Hildesheim - Wiederaufbau des Lambertikirchturmes

  • Ich möchte einmal den nun fast fertig wiederaufgebauten Turm der Lambertikirche in Hildesheim vorstellen. Mich interessieren andere Meinungen dazu.

    Kurze Info:
    Erbaut wurde sie von 1474 bis 1488 und ist Hildesheims einzige spätgotische Hallenkirche. Beim Bombenangriff vom 22. März 1945 wurde sie fast vollständig zerstört Der Wiederaufbau des Langschiffes war 1952 abgeschlossen, das südliche Querschiff ist bis heute eine Ruine und der Turmschafft erhielt ein Notdach, das bis April 2007 unverändert blieb.

    Durch 10 jähriges Spendensammeln wurde es nun möglich das Notdach durch eines, das dem Original näher kommt, zu ersetzen. Leider wurde wie ich finde diese Chance vertan. Das alte Kirchenschiff besaß ein Walmdach, das heißt es gab keinen Giebel, der an den Turm anschließ. Beim Wiederaufbau wurde jedoch ein Satteldach auf das Schiff gesetzt, dessen Giebel viel zu groß für den kleinen Turmstumpf waren. Der Turm erhielt ebenfalls ein Satteldach, das genauso groß war um den überstehenden Giebel zu schließen.

    Da ich einige Zeit beim Denkmalamt gearbeitet habe, weiß ich, dass in den nächsten Jahren das Satteldach des Kirchenschiffes saniert werden muss, wobei man das ursprüngliche Walmdach wiederherstellen könnte. Nun wurde aber der neue Turm so ausgelegt, dass er nur zu dem Satteldach passt: Es wurde ein Zwischengeschoss erfunden, um den überstehenden Giebel zu überbrücken. Weil das Kirchenschiffdach falsch wiederaufgebaut wurde, hat man nun also auch den Turm falsch wiederaufgebaut. Sehr schade wie ich finde. So sind nicht nur die Proportionen verändert, auch die Höhe und die Form stimmen nicht mit dem alten überein. Weiterhin besitzt das Zwischengeschoss keine Fenster und ist wie das Dach komplett mit Kupfer verkleidet.

    Meiner Meinung nach wird es nun erstmal keine Möglichkeit mehr geben die Kirche historisch korrekt wiederherzustellen.

    Bilder der Baustelle gibt es hier: http://www.tonkuhle.de/include.php?path=content/content.php&contentid=5148\r
    http://www.tonkuhle.de/include.php?path ... entid=5148
    Auf dem ersten Bild sind die beiden überproportionierten Satteldächer gut zu erkennen.

  • Leider kann ich mich auch nur auf die Bilder von Foto Marburg beziehen, weil ich die Kirche zu wenig kenne...

    Aber wenn ich das Vorkriegsphoto richtig deute, weicht das heutige Langhausdach in der Höhe nicht stark ab (ich streite mich jetzt nicht um 20-30cm): Das Dach stößt auch auf dem Vorkriegsbild als Satteldach gegen den Turmstumpf (etwas anderes wäre auch ungewöhnlich) und den ganzen unteren Teil des Helms. Der einzige Unterschied ist, daß früher der untere Teil des Satteldachs abgewalmt war, um den Turm in der Seitenansicht nicht zu überschneiden; das läßt sich aber auch mit dem neuen Turmhelm ohne Probleme korrigieren.

    Der Vorkriegszustand des Turms erscheint mir für die Kirche jedenfalls zu niedrig (normalerweise gilt etwa: Gesamtlänge einer Kirche = Turmhöhe).
    Jetzt kommt es drauf an:
    Entweder ging beim Bau das Geld aus, und irgendwann setzte man diesen Helm auf, oder der Turm wurde vom Vorgängerbau übernommen. Ohne die Baugeschichte zu kennen, würde ich mal vermuten, daß der Turm im 13. Jh. bis frühen 14. Jh. an die damalige romanische Kirche angebaut und beim Neubau des Langhauses im 15. Jh. beibehalten wurde. Ich könnte mir auch denken, daß man in der Spätgotik noch eine Erhöhung des Turms plante, dafür aber kein Geld mehr hatte.
    In jedem Fall halte ich den Vorkriegszustand für keine künstlerisch wertvolle Lösung, die nur in dieser Form hätte wiederhergestellt werden dürfen. - Jetzt kann man sich streiten, was man höher einschätzt: die verschiedenen Bauphasen als geschichtliches Zeugnis (-> Vorkriegszustand, wie von Dir gefordert), oder das Gesamtbild der Kirche (-> Erhöhung im Sinne der Spätgotik, so wie jetzt ausgeführt). Da der historische Turmhelm zerstört ist, halte ich eigentlich beide Ansätze für legitim.
    Aber wie gesagt: Dafür müßte man jetzt die Baugeschichte und die Entwurfsprinzipien (Maße, Proportionen) besser kennen.

  • Ist denn die Kirche innen drin noch weitgehend erhalten oder hat sich dort auch viel seit dem 2. Weltkrieg verändert ? Persönlich tendiere ich vom ästhetischen Standpunkt glaube ich eher zur jetzigen Dimension der Kirche. Vor dem Krieg wirkt der Turm irgendwie so gedrungen, jetzt passt er von der Größenordnung meiner Meinung nach irgendwie besser zum Rest der Kirche.

  • Auf diesem Bild sieht man, wie der neue Turmhelm im Stadtbild wirkt:

    Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass fast alles auf dem Bild nach 1945 neu aufgebaut wurde. Bei allen Fehlern ist das doch eine grosse Leistung gewesen.

    Ich hätte am liebsten eine Rekonstruktion des alten Turmhelmes gesehen, der gedrungene Vorkriegszustand war einfach charakteristischer und regionaltypischer. Aber dann hätte man auch das ganze Kirchendach neu, weil niedriger, konstruieren müssen. Das scheint mir nicht realistisch gewesen zu sein.
    Mit dem heutigen Erscheinungsbild der Kirche kann man doch gut leben. Der Turmhelm von St. Andreas ist auch nicht so historisch, er ist neugotisch und wurde nach dem Krieg wieder so aufgebaut.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Sehr interesssant. Was meines Erachtens gar nicht geht ist diese gruselige 50er-Jahre-Uhr an dem Turm, die man so ungefähr eine Milliarde Mal in Deutschland, vor allem in Nachkriegsbahnhöfen findet. Auch ein kleines Detail wie dieses könnte bereits Wunder wirken.

  • Es gibt so eine 50er-Uhr auch am Turm von St. Andreas, wie man auf diesem Bild sehen kann:

    vielleicht ist er sogar nach diesem Vorbild am Lambertikirchturm angebracht worden.

    VBI DOLOR IBI VIGILES