Gdańsk/Gduńsk realistisch - (Galerie)

  • Na, schauen wir uns Gdańsk doch mal etwas genauer an, das "Danzig" habe ich weggelassen, weil der Bezug zum Vorkriegsdanzig kaum gegeben ist.

    Alles Beispiele innerhalb von 10 Gehminuten vom Rathaus der Rechtstadt, also nicht irgendwo in Vororten. Und auch nicht "böswillig" ausgewählt, es sieht dort einfach so aus.

    Blicken wir mal hinter die Schauseiten der Rechtstadt, sehen wir die obigen Freiflächen, inzwischen ziemlich wild zugewuchert:

    Zwischen Altstadt und Rechtstadt - nein, diese freie Fläche ist nicht historisch:

    Hinter einem sehr schmalen Streifen sieht es dann so aus:

    Im Herzen der Altstadt:

    Vergleichsweise schon fast gelungen, der ins gigantische vergrößerte und garantiert ahistorisch bebaute Holzmarkt:

    Impressionen aus der Niederstadt:

    Ja, wir sind nur etwa 500 Meter vom Touristen-Hotspot entfernt.

    Easy does it.

  • Der Vorstädtische Graben, eine gigantische Brachfläche:

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    Der schwarze Klotz ist das Shakespeare-Theater:

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    Herausragende Verkehrsanbindung:

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    Südliche Innenstadt (gleich am Mottlaubecken):

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    Und die "Krönung" - die Vorstadt, auch heute noch das gigantische Nichts, mit ein paar Platten zwischen den Kirchen:

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    Entfernung vom Rathaus etwa 400 Meter, dazwischen im Wesentlichen nichts und Platte/Zeilenbauten.

    Easy does it.

  • Einige Hintergrundinformationen hätte ich noch - und ein eher versöhnliches Fazit.

    Hier der historische Kern Danzigs:

    Unten die Vorstadt, die nahtlos in die Rechtstadt übergeht (der riesige heutige Vorstädter Graben ist nicht historisch), nördlich davon die Altstadt.

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    In hellgrün habe ich umrandet, was man mit gutem Willen als Rekonstruktionsareal bezeichnen könnte, das Areal zwischen Rathaus und Marienkirche, einen Teil des Langen Markts bis zum Schumannhaus, getrennt davon noch das Grüne Tor.

    Wobei die Umbauung der Marienkirche ahistorisch ist, im Norden aus unerfindlichen Gründen nach wie vor grüne Wiese, im Süden eine viel kleinere Bebauung, die den Katholiken den Zugang zur inzwischen katholischen Kirche optisch erleichtern sollte. Gäbe es de Marienkirche dort nicht, hätte ich das Areal auch nicht mehr umrandet.

    Jopengasse, Langgasse usw. weichen viel zu stark ab, um sie noch als Rekonstruktion zu bezeichnen. Wobei auch Gebäude wie das Neue Schöffenhaus innerhalb des Rekonstruktionsareals mit seiner Phantasiefassade, die es niemals zuvor gab, schon kaum noch als "Rekonstruktion" gelten können. Aber hier wurden Nord-Süd-Gassen bebaut, die Baumasse ist zwar auch hier geringer als zuvor, aber der Unterschied ist nicht so dramatisch wie im gelb umrandeten Gebiet.

    Rechts daneben gibt es nochmals einen hellgrün umrandeten Bereich, deutlich besser der gelb umrandete Bereich (das ist der mit den langen Häuserzeilen), aber mit sehr viel geringerer Bebauungsdichte, dafür einigen echten Highlights wie Englischen Haus und Schlieffhaus (das übrigens schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts gar nicht mehr existiert) - also Brotbänkengasse und Frauengasse mit den jeweiligen Toren (wobei das Frauentor mit dem Haus der Naturforschenden Gesellschaft zwar eines der Wahrzeichen Danzigs ist, aber in den Proportionen erkennbar vom Original abweicht).

    In der Übersicht ist dieser Bereich leider etwas verrutscht eingezeichnet, aber die Grafik soll ja nur einen groben Anhaltspunkt zu den Größenordnungen liefern.

    Im Süden ist das Ende des gelb umrandeten Bereichs leicht einzuzeichnen, er endet mit der Hundegasse. Im Norden ist die Grenze nicht eindeutig, hier ging dem Projekt die Kraft aus, die Häuserzeilen wurden kürzer und einfacher, die Brachen größer, für den Erhalt der teilweise noch vorhandenen Bebauung war kein Geld mehr da, Nikolaikirche und Umfeld verfielen, die Kirche wurde gerettet, die erhaltenen Bürgerhäuser abgerissen und durch Kopien ersetzt.

    Der gelbe Bereich wirkt groß, wir müssen uns aber vor Augen halten, daß hier nur die Ost-West-Straßen nachgezeichnet wurden und dazwischen nichts ist, die Bebauungsdichte sank dadurch sehr stark, vielleicht auf ein Drittel?

    Easy does it.

  • Natürlich wäre das viel schöner und authentischer, wenn es diese kleinen Viertel gar nicht gäbe und alles als einheitliches aber verdichtetes 60er Jahr-Idyll gestaltet wäre.

    Ansonsten liegen die Unterschiede zu westdeutschen Städten klar auf der Hand:

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    Braunschweig - Bohlweg | HarzTobi | Flickr

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Anhand einiger Bilder ein Urteil fällen zu wollen, erscheint natürlich hochproblematisch; aber es entwickelt sich doch ein Gefühl dafür, wie groß die Gefahr ist, mit dem Bildern des alten Danzig im Kopf einem Hirngespinst aufzuerliegen. Vielleicht ist es besser, das selbst und vorher einzusehen. Die Zeit, die es benötigt, das alte Danzig selbst zu erarbeiten und zu verinnerlichen, ist schwer zu beantworten. So wie es scheint, wird man da aber bei der Konfrontation mit dem "Jetzt" auch nicht vor gewissen Enttäuschungen bewahrt bleiben.

  • Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich MAG Danzig und die gesamte Dreistadt, was ausdrücklich auch Gdingen einschließt, die Stadt der weißen Moderne.

    Die Danziger Innenstadt ist teilweise vorbildlich, wenn es darum geht, eine moderne Stadt mit historischen Akzenten zu errichten. Als "Rekonstruktionsprojekt" ist Danzig ganz im Gegensatz zu vielen anderen Städten wie Posen, die auch aus der Luft authentisch wirken, aber ein Ausfall.

    Um noch den "versöhnlichen Ausklang" anzusprechen, den ich oben angekündigt habe:

    Die Zeilenbauten der Rechtstadt mögen zwar nur Platzhalter gewesen sein, aber man konnte daraus etwas machen - durch gute Farbgebung, durch Nacharbeiten an den Fassaden. Mich stören auch die diversen Bauten des sozialistischen Realismus überhaupt nicht, weder das Kino Neptun noch die Post.

    Aber vor allem geben sie der neuen Bebauung den Rahmen vor - auch wenn diese definitiv nicht mehr den Eindruck erwecken möchte, historisch oder original zu sein. Das betrifft auch die Speicherinsel und die restliche Bebauung entlang der Mottlau.

    Und man hat schon zu Zeiten des Sozialismus dazugelernt, die Bebauung entlang der Mottlau fortgeführt, später dann auch die leeren Fläche zwischen den Zeilen immer stärker verdichtet.

    Die Speicherinsel wird wieder bebaut, der Raumeindruck ist wieder vorhanden. Es werden wieder Quergassen errichtet, im Vergleich zum obigen Schwarzweiß-Foto kam Ende der 70er noch ein weiterer Schwung Rekonstruktionen hinzu.

    Zwischen Frauengasse und Brotbänkengasse wird verdichtet, wir nähern uns einer richtigen Innenstadt an. Dank der "Platzhalter" in der Rechtstadt ist die Entwicklung hier positiv. In der Altstadt fehlt dieser Rahmen weitgehend, da käme niemand auf die Idee, zwischen die Hochhäuser ein Bürgerhaus zu setzen.

    Easy does it.

  • Der Wiederaufbau Danzigs ist ganz sicherlich bemerkenswert, kann sich aber mit dem Wiederaufbau der Warschauer Altstadt nicht messen. Eine ähnliche Leistung ausserhalb Polens nach 1945 gibt es in Deutschland (und Europa) kaum. Mir Fallen Donauwörth, Rothenburg, Dresden (nach 1989) und Münster ein. In Frankreich Saint-Malo. Flächenmässig sind sie aber kleiner.

    Ein grosses Problem der Altstadt ist, das sie eigentlich nur durch Touristen belebt wird. Die Polen kaufen ausserhalb in den riesigen Malls ein.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Auch für Warschau gilt aber:

    Geringere Bebauungsdichte (nicht so dramatisch, fällt vor allem im westlichen Teil auf), teilweise etwas verschobene Plätze und Gassen, eine ganze Reihe von Phantasiekreationen wie die Stadtmauer und natürlich hinter den Fassaden meist auch moderne Gebäude mit ganz anderem Zuschnitt. So schön wie heute war das Original nie.

    In erster Linie ist Warschau aber etwas für die Freunde des Sozialistischen Klassizismus und der Moderne.

    Ziemlich gelungen finde ich auch Posen (nur östliche Innenstadt) und Lublin sowie die westliche Hälfte von Breslau.

    Easy does it.

  • Eine ähnliche Leistung ausserhalb Polens nach 1945 gibt es in Deutschland (und Europa) kaum. Mir Fallen Donauwörth, Rothenburg, Dresden (nach 1989) und Münster ein.

    Am ehesten scheint dem Danziger Modell noch der Müsterianische Prinzipalmarkt zu entsprechen, wenngleich dieser vergleichsweise modernistisch daherkommt.

    Es ist eben wirklich schade, dass dieses Danziger (oder Warschauer) Modell nirgendwo aufgegriffen worden ist. Vor allem in Köln (mit seinen früher vergleichbar schmalen und Giebel freudigen Parzellen hätte sich das sicher gut gemacht. Auch in Belgien hat man nach dem 1. WK imgrunde vergleichbar gearbeitet (Ypern, Löwen).

    Ziemlich gelungen finde ich auch Posen (nur östliche Innenstadt) und Lublin sowie die westliche Hälfte von Breslau.

    Ist halt auch die Frage, was dort stehengeblieben ist...

    Ich glaub übrigens auch, dass ich von Danzig enttäuscht wäre, da haben mich schon zu viele gewarnt. Von Breslau war ich es ja auch, genauso von Hirschberg, Glatz uva. Auf anderem Niveau hätt ich mir sogar von Krakau mehr erwartet, wenngleich das natürlich eine sehr schöne Stadt ist. Lemberg hat meine Erwartungen sogar eher übertroffen. Was die größte Enttäuschung war, brauch ich wohl nicht auszuführen.

    Interessanterweise hat mich DD auf seine Art immer beeindruckt, sogar in den 1990ern.

    Danzig ist halt ziemlich ex nihilo.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Meine positivste Überraschung war Warschau, allein der Königsweg ist den Besuch wert. Idealerweise sollte man aber auch für den genannten Sozialistischen Klassizismus und die Moderne offen sein.

    Vielleicht ein "Geheimtip": westlich des Plac Trzech Krzyży die monumentale Achse der Ministerien oder der Süden des MDM-Projekts mit dem Latawiec-Anhängsel: Foto

    Easy does it.

  • So unterschiedlich sind die Geschmäcker: Warschau Königsweg enttäuschend. Danzig stimme ich mit überein.

    ...