Hannover-Linden/Limmer/CB-Neust. (Galerie)

  • Eine gewisse Allergie gegen Symmetrie gab es also auch schon vor 120 Jahren....

    Der Jugendstil ist häufig asymetrisch. Dennoch bestand Bewusstsein für Fassadenharmonie, nämlich durch die Einhaltung vertikaler Achsenlinien. Das ist ein starker Gegensatz zu heutigen Strichcode-Fassaden, die komplett auf Harmonie verzichten.

  • Der Jugendstil ist häufig asymetrisch. Dennoch bestand Bewusstsein für Fassadenharmonie, nämlich durch die Einhaltung vertikaler Achsenlinien. Das ist ein starker Gegensatz zu heutigen Strichcode-Fassaden, die komplett auf Harmonie verzichten.

    Ja, es gab so eine Art Jugendstil light, der im Prinzip nur eine Fortführung des Historismus mit ein paar floralen Stuckelementen war und/oder schon eine Art fassadenschmuckreduzierten Reformstil vorwegnahm und "echten" Jugendstil, der wesentlich seltener und eigentümlicher war. In Bremen wird gefühlt der halbe Altbaubestand als "Jugendstil" bezeichnet, weil einfach in dieser Zeit von ca. 1895 bis 1905 so verdammt viel gebaut wurde. Innen sehen die Häuser auch oft erkennbar anders aus als wirklich historistische Häuser, aber von außen muss man schon genauer hinschauen. Etliche Häuser haben immer noch eine sehr klassische Fassade und man erkennt nur an Details, dass diese aus dem Jugendstil stammen.

    Manche ernsthafteren Versionen des Jugendstils sind hingegen manchmal richtiggehend verstörend, streng, das erste Mal in der Architekturgeschichte, dass das gestalterische Ziel nicht unbedingt klassische Schönheit war wie eigentlich in allen vorausgegangenen Architekturperioden. Das heißt nicht, dass die Gebäude nicht auch schön sein können, keinen Wert hätten oder man sich da nicht ein wenig "einkucken" könnte, aber wie das Beispiel oben sind sie eben nicht so gefällig wie alles zuvor. Auch danach kamen mit Reformstil und der frühen Moderne wieder gefälligere, symmetrischere Stile, zumindest bis zur reduzierten Bauhausmoderne.

  • Ist das übertragbar auf ganz Deutschland? Ich kenne schon eine recht hohe Zahl an Jugendstilbauten in unterschiedlichen Stadtgrößen in Süddeutschland, aber wirklich wenige bis keine, wo ich sagen würde, dass sie verstörend auf mich gewirkt hätten. Gerade Dein Beispiel oben zählt für meine bisherigen Begriffe schon zum wirrsten was ich so kenne.

  • Ich glaube, dass es diesen strengen, "modernen" Jugendstil überall gab. Es war ja keine einheitliche Stilrichtung wie meinetwegen die Neogotik oder so, sondern eine Art Dachbezeichnung für die sehr verschiedenen Strömungen, die lediglich ihre Ablehnung des bislang dominanten oder de facto einzig existierenden Architekturstils, des Historismus gemeinsam hatten.

    In Südeuropa war er oft floraler, wilder (siehe katalanischer Modernisme), vielleicht auch in Süddeutschland? Für mich wäre das gezeigte Beispiel aus Linden zwar sehr markant, aber keineswegs aus der Reihe fallend für diese eher modernistische Seite des Jugendstils. Sie ist zwar deutlich seltener als andere Spielarten gewesen, aber -so denke ich zumindest- überall in Deutschland anzutreffen.

  • In eine Aufnahme aus der Entstehungszeit wäre nicht schlecht. Ich denke nicht, dass das was wir da heute sehen, den originalen Entwurf repräsentiert. Da meine ich ist schon viel verhunzt worden, unabhängig davon, dass es höchst wahrscheinlich schon immer asymmetrisch war…

  • Danke! Eine eigener Wikipedia Eintrag sogar. Einerseits heisst es dort, dass man das Haus nach Kriegszerstörungen vereinfacht aufgebaut hat, andererseits kann ich zu dort abgebildeten historischen Postkarte kein Unterschied feststellen. Was wiederum heißen könnte, dass das Haus später vollständig wiederhergestellt worden ist und die Proportionen schon immer etwas schief waren und das Haus bereits zur Erbauungszeit etwas skurril gewirkt haben muss…

  • Es folgen noch ein paar letzte Fotos aus Linden. Als erstes eine ganz witzige Begebenheit in der Weberstraße (ich glaube, das ist formal sogar schon Linden-Süd):

    Da haben zwischen den typisch hannoverschen Gründerzeitmietshäusern doch tatsächlich zwei Fachwerkhäuser überlebt. So sah das Dorf oder die Kleinstadt Linden wohl an vielen Stellen vor der rasanten Industrialisierung aus. In Linden-Mitte dann noch dieses schöne Ensemble, das datiert ist auf das Jahr 1917:

    Mal wieder eine der vielen herrlichen Schulen in Linden, hier in Linden-Nord:

    Diese sind - anders als in Bremen - in Hannover auch eigentlich immer in einem auffallend guten und gepflegten baulichen Zustand. Und, was ich an Linden so beeindruckend finde sind diese endlosen Fluchten von erhaltenen Straßen:

    Solche Bilder gibt es in Deutschland sonst nur aus ein paar ostdeutschen Großstädten und Berlin (da aber in den ehemaligen Arbeiterstadtteilen eigentlich nur entstuckt). Oder sowas hier:

    Bis zum Horizont und inklusive des kaum noch erkennbaren Hauses ganz am Ende quer zur Straßenflucht durchgehend Historismus.

    Linden-Nord an diesem schönen Frühsommertag auch unheimlich lebendig, überall Leute in den Straßen, in den Parks an der Ihme, optisch erkennbar ein sehr hoher Anteil an Migranten, v.a. wohl aus der Türkei und Spanien (man hörte sehr viel spanisch auf den Straßen, auch viele spanische Cafés etc) und den Neuankömmlingen der letzten Jahre (arabische Länder, auch viele Ukrainer), gemischt mit Studenten und einer, sagen wir, poststudentischen Schicht aus jungen Familien.

    Auch wenn der Stadtteil sicher seine Probleme hat mit Lärm und Armut, so wirkte er doch erstaunlich funktionierend. Das ist so die Sorte Stadtteil, die glaube ich für einen bestimmten Teil der eher ländlich oder suburban wohnenden Deutschen der absolute Albtraum wäre, der Blick von außen stark geprägt von medialen Klischees und fast "safariartig". Man kennt es nur aus dem Fernsehen, ist jeden Tag froh, dass "die Verhältnisse" bei einem zu Hause noch nicht so sind.

    Dabei leben dort auch nur Menschen, und besonders unglücklich scheinen sie nicht zu sein, so voll, wie die Straßen und Cafés und Parks da waren, besonders die Hauptachse Limmerstraße barst vor Leben:

    Nach Norden zur Ihmeaue Parks und Cafés und Biergärten in umgenutzten Fabrikarealen:

    Zwischendurch auch immer wieder beeindruckende Ensembles von spätkaiserzeitlicher Architektur:

    Ganz an den Rändern des Stadtteils im Norden und Westen gibt es auch Zwischenkriegsarchitektur:

    Hier anscheinend frisch renoviert und in sehr gutem Zustand.

    Ich habe noch viele Fotos, aber bremse mich jetzt erstmal. Ich kann allen, die mal sehen wollen, wie augenscheinlich gut diese Stadtteile trotz eines ganz sicher nicht vorhandenen Mangels an Problemen sozialer Art funktionieren können, nur eine Reise nach Linden empfehlen. Die einzige unangenehme Situation ging dann auch von einer Gruppe stark alkoholisierter augenscheinlich Autochthoner aus, die sich stinkbesoffen an einem kleinen Platz in einer Seitenstraße lautstark stritten.

    Auch sehr sehenswert ist wohl das Hinterhofleben, darauf hatte Orakel ja auch schon hingewiesen. Die Hinterhöfe in Hannover sind fast nie stark bebaut (anders als in Berlin) und meist grüne Oasen, ich habe bei offenstehenden Türen in einige hineinfotografiert, vielleicht zeige ich das auch nochmal....

    Ich bleibe dabei, dass diese Form des Städtebaus trotz (oder gerade wegen?) ihrer Dichte mit ihrer Menschlichkeit, den kurzen Wegen, der Durchmischung und der Lebendigkeit beispielhaft ist und bleiben wird, wenn es um die Herausforderungen der Zukunft geht.

  • Einige Impressionen des ehemaligen Hanomag-Areals in Linden-Süd. Heute ein Mix aus Büros, Gewerbe und einigen Wohnungen. Von den einstigen Werksgebäuden ist leider nicht mehr viel erhalten geblieben. (Diese Bilder wurden größtenteils bereits einmal anderswo gezeigt.)

    Direktionsgebäude

    Fassade am Deisterplatz

    ... und in der Hanomagstrasse.

    Fassadendetail

    Ehemaliges Werkstor an der Göttinger Strasse. Darüber der Ernst-Winter-Saal, in dem nach dem Krieg die SPD neu gegründet wurde.

    Die ehemalige U-Boot Halle von 1943.

    Edit.: Die Bilder wurden am 01.08.2023 neu gehostet. Das Bild der vormals gezeigten Direktorenvilla war zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar.

    Alle Bilder sind von mir.

  • Nicht mehr Linden sondern Limmer. Alter Dorfkern vom Leineabstiegskanal aus gesehen. Für das benachbarte kleine Limmer einen eigenen Strang aufzumachen lohnt sich jetzt nicht wirklich - obwohl es auch in Limmer noch zahlreiche teils schöne Altbauten gibt. Nicht unbedingt Architektur, ein stimmungsvolles schönes Bild des hier dörflichen Hannover aber allemal. (Bild von mir.)

  • Snork 7. Juli 2023 um 13:35

    Hat den Titel des Themas von „Hannover-Linden (Galerie)“ zu „Hannover-Linden/Limmer (Galerie)“ geändert.
  • Einige Bilder vom Kulturzentrum Faust auf dem Areal der ehemaligen Bettfedernfabrik Werner & Ehlers in Linden Nord. Der Biergarten auf dem Areal wurde ja bereits von Heinzer kurz gezeigt.

    alle Bilder sind von mir

  • Weiter geht's mit einem kurzen Blick auf den benachbarten unlängst sanierten Block. Links das Faust.

    Ein schönes Graffiti in der Nachbarschaft

    Blick über die Ihme auf die drei warmen Brüder (Heizkraftwerk Mitte) und das Ihme Zentrum (mit der grössten gegossene Bodenplatte Europas)

    Und zum Schluss noch die wunderschönen Kandelaber auf der Königsworther Brücke. Es sind ihrer vier.

    Das ist es gewesen, alle Bilder sind von mir!

    Edit.: Gerade gesehen, dass Heinzer den Block in diesem Post schon mit einen Bild gezeigt hat (letztes Bild Post #29). Egal, wer den Vorzustand kennt, kann von Bildern des Baus nicht genug kriegen ...

  • Nach den Bilderposts noch eine Anmerkung: Die Häuser in der Velvetstraße wurden für Arbeiter der ehemaligen Lindener Baumwollspinnerei errichtet. Den Verlust der Weberhäuser bedauere ich bis zum heutigen Tag jedes mal wenn ich da vorbei komme. Eine weitere verloren gegangene Arbeitersiedlung in Linden ist "Klein Rumänien" auf dem heutigen Hanomag-Areal, nachzulesen hier.
    In der Weberstraße in Linden-Süd wurde kürzlich ein Neubau quer zur Straße errichtet, um so einen Weg in den Hinterhof zu weisen. Auf diese Weise soll an die zahlreichen ehemaligen Hinterhofwohnungen für Arbeiter in Linden erinnert werden, die in den dortigen Industriebetrieben ihr bescheidenes Leben fristeten (Google Maps).

    Übrigens wurde in Linden erst kürzlich wieder ein Stück des stetig schrumpfenden hannoverschen Industrieerbes abgerissen, siehe hier.

  • Bei all den schönen Strassen von Linden die hier von Heinzer auf so unnachahmliche Art gezeigt und beschrieben wurden, darf man nicht vergessen, dass Linden vor allen Dingen eines ist: der Kiez dieser Stadt. Wer glaubt hier in Ruhe ein bürgerliches Leben führen zu können, ist fehl am Platz. Um das Bild von Linden zu vervollständigen hatte ich deshalb kürzlich Bilder vom Kulturzentrum Faust gepostet. Zusätzlich hier jetzt noch Bilder vom Veranstaltungszentrum Glocksee. Dieses liegt auf der anderen Seite des Ihme-Zentrums und damit eigentlich schon in der Calenberger Neustadt. Egal, wie auch die weiter oben gezeigten Kandelaber auf der Königsworther Brücke verortet man das Veranstaltungszentrum Glocksee emotional eher in Linden.

    im Hintergrund das Ihme-Zentrum

    und noch mal das Ihme-Zentrum

    alle Bilder sind von mir

  • Das erklärt die vielen Graffiti Schmierereien auf den Gründerzeithäusern....

    Solche Viertel gehören zu einer Stadt aber auch dazu, auch wenn Schmierereien an Gründerzeitlern natürlich immer ärgerlich sind. Linden widersetzt sich auch ziemlich erfolgreich jeglicher Gentrifizierung. In der Vergangenheit habe ich tatsächlich häufiger Veranstaltungen und Konzerte in der Glocksee besucht. Mittlerweile bin ich für das Publikum allerdings zu alt ...

    Egal, hier noch Impressionen von der Hannah Arendt Schule. Ebenfalls Calenberger Neustadt, für die ich jetzt keinen eigenen Strang auf machen werde. Eigentlich wollte ich auch Bilder von der beeindruckenden zentralen Halle/Aula machen. Leider kam ich nicht rein. Von der Leine aus ein ziemlich idyllischer Anblick ...



    Und die wenig bekannte Grundschule ein paar Meter weiter am Goetheplatz mit getrennten Eingängen für Knaben ...

    ... und Mädchen!

    alle Bilder von mir

  • Diese Bilder wurden bereits einmal teilweise an anderer Stelle gezeigt. Es handelt sich um einen vor relativ kurzer Zeit fertiggestellten Neubau von Stefan Forster in der Calenberger Neustadt in der Adolfstrasse, am unmittelbaren Übergang zu Linden. Meiner ganz persönlichen Meinung nach der schönste Bau den Stefan Forster bisher überhaupt realisiert hat. So geht Klinkerarchitektur ...

    Alle Bilder sind von mir.

  • Snork 31. Juli 2023 um 16:12

    Hat den Titel des Themas von „Hannover-Linden/Limmer (Galerie)“ zu „Hannover-Linden/Limmer/CB-Neust. (Galerie)“ geändert.
  • Conti-Altbauten Teil 1

    Nun da endgültig feststeht, dass die mit Nitrosaminen verseuchten denkmalgeschützten Altbauten der Conti in Limmer abgerissen werden, habe ich noch einmal umfangreich Bilder gemacht, bevor es zu spät ist. Einige Bilder teile ich gerne mit dem APH-Forum.

    Es handelt sich um eines der bedeutendsten Industriebaudenkmäler Hannovers. Ein Sanierungskonzept scheiterte, alles im Internet nachzulesen. Müsste ich es hier noch einmal wiederholen, kämen mir die Tränen. Eine Schande ...

    Derzeit wird angestrebt, die Gebäude zumindest in ihrer Kubatur wiederauferstehen zu lassen. Fest steht aber: sind sie erst einmal abgerissen, reihen sie sich ein in die lange Liste verloren gegangener Bauwerke, von denen es nur noch alte Bilder gibt.

    An dieser Stelle auch noch mal ganz besondere Grüsse an Bauunternehmer Günter Papenburg, der jahrelang auf den Abriss der Gebäude hin gearbeitet hat.

    Vom Stichkanal aus gesehen:

    Der Schwan auf dem Bild hatte offenbar einen gebrochenen Flügel. Der "Rettungsdienst" wurde verständigt:

    Von der Brücke aus:

    Von der Strasse kurz vor der Brücke:

    Das Werkstor von der Strasse aus:

    Alle Bilder sind von mir.

    Fortsetzung folgt ...

  • Conti-Altbauten Teil 2

    Hier jetzt Bilder von der "Landseite".

    Bald Geschichte, das historische Werkstor. Bürokratie und ein Investor machen es möglich:

    Ehemaliger Verwaltungsbau. Das einzige Gebäude welches nicht abgerissen wird:

    Eingang Verwaltungsbau, bald so ziemlich das letzte Zeugnis der Conti in Limmer:

    Die Ruinen von der Rückseite, bald nur noch Erinnerungen:

    Sorry für die Qualität. Der Zoom meines Handys gibt nicht mehr her:

    Der Turm der Conti im Hintergrund bleibt erhalten und wird bald einsam im Neubaugebiet stehen. Die meisten anderen Gebäude auf dem Areal wurden schon vor Jahren abgeräumt:

    Baustelle im Gegenlicht. Rechts das Werkstor von der anderen Seite:

    Alle Bilder sind von mir.

    Das war jetzt wohl für die nächsten Wochen die letzte umfangreichere Bilderstrecke von mir. Kann ja nicht immer sowas geben.