist Straub
    - 1727/28 Errichtung eines neuen Klosterbaus für die 1715 nach München berufenen Servitinnen durch Johann Anton Trubillio, Fertigstellung ab 1732 durch Johann Baptist Gunetzrhainer; zu diesem Neubau gehörte auch der heute noch erhaltene 35m hohe Glockenturm
    - um 1800 Schutzengelgruppe von Franz Jakob Schwanthaler
    - nach 1800 klassizistischer Hochaltar
    - 1854 anläßlich der Cholera-Epidemie Anbringung einer bronzenen Madonna von Kaspar Zumbusch an der Kirchenfassade
    - 1935 neues Hochaltarretabel von Josef Koppmaier als Doppelanbetungsaltar konzipiert: das Allerheiligste war sowohl vom Volk als auch auf der Rückseite von den Schwestern zu sehen
    - 1944 völlige Zerstörung von Kirche und Kloster (samt dem größten Teil der Ausstattung) mit Ausnahme des Glockenturms
    - 1954/55 Errichtung der heutigen, nunmehr der Mater Dolorosa geweihten Kirche durch Alexander von Branca und Herbert Groethuysen, die erste moderne Kirche in der Altstadt Münchens; Altar und Ambo von Fritz König, Chorschranke und Eingang von Blasius Gerg, Orgel 1978 von Wilhelm Stöberl; Aufstellung der geretteten Mater dolorosa in der rechten Abseite; gleichzeitiger Neubau von Kloster und Mädchenwohnheim


    Die alte Herzogspitalkirche war die erste Renaissancekirche in München, wenngleich sie noch gotisch beeinflusst war. Sie war ein „dreijochiger Saalraum mit Wandpilastern, sparsam dekorierter Tonnenwölbung und 5/8-Schluss, bemerkenswert als Beispiel eines manieristischen Sakralbaues mit noch gotischen Reminiszenzen. Die einfache, von einem gerundeten Giebel und einem Dachreiter darüber abgeschlossene Eingangsfront der nach Süden gerichteten Kirche lag an der Straße zwischen den langen Trakten des Spitals und des jüngeren Klosters“ (Bayer. Denkmaltopographie). Franz Paul Zauner schreibt 1914 von einem Netzgewölbe im Chor und einem runden Medaillon als Schlußstein sowie zart nach italienischem Vorbild stuckierten Stichkappen und leichten Gurtbögen am Tonnengewölbe des Hauptraumes.

    Ihre bis heute andauernde Bedeutung erhielt sie durch das 1651 von Tobias Bader geschnitzte Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes, bei welcher 1690 wiederholt eine wundersame Augenbewegung beobachtet wurde, woraufhin sich die Kirche zu einer beliebten Marienwallfahrtstätte entwickelte. 1715 wurden durch Kurfürstin Kunigunde die Servitinnen nach München berufen, deren Ziel die ewige Anbetung des Allerheiligsten ist. Für sie wurde ab 1727 ein direkt östlich neben der Kirche liegendes Kloster errichtet, welches als Bauwerk bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg bestand. Die Servitinnen waren übrigens der einzige Orden, der die Säkularisation überstand; sie gründeten 1801 eine Mädchenschule, die bis zum Dritten Reich existierte. Der rückwärtige barocke Turm von 1727/28 ist der einzige Teil, der die Zerstörung im 2. Weltkrieg überlebt hat, wenn auch mit Schäden; laut Beschreibung von Norbert Lieb von 1941 und verschiedenen Fotos war er auch vor dem Krieg schon unverputzt. In etwas stilisierter Form ist er übrigens auf dem Gemälde „Der Klapperstorch“ von Carl Spitzweg dargestellt. Was den Innenraum der alten Kirche betrifft, so habe ich eigenartigerweise mit Ausnahme des Hochaltars und des Gnadenaltars (siehe unten) keine Ansichten finden können; wenn jemand welche kennt, bitte Bescheid geben!

    Die nach dem Krieg gebaute neue Kirche ist sehr nüchtern und funktional, ebenso wie der Nachfolgebau des früheren Klosters. Das alte Gnadenbild der Mater dolorosa von Tobias Bader ist als einziges Überbleibsel der Innenausstattung der alten Kirche nunmehr in der rechten Abseite aufgestellt.
    Das Allerheiligste wird von den Servitinnen noch immer ununterbrochen angebetet, sie schreiben auf ihrer Website über sich: „Unser Auftrag ist die Ewige Anbetung: bei Tag und bei Nacht. Im stellvertretenden Gebet treten wir ein für viele Menschen, besonders für jene, die uns ihre Gebetsanliegen anvertrauen.“ (https://www.serviten.de/servitinnen_muenchen/anbetung.html)

    Das alte Herzogspital samt Kirche und Kloster, das zusammen mit dem südlich angrenzenden, ebenfalls komplett im Krieg zerstörten Josephspital eine sehr reizvolle, um mehrere Innenhöfe gruppierte barocke Gesamtanlage in der westlichen Altstadt ergab, ist einer der größten Kriegsverluste Münchens.


    Die alte Kirche mit dem Servitinnenkloster:

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=477290

    Übersicht von Herzogspital und dem dahinter liegenden Josephspital in einem Kupferstich von Wening von ca. 1690 (noch ohne Turm, der erst 1727/28 errichtet wurde):

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=477293

    210902_103823.jpg
    (https://stadtgeschichte-muenchen.de/bilder/d_bilder.php?id=4478)

    Der barocke Turm von 1727/28:

    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=477293
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=477294
    - https://artsandculture.google.com/asset/m%C3%BCn…iXbcNlbCg?hl=de

    Luftansicht vom Turm der 1938 abgebrochenen Matthäuskirche in der Sonnenstraße (der Turm der Herzogspitalkirche befindet sich leicht rechts von der Mitte):

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=480085

    Ansicht nach der Zerstörung: wie man sieht, blieb der Turm als einziger Bestandteil der Kirche stehen (das Trümmerfeld im Vordergrund sind die Überreste der früheren Kirche, im Hintergrund links ist der Turm der Allerheiligenkirche am Kreuz zu sehen):

    Ansicht (Bombenschaden; zerstörte Herzogspitalkirche; beschädigter Turm = Spitzwegturm; Schutt; Mann m.Knickerbocker u.Hut; im Hintergrund: Turm d.Kreuzkirche= Allerheiligenkirche am Kreuz) - Bildarchiv

    Der Turm heute:

    53482079273_9cf5c6bb89_h.jpg

    53482242854_0d38f68170_h.jpg


    Innenansichten der alten Kirche:

    - der klassizistische Hochaltar in seiner ursprünglichen Form: https://artsandculture.google.com/asset/m%C3%BCn…BrtEuvPWQ?hl=de (die Bildbeschreibung als rechter Vierungsaltar ist nicht korrekt)
    - der klassizistische Hochaltar nach der Umgestaltung von 1935: https://artsandculture.google.com/asset/m%C3%BCn…RYdt4jG7Q?hl=de
    - der barocke Gnadenaltar mit der Mater dolorosa von Tobias Pader:

    Herzogspitalkirche-Altar.jpeg

    Weitere alte Innenansichten hab ich, wie bereits oben erwähnt, leider keine gefunden.

    Innenansichten der heutigen Kirche:

    53481938286_3f1fb8cb50_h.jpg

    53482079253_605437f870_h.jpg

    53481938281_5029fc4b32_h.jpg

    Die Mater dolorosa von Tobias Pader von 1651:

    53482242769_40da375439_h.jpg


    Weitere Fotos der Herzogspitalkirche hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720314264250

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • (...)

    Innenansichten der heutigen Kirche:

    53481938286_3f1fb8cb50_h.jpg

    53482079253_605437f870_h.jpg

    Hinter dem Fenster über dem Altar befindet sich der Betchor der Servitinnen. Dort ist die Monstranz mit dem Allerheiligsten zur Anbetung aufgestellt, siehe auch das erste Foto auf der Homepage der Schwestern:

    Servitenorden - Diener Mariens

    Zitat: "Die Kirche wurde sehr schlicht gehalten, allerdings so gestaltet, dass der Blick und die Aufmerksamkeit unmittelbar auf das Allerheiligste fallen. Der auffallend dunkel und schlicht gehaltene Raum ist geprägt vom Allerheiligsten, welches hinter einer farblich getönten Glaswand in der Altarwand ausgesetzt ist. Dahinter befindet sich der Betchor der Schwestern. Seit über 30 Jahren helfen Laien den Schwestern, den Dienst der ununterbrochenen Anbetung weiterzuführen. Zum Einen reagierten die Schwestern damit auf die zahlenmäßig kleiner werdende Gemeinschaft, zum Anderen wollte sie dadurch aber auch bewusst die Verbindung mit der Welt und den Menschen, die dem Kloster nahe stehen, stärken."

    Eigentlich eine schöne Idee, aber es mangelt heute natürlich an Schwestern wie auch an gläubigen Mitbetern.

  • Danke für den Hinweis mit der Anbetung des Allerheiligsten! Ich hatte fälschlicherweise angenommen, dass die ewige Anbetung der Servitinnen der Muttergottes gelten würde und nicht dem Allerheiligsten; ich hab's in meinem Text ausgebessert. Vielen Dank!

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • dass die ewige Anbetung der Servitinnen der Muttergottes gelten würde

    Ohje! Was für theologische Abgründe! Anbetung der Muttergottes, wo gibt es so etwas?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ja, tut mir leid, mir war der Unterschied zwischen anbeten und zu jemandem beten tatsächlich nicht klar. Ist aber vielleicht auch kein Wunder bei unserem Marienkult hier in Bayern...

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • St. Jakob am Anger

    Unterer Anger 1
    Alte Kirche erbaut ab ca. 1250
    Neue Kirche erbaut 1955/56

    53487301472_a8b877191d_o.jpg

    53488620555_6dc0fa7789_h.jpg


    Baugeschichte:

    - Um etwa 1250 romanischer Kirchenneubau für die kurz zuvor dort errichtete Niederlassung der Franziskaner
    - 1284 Übernahme des Klosters durch die Klarissinnen, 1300 gotische Neuwölbung des Chors
    - 1327 Beschädigung des Langhauses beim großen Stadtbrand, ab 1378 Erneuerung und Vergrößerung des Langhauses, 1404 Gewölbeeinsturz, 1404-08 Wiederherstellung als spätgotische Pfeilerhalle mit Emporen unter Erhaltung der alten Westwand
    - 1737/38 Neugestaltung des Inneren durch Johann Baptist Zimmermann (Stuck und Fresken)
    - 1804 Klosteraufhebung im Zuge der Säkularisation, 1810/11 klassizistische Umgestaltung des Äußeren durch Karl von Fischer, vorübergehende Nutzung des aufgehobenen Klosters als Armeninstitut und Mädchenschule
    - bis 1843 Instandsetzung und teilweise romanisierende Umgestaltung des Klosters, anschließend Übergabe an die von Maria Theresia Gerhardinger 1833 gegründeten Armen Schulschwestern als deren Mutterhaus
    - 1889-91 Renovierung samt neuem Wandgemälde der Marienkrönung von Josef Kastner an der Trennmauer zwischen Laienkirche und Chor
    - 1914-16 Bau des großen neuen Schulhaus an der Blumenstraße
    - 1944 Kirche und Kloster schwer beschädigt, der romanische Chor, das südliche Seitenschiff und die Gewölbe zerstört; das untere nördliche Seitenschiff bleibt relativ unbeschädigt stehen, wird 1951 restauriert und soll in ein Wiederaufbaukonzept eingebunden werden, zudem bleiben die Mittelschiffpfeiler- und mauern stehen
    - 1954 Abbruch des Seitenschiffs gegen den Protest namhafter Kunsthistoriker und 1955-56 Neubau von Kirche und Kloster durch Architekt Friedrich Haindl
    - Ausstattung: Deckenmalerei von Franz Nagel, Figurengruppe über dem Hochaltar (Krönung Marias durch den Gekreuzigten) von Josef Henselmann, Bronzetüre und Bronzefigur des hl. Jakobus auf Säule von Toni Rückel; aus der alten Kirche übernommen zwei Freskomedaillons mit der Muttergottes bzw. Johannes dem Täufer von 1435/40, zwei Sitzfiguren des hl. Jakobus von 1330 bzw. 1490


    Bayer. Denkmaltopographie: “Bis zur Zerstörung im Luftkrieg 1944 war St. Jakob am Anger die einzige noch teilweise romanische Kirche in der Innenstadt, ursprünglich eine querschifflose flachgedeckte Basilika alpenländischen Typs mit drei Apsiden und Rundpfeilern, die möglicherweise - Ziel einer im Mittelalter lebhaften Wallfahrt zum hl. Jakobus d.Ä. (päpstlicher Ablass 1257) - in die Zeit vor der Klostergründung durch die Franziskaner zurückging. (…) Nach Verlegung des Klosters in den Nordteil der Stadt übernahmen (aus Söflingen kommende) Klarissen 1284 St. Jakob als erstes Münchner Frauenkloster, das dank patrizischer Familienverbindungen und wiederholten Eintritts von Töchtern aus dem Hause Wittelsbach bis zur Säkularisation 1803 höchstes Ansehen genoss und als einziges landständisches Kloster Münchens von Äbtissinnen geleitet wurde.”

    Ansichten der alten Kirche vor der Zerstörung (links neben dem Kirchturm der romanische Chor):

    DE-1992-FS-NL-PETT2-2310.jpeg
    (Stadtarchiv München; CC BY-ND 4.0 DEED)

    Der Untere Anger um 1838 mit St. Jakob in einem Gemälde von Franz von Paula Mayr (rechts im Hintergrund die Angerfronfeste)

    Alte-Kirche-St.-Jakob-ausen.jpeg

    Ansicht von Nordosten: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=414646

    Ansicht vor der klassizistischen Umgestaltung in einem Kupferstich von Wening von 1700:

    1242px-Historico-Topographica_Descriptio._1._Das_Renntambt_München_073.jpg
    (Wikimedia Commons, Public Domain)

    Innenaufnahmen der alten Kirche:

    Alte-Kirche-St.-Jakob-innen.jpeg


    Weitere alte Innenaufnahmen:

    Mittelschiff:

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm120022
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm120021
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm616227

    Linkes Seitenschiff:

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm616226
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm120023

    Nach der Zerstörung:

    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02247f11
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02247e13
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02247e14
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02247f01
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02247f02
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…dium=mi02247f04
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202513
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202511
    - https://www.bildindex.de/document/obj22…medium=fm202512


    Der Verlust von St. Jakob am Anger ist höchst bedauerlich und ärgerlich, eine Wiederherstellung nach den Kriegszerstörungen wäre angesichts der noch erhaltenen Substanz absolut möglich und geboten gewesen (siehe oben verlinkte Fotos). Der dort seit 1843 ansässige Orden der Armen Schulschwestern wollte aber einen größeren Neubau und argumentierte, dass das erhaltene Mauerwerk durchfeuchtet und nicht mehr brauchbar sei, obwohl sich bei einer weiteren Untersuchung durch den Dombaumeister Theo Brannekämper herausstellte, dass sowohl Mauerwerk als auch Fundamente in gutem und wiederaufbaufähigem Zustand waren; außerdem war das linke untere Seitenschiff nahezu unbeschädigt erhalten, incl. Rokokostuck von J. B. Zimmermann. Eine Wiederherstellung wäre also nicht bloß aus kulturgeschichtlichen und architektonischen Gründen geboten, sondern laut Brannekämper auch wirtschaftlicher gewesen.

    Eine zeichnerische Rekonstruktion des gotischen Zustandes von 1408 als Pfeilerhalle mit Emporen zeigt, was man aus den erhaltenen Mauern mit überschaubarem Aufwand, d.h. ohne Rekonstruktion des Stuck- und Freskenmantels von 1738, hätte machen können:

    St.-Jakob-Rekonstruktion-gotischer-Zustand.jpeg

    Trotzdem setzten sich, unter Protest des Landesamtes für Denkmalpflege und vieler Münchner Bürger, die Neuerer schließlich durch: die Ruine wurde 1954 abgerissen und 1955/56 durch die heutige Kirche ersetzt.


    Bei aller Trauer über den Verlust der alten Kirche muss man aber dennoch anerkennen, dass mit dem Neubau ein Kirchenraum entstanden ist, dem man eine gewisse Qualität und Atmosphäre nicht absprechen kann: er wirkt elegant und großzügig, vor allem die rückwärtigen Emporen sind durchaus beeindruckend. Die Bayerische Denkmaltopographie schreibt hierzu: “Der lichte Rechtecksaal mit etwas niedrigeren Abseiten hinter dünnen Stützen sowie Emporen mit verglaster Brüstung an drei Seiten - westlich als tiefer Nonnenchor - ist die moderne Version einer Staffelhalle mit verjüngtem, flachbogig schließenden Altarraum. Bemerkenswert die maßwerkartig durchbrochenen Fenster aus Betonformsteinen.”
    Diese maßwerkartigen Fenster sind gleichzeitig auch der größte Blickfang in der dem Jakobsplatz zugewandten Fassade, die mit ihrem einfachen Sichtziegelmauerwerk ansonsten eher unauffällig wirkt.

    Der heutige Innenraum:

    53488352063_a837061209_h.jpg

    53487301372_cedbfb107e_h.jpg

    53488351948_48306498a5_h.jpg

    53488506724_cf2f591245_h.jpg

    53487301212_ec9e0ac9be_h.jpg

    53488205971_bddbedfa20_h.jpg


    Weitere Fotos von St. Jakob hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720314344231

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Damit haben wir uns alle noch bestehenden Kirchen der Altstadt Münchens angeschaut (abgesehen von ein paar Privatkapellen wie z.B. im Erzbischöflichen Palais, im Ordinariat oder in der ein oder anderen Schule, die aber allesamt nicht sonderlich interessant sind). Bevor wir zu den Kirchen der Vorstädte gehen, folgen nun noch einige abgegangene Kirchen der Altstadt, also Kirchen, die nicht mehr existieren, an die ich aber kurz erinnern möchte.

    Wir beginnen mit der im 2. Weltkrieg zerstörten und nicht wiederaufgebauten Josephspitalkirche.

    Josephspitalkirche (dem hl. Joseph geweiht):

    Josephspitalstraße 11 (heute Herzog-Wilhelm-Straße 11)
    Erbaut 1682-1700

    Die einzige mir bekannte Innenaufnahme der Josephspitalkirche:

    Josephspitalkirche-Altar.jpeg
    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0 DEED)


    Baugeschichte:

    - 1626 Stiftung des Josephspitals durch Kurfürst Maximilian I. und seiner Gemahlin Renata als weiteres Kranken- und Versorgungshaus des Hofes, welches zunächst in sechs bereits bestehenden, an der (späteren) Josephspitalstraße gelegenen Anwesen angesiedelt wird
    - 1682 monumentaler barocker Neubau des Spitals samt Kirche, möglicherwiese durch Giovanni Antonio Viscardi, 1700 Weihe der Kirche
    - Ausstattung: Hochaltargemälde „Tod des hl. Joseph“ von Andreas Wolff von 1685; Ölbildnisse der beiden Stifter zu Seiten des Hochaltars; auf den Seitenaltären Gemälde von Christian Winck die hl. Franz von Sales und Franz Xaver darstellend (1780)
    - 1870-81 Umgestaltung des Inneren durch Johann Marggraff, dabei Ersetzung des stark nachgedunkelten Hochaltargemäldes durch eine gleichnamige Schnitzgruppe zusammen mit „Herz Jesu“ und „Herz Mariä“ von Stiefenhofer
    - das Spital wurde durch das 1925-27 erbaute Altersheim Sankt Josef in Sendling ersetzt, das leere Gebäude daraufhin 1929 an die Stadt München verkauft
    - im 2. Weltkrieg völlig zerstört, danach abgerissen und durch das moderne Kassen- und Steueramt ersetzt


    Die Josephspitalkirche, von der mir nur das obige Foto des Hochaltars bekannt ist, war sicherlich eine eher einfache und künstlerisch unbedeutende kleine Spitalkirche; Hans Karlinger bezeichnet sie 1922 als „wenig bedeutenden gewölbten Raum“. Franz Paul Zauner beschreibt sie 1914 etwas ausführlicher als „rechteckiger Raum mit gedrücktem und durch 3 Gurten geteiltem Gewölbe; an der Straßenfassade Steinbüste des hl. Joseph und das kurfürstliche Wappen des Stifters und dessen Gemahlin Renata“. Bedeutender war die Hofseite des Josephspitals mit ihrer dreigeschoßigen, monumentalen Laubenfront aus gedrückten Loggienbögen mit Zwiebelturm über der mittig eingefügten Spitalkirche. Hans Karlinger schreibt über den Innenhof: „Schön ist der Blick im Hof über die Gärten hinweg auf den Turm der Herzogspitalkirche.“ Die Fassade zur Josephspitalstraße war bündig in die Spitalfassade eingelassen und nur durch einen Schweifgiebel sowie zwei hohe Rundbogenfenster mit einem mittig darüber platzierten Oculus akzentuiert. Auffälliger war der breite, herrschaftliche Schweifgiebel des Spitals nach Westen hin, der allerdings erst 1885 aufgesetzt wurde, nachdem der ganze Baublock samt Kirche um ein Stockwerk erhöht worden war (auch der Schweifgiebel am Ostende der Fassade wurde damals in Anlehnung an den ebenfalls erneuerten, aber vorher schon bestehenden Giebel der Kirche hinzugefügt).

    Zusammen mit dem nördlich anschließenden Herzogspital bildete das Josephspital einen beeindruckenden barocken Baublock, der die westliche Münchner Altstadt beherrschte. Seine Zerstörung im 2. Weltkrieg ist, wie bereits oben bei der Herzogspitalkirche geschrieben, einer der größten Kriegsverluste Münchens.


    Ansicht des Josephspitals von Westen, in der Mitte des Baublocks mit den hohen Rundfenstern, dem Oculus und dem Schweifgiebel zu sehen die Josephspitalkirche:

    Josephspitalstrase-1.jpeg
    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0 DEED)

    Ansicht von Osten:

    Josephspitalstrase-2.jpeg
    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0 DEED)

    Ansicht des Josephspitals vor der Aufstockung in einer Zeichnung von 1850:

    Josephspitalstrase-3.jpeg
    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0 DEED)

    Der schöne Innenhof:

    Josephspital_München_%28Hof%29_um_1910.jpg
    (Wikipedia Commons)

    Heute, das grauenhafte Stadtsteueramt von 1953/54, das zu allem Überfluss auch noch unter Denkmalschutz steht:

    Josephspitalstrase-Stadtsteueramt-1.jpeg


    Ein furchtbarer Verlust.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Ebenfalls im 2. Weltkrieg zerstört wurde die Kapelle des Instituts der Englischen Fräulein an der Weinstraße.

    Kapelle des Instituts der Englischen Fräulein Maria Immaculata

    Weinstraße 13 (heute Marienhof)
    Erbaut 1691-97

    Baugeschichte:

    - ab 1690 Bau des vierflügeligen Barockkomplexes des Instituts der Englischen Fräulein durch Hofbaumeister Henrico Zuccalli und Philipp Zwerger, bestehend aus Kloster, Schule und Kapelle; Deckenfresko der Kapelle von Hans Georg Asam
    - 1692 Weihe der Kapelle
    - 1808-12 klassizistischer Umbau des Komplexes zum Innenministerium (ab 1827 Sitz der Polizeidirektion) nach Plänen Karl von Fischers, Kapelle profaniert
    - 1944/45 stark zerstört, die Ruine 1948 abgeräumt und die Fläche unbebaut gelassen (sogenannter Marienhof)


    Über die Kapelle des Instituts der Englischen Fräulein ist nicht viel bekannt und sie wäre von daher eigentlich auch nicht besonders erwähnenswert; sie beherbergte aber das erste barocke Deckenfresko Münchens, gemalt um 1692 von Hans Georg Asam, und stellt somit eine wichtige Wegmarke in der Geschichte der Münchner Kirchenarchitektur dar. Hans Georg Asam war einer der ersten Freskomaler Bayerns und zudem Vater der später berühmt gewordenen Cosmas Damian Asam und Egid Quirin Asam.

    Das imposante Institut der Englischen Fräulein wurde nach schweren Kriegszerstörungen zusammen mit dem gesamten Areal zwischen dem Neuen Rathaus im Süden, der Weinstraße im Westen, der Schrammerstraße im Norden und der Dienerstraße im Osten komplett abgeräumt, die dabei entstandene Freifläche trotz zahlreicher Bebauungsvorschläge bis heute nicht wieder bebaut und „Marienhof“ genannt.

    Ansicht des ursprünglichen Klosters in einem Kupferstich von Wening um 1700:

    Institut-der-Englischen-Fraulein-Wening.jpeg

    Nach der klassizistischen Umgestaltung von 1808-12:

    Weinstrase-Polizeidirektion.jpeg
    (Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0 DEED)

    Weitere Fotos des Instituts:

    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    Ansichten des Kapellenraums habe ich keine finden können, aber es gibt im Münchner Stadtarchiv einige Fotos des Deckenfreskos:

    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478583
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478584
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478585
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478586
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478587
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478588
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478589
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478590
    - https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=478591

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Bereits 1816 abgerissen wurde die gotische Hofkirche St. Lorenz am Alten Hof.

    St. Lorenz am Alten Hof

    Heute Alter Hof 4
    Erbaut 1319-24 als Hofkirche von Kaiser Ludwig dem Bayern, 1806 geschlossen, 1816 abgebrochen
    Typus: einschiffige, rippengewölbte Hallenkirche mit niedrigerem, eingezogenem, dreiseitig schließendem Chor

    Ansicht von Norden:

    Lebschee_C_St_Lorenzkirche_u_Alten_Hof_GR_P-958-ONLINE.jpg
    (Carl August Lebschée: St. Lorenz-Kapelle um 1810, Sepia-Aquarell, Münchner Stadtmuseum, CC BY-SA 4.0)

    Ansicht von Süden aus dem Alten Hof:

    D250010_a884fa410c.jpg
    (Carl August Lebschée: Der alte Hof mit der St. Lorenz Kirche zu München. Aquarell, Bayerisches Nationalmuseum, CC BY-NC-ND 4.0)

    Innen:

    St.-Lorenz-innen.jpeg
    (Innenansicht der St.-Lorenz-Kapelle im Alten Hof, aquarellierte Tuschezeichnung von Wilhelm Rehlen um 1815)


    Der Alte Hof war der alte Sitz der Herzöge von Oberbayern, später von ganz Bayern, und diente Ludwig dem Bayern, ab 1314 römisch-deutscher König und ab 1328 bis zu seinem Tod 1347 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, als Kaiserresidenz. Er wurde in seiner Funktion als Residenz nach 1508 durch die seit dem späten 14. Jh erbaute Neuveste, der heutigen Residenz, abgelöst und diente ab diesem Zeitpunkt hauptsächlich als Verwaltungssitz. Zwischen 1319 und 1324 ließ Ludwig der Bayer am Nordende des Areals eine Hofkirche errichten, die dem hl. Laurentius geweiht war.

    Norbert Lieb über St. Lorenz (1973): “Entschlossen aber, auch in der außenbaulichen Gestaltung, griff die Münchner Hofkirche zum hochgotischen System mit Hausteingliederung und figuraler Steinskulptur. Maßgeblich war wohl - der Politik Ludwigs des Bayern entsprechend - der Anschluß an die neueste Bau- und Bildkunst Südwestdeutschlands. Unterschieden von den Ordenskirchen, bestand die Hofkirche in einer näheren Einheit von Gemeinderaum und Altarhaus. Im Gemeinderaum hatte das Hofgesinde Platz. Für den König und Kaiser, für seine Familie und für die höheren Ränge des Hofstaats war im Westen eine Empore angelegt, die vom angrenzenden Trakt des Alten Hofs aus erreicht werden konnte und den erhabenen, offenen Blick ins Altarhaus gewährte. Für die Schau von der Kaiserempore aus war über dem Ansatz des Altarhauses das Gewölbe baldachinhaft herabgezogen.”

    1816 wurde die bereits 1806 geschlossene Kirche abgerissen und durch ein Amtsgebäude, den sogenannten Lorenzistock, ersetzt. Dieses sich bis zur Dienerstraße hinziehende Gebäude wurde im 2. Weltkrieg schwer beschädigt, im westlichen Bereich auch zerstört, und danach in konservativem, aber nüchternem Stil wiederaufgebaut (sogenannter “Esterer-Bau”).

    Von der Kirche erhalten und im Bayerischen Nationalmuseum aufbewahrt sind das Stifterrelief aus Sandstein, auf dem Ludwig der Bayer und seine Gemahlin Margaretha von Holland das Modell der Hofkirche der Muttergottes darreichen, drei Gewölbeschlusssteine mit Wappen des Reichs, von Pfalz/Bayern und Holland sowie Figuren der Heiligen Drei Könige.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Sozusagen die bayerische Sainte-Chapelle... Neben dem 2. Weltkrieg war die Säkularisation hierzulande die zweite große Katastrophe der "Neuesten Zeit", die eine unfassbare Menge an (architektonischen) Kultur(gut) vernichtet hat... Einer der wenigen aber doch großen dunklen Flecken auf dem Hause Wittelsbach...

  • Ebenfalls im Zuge der Säkularisation abgebrochen wurde die Franziskanerkirche samt Kloster.

    Franziskanerkirche (Patrozinium nicht überliefert)

    Heute Max-Joseph-Platz
    Erbaut 1284-1297
    Abgebrochen 1802/03
    Typus: ursprünglich flachgedeckte, dreischiffige gotische Basilika mit achtjochigem Langhaus und gewölbtem, einschiffigem und vierjochigem Chor mit 5/8-Schluss

    Franziskanerkloster-Wening.jpeg
    (Kupferstich von Wening 1701)


    Baugeschichte:

    - Baubeginn ab 1282 (Kloster) bzw. 1284 (Kirche) auf der Fläche des heutigen Max-Joseph-Platzes; das dort neu entstehende Franziskanerkloster samt Kirche dient als Ersatz für den vorherigen Sitz der Franziskaner in St. Jakob am Anger, welches den Klarissen überlassen wird. Der Umzug geschieht auf Wunsch Herzog Ludwigs des Strengen, der die Franziskaner als geistliche Betreuung in der Nähe seiner Residenz am Alten Hof haben möchte und der auch den Hauptteil der Finanzierung übernimmt. Weihe 1297.
    - Nach zwei Bränden (1311 und vor allem 1327, dem großen Stadtbrand), bei denen Teile der Kirche und fast das gesamte Klostergebäude vernichtet worden waren, werden bis 1392 Kirche und Kloster wiederaufgebaut, der Chor der Kirche neu eingewölbt und das Langhaus wieder mit einer Holzbalken-Flachdecke versehen, wie sie auch vor dem Brand schon bestanden hatte und wie sie durch das franziskanische Wölbungsverbot vorgeschrieben war. Dieses für Langhäuser, aber nicht für Chöre geltende Wölbungsverbot war 1260 durch den Franziskanerorden erlassen worden und war dem gewünschten Armutsideal des Bettelordens geschuldet. Neuerliche Kirchenweihe nach dem Wiederaufbau 1375.
    - Vom 13. bis zum 17. Jh Errichtung von mehreren Kapellen um die Franziskanerkirche herum, welche größtenteils als Grablege für hochrangige Familien dienen: Agneskapelle (wahrscheinlich schon existent vor dem Bau der Franziskanerkirche), Antoniuskapelle (1. Hälfte 14. Jh), Alte Kreuzkapelle (2. Hälfte 14. Jh), Ludwigkapelle (2. Hälfte 14. Jh), Magdalenenkapelle, Sebastiankapelle, Leonhardkapelle, Bernhardkapelle (Mitte 15. Jh), Annakapelle (1557), Neue Kreuzkapelle (auch Schwarzenbergkapelle genannt, letztes Viertel 16. Jh), Kurzkapelle (1655/56). Ludwigkapelle, Bernhardkapelle, Sebastiankapelle und Leonhardkapelle werden bereits im Mittelalter wieder abgebrochen.
    - 1611/12 tiefgreifende Umgestaltung: das Äußere wird dadurch verändert, dass die Seitenschiffe mit dem Mittelschiff unter einem mächtigen Satteldach vereinigt werden und somit die wahrscheinlich als altertümlich empfundene basilikale Baustruktur verborgen werden soll; durch diese Verlängerung des Daches vom Langhaus-Obergaden zu den Traufen der Abseiten ergibt sich der Eindruck einer Hallenkirche. Außerdem wird das vorher sichtbare Ziegelmauerwerk verputzt. Das Innere bekommt eine Renaissance-Ausstattung: statt der Holzbalken-Flachdecke werden Gewölbe eingezogen und die (ohnehin sparsamen) gotischen Zierformen im Renaissance-Stil verdeckt. 1618-20 wird auch die Sockelzone des Chors zeitgemäß umgestaltet.
    - Im Laufe des 17. und 18. Jhs werden zahlreiche Instandhaltungsmaßnahmen (überwiegend Dachreparaturen) notwendig, die allesamt zu Lasten der kurfürstlichen Verwaltung gehen, welche dafür schließlich nicht mehr aufkommen möchte.
    - 1802 kommt im Zuge der Säkularisation das Aufhebungsdekret für das Kloster, im selben Jahr - direkt vom Kurfürsten - auch die Anweisung zum Abbruch des gesamten Gebäudekomplexes. Diese Eile erklärt sich wahrscheinlich aus den vielen Kosten, die vor allem der marode Dachstuhl der Kirche verursacht hatte. Die geweihten Ausstattungsstücke sollen an einen würdigen Ort verbracht, die Grabdenkmäler den Familien zurückgegeben oder, falls keine Nachfahren mehr existieren, in den allgemeinen Friedhöfen aufgestellt werden; der Rest wird versteigert, wobei man die Dinge hauptsächlich unter ihrem materiellen und weniger unter ihrem kulturellen Wert betrachtet. Auch die Altäre, darunter der Hochaltar von 1492 von Jan Polack sowie zwei Altäre von Hans Krumpper, werden nur nach ihrem Materialwert gehandelt. Ein Teil der Bibliothek wird der Hofbibliothek überlassen, der Rest ebenfalls versteigert, die Archivalien gehen in Staatsbesitz über. Wenn von all den künstlerischen Kostbarkeiten von Kirche und Kloster doch einige Dinge die Zeiten überdauert haben (z.B. hier, hier und hier), so ist dies nur dem Zufall geschuldet. Gegen diese Verschleuderung von wertvollem Kunstgut werden zwar auch Stimmen laut, u.a. von der Akademie der Wissenschaften, nur leider ohne Erfolg.
    Im November 1803 ist die gesamte Fläche von Kloster und Kirche bereits eingeebnet und ein großer neuer Platz entstanden: der spätere Max-Joseph-Platz.


    Die Franziskaner kamen bereits vor 1257 nach München und genossen die besondere Gunst der Wittelsbacher. Bevor sie 1284 ihr neues Kloster in der Nähe des Alten Hofes bezogen, hatten sie ihre erste Niederlassung in St. Jakob am Anger.
    Im 14 .Jh wurde das Münchner Franziskanerkloster zu einem europaweit beachteten geistigen Zentrum im Streit um das Armutsideal in der Kirche, nachdem mehrere hochrangige Franziskaner (Michael von Cesena, Wilhelm von Ockham und Bonagratia von Bergamo) vor Papst Johannes XXII., der die Armutsthese als häretisch verurteilt hatte, nach München geflohen waren und von dort aus gemeinsam mit Kaiser Ludwig dem Bayern gegen den Papst agitierten. Alle drei Franziskaner blieben für den Rest ihres Lebens in München und fanden in der Franziskanerkirche ihre letzte Ruhestätte.

    Zur baulichen Einordnung der Franziskanerkirche schreibt Wilhelm Kücker (1963): "Die Ahnenreihe der Franziskanerkirche führt jedenfalls (…) vom Freisinger Dom (1159-1205) über das Moosburger Kastulusmünster (1170/80-1230), die Klosterkirchen Indersdorf (nach 1260) und Fürstenfeld (1266 begonnen) bis zur Franziskanerkirche in Ingolstadt (Langhaus 1275 begonnen) als unmittelbarem Vorläufer. Die Ähnlichkeit mit dem Ingolstädter Bau war besonders auffällig, wie auch die Anlage beider Klöster im ganzen einen Vergleich herausfordert. Zeitlich annähernd parallel mit der Franziskanerkirche entstanden in München der gotische Bau von St. Peter und die Augustinerkirche, deren Verwandtschaft und Zugehörigkeit zu dieser Schule ebenfalls nicht zu übersehen sind."

    Auch wenn die Franziskanerkirche auf den Darstellungen eher klein und fast wie eine Scheune aussieht, so hatte sie doch beträchtliche Ausmaße: die Gesamtlänge der Kirche betrug 74,40 m, die Lichtbreite des Langhauses 24,60 m, die Firsthöhe 34 m, die Traufhöhe des Chors (die der ursprünglichen Trauflinie des Obergadens vor dem Umbau entsprach) in etwa 24 m und die Traufhöhe der Seitenschiffe 11,50 m.


    Die Franziskanerkirche in einer Radierung von Domenico Quaglio um 1800, rechts angeschnitten das Palais Törring:

    210904_071453.jpg
    (https://stadtgeschichte-muenchen.de/bilder/d_bilder.php?id=4560)

    In der obigen Darstellung ist der Giebel laut Wilhelm Kücker zu flach gezeichnet, in Wahrheit soll er um einiges steiler gewesen sein, in etwa so wie in folgendem Kupferstich von Ferdinand Schießl (um 1800 nach einer Zeichnung von Giovanni Maria Quaglio):

    Franziskanerkirche.jpeg

    Legende zu obigem Bild:

    a: Kurzkapelle
    b: Eingang zur Klosterpforte
    c: Nische mit ausgegrabenen Schädeln
    d: Hauptportal der Kirche
    e: ein Brot- und Wachskerzenladen
    f: Annakapelle
    g: Antoniuskapelle
    h: Schwarzenbergkapelle
    i: Nischen mit Grabmälern

    Auf Wikipedia ist noch folgendes Gemälde mit der Franziskanerkirche zu finden, allerdings ohne Angaben zum Maler:

    1280px-Franziskanerkloster_München.jpg
    (Wikimedia Commons, GNU Free Documentation License)


    Es scheinen keine brauchbaren Innenansichten der Kirche zu existieren, aber es gibt zwei Radierungen von Ferdinand Schießl nach Zeichnungen von Domenico Quaglio vom Abbruch der Kirche 1802, die interessante Einblicke ermöglichen.

    Ansicht von Südwesten durch die schon teilweise abgerissene rechte Seitenschiff- und Hochwandmauer in das Innere:

    Franziskanerkirche-Abbruch-1.jpeg

    Blick aus Westsüdwest in den Vorchor mit dem noch unzerstörten Gewölbe, dargestellt ist die Situation nach dem Einsturz des Dachreiters (dessen Abbruch nicht ganz planmäßig verlaufen war und bei dessen Einsturz drei Arbeiter verunglückten, die aber wie durch ein Wunder mit dem Leben davonkamen):

    Franziskanerkirche-Abbruch-2.jpeg

    Ein rekonstruierender Längsschnitt der Kirche von Wilhelm Kücker:

    Franziskanerkirche-Langsschnitt.jpeg

    Und zu guter Letzt ebenfalls von Wilhelm Kücker ein sehr interessanter Lageplan des Klosters und der Kirche in Bezug auf den heutigen Max-Joseph-Platz, bei dem erstaunt, wie nahe die Kirche an das südlich angrenzende Palais Törring anschloss (die Kirche befindet sich rechts vom Schriftzug "Friedhof"):

    Franziskanerkloster-Lageplan.jpeg


    Wie auf dem Plan ersichtlich, schloss sich nördlich an das Franziskanerkloster noch das Ridlerkloster an, das in mehreren Etappen zwischen 1783 und 1803 abgebrochen wurde und auf dessen Terrain später der Königsbau der Residenz errichtet wurde (weitere Informationen zum Ridlerkloster hier).

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Es gibt noch einige weitere abgegangene Kirchen und Kapellen in der Altstadt Münchens, hier eine Aufzählung:

    - Kirche des Püttrich-Regelhauses St. Christophorus Ecke Residenz-/Perusastraße (14. Jh, Abbruch 1806)
    - Wieskapelle St. Salvator am Petersbergl (14. Jh, Abbruch 1880)
    - Nikolauskapelle am Petersbergl (14. Jh, 1807 profaniert und überbaut, 1898 entfernt)
    - Kirche des Ridler-Regelhauses St. Johann Baptist und Evangelist am Max-Joseph-Platz (14. Jh, Abbruch 1803)
    - Gruft- oder Neu-Stiftkirche “Unsere Liebe Frau in der Gruft” in der Gruftstraße (heute Marienhof; 14. Jh, 1806 profaniert, 1944 zerstört)
    - Hofkapelle St. Georg in der Neuveste (von 1559, 1750 beim großen Residenzbrand vernichtet)
    - Wartenbergische Kapelle St. Sebastian im Rosental (von 1588, Abbruch 1807)
    - Hofkapelle der Wilhelminischen Veste (spätere Herzog-Max-Burg) Maria Immaculata (von 1593; 1944 zerstört)
    - Spitalkirche St. Rochus in der Rochusgasse (von 1603, Abbruch Anfang des 19. Jhs)
    - Kapelle des Gregoriushauses St. Maria und Gregorius in der Neuhauser Straße (von 1645, Abbruch 1806)
    - Kapelle St. Joseph im Appartement der Kurfürstin Henriette Adelaide in der Residenz (von 1665; 1944 zerstört)
    - Kapelle St. Katharina in der Residenz (von 1669; 1750 beim Residenzbrand zerstört)
    - Cäcilienkapelle in der Residenz (1757; 1944 Vernichtung der Ausstattung)


    Dies soll es aber mit den Kirchen der Altstadt gewesen sein. Ab jetzt werden wir uns den Kirchen der Vorstädte widmen, die ebenfalls aus verschiedensten Epochen stammen und zum Teil sehr prächtig und wertvoll sind. Dies wird allerdings noch einige Zeit dauern, da ich erst einmal die bereits gemachten Fotos sortieren und nachbearbeiten, von vielen Kirchen überhaupt noch Fotos machen und dann die dazugehörige Baugeschichte recherchieren muss. Aber peu à peu werde ich hier weitermachen, allerdings nicht mehr in chronologischer Reihenfolge, sondern so, wie es mir gerade gefällt :) Ich bedanke mich schon einmal für das bisher gezeigte große Interesse!

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Als erste Kirche außerhalb der Altstadt möchte ich die Klosterkirche St. Anna im Lehel (münchnerisch "Lechl") vorstellen.

    Klosterkirche St. Anna im Lehel

    St.-Anna-Straße 19
    Erbaut 1727-39
    Typus: längsovaler, von seitlichen Konchen umgebener Zentralraum mit rundem Presbyterium und querovalem Orgelchor

    53565839366_9168aecfdd_k.jpg


    Baugeschichte:

    - 1725 Baugenehmigung durch Kurfürst Max Emanuel: die Vorstadt Lehel hatte damals noch keine eigene Kirche, weswegen die Bewohner den Kurfürsten baten, dort eine Kirche zu errichten; der Kurfürst verband den Bau der gewünschten Kirche mit der Ansiedlung des Hieronymiten-Ordens im Lehel, die an ihrem bisherigen Standort am Walchensee nicht zufrieden waren und eine neue Niederlassung suchten.
    - 1727 Grundsteinlegung durch Kurfürstin Maria Amalia, der Gemahlin des neuen Kurfürsten Karl Albrecht (dessen Vater Max Emanuel 1726 verstorben war) und Ernennung des Kirchenbaus als Votivkirche anlässlich der Geburt des Kurprinzen Max III. Joseph.
    - 1727-33 Bau der Kirche nach Plänen von Johann Michael Fischer; 1729/30 Deckenfresken von Cosmas Damian Asam; 1730 vorläufige Benediktion der Kirche; 1734 Altarblätter von C. D. Asam; 1737 Weihe; 1738/39 Errichtung des Hochaltars und der beiden Haupt-Seitenaltäre durch Egid Quirin und Cosmas Damian Asam. Die Altaraufbauten, Plastiken und Stuckaturen der Kirche schafft Egid Quirin Asam, die Fresken und Altarblätter Cosmas Damian Asam, den Tabernakel mit den beiden Engeln sowie die Kanzel Johann Baptist Straub.
    - 1753/54 Fertigstellung der Fassade
    - 1802 Säkularisation und Aufhebung des Ordens, 1807 Auszug der Hieronymiten; ab diesem Zeitpunkt dient St. Anna als Pfarrkirche des Lehels.
    - In das Kloster, das seit 1807 als Magazin und Kaserne gedient hatte, ziehen 1827 die Franziskaner ein, die ihrerseits 1802 von ihrem angestammten Kloster am Max-Joseph-Platz vertrieben worden waren und nun im Zuge der kirchlichen Rehabilitationspolitik Ludwigs I. wieder nach München geholt werden.
    - 1845 Renovierung
    - 1852/53 wird, nachdem der alte Chorturm baufällig geworden war, der Kirche eine neue Vorhalle mit zwei flankierenden Türmen vorgelagert (Architekt August von Voit); diese neoromanische Fassade, die sich an St. Ludwig in der Ludwigstraße orientiert, soll dem Kirchenvorplatz einen zeitgemäßeren und repräsentativeren Charakter geben.
    - 1893 Umgestaltung einiger Teile der Ausstattung im Sinne der damals populären Nazarenerkunst, wobei einige wertvolle Altarblätter von C. D. Asam verloren gehen.
    - 1934 Renovierung des Innenraums, 1935 neues Relief an der Korbbrüstung der Kanzel mit der Darstellung der Stigmatisation des hl. Franziskus von Konrad Ritter von Hofmann
    - 1944 Zerstörung des Dachstuhls und laut Karlheinz Hemmeter in “Bayerische Baudenkmäler im Zweiten Weltkrieg” auch des Gewölbes; in der Denkmaltopographie steht allerdings nichts von einer Zerstörung des Gewölbes (lediglich von einem Absenken desselben um 25cm) und Fotos von 1946 zeigen ein zwar ausgebranntes, aber baulich intaktes Gewölbe; allerdings ist auf den Fotos auch nicht das gesamte Gewölbe zu sehen. Die Türme und der Innenraum brennen aufgrund von Brandbomben völlig aus: Deckenfresken, Stuckaturen, Orgelempore und ein Großteil der Ausstattung werden vernichtet.
    - 1946 Abtragung der neoromanischen Türme bis auf Höhe des Fassadengiebels, neuer Dachstuhl, Stabilisierung des Gewölbes samt weißem Anstrich, Nachguss der zerstörten Stuck-Kapitelle, Errichtung von provisorischen Altären aus übriggebliebenen Resten; in dieser sehr einfach wiederhergestellten Form wird die Kirche 1951 wiedereröffnet.
    - 1965/66 Rekonstruktion der Barockfassade durch Erwin Schleich unter Einbeziehung der um ein weiteres Geschoß reduzierten Turmstümpfe und der erweiterten Vorhalle von 1853
    - 1967-79 Rekonstruktion der kompletten Innenausstattung unter Leitung von Erwin Schleich: 1967 Stuckierung der Kirche, Rekonstruktion des Allianzwappens über dem Chorbogen und des Freskos im Presbyterium; 1970 Wiederherstellung des Hochaltars (dessen Tabernakel den Krieg überstanden hatte); 1972 Rekonstruktion des großen Freskos im Mittelraum (anhand von Farbdias von 1942); 1973 Restaurierung der beiden vorderen Seitenaltäre (die Altarblätter von C. D. Asam waren vor der Bombardierung gerettet worden); 1974 Wiederherstellung der Kanzel; 1975 Rekonstruktion des Hochaltarbildes (anhand eines Schwarzweißfotos) und Neukonzeption des Antoniusaltars; 1976 Wiederherstellung des Kreuzaltars und des Freskos über der Orgelempore, Stuckierung der Emporenbrüstung; 1978 Erneuerung des letzten Seitenaltars links mit neuem Altarblatt 1979. Die Künstler und Kunsthandwerker des Wiederaufbaus: Karl Manninger, Maler (Deckenfresken, Hochaltarbild, Altarblatt letzter Seitenaltar links); Hermann Rösner, Bildhauer (Hauptportal, St. Annafigur im Giebel der Fassade, Hl. Franziskus und Hl. Antonius in der Vorhalle, Putti am Kreuzaltar, linker Engel am Antoniusaltar); Robert Auer, Maler (Bildtafeln Antoniusaltar); Joseph und Jakob Schnitzer (sämtliche Stuckarbeiten); Firma Kunze (Maler- und Vergolderarbeiten); Albert Knestele & Franz Schreiner (Rekonstruktion verschiedener Großplastiken).
    - 1999 Einweihung der neuen Orgel mit neuem neobarocken Orgelgehäuse der Firma Hermann Mathis (Näfels/Schweiz), Schnitzarbeiten von Bildhauer Wieland Graf.


    St. Anna im Lehel ist ein Frühwerk von Johann Michael Fischer, einem der bedeutendsten barocken Kirchenbaumeister Süddeutschlands: zu seinen Werken gehören u.a. die Klosterkirchen von Ottobeuren, Zwiefalten, Rott am Inn, Fürstenzell und Dießen am Ammersee sowie St. Michael in Berg am Laim in München.

    Bernhard Schütz schrieb über St. Anna im Lehel:

    Fischer gab hier auf Weltenburg, wovon das Konzept für St. Anna gerne abgeleitet wird, eine eigenständige, erfindungsreiche Antwort. Schon der Grundriss bietet zum Weltenburger Längsoval eine ganz besondere Alternative, weil das Oval auf der Querachse ein wenig eingezogen ist. Die Grundrissfigur erinnert an die Form einer Geige. Das ist im Kirchenbau etwas sehr Seltenes. Angeschlossen ist der Chor in Form einer Rotunde. Fischer griff bei der Gesamtdisposition des Grundrisses nicht auf Weltenburg zurück, sondern auf einen Musterbau in Böhmen: die wohl von Christoph Dientzenhofer entworfene Schlosskirche in Smiřice, bei der die Geigenform noch viel deutlicher in Erscheinung tritt und wo in der Gewölbezone ein überall einschwingendes Bogenachteck ausgebildet ist. Die böhmische Präzision der Form ist bei Fischer zurückgenommen; sie ist ein wenig abgeschliffen, doch bleibt das böhmische Muster, nicht zuletzt auch bei der Chorrotunde, immer noch erkennbar. Für die Anschauung bleibt der Raum freilich eine längsovale Rotunde. Die ovale Form wird durch die Einschwünge nicht aufgehoben, sondern - typisch für den frühen Fischer - mit feinem Bewegungsspiel belebt. Vollends konträr zu Weltenburg ist die Wandform, die Fischer in St. Anna erprobte. Während der Aufbau in Weltenburg, festen Schalen vergleichbar, von Travéen mit ungemein gewichtiger Ordnung bestimmt wird, umkleidete Fischer in St. Anna den Raum an den Längsseiten jeweils mit drei Abseiten in Form von Konchen. Die Konchen sind eine frei modellierte Umformung des althergebrachten Motivs rektangulärer Wandpfeilerabseiten, und entsprechend sind die Konchenwände, zum Kernraum hin, mit Hilfe der Pilasterordnung zu festen Pfeilerköpfen verfestigt. Zum Kernraum öffnen sich die Konchen durch ihre Stirnarkaden, die zusammen mit den Öffnungsarkaden zum Chor und Eingangsraum einen den Raum umschließenden Arkadenkranz bilden.”

    Kurz gesagt: Fischer nimmt das eigentlich longitudinale Wandpfeilerschema, zentralisiert es und bringt es zum Schwingen.

    Im Gegensatz zu diesem klar strukturierten Unterbau ist die Gewölbezone ohne weiteres Stützensystem aufgesetzt, Bernhard Schütz schreibt hierzu: “Hier verschneiden sich die Kalotten der Konchen und die Flachkuppel des Kernraums ohne jeden Gurt einfach nur mit einer Gratlinie, die dann der Stukkateur als Profilleiste hervorgehoben hat. Ohne ein konsequentes Stützen-Bogen-System ist die Wölbung wie von Hand aufmodelliert. Fischer rechnete von vornherein mit der Ausstattung und ließ ihr an der Decke ein ideales freies Feld.” Vor allem dieses Ineinanderfließen der Raumteile ist der Grund, weswegen St. Anna im Lehel die erste Rokokokirche in Altbayern genannt wurde: in dem bis dahin vorherrschenden italienisch-österreichischen Ovalkirchentypus war hingegen eine deutlich artikulierte Abgrenzung zwischen Unterbau und Kuppel üblich, meistens ein Tambour mit Gebälk. Hinzu kommt das Lichte und Leichte, das vor allem im Vergleich zur mehr oder weniger gleichzeitig entstandenen Asamkirche auffällt, die mit ihren Hell-Dunkel-Kontrasten und dem schweren, marmorierten und vergoldeten Ornat noch klar in der römischen Barocktradition steht. Trotzdem würde ich St. Anna insgesamt noch als spätbarock bezeichnen: die Asamsche Ausstattung besitzt noch keine Rokokoelemente (lediglich die wahrscheinlich erst um 1756 entstandene Kanzel von J. B. Straub) und rein architektonisch ist eine Unterscheidung zwischen Barock und Rokoko im altbayrischen Kirchenbau sowieso schwierig bis unmöglich, da sich die Charakteristiken des Rokokostils hier kaum architektonisch manifestierten (mit wenigen Ausnahmen wie der Wieskirche), sondern auf Dekoration und Ausstattung beschränkten.

    Bernhard Schütz abschließend zur Architektur von St. Anna: “St. Anna im Lehel ist ein Musterbeispiel für Fischers Fähigkeit, mit modellierten Wand- und Wölbflächen zu arbeiten, denen die Pilaster und Pilasterpfeiler als Ordnungsmacht entgegengestellt sind. Die Flächen umschließen als Schalen den Raum, die Pilaster aber weisen den Zusammenhang vor, in welchem die Teile zu sehen sind.”

    Was die Ausstattung betrifft, so überrascht die höfische Eleganz und Festlichkeit, die eigentlich einer Vorstadtkirche bzw. der Klosterkirche eines Eremitenordens unangemessen erscheint: nicht nur das große, aufwändige Deckenfresko, die elegant geschwungene Kanzel oder die insgesamt sieben reich geschmückten Altäre fallen dabei ins Auge, sondern vor allem auch das prächtige bayerisch-österreichische Allianzwappen über dem Altarraum, welches die Verbindung zwischen Kurfürst Karl Albrecht von Bayern und seiner Gemahlin Maria Amalia von Österreich symbolisiert. Der Grund für die reiche Ausstattung war die Förderung des Kirchenbaus seitens des kurfürstlichen Hauses als Votivkirche anlässlich der Geburt des Kurprinzen Max III. Joseph, weswegen Maria Amalia auch den Grundstein gelegt hatte.

    Im 2. Weltkrieg brannte die Kirche nahezu vollständig aus und die Ausstattung incl. Fresken und Stuck wurde bis auf wenige Reste zerstört. Übrig blieben Teile der Seitenaltäre, Teile der Kanzel, die beiden Stuckfiguren der hll. Pius und Augustinus sowie der Tabernakel des Hochaltars. Die verlorengegangene Ausstattung wurde unter der Leitung von Erwin Schleich 1967-79 vollständig und originalgetreu rekonstruiert, wobei man die Leistung des Malers Karl Manninger besonders hervorheben muss: er rekonstruierte nicht nur die drei Asamschen Deckenfresken, sondern auch das Hochaltargemälde und das Altarblatt des hinteren linken Altars. Besonders das große zentrale Deckenfresko mit der Einführung der hl. Anna in den Himmel ist ihm herausragend geglückt und stellt vielleicht Manningers beste Arbeit in München dar. Auch insgesamt ist die Rekonstruktion der Ausstattung von St. Anna hervorragend gelungen und wirkt absolut authentisch und stimmig: auch neu entworfene Teile wie die Orgel von 1999 oder die teilweise neu ausgestatteten beiden mittleren Seitenaltäre fügen sich ohne stilistische oder qualitative Brüche ein.

    Innenansicht vor der Zerstörung:

    Alte-Innenansicht.jpeg

    Weitere Innenansichten vor der Zerstörung:

    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m340409/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m606278/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244b10/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m606279/?part=0

    Zustand nach der Zerstörung durch Brandbomben:

    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m202016/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c13/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…m202015/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c11/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c12/?part=0
    - https://www.bildindex.de/document/obj20…2244c05/?part=0

    Zustand nach der ersten, rein konservierenden Instandsetzung (Foto von 1955):

    Innenansicht-1955.jpeg

    Auf dem obigen Foto sieht man, wie traurig die Kirche aussehen würde, hätten sich danach nicht die traditionalistischen Kräfte um Erwin Schleich und Norbert Lieb durchgesetzt und die Innenausstattung komplett rekonstruiert.

    Heute:

    53566271400_7d75bf06ab_h.jpg

    53566025733_26052a6da2_k.jpg

    53566272950_3288d35d81_k.jpg

    53565839126_ae04447d9e_h.jpg

    Zum Vergleich nochmal die Rückseite nach den Zerstörungen: https://www.bildindex.de/document/obj20…m202015/?part=0

    53565839141_9b82a8fabf_h.jpg

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Wenden wir uns nun den drei im Krieg zerstörten und danach von Karl Manninger rekonstruierten Deckenfresken zu.

    Zunächst eine Übersicht über das gesamte Gewölbe, auf dem man schön die tief in das Gewölbe einschneidenden Kalotten der Konchen sieht:

    53566025468_a388caae88_k.jpg

    Eine Farbaufnahme des originalen zentralen Freskos von C. D. Asam von 1943/44, die Aufnahme der hl. Anna in den Himmel darstellend:

    Zentrales-Deckenfresko.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Das von Karl Manninger 1972 rekonstruierte Fresko:

    53565839041_82cc2b8a8d_k.jpg

    Einige Ausschnitte:

    53566272580_34861434ca_k.jpg

    Original:

    Ausschnitt-Deckenfresko-2.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)
    Ausschnitt-Deckenfresko-3.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    53565838826_7a8f200300_k.jpg

    Original:

    Ausschnitt-Deckenfresko-1.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Das Fresko über dem Altarrraum mit der Verherrlichung des Namens Anna:

    53565839101_95175380b7_k.jpg

    Original:

    Fresko-Altarraum.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Das Fresko über der Orgelempore mit dem Tod Annas (davon hab ich leider keine bessere Aufnahme):

    53565839036_ab0e7cc994_k.jpg

    Original:

    Fresko-Orgelempore.jpeg
    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Die alte Signatur von C. D. Asam:

    Signatur-Asam.jpeg

    (Deutsche Fotothek, gemeinfrei)

    Die neue von Manninger:

    53566271475_32b7b3dcba_h.jpg

    Weitere Farbaufnahmen der originalen Fresken von Asam hier: https://www.deutschefotothek.de/gallery/encode…_ry8RGRZAORCGiw

    Für meine laienhaften Augen hat Manninger die Fresken der Annakirche herausragend gut hinbekommen, nicht nur als großes Ganzes, sondern auch in den meisten Details; viele Gesichter stimmen geradezu unglaublich überein. Er hat aber eine etwas weichere und "lieblichere" Malart als der scharfkantigere und schwungvollere Asam, ein bisschen "Charakter" geht Manninger im direkten Vergleich vielleicht ab. Das ist aber auch nicht verwunderlich angesichts der immens schwierigen Aufgabe, ein Werk eines anderen Künstlers so genau wie möglich zu kopieren. Insgesamt würde ich diese Fresko-Rekonstruktionen zu den besten zählen, die in Deutschland nach dem Krieg geschaffen wurden.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Weitere Fotos der Kirche:

    Der bis auf den Tabernakel von J. B. Straub und die beiden Heiligenfiguren links und rechts komplett rekonstruierte Hochaltar (incl. des ebenfalls von Manninger geschaffenen Altarblatts):

    53566153734_4b38941f7e_k.jpg

    53564980497_20f7c9fd6b_k.jpg

    Auf der linken blauen Tafel ist auf Latein die Rekonstruktion der Kirche vermerkt:

    53566024768_4d413f8ef7_k.jpg

    Seite links:

    53565838716_08ed0f37da_h.jpg

    Seite rechts:

    53566153969_e53146b7f1_h.jpg

    Das herrliche, ebenfalls rekonstruierte bayerisch-österreichische Allianzwappen über dem Altarraum:

    53566271580_52e8d2e2b3_h.jpg

    Zwei Schrägansichten des Kirchenraums:

    53566024903_eb92965eea_h.jpg

    53566272045_2ed7d101fe_h.jpg

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Etwas komplizierter ist die Situation mit der Kirchenfassade. Die ursprüngliche von Fischer gebaute Fassade ist nicht hundertprozentig überliefert: es gibt zwar einen Aufriss, von dem aber nicht klar ist, ob er eine frühe Fassung oder eine spätere Revision darstellt; gebaut wurde bis 1754 auf jeden Fall eine veränderte Version mit u.a. hinzugefügter Attika und verkleinertem Giebel, wie in zwei Zeichnungen von 1807 und 1840 zu sehen ist. Allerdings widersprechen sich die beiden Zeichnungen bzgl. einiger Details, vor allem im Giebel, weswegen der originale Zustand der Fassade leider nicht ganz klar ist.

    Der Aufriss von Fischer:

    Plan-J.M.-Fischer.jpeg
    Die Zeichnung von 1807 von Häusler:

    Zeichnung-Hausler-1807.jpeg

    Die Zeichnung von 1840 von Lebschée:

    Zeichnung-Lebschee-1840.jpeg

    1849 formierte sich unter den Bürgern des Lehels ein Turmbauverein, welcher der als zu wenig imposant empfundenen Kirche wenigstens einen Turm samt Uhr und Geläut an die Seite stellen wollte. Schließlich entschloss man sich sogar dazu, der Kirche eine ganz neue, dem Zeitgeschmack entsprechende, repräsentative Fassade vorzublenden: 1852/53 wurde durch August von Voit eine neoromanische Zweiturmfassade errichtet, die sichtlich von der wenige Jahre zuvor durch Voits Lehrmeister Friedrich von Gärtner gebauten Ludwigskirche an der Ludwigstraße inspiriert war. Die neue Fassade war zwar viel größer und „imposanter” als die alte, passte aber weder stilistisch noch atmosphärisch zur bestehenden Kirche: die unverputzten und - abgesehen von der durch Haustein akzentuierten Gliederung - dekorlosen Ziegelstein-Mauerflächen schufen eine eher asketische Ausstrahlung, die in scharfem Kontrast stand zum barocken, festlichen Innenraum.

    Die_Gartenlaube_%281881%29_b_032_1.jpg
    (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

    Weiteres Foto der neoromanischen Fassade: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=676590

    So ist es kein Wunder, dass nach den Beschädigungen des 2. Weltkriegs schnell die Idee aufkam, diese geschmackliche Verirrung wieder zu beseitigen und die barocke Fassade zu rekonstruieren: nicht nur vonseiten Erwin Schleichs, der die Wiederherstellung der Kirche leitete und schließlich 1965/66 die Barockfassade rekonstruierte, sondern schon zuvor von Richard Steidle, der als Architekt den Wiederaufbau des zur Kirche gehörigen und im Krieg zerstörten Franziskanerklosters geplant hatte. Schleich interpretierte die vorhandene und, wie oben bereits beschrieben, unklare Quellenlage zur Fassade auf eigene Weise und hielt sich, was den Giebel betrifft, dabei eher an die Zeichnung von 1840 von Lebschée. Das Vorhaben sah sich aufgrund des Mangels an sicheren Quellen und der daraus folgenden, etwas kreativen Herangehensweise natürlich einer gewissen Kritik ausgesetzt und wird in der Denkmaltopographie als „gewagte Nachschöpfung” bezeichnet. Die neoromanische Fassade war bis auf die zerstörten Turmhelme eigentlich recht glimpflich durch den Krieg gekommen und hätte mit relativ geringem Aufwand wiederhergestellt werden können; nichtsdestotrotz trug man bereits 1946 die Türme bis auf die Höhe des Fassadengiebels ab und 1965 schließlich auch noch bis auf Traufhöhe des Klosters, um darauf die barocke Fassade rekonstruieren zu können.

    Foto nach der Beschädigung:

    media-10386801.jpg
    (https://www.erzbistum-muenchen.de/pfarrei/st-ann…chen/cont/64328)

    Nach der Abtragung der Türme:

    1024x1024
    (https://hdbg.eu/wiederaufbau/g…na-im-lehel/348)

    Diese Entscheidung zum Abbruch ging wie schon erwähnt bereits auf Steidle zurück, dessen Wiederaufbauplan des Klosters direkt nach dem Krieg auch die Rekonstruktion der barocken Kirchenfassade vorsah, und war wahrscheinlich der damals weitverbreiteten Abneigung gegenüber historistischer Architektur geschuldet. Aus denkmalpflegerischer Sicht mag man diese Entscheidung vielleicht bedauern, aus ästhetischer und städtebaulicher Sicht hingegen muss man sie meines Erachtens unbedingt gutheißen: eine neoromanische Fassade braucht an dieser Stelle niemand - direkt gegenüber der Klosterkirche St. Anna befindet sich die gleichnamige neoromanische Pfarrkirche St. Anna von 1887-92.

    Was man hingegen kritisieren kann, ist, dass die barocke Fassade dem verbliebenen Torso der neoromanischen Fassade vorgeblendet wurde und somit nicht mehr wie ursprünglich auf einer Linie mit den flankierenden Klostertrakten liegt; diese Lösung wurde wahrscheinlich gewählt, weil sie erstens einfacher und kostengünstiger zu realisieren war und zweitens die erweiterte Vorhalle so beließ, wie sie seit 1853 bestand. Um diese etwas “zusammengebastelte” Lösung zu kaschieren, bekam der Torso sowohl links und rechts neben der Fassade als auch an den vorspringenden Seiten jeweils eine Fensterachse im Aussehen der Klostertrakte, d.h. ein rustiziertes Erdgeschoß mit Stichbogenblenden um die Fenster, darüber ein Gurtgesims, profilierte Fensterrahmungen mit stuckierten Brüstungsfeldern unter den Fenstern des 1. Stocks sowie als Abschluss ein Traufgesims. Diese Fassadengestaltung wurde den Bauaufnahmen von 1807 entnommen und ebenfalls beim Wiederaufbau des Klosters angewendet.

    Rekonstruierte Barockfassade auf dem Torso der neoromanischen Fassade mit angrenzendem Kloster:

    53566272985_faf602faba_h.jpg


    Insgesamt ist die Wiederherstellung von St. Anna ein Paradebeispiel für die von Schleich angestrebte schöpferische Denkmalpflege: einerseits wird mit größtmöglicher Akribie rekonstruiert, was verloren gegangen ist und wovon es genaue Quellen gibt; andererseits werden Teile, von denen nicht genau bekannt ist, wie sie ausgesehen haben, mit künstlerischer Kreativität und einer gewissen Unbekümmertheit so nachgeschöpft, dass sich in der Summe ein möglichst lückenloses und künstlerisch einheitliches Bild ergibt. Bezogen auf St. Anna bedeutet dies, dass die auf Fotos überlieferten Teile der Innenausstattung vollständig und so perfekt wie möglich rekonstruiert wurden, weil anders als etwa im Alten Peter, der Heiliggeistkirche oder der Damenstiftkirche hier keinerlei bauliche oder kunsthandwerkliche Kompromisse eingegangen werden mussten, die nicht vollständig bekannten Teile der Innenausstattung wie die beiden mittleren Seitenaltäre und vor allem die Fassade hingegen mit einem gewissen Pragmatismus und schöpferischer Eigenständigkeit nachempfunden wurden. Was den Innenraum betrifft, so wird heute niemand, ausgenommen vielleicht ein Experte für Malerei, erkennen, dass die Ausstattung nahezu vollständig neu ist und auch der neoromanische Torso ist hinter der vorgeblendeten Barockfassade so gut versteckt, dass die im Grunde etwas ungeschmeidige Art, wie die Kirchenfassade mit den Klostertrakten verbunden ist, kaum jemandem auffallen dürfte.

    Weitere Fotos der Klosterkirche St. Anna hier: https://www.flickr.com/photos/1619455…177720315209691


    Wenn man aus der Klosterkirche hinaustritt, sieht man direkt gegenüber die neoromanische Pfarrkirche St. Anna von 1887-92, der wir uns als nächstes widmen werden:

    53638312433_7f3b2155f8_h.jpg

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Hochinteressant wie immer! Vielen Dank!

    So wie die Kirche nach der ersten Wiederaufbau ausgesehen (drittes Bild) hat, sehen viele Kirchen in Würzburg noch aus.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker