Die neue Lust am Altbau (WELT-Artikel)

  • Ein Auszug:

    Zitat

    Renaissance der Barock-Architektur: Immer mehr Menschen zieht es in Gründerzeithäuser - Heftige Architekten-Schelte

    München - In welchen Städten wollen wir wohnen? Der Bund Deutscher Architekten (BDA), die Renommiervereinigung der Baugestalter, in die man nicht eintreten, sondern nur berufen werden kann, hatte sich den 100. Geburtstag ihres bayerischen Gliedverbandes ausgesucht, um sich der Grundsatzfrage zu stellen: Was machen Architekten heute falsch, wenn sie von ihren "Kunden" und Partnern, den Mietern, Investoren, Planern, nicht mehr verstanden werden?

    Vermutlich machen die Architekten gar nichts falsch, sie haben es leider nur mit einer strunzblöden Bevölkerung zu tun.

    Zitat

    Man hatte Philosophen, Historiker, Architekturtheoretiker und junge Architekten eingeladen, um sich von ihnen erläutern zu lassen, warum so viele Mitbürger mit "moderner" Architektur nichts mehr anfangen können. Doch es war ausgerechnet ein Politiker, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der der Zunft in der Münchner Residenz, unter den penibel rekonstruierten Stuckdecken des Max-Joseph-Saals, den Spiegel vorhielt. "Fragen Sie sich doch selbst, wo Sie am liebsten wohnen!", forderte er die Bauelite auf. Er wisse sehr gut, mit wie viel Schläue und Raffinesse sich die hypermodernsten Entwerfer für ihre private Existenz die schönsten Jugendstilwohnungen zu sichern wüssten Auch er selbst wohne in einer schicken Altbauwohnung und bekomme als Stadtoberhaupt "waschkörbeweise Briefe" von Leuten, die ein Gründerzeithaus mitten in der Stadt suchten, mit hohen Räumen, Erkern, Stuck und Dielenfußböden. "Warum werden diese elementaren Bedürfnisse nicht befriedigt?"

    Weil das natürlich rückständig und reaktionär und rückwärtsgewandt und faschistisch und menschenfeindlich und womöglich auch noch Tierquälerei ist. Anständige Demokraten leben in Wohnungen, die sie nicht gemütlich finden.

    Zitat

    Während aber der Münchner Soziologe Armin Nassehi in wiederauferstehenden Barockfassaden nichts als "Pop" und sinnentleerte Zeichen sehen wollte und der Historiker Jörn Rüsen (Witten-Herdecke) für die Fortsetzung der Moderne im Sinne eines "humanistischen Universalismus" warb, kam der Architekturtheoretiker Ullrich Schwarz (Hamburg/Graz) zu einem entgegengesetzten Schluss. Die konventionelle, eindimensionale Sicht der Moderne mit ihrer panischen Angst, hinter dem Neuesten zurückzubleiben, trage nicht mehr.

    Barock ist "Pop" und sinnentleere Zeichen, sprach der Soziologe und lobte den Schuhkarton...

    Zitat

    13 regionale Bürgerinitiativen aus ganz Deutschland hatten sich zusammengeschlossen und eine Resolution verfasst, die sie dem BDA zum 100. Geburtstag auf den Tisch legen wollten: "Wir fordern hier und heute, die Blockadehaltung gegenüber der Rekonstruktion aufzugeben und diese endlich als gleichberechtigte Bauform zu akzeptieren. Rekonstruktion richtet sich nicht gegen die Anwesenheit des Neuen in unseren Städten. Sie richtet sich allerdings gegen die Abwesenheit des Alten."

    Vollständig:
    http://www.welt.de/welt_print/article2081436/Die_neue_Lust_am_Altbau.html\r
    http://www.welt.de/welt_print/article20 ... ltbau.html

  • 09. Juni 2008


    P R E S S E M E L D U N G

    Anlässlich der Tagung des Bund Deutscher Architekten in München:
    15 Verbände und Initiativen für den Wiederaufbau historisch wertvoller Gebäude übergeben Resolution an BDA.

    Unter dem Titel "Zeitmaschine Architektur" diskutierte der BDA auf seiner diesjährigen Jahrestagung die aktuellen Themen Rekonstruktion und historisches Bauen.
    Unter dem Dachverband "Stadtbild Deutschland e. V." forderten insgesamt 15 bundesweit ansässigen Stiftungen, Initiativen und Verbände, die sich für den Wiederaufbau bedeutender Gebäude einsetzen, den BDA auf, seine prinzipielle Blockadehaltung gegenüber Rekonstruktionsprojekten aufzugeben.
    Somit richteten sich die einflussreichsten Vereinigungen aus ganz Deutschland erstmals gemeinsam an die Architektenschaft.
    Jürgen E. Aha, Gründer des AltstadtForum Frankfurt übergab die Resolution am 7. Juni persönlich dem Präsidenten des BDA, Herrn Michael Frielinghaus. Herr Frielinghaus sagte zu, das Papier zu behandeln und zur Resolution Stellung zu nehmen.

    Öffentliche Forderung an den Bund Deutscher Architekten BDA, anlässlich des
    4. BDA- Tages am 7. Juni 2008 in München

    Vorgetragen von Jürgen E. Aha im Auftrag von:
    - Stadtbild Deutschland e.V., dem ersten Bundesverband für die Errichtung von Rekonstruktionen und historisches Bauen,
    sowie im Namen folgender 14 Verbände, Vereine und Initiativen:
    - Altstadtforum Frankfurt
    - Bürgerinitiative Historische Rathausseite e.V., Halle
    - Bürgerinitiative Historisches Rathaus Wesel e.V.
    - Bürgerstiftung Historisches Rathaus Wesel
    - Bürgerinitiative Mitteschön, Berlin
    - Förderverein [lexicon='Berliner Schloss'][/lexicon] e.V., Berlin
    - Förderverein für die Schinkelsche Bauakademie e.V., Berlin
    - Gesellschaft historisches Berlin e.V.
    - Gesellschaft Historischer [lexicon='Neumarkt Dresden'][/lexicon] e.V.
    - Initiative Münchner Architektur und Kultur, AKU
    - Initiative Pro Altstadt e. V., Frankfurt
    - Internationale Frankfurter für die Altstadt
    - Kuratorium Ulrichskirche e.V., Magdeburg
    - Verein [lexicon='Potsdamer Stadtschloss'][/lexicon] e.V.

    Wir begrüßen es, dass sich der BDA auf seiner Jahrestagung 2008 endlich mit den Themen Rekonstruktion und historisches Bauen beschäftigt. Der BDA hat wohl erkannt, dass auch er um dieses für unsere Städte so wichtige Thema nicht mehr herumkommt.
    Im Auftrag von Stadtbild Deutschland e.V. und zahlreichen Verbände, Initiativen und Volksbegehren, richte ich hier folgende Forderungen an den BDA:

    1. Das Prinzip der Rekonstruktion ist nicht neu. Wer sich in der Baugeschichte auskennt weiß, dass Architekten seit Jahrhunderten, ja seit fast 2000 Jahren immer und immer wieder rekonstruiert haben. Das Prinzip Rekonstruktion ist also Teil unserer geschichtlichen Realität. Seit dem erfolgreichen Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche erlebt diese Bewegung eine Renaissance. In über 30 deutschen Städten werden derzeit Rekonstruktionen geplant oder umgesetzt, Tendenz stark steigend. Vor diesem Hintergrund fordern wir vom BDA hier und heute, seine Blockadehaltung gegenüber der Rekonstruktion aufzugeben und diese endlich als gleichberechtigte Bauform zu akzeptieren.
    Rekonstruktion richtet sich nicht gegen die Anwesenheit des Neuen in unseren Städten. Sie richtet sich allerdings gegen die Abwesenheit des Alten. So wie wir als Rekonstruktionsbefürworter modernes Bauen nicht ablehnen, so erwarten wir vom BDA, endlich seine dogmatische Ablehnung von Rekonstruktionen aufzugeben.

    2. Im Namen der vorgenannten Initiativen, Verbände und Vereine und im Namen einer klaren Bevölkerungsmehrheit in unseren Städten erwarten wir, dass der BDA entsprechende Resolutionen gegen Rekonstruktionsvorhaben der Bürger zurücknimmt und sich endlich aktiv und konstruktiv in die Diskussion und Umsetzung einbringt. Diese Forderung erschließt sich auch auf die Landesverbände und Stadtverbände des BDA, in denen teilweise mit geradezu fanatischem Eifer gegen verschiedene Rekonstruktionspläne polemisiert wird. Wir erwarten ebenso, dass die Ausgrenzung einzelner Architekten, die sich für Rekonstruktionsvorhaben aussprechen oder an entsprechenden Wettbewerben teilnehmen, aufhört.

    3. Wir fordern den BDA schließlich auf, auch alternative, an historischen Vorbildern orientierte Stilrichtungen, als gleichberechtigte Bauformen in unseren Innenstädten zu akzeptieren. Unsere Städte brauchen gestalterische Vielfalt und Pluralismus, statt ein Diktat des Bauhauses, welches übrigens auch schon an die 100 Jahre alt ist und daher mit demselben Recht „veraltet“ bezeichnet werden darf. Zeigen Sie endlich mehr Toleranz und Liberalität. Die Freiheit des Geistes und die Vielfalt sind die Grundlagen der Kreativität.

    Rekonstruktion bedeutet:
    Hier gibt es noch viel zu tun, für Architekten viel zu lernen und im Übrigen
    auch für Sie viel zu verdienen, oft weit über HOAI.
    Wir als Verbände möchten die andauernde Konfrontation mit dem BDA gerne beenden. Dies ist unser Friedensangebot von heute. Wir strecken die Hand aus. Es liegt nun an Ihnen, einzuschlagen.

    V.i.S.d.P. / Kontakt:
    AltstadtForum Frankfurt
    Dipl.- Des. Jürgen E. Aha
    Tel.: 069/ 619 91515

    Stadtbild Deutschland e.V.
    Vorsitzender: Dr. Markus Rothhaar, Berlin
    http://www.stadtbild-deutschland.de">http://www.stadtbild-deutschland.de

  • ... und währenddessen bleibt beim Landesamt für Denkmalpflege Hessen noch (fast) alles beim alten:

    Zitat

    Die neue Sehnsucht nach alten Ansichten - Rekonstruktion als Architektur der Gegenwart?

    Dresden hat seine Frauenkirche wieder, Berlin Potsdam und Braunschweig bekommen ihre Stadtschlösser zurück und nun fordern auch die Frankfurter Bürger ihre Altstadt zurück. Beim Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Gebäude wird die Denkmalpflege zunehmend um Rat und Hilfe gefragt. Bei der 33. Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalpflege diskutierten Experten am 19. und 20. Mai an hessischen Beispielen über Alternativen zum Rekonstruieren nach alten Mustern.

    ... mehr dazu unter http://articles.denkmalpflege-hessen.de/cgi-bin/home.p…t=PressReleases

    ... und zu dieser bedrohlichen Schreckensvision :zwinkern:

    Zitat

    Rekonstruktion als Architektur der Gegenwart?


    Ja bitte, liebe "Denkmalschützer"! :D

  • Zitat

    Doch es war ausgerechnet ein Politiker, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der der Zunft in der Münchner Residenz, unter den penibel rekonstruierten Stuckdecken des Max-Joseph-Saals, den Spiegel vorhielt. "Fragen Sie sich doch selbst, wo Sie am liebsten wohnen!", forderte er die Bauelite auf. Er wisse sehr gut, mit wie viel Schläue und Raffinesse sich die hypermodernsten Entwerfer für ihre private Existenz die schönsten Jugendstilwohnungen zu sichern wüssten Auch er selbst wohne in einer schicken Altbauwohnung und bekomme als Stadtoberhaupt "waschkörbeweise Briefe" von Leuten, die ein Gründerzeithaus mitten in der Stadt suchten, mit hohen Räumen, Erkern, Stuck und Dielenfußböden. "Warum werden diese elementaren Bedürfnisse nicht befriedigt?"

    Respekt. Ich muss gestehen, ich hätte die Meinung des Münchner Oberbürgermeisters in Architekturfragen anders eingeschätzt. Aber hat er sich schon einmal für traditionelles Bauen oder gar Rekonstruktionen in seiner Stadt stark gemacht?

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer