Gute Beispiele neuer Architektur

  • Ich schlage vor, eine Sammelstelle für gute Beispiele neuer Architektur einzurichten.

    Konsens hier im Forum ist ja sicher, dass die Architektur aus der Zeit vor 1920 im Einklang mit dem Motto "Architectura Pro Homine" steht. Irgendwo um das Jahr 1920 herum hat die Architektur eine falsche Abzweigung genommen und entwickelte sich zu dem, was heute Mehrheitsmeinung ist.

    Aber schon in der Zeit vor 1920 stand die Entwicklung ja nicht still... Ein schönes Klassizismus-Gebäude von 1810 ist für das Ziel des Forums sicher genauso wertvoll wie ein Jugendstil-Gebäude von 1910. Dennoch unterscheiden sie sich stark.
    Ich hatte das Thema vor einiger Zeit schon mal angesprochen: Selbst wenn die Architektur 1920 nicht die falsche Abzweigung in ihrer Geschichte genommen hätte, wäre der Jugendstil heute Geschichte und es gäbe irgendeine andere Architektur, die aber "Pro Homine" ist.

    Solche Beispiele sollte man sammeln!

  • Ein dankenswerter Impuls, dem wir uns nicht verschließen sollten. Schon vor Monaten ging es in diesem Forum um die Frage, ob nicht die Präsentation herausragender moderner Architektur in Deutschland einer der Wege wäre, der aus der verzagten, ideenlosen und vorbildlosen deutschen Bauwerkelei herausleiten könnte.

    Nur eine Anmerkung zu Stadtmensch: Ich glaube nicht, dass die Architektur allgemein um das Jahr 1920 eine falsche Wendung genommen hat; wer dürfte schon darüber richten, was in der Kunstgeschichte richtige und falsche Weichenstellungen waren. Die entscheidende [lexicon='Zäsur'][/lexicon] brachte vielmehr der 2. Weltkrieg und zwar eindeutig in Deutschland. Man mag der global gewordenen Moderne noch so skeptisch gegenüberstehen - es ist doch nicht zu übersehen, wie in den außerdeutschen europäischen Ländern die zeitgenössische Architektur sich immer wieder aus der landesspezifischen Tradition heraus befruchtet und pluralistisch auffächert, während das (ausschließlich "moderne") Bauen in Deutschland seit 60 Jahren auf niedrigstem gestalterischen Niveau stagniert und qualitative Ausnahmeerscheinungen ignoriert werden. Dieser Ignoranz und Dumpfheit entgegenzutreten und alles Richtungsweisende zu feiern, ist aller Mühen wert.

  • Da fällt mir spontan das Leipziger Katharinum Gebäude von Krier und Kohl, das Isartor Palais in München oder das Westend Ottensen in Hamburg ein.

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Zitat

    Ich hatte das Thema vor einiger Zeit schon mal angesprochen: Selbst wenn die Architektur 1920 nicht die falsche Abzweigung in ihrer Geschichte genommen hätte, wäre der Jugendstil heute Geschichte und es gäbe irgendeine andere Architektur, die aber "Pro Homine" ist.

    Meine laienhafte Vorstellung ist, daß, nachdem man im Historismus alle Stile von Romanik bis Klassizismus durchprobiert hatte, das heimische Formrepertoire aufgebraucht war. Aus der geistigen Krise und dem Ennui des fin de siecle erwuchs auch der Ruf nach einer neuen Architektur, wobei die natürlichen Formen des Jugendstils ihr gesellschaftliches Gegenstück in der Zurück-zur-Natur-Bewegung haben. Dieser Wandel fand aber zunächst nur auf dem Gebiete des Ornaments statt (aber auch hier oft mit neobarocken Versatzstücken), während z.B. Proportionalität und Raumwirkung nur geringfügig modifiziert wurden. Deshalb ist der Reformstil weit eher als Appendix des Historismus denn als "Halbzeit der Moderne" zu sehen.
    Die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Kräfte - Fortschritt in Wirtschaft und Wissenschaft und damit positivistisches Fortschrittsdenken, Zusammenbruch der vorindustriellen Ordnung, Entkirchlichung, die zunehmende Bedeutung der sozialen Frage (Licht und Luft) - waren aber weiterhin aktiv (und auch zwangsläufig, wenn man nicht dem Luddismus anhängt). Und so war der Reformstil egtl. schon bei der Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 auf dem Rückmarsch und wurde zunächst durch Monumentalstil und Expressionismus abgelöst, die mit der alten Formtradition aber immer noch nicht brachen. Ein Beispiel:


    Quelle: Wikipedia, Clemensfranz

    Typisches Beispiel für Monumentalbauweise in Berlin, links Theodor-Heuss-Platz 10-12 (1911/1912), in der Mitte Reichsstraße 1.

    Ich stelle mir vor, daß es ohne WKI im Geschoßwohnungsbau ungefähr in diesem durchaus gefälligen Stile weitergegangen wäre. Nun kam aber der erste Weltkrieg und wie in der Politik, so in der Architektur stellte dieser eine Zeitenwende dar: Während z. Bsp. in den USA die Übergänge Späthistorismus-Art Deco-Neoklassizismus der 30er Jahre-Moderne weit fließender sind (wobei Anfangs- und Endpunkt mutatis mutandis übereinstimmen!), war in Deutschland das "Alte, Morsche" zusammengebrochen und Platz für die Kunstrevolution.
    Am augenfälligsten war der Wechsel wohl von der Blockbebauung zum Zeilenbau, der zugleich urban und ländlich sein will und doch keines von beiden ist, sondern eine Tristesse und Öde ausstrahlt, wie sie auch für die Nachkriegsmoderne typisch sind. Die konservative Moderne (Heimatschutzstil) ist dabei gegenüber der klassischen auf halbem Wege stehengeblieben, also nicht ganz so schlimm; außer Fensterläden und ein paar Varianten in der Hofstruktur und bei den Dachformen fielen dieser aber auch kaum Individualisierungsmöglichkeiten ein.
    Schauen wir in die Geschichte zurück, so gab es vielleicht eine Handvoll grundsätzlich verschiedener Baustile, die teils über viele Jahrhunderte hinweg gebaut wurden. Vielleicht ist der praktisch und ästhetisch sinnvolle Formenkanon auch einfach nur durchdekliniert, womit die Forderung nach dem Architekten als künstlerischem Originalgenie sinnlos wäre. Gropius etwa wird in diesem Zusammenhang oft als Vorbild für Nachwuchsarchitekten apostrophiert, die dann versuchen, ihre Kreativität durch Schüttelfenster und sinnlose Dekonstruktivismen unter Beweis zu stellen.
    Seit der Gründerzeit hat es wesentliche Änderung z.B. bei Geschoßhöhe, Materialauswahl, Grundrissen gegeben, so daß man jetzt einen Neohistorismus bauen könnte, der einerseits sich der historischen Vorbilder bedient, andererseits aber auch etwas komplett Neues darstellt und künstlerisch höhere Ansprüche an den Architekten stellte als der x-te Bauhaus-Verschnitt. Da eine neue Neogotik oder Neorenaissance aber bei den aktuellen Verhältnissen utopisch scheint, ist angepaßte Postmoderne wohl das höchste der Gefühle. Hier ein ansehnliches Beispiel aus Berlin-Charlottenburg (Sybel- Ecke Dahlmannstr.), das im Ggs. zur vorherigen 60er-Jahre-Bebauung die Straßenflucht wiederherstellt:
    Dahlmannstraße 8 / Sybelstraße 50 – Berlin-Charlottenburg