Leipzig - Bürgerinitiativen wehren sich gegen Abriß

  • Der Osten hat wirklich riesige heruntergekommene Gründerzeitgebiete !
    Wie ist es eigentlich dazu gekommen ? Sind die Besitzer von der
    ehem. DDR enteignet worden , wordurch das Haus Staatseigentum
    wurde ? Ein möglicher privater Eigentümer hätte doch sicher
    sein Haus nicht so verfallen lassen.
    Weiß jemand genaueres ?

  • Falsch Oliver, nicht der Osten, sondern [lexicon='Leipzig'][/lexicon]!

    Nur weil im Ruhrgebiet viel Industrie war bezieh ich das doch auch nicht gleich auf den ganzen Westen. Oder nur weil ich im Fernsehen gesehen habe, dass Hamburg auch Platte hat, heisst das doch noch lange nicht, dass ganz Hamburg nur aus stupiden Plattenbauten besteht.

    Leider hat in Ostdeutschland nach Kriegsende der alte Bau kaum noch Überlebenschancen gehabt. Städte wie Potsdam und LE sind Außnahmen, wobei [lexicon='Leipzig'][/lexicon] eine grausame Zukunft blüht. Diese Stadt wird ohne Hilfe untergehen!

  • Das sehe ich nicht so. Neben Dresden, Jena, Erfurt und Weimar ist [lexicon='Leipzig'][/lexicon] die einzige Stadt im Osten, die überhaupt noch sowas wie eine vernünftige Zukunftsperspektive hat. Sie ist recht bekannt auch in den alten Bundesländern, sie ist Kultur-, Dienstleistungs-, und Industriezentrum; die "heimliche Hauptstadt der DDR" sagte man zu Ostzeiten. Überhaupt habe ich den Eindruck, daß die Leipziger selber das zunehmende Verschwinden ihrer "spätkapitalistischen Arbeiterviertel" mit Achselzucken hinnehmen. Pragmatische Leute, so habe ich sie kennengelernt. Solange in der Stadt investiert wird, sind sie zufrieden, auch wenn die Stadt insgesamt kahler und "unbehauster" wird. Natürlich nicht mit der Wolfschanze von Neuem Museum. Prinzipiell schon, weil groß und wichtig, aber dann doch am falschen Platz; denn an der Altstadt liegt ihnen schon was. Überhaupt muß ich mal sagen, daß ich [lexicon='Leipzig'][/lexicon] damals, 1989 war das, sehr gemütlich und gleichzeitig weltoffen fand, schaurig schöne, schwarzgerußte Mietskasernen, irrsinnig viel los in der stadt, der pechschwarze, ehrfurtgebietende Bahnhof(der leider fürchterlich stank).
    Heute ist das alles nicht mehr, [lexicon='Leipzig'][/lexicon] könnte ebensogut in Bayern oder Hessen stehen....bis offm Dioläggd, foschdäd sisch. Dän krischdmor nämmisch ne weg, oh wämmor fleische sou zähn Joahre driem geoaweided hoad.

    Aber was das Umland von [lexicon='Leipzig'][/lexicon] angeht, auch der ganze ehemalige Bezirk, so ist das eine Art Ruinenfeld einer alten, 1989 entgültig untergegangenen Industriekultur, auf die man mal richtig stolz sein konnte...schließlich schlug in den Zwanzigern und Dreißigern hier, und nicht im Ruhrgebiet, das industrielle Herz Deutschlands. [lexicon='Leipzig'][/lexicon] war auf dem direkten Weg zur dritten Millionenmetropole Deutschlands, vor München und Köln.

    Zu Ostzeiten verfiel das ganze Gebiet zunehmend, schlimme Umweltschäden waren die Folge, dann eine verheerende Auswanderungswelle. Orte wie Pegau, Plagwitz, Zeitz, Merseburg, Wolfen u.a. leiden schlimmer wie alte englische Industriestädte; die werden langfristig aufgegeben werden, schätze ich.

    Leute, die diese Anblicke nicht kennen, sind natürlich schockiert, aber für uns ist das eben Alltag geworden, normal. In [lexicon='Leipzig'][/lexicon] war eine der Losungen 89 "Rettet [lexicon='Leipzig'][/lexicon]!" oder "Ruinen schaffen ohne Waffen". Nun, das Zentrum, die verbliebene Substanz der Altstadt ist großenteils gerettet worden; dort sah es noch erheblich derber aus als heute im Leipziger Osten. Muß noch einiges getan werden; die ganze Markt Nordseite muß wieder weg; um den Führerbunker sollte IMO ein historistischer Blockgürtel gelegt werden, dann wärs erträglich...Platz dafür is da. Übrigens ist auch der Süden sehenswert; [lexicon='Leipzig'][/lexicon] hat (oder hatte) einen durchgehenden, sehr breiten Gürtel von Arbeitervierteln; hinter den Plattenbauten im Leiptziger Süden gehts ja in Markleeberg wieder richtig los! Es ist beeindruckend, wenn man durchfährt oder wandert. Vielleicht, weil man es im Überfluß hat, geht man leichtfertig damit um. Aber für eine vernünftige und den städtebaulichen Absprüchen genügende Lösung des Problems fehlen eben 250000 Einwohner... :?

    Nein, die werden gedünstet

  • Ich würde mir eine schöne Zukunft für [lexicon='Leipzig'][/lexicon] wünschen, die Stadt ist sympathisch. Aber momentan hat man hier eher mehr Angst, dass nach der WM 2006 keiner mehr Geld hat, weder Stadt noch LVB. Dass aufeinmal von Boom nichts mehr zu spüren ist. Das alles stagniert. Die Angst noch einmal zu versagen, nach der geplatzten Olympiabewerbung ist nicht ganz raus aus den Köpfen. Hier geht es um die letzte noch wahre, altdeutsche Identität (trotz 2er Weltkriege und 40 Jahre DDR), die durch Abriss weiterer alter Häuser immer mehr verloren geht. Natürlich spürt man von der Identität nichts, wenn man den ganzen Arbeitslosen ins Gesicht schaut. Aber irgendwas liegt noch in der Luft, in der Stadt. Hinter jeder Ecke dampft sie noch aus den alten, zerstörten Gebäuden und lässts sich gut gehen in den neuen sanierten Schmuckhäusern.

    Die Gefahr diese Identität zu verlieren ist die grösste Angst, die ein Leipziger zu seiner Stadt besitzt.

  • Von altdeutscher Identität würde ich nicht sprechen, gerade nicht bei Gründerzeitvierteln. Altdeutsche Identität gibts in Freiberg zu sehen, in Teilen Zwickaus oder in Jena.

    Die Gründerzeitviertel atmen einen etwas anderen Geist: den eines starken, optimistischen Deutschlands, das trotz seines nationalen Selbstbewußtseins ein weltoffener "global player" und in Wissenschaft, Technik und Lebensstandard weltweit führend war, aus eigener Kraft. Man bedenke: das ist nun fast hundert Jahre her, seitdem gab es nichts vergleichbares mehr. Die Historiker freilich können dieser Zeit nichts abgewinnen, zu sehr ist sie vom Gutmenschentum der Neuzeit entfernt. Aber zählt man die Daten auf, die Substanz und Energie, die dahinterstand, ergibt sich ein anderes Bild und es gewinnt das Kaiserreich gegen die BRD. :augenrollen:


    Daran jedenfalls muß ich denken, wenn ich durch diese riesigen Gründerzeitareale wandere, auch wenn ich sie nicht sonderlich schön oder ästhetisch finde. "Deutsch" sind sie schon glei gar nicht. Aber sie sind beeindruckend.

    Nein, die werden gedünstet

  • Altdeutsch geht bei mir sehr viel weiter zurück, vor dem Dreißigjähigen Krieg und davor. Eigentlich würde ich sogar soweit gehen zu sagen, "Altdeutschland" bezeichnet das Gebiet des alten ostfränkischen Reiches vor der Ostsiedlung. Da man damit aber wenig anfangen kann bzw. die wesentlichen gesamtdeutschen Kulturleistungen erst später erarbeitet worden, beschränke ich mich auf das deutsche Sprachgebiet, wie es vor dem Dreißigjährigen Krieg existierte, denn das war keineswegs mit dem Territorium des HRRDN identisch.

    Das preußisch-deutsche Kaiserreich, was ab 1871 bestand, war schon der Vorläufer der heutigen deutschen Nation bzw. ist die BRD der offizielle Rechtsnachfolger. Mit dem alten Römischen Reich Deutscher Nation, was offiziell bis 1805 existierte, hat es ziemlich wenig zu tun. Andere Dynastie, andere gesellschaftliche Verhältnisse, andere Territorien, obwohl die territoriale Zusammensetzung des Zweiten Reiches die bessere und stabilere war.

    Nein, die werden gedünstet

  • @ madmellow,

    Dein Spagat zwischen Euphorie und Pessimismus haut ja den stärksten Hund um. Ich denke, Du bist so ein großer Befürworter des Ausbaus der Jahnallee zu einer Autobahn (auf der man flanieren kann :zwinkern:) und dem einhergehenden Abriss der Kleinen Funkenburg. Andererseits sorgst Du Dich um das Stadtbild, als ob [lexicon='Leipzig'][/lexicon] kurz vor seinem Untergang stünde, und fühlst Dich auf den Schlips getreten, wenn unser Forumdoktor Dich "dezidiert" in die Schranken weist.

    Nicht Trübsal blasen, aber kritisch bleiben, lieber medmellow

    In diesem Sinne...

  • Zitat von "spacecowboy"

    @ madmellow,

    Dein Spagat zwischen Euphorie und Pessimismus haut ja den stärksten Hund um. Ich denke, Du bist so ein großer Befürworter des Ausbaus der Jahnallee zu einer Autobahn (auf der man flanieren kann :zwinkern:) und dem einhergehenden Abriss der Kleinen Funkenburg. Andererseits sorgst Du Dich um das Stadtbild, als ob [lexicon='Leipzig'][/lexicon] kurz vor seinem Untergang stünde, und fühlst Dich auf den Schlips getreten, wenn unser Forumdoktor Dich "dezidiert" in die Schranken weist.


    Was ihr alle mit der Funkenburg wollt. Erstens sieht die von aussen genauso aus, wie die Grosse, die ja schon saniert ist. Und zweitens scheint es hier nur um die Inneneinrichtung zu gehen. Warum hat man denn bei der Sanierung des "Coffee Baums" nicht auch so auf die Inneneinrichtung geachtet??? Dort gehen bestimmt 100 mal so viele Touristen ein und aus, als es jemals mit der Kl. Funkenburg geschehen würde, wenn sie denn stehen gelassen werden würde. Und von innen ist das Kaffeehaus mit seiner stolzen Zeit ganz und garnicht mehr zu vergleichen. Der Wiener Charme wurde dort ohne Beachtung verloren gegeben. Freiwillig!

    Der Strassenverlauf muss der Häuserzeile angepasst werden. Die Kleine Funkenburg steht theoretisch wie praktisch im Weg, der alte Häuserverlauf wie vor Jahrhunderten wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wieder so hergestellt werden. Der plötzliche Einschnitt nach der Kl. Funkenburg würde auf Ewigkeit sichtbar sein (durch Elstermühlgraben). Hier bin ich ein Verfechter der neuen Jahnallee, die einer Stadtautobahn nie ähneln werden wird.
    Der Goerdellerring sieht nackt aus, warum? Weil erst mit der Fertigstellung der Jahnallee zu einer wirklichen Allee die Begrünung stattfinden wird.

    Warum legt man soviel Kraft in die Rettung der Kl. Funkenburg, die [lexicon='Leipzig'][/lexicon] durch Zeitverzug offensichtlich nur schaden als helfen wird? Warum konzentriert man sich nicht auf augenscheinlich weitaus wichtigere Gebäude? Zum Beispiel

    oder

    oder

    ???

    Das macht mich traurig! Die Vereine [lexicon='Leipzig'][/lexicon] scheinen zwischeneinander viel zu unorganisiert, als das man hier Kräfte bündeln und somit mehrere Projekte gleichzeitig erfolgreich diskutieren und öffentlich machen kann.

    Der Weg durch die Jahnallee wird niemals dauerhaft Touristen ansprechen, wenn dann nur Stossweise (Fussball-WM im Zentralstadion, Konzerte in der Arena) und selbst da werden die wenigsten wirklich laufen. Die Innenstadt und ganze Gründezeitgebiete dagagen werden schon jetzt rund um die Uhr besucht. Es ist nunmal meine Meinung, dass die Jahnallee kein Potenzial hat und eine Erneuerung der Strasse mit hohen alleetypischen Bäumen und einer Flussöffnung das Beste ist, was man dort momentan tun kann.

  • In [lexicon='Leipzig'][/lexicon] bleibt es spannend. In der heutigen LVZ wird darüber berichtet, dass das Rathaus in Zusammenarbeit mit Fachleuten eine Liste von 500 Gründerzeithäusern zusammengestellt hat, die mit Hilfe eines Notfallprogramms vor dem weiteren Verfall geschützt werden sollen. Bei 100 Gebäuden bestehe nach Aussage Lütke-Daltrups akuter Handlungsbedarf. Einige dieser Häuser sind im Anhang der Pressemitteilung, die auch auf der Seite der LVZ abrufbar ist, aufgeführt.
    Die Finanzierung für dieses Rettungsprogramm steht aber noch in den Sternen. Folgt man der Argumentation Lütke-Daltrups rückt das Land nicht genug Fördermittel (Stadtumbau Ost) raus. Es bleibt also abzuwarten, was in den nächsten Monaten (nach den OBM-Wahlen) tatsächlich geschieht.

    Völlig offen ist weiterhin, wie mit den übrigen 2000 unsanierten Häusern umgegangen werden soll. Ich hoffe nicht, dass diese nun vogelfrei sind, gerade weil dies Lütke-Daltrup in dem Artikel andeutet (man "müsse eine gewisse Perforation hinnehmen").

    Bei kleiner Funkenburg und den Häusern in der Friedrich-Ebert Straße bleibt aber alles beim alten - sie sollen abgerissen werden.

    http://www.lvz.de/lvz-heute/160767.html\r
    http://www.lvz.de/lvz-heute/160767.html

    madmellow
    Schade das du so denkst. Warum die kleine Funkenburg ein erhaltenswertes Denkmals ist wurde doch nun schon mehrmals hier erläutert (http://www.aphforum.de/forum/viewtopi…r=asc&start=132).
    Außerdem sei nochmal deutlich gesagt, dieses Gebäude steht NICHT im Weg, auch nicht für einen vierspurigen Ausbau (der unsinnig ist) inkl. separaten Gleisbett. Es ist planerisch kein Problem Straße und Gleise um die Funkenburg herumzuführen.
    Auch hat es immer wieder breite Protestwellen gegen willkürliche Abrisse und den zunehmenden Verfall gegeben. Das Ergebnis ist die aktuelle öffentliche Diskussion. Nur wurden bisher leider alle Bemühungen für den Erhalt einzelner Denkmäler durch die beispiellose Ignoranz der Stadtverwaltung buchstäblich im Keime erstickt. Wer das blumige Stadtplanerdeutsch eines Lütke-Daltrups nun schon viele Jahre ertragen muss und was noch viel schlimmer ist, mit den leider wenig blumigen Ergebnissen leben muss, entwickelt nun mal eine kritische Distanz zu seinen Aussagen und zu dem, was er unter Aufwertung von Stadträumen versteht. Spätestens dann, wenn du an der künftigen Jahnautobahn "flanierst", siehst du das vielleicht genauso.

  • sadik

    Ich kann nur hoffen, dass der Schritt in die richtige Richtung kein hohles Wahlkampfgeplänkel sein wird. Des Weiteren bin ich sehr angetan von den Bürgerinitiativen, die sich nun um den Erhalt so vieler kulturhistorisch wertvoller Häuser in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] einsetzen. Bisher war ich immer der Meinung, dass auf diesem Gebiet - weil die Bürger Leipzigs mit ganz anderen Problemen in der jetzigen Zeit zurechtkommen müssen - zu wenig geschieht, und Lütke-Knallkopf und Konsorten dies für ihre frevelhaften Stadtumbauabsichten auszunutzen versuchten.

    Die Funkenburg bzw. die Gebäude in der Friedrich-Ebert-Str. abzureißen wäre dennoch ein schwerer Fehler, denn hier beseitigt man Häuser - jetzt mal abgesehen von ihrem kulturhistorischen Wert - im innerstädtischen Bereich, der noch nahezu geschlossen ist. Mit dem Abriss würde sich der ganze Charakter der Gegend grundlegend verändern und die Identität der Stadt [lexicon='Leipzig'][/lexicon] um ein weiteres Stück beraubt werden. Die Floskel von LWB-Chef Beck "Wir können nicht jedes Haus am Bahndamm erhalten" würde sich als reine Lüge entpuppen.

  • Zitat von "Wissmut"

    und in Wissenschaft, Technik und Lebensstandard weltweit führend war, aus eigener Kraft. [...] Aber zählt man die Daten auf, die Substanz und Energie, die dahinterstand, ergibt sich ein anderes Bild und es gewinnt das Kaiserreich gegen die BRD.
    [...]
    "Deutsch" sind sie schon glei gar nicht. Aber sie sind beeindruckend.

    Da zeichnest du aber ein ziemliches Zerrbild. Der Lebensstandard für einen einfachen Arbeiter zu dieser Zeit war nichts weiter als miserabel. Hinter den schönen Fassaden drängten sich Großfamilien plus Schlafgänger zur Minderung der Mietlast, die zusammen mit der Grundversorgung den Lohn meist schon auffraß.
    Inwiefern das noch besser gewesen sein mag als in anderen Ländern, kann ich nicht beurteilen, aber in der BRD geht es der Unter- und Mittelschicht erheblich besser.
    Und beeindruckend finde ich allenfalls, wie schnell größere Bauprojekte wie Eisenbahnstrecken, -Brücken/Tunnel und Staudämme vorangetrieben wurden, auch wenn das wiederum auf dem Rücken der Arbeiter getan wurde. Die Wohnviertel sind doch eigentlich nur Flachbauten, denen man eine schöne Fassade und ein vorgetäuschtes Dach "angeklebt" hat, man schaue sich das mal vom Hof aus an. Ich sage immer, die damalige Stadtplanung und Architektur war nicht deshalb so viel besser als heute, weil sie so gut war, sondern weil die heutige so schlecht ist.

  • Zitat von "haussmann"

    Die Wohnviertel sind doch eigentlich nur Flachbauten, denen man eine schöne Fassade und ein vorgetäuschtes Dach "angeklebt" hat, man schaue sich das mal vom Hof aus an.

    Naja, die Hofansichten sind teilweise wirklich dürftig aber sonst ist das doch völlig okay. Was mir heute wichtig ist ist der Weg von der Straße zur Wohnung, also Treppenhaus, Fassade, Hausflur etc. Die Wohnung kann ich mir ja selber einrichten.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Sicherlich ist das nicht schlecht. Es ist bloß auch Augenwischerei, von der man sich vielleicht allzuleicht täuschen und beeindrucken läßt.
    Wenn ich Architekt wäre, würde ich jetzt wohl etwas darüber sagen, daß auch die Ästhetik der Nazis diesen Mechanismus benutzte, und das heutige "ehrliche" Bauen dagegen.. blah blah..

    Aber ich muß schon sagen, daß ich nur dann beeindruckt wäre, wenn diese Häuser wirklich das wären, was sie vorspiegelten. Also etwa tatsächlich mit Sockel aus Sandstein, anstatt das nur vorne anzudeuten. So ist es bloß eine Maskerade, allerdings eine sehr nette und wirkungsvolle.
    Ich hätte immer noch gern Info darüber, wie das eigentlich alles gemacht wurde. Sind in den Überhängen (große Balkone usw.) Stahlträger? Wie hat man auf diesem Mauerwerk überhaupt die Stein-Imitate befestigt, und woraus bestehen sie?

  • Also es mag stimmen, dass Gründerzeitler nicht selten Fassadenmaskerade sind, aber zumindest in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] baute man oft mit Liebe zum Detail, sogar oft mit "Verschwendung", das Nachkriegsbauten gänzlich vermissen lassen. Ornamentik, Stuck, Jugendstilelemente usw. wurden bis in die "Rumpelkammern" verwirklicht.

    Wir dürfen den Aspekt nicht vergessen, dass diese Häuser zu einer Zeit entstanden sind, als die Bevölkerung in den Großstädten um - was weiß ich - 200000 Einwohner in 30 Jahren sprunghaft angestiegen ist. Umso beeindruckender ist doch, dass die "Massenmenschhaltung" so menschlich wie möglich realisiert wurde, im Gegensatz zur Nachkriegszeit, in der im Gegensatz die Bevölkerung kaum noch anstieg (vielerorts wie in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] eher zurück ging). Des Weiteren beeindruckt mich an dieser Ära, dass trotz der Bevölkerungsexplosionen auf eine geordnete und vernünftige Stadtstruktur geachtet wurde.

    Natürlich sind Gründerzeithäuser nicht jedermanns Sache, aber sie gehören nun mal auch zur Rubrik "klassische Architektur" und stellen in deutschen Großstädten nicht selten die restliche Überbleibsel aus Vorkriegszeiten dar. Und ein Glück, dass [lexicon='Leipzig'][/lexicon] davon - NOCH! - sehr viel hat (übrigens nicht nur Gründerzeitler).


    Hier mal noch ein paar sanierte Eindrücke aus [lexicon='Leipzig'][/lexicon]:





    Quellen:
    http://www.immobilienscout24.de">http://www.immobilienscout24.de
    http://www.lipsikon.de">http://www.lipsikon.de
    http://www.uni-[lexicon='leipzig'][/lexicon].de">http://www.uni-[lexicon='leipzig'][/lexicon].de

  • Zitat von "spacecowboy"

    Umso beeindruckender ist doch, dass die "Massenmenschhaltung" so menschlich wie möglich realisiert wurde, im Gegensatz zur Nachkriegszeit, in der im Gegensatz die Bevölkerung kaum noch anstieg

    Na, das klingt mir aber nun zu unkritisch. Auf Menschlichkeit war man wohl weniger ausgerichtet bei der engen Bebauung, man hielt sich immer gerade noch an die Vorschriften. Die Gängeviertel wurden auch nicht primär eingeebnet, um den Leuten etwas Gutes zu tun, sondern um die Seuchengefahr herabzusetzen und die sich dort ausbreitende Sozialdemokratie zu stoppen, jedenfalls, wenn man den Geschichtsschreibern glauben darf.
    Die "moderne" Architektur dagegen hatte ja diese ganzen Ideale von "gesundem" Bauen, "Licht und Luft" und Familienfreundlichkeit, wovon natürlich nur bei letztem Punkt Ansätze von Erfolg erkennbar sind, da für Kinder die alte Bebauung wirklich ein Graus sein kann - für mich war es sie jedenfalls.

    p.s. über die Motivation dahinter, auch noch die letzte Kammer zu verzieren, kann nach wie vor nur spekuliert werden. Keiner scheint etwas darüber zu wissen, ich vermute jedoch die Absicht des Bauherren, sich selbst ein Denkmal zu setzen.

  • Hallo Haussmann,

    zum Hamburger Gängeviertel kann ich leider nicht viel sagen, aber m.E. wurde doch gerade bei Gründerzeitlern weniger auf Funktionalität, sondern mehr auf Freiraum, Großzügigkeit, Detailliebe und Lebensfreude geachtet, als es bei den Nachkriegsbauten, die oft nur dem reinen Zweck des Wohnens dienen, der Fall ist. Insbesondere die 50ziger und 60ziger-Wohnhäuser weisen einen sehr beengten Wohnraum auf (3qm-Bäder) mit einer erdrückenden Deckenhöhe und manchmal bis zu 3 Wohnungen pro Etage. Also von Familienfreundlichkeit kann eigentlich keine Rede sein, oder? Und vom "gesunden Bauen" angesichts der Betontristessen der 70er und 80er kann auch nicht gesprochen werden.

    Des Weiteren waren Gründerzeitler so ausgerichtet, dass sie nicht selten rießige begrünte Innenhöfe einschlossen, die genug Freiraum für Aktivitäten boten.

    Natürlich brachten Nachkriegsbauten auch Vorteile mit sich (Bäder inkl. WC in den Wohnungen, größere Fenster, ökonomisch und ökologisch bessere Nutzung), aber wenn ich nur den rein ästhetischen Aspekt in Betracht ziehe, war die Gründerzeit der heutigen Bauhaus- und Betonzeit um Meilen voraus.