Ortsbild im ländlichen Raum - Strukturwandel wohin?

  • Diesem ersten Anlauf folgend (klickt gerne auf das Zitat um den Originalbeitrag mit den Zitaten aus dem Artikel lesen zu können), eröffne ich hier einen Strang zum ländlichen Raum deutschlandweit.

  • Ein interessanter Schluss aus der ARD Doku ist, dass Zusammenlegung von Strukturen nicht zu besseren Ergebnissen führt. Weder sind die Strukturen erheblich effizienter, noch werden bessere Entscheidungen getroffen. Gefährlich daran ist eher, dass die Bürger ein Gefühl von Verantwortungslosigkeit und Ferne erleben von staatlicher Seite.

    Das würde für mich den Schluss zulassen, dass es eine optimale Verwaltungsstruktur gibt, die relativ kleinteilig sein muss. Das würde sich auch damit decken, dass eine Großstadt, wie Berlin, Schwierigkeiten hat alles im Griff zu behalten.

    Ebenso erschütternd sind die Zahlen zum massiven Strukturabbau in Deutschland der letzten Jahren und Jahrzehnten. D.h. eigentlich unsere Gesellschaft wird ärmer. Denn z.B. vorhandene Infrastruktur ist ein Wettbewerbsvorteil, es ermöglicht der Wirtschaft günstiger zur produzieren. Fahren die Mitarbeiter z.B. günstig im Nahverkehr und müssen keine 3 Autos finanzieren mit entsprechenden Gehaltsvorstellungen oder Firmenfahrzeugen, gibt es einen hohen Lebensstandard für den Mitarbeiter bei gleichzeitig niedrigen Kosten für das Unternehmen. Baut man das nur auf dem Land ab, kommt es zu genau dieser jetzt zu beobachtenden großen Ungleichentwicklung zwischen Stadt und Land.

    Und zuletzt spannend war auch, dass die Behördenstruktur bereits vollständig entkoppelt ist von den Realitäten des ländlichen Raums. Ein unbegreifliches Alarmzeichen, weil es systematisch die Entwicklung hemmt, aber in der Presse genau Gegenteiliges steht. Z.B. ,,Milliarden für den Internetausbau im ländlichen Raum"!

  • Das Magazin Geo hat sich in mehreren Sammlungen speziell auf ländliche besondere Ortsbilder fokussiert. Für alle, die meinen, sie haben schon alles gesehen, ist dort garantiert etwas dabei.

    Europa:

    https://www.geo.de/reisen/reise-i…s-31392912.html

    https://www.geo.de/reisen/reise-i…e-31480096.html

    https://www.geo.de/reisen/top-ten…a-30166356.html

    Deutschland:

    https://www.geo.de/reisen/reisezi…n-30167120.html

    https://www.geo.de/reisen/reise-i…s-30166750.html

    Man sieht meines Eindrucks nach eigentlich sehr schön, dass der ländliche Raum die Herausforderung mit sich bringt im Einklang mit der Landschaft zu bauen. Das Ergebnis, wenn es gelingt, ist dafür umso spektakulärer.

    Habt Ihr auch ein Lieblingsdorf, eine Lieblingskleinstadt?

  • Deutschland hat bisher nur unter einer Binnenmigration gelitten, welche manche Regionen gefährden. Neu dazu wird aber schon zeitnah der gleiche Effekt auftreten, wie ihn zentristische Auswanderungsländer in Südeuropa bereits durchleben. Grund hierfür ist die voraussichtlich schrumpfende Bevölkerung bei zunehmender Zentralisierung. Die Situation in Ländern wie Italien

    https://www.stern.de/wirtschaft/imm…ab-global-de-DE

    Spanien

    https://www.n-tv.de/panorama/Spani…le12527691.html

    https://orf.at/stories/3116984/

    oder auf dem Balkan

    https://www.focus.de/immobilien/all…d_13404674.html

    im ländlichen Raum ist niederschmetternd. In all diesen Ländern wissen sich die Regierenden nicht mehr anders zu helfen als einzelne Gebäude, bis hin zu ganzen Dörfern zu verscherbeln, nachdem der Untergang eigentlich schon eingetreten ist.

    Deutschland sollte sich hier genau anschauen, was eine zentralisierte Unternehmensansiedelung und vernachlässigte Investitionen z.B. in die Digitalinfrastruktur, aber auch Verkehrsnetze und Gesundheitsfürsorge, sowie der Fokus auf Hochschulausbildung anrichten. Diese Dörfer sind meist pittoresk schön, leiden jedoch unter so eklatantem Investitionsstau, dass es abschreckend wirkt. Die Ressourcen sind eindeutig aus den Dörfern über Jahrzehnte abgeflossen. Vergleichbarer Mechanismus wäre in der Großstadt ein Altbau, dessen Einnahmen man stets nur abzieht, bis nach einer Kaskade von Verkäufen nur noch der Abriss realistisch erscheint. Auch in Dörfer muss durchgängig investiert werden. Diesen Investitionsstau sieht man bereits in Deutschland in besagten Abwanderungsregionen, wird sich zukünftig aber eklatant noch ausdehnen, wenn nicht noch stärker ein Umdenken stattfindet.

  • Ich stimme Dir vollumfänglich zu.

    In den betroffenen Ländern aber liegt es vor allem nicht an schlechten Verkehrsnetzen oder an mangelnden Ärzten, dass Leute abwandern, sondern weil es dort keine Arbeitsplätze mehr gibt. Das ist in Teilen der östlichen Bundesländer ähnlich. Als Bekannte von mir vor Jahren dort aufs Land zogen, um einen kleinen Vertrieb aufzubauen, kamen Dorfbewohner zu ihnen und fragten, ob sie vielleicht einen Job für sie hätten: "Ich sehe doch, dass bei Ihnen gearbeitet wird. Vielleicht brauchen sie jemanden. Wir sind arbeitslos."

    Da läuft seit Jahren etwas in der staatlichen Strukturpolitik falsch. Wenn wir aber noch unsere Industrie abschaffen oder unser Stromversorgungsnetz unsicherer machen, kann die Spirale abwärts rasch auch hier an Fahrt aufnehmen.

  • Der Abbau an Infrastruktur war fast ausschließlich im Bahnsektor und in der Tat ein schwerer Fehler. Für neue Straßen hat es aber auch in den abbgelegensten Gegenden noch gereicht. Hoffentlich reißt die neue Regierung da mal das Ruder nach 10 Jahren CSU-Vetternwirtschaft herum.

    Bzgl. Heimdalls letztem Post kann ich nur sagen, dass eine Abwärtsspirale rumzureißen unheimlich schwierig ist. Der Grund für die Abwanderung ist die strukturschwache Wirtschaft, und die Abwanderung bewirkt, dass weitere Unternehmen sich gegen die Standorte entscheiden.

    Ich bin für gute Ideen zur Verbesserung der Situation echt dankbar, aber Jahrzehnte von teurer und im wesentlichen gescheiterter Regionalförderung (von der "Zonenrandförderung" bis hin zur Strategie der Dezentralisierung von Behörden und Universitäten) lassen mich skeptisch sein. Große Teile der heute strukturschwachen Regionen waren dies übrigens auch historisch schon seit langem, es gab lediglich einen durch Zuwanderung und Nachkriegsboom (im Westen) befeuerten Ausnahmezeitraum. Also Harz, Eifel, viele der heute strukturschwachen Mittelgebirgsregionen waren auch vor dem Zweiten Weltkrieg Abwanderungsgebiete, nur dass jetzt eben bei 1,5 Kindern pro Frau nicht mehr genügend Leute überbleiben, wenn von 1,5 auch nur 0,5 gehen. Das Gleiche gilt für große Teile Sachsen-Anhalts (Norden), Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns - das sind teilweise jahrhundertalte Trends, die wird man nicht mehr rumreißen, und schon gar nicht mit der aktuellen Demografie in den Regionen.

    Interessant ist auch im Osten, dass vor dem Krieg starke Regionen auch eine gute Entwicklung hinlegen konnten, v.a. das Zentrum mit dem Großraum Leipzig/Halle und Thüringen. Aber auch diese Gegenden haben letztlich davon gelebt, ihr erweitertes Umland "leerzusaugen", dieser Prozess kommt mangels Menschen zum "Ansaugen" nun langsam zum Erliegen.

    Ich bin wie gesagt für gute Ideen immer offen. Viele ganz regionale Maßnahmen werden ja auch mit Erfolg versucht (kleine Dorfläden, Umbau-Renovierungsprogramme für Dorfhäuser, "Rückkehrprogramme" für Leute aus bestimmten Städten) etc. Ich habe auch nichts dagegen, dass ein Teil von Deutschlands Ressourcen in den Erhalt ländlicher und strukturschwacher Räume geht, da davon letztlich das ganze Land profitiert. Man muss aber auch Realist bleiben, und unkontrolliert vielem Geld immer weiteres Geld hinterherzuwerfen, während umgekehrt die Infrastruktur in den Ballungsräumen weiterhin unterfinanziert ächzt, hat Grenzen. Die gleichen Regionen, die am stärksten von Abwanderung und Überalterung betroffen sind, sind zudem am ablehnendsten gegenüber Zuwanderung. Wenn also der Zimmermann keine Lehrlinge mehr findet, was soll er machen? Irgendwann muss er den Laden auch zumachen. So zementieren sich eben die divergenten Entwicklungen im Land.

    Auch das meine ich vollkommen wertfrei. Ich habe niemandem vorzuschreiben, was er über Zuwanderung zu denken hat. Aber Einstellungen haben eben Konsequenzen. Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die japanische Region Akita im Nordwesten der Hauptinsel:

    Quelle: Birth Gauge auf Twitter

    So sieht eine demografische Todesspirale aus. Die Region hat immerhin 300.000 Einwohner, ist also keine völlig abgelegene Kleinregion. Es gibt mehr als 4x so viele 71jährige wie 1jährige! Und die Zahl der Geburten befindet sich im freien Fall, weil sich die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter im freien Fall befindet. Selbst wenn die Frauen der Region nun plötzlich wieder 3 statt 1,3 Kinder bekämen, würde die Region weiterschrumpfen. Die Verschmälerung bei den 18jährigen ist durch die Abwanderung in die großen Städte zum Studieren und Arbeiten bedingt, wodurch die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter weiter reduziert wird.

    Bei der aktuellen Entwicklung wird die Region bis zum Ende des Jahrhunderts 2/3 der Einwohner verlieren, und nicht nur das, sondern noch viel krasser eine Reduktion der unter-40jährigen Bevölkerung um > 80%. Und da sind weitere Selbstverstärkungsprozesse (gesteigerter Wegzug durch Schließung der gesamten Infrastruktur für Familien etc.) noch gar nicht eingerechnet. Ähnliche Vorgänge stehen auch in Deutschland im Laufe dieses Jahrhunderts regional an. Da können wir uns hier auf den Kopf stellen, diese Prozesse haben ihre Ursache in jahrzehntealten Entwicklungen, die unumkehrbar sind.

  • Die gleichen Regionen, die am stärksten von Abwanderung und Überalterung betroffen sind, sind zudem am ablehnendsten gegenüber Zuwanderung. Wenn also der Zimmermann keine Lehrlinge mehr findet, was soll er machen? Irgendwann muss er den Laden auch zumachen. So zementieren sich eben die divergenten Entwicklungen im Land.

    Warum sollten diese Regionen nun auch noch ihre Vorteile aufgeben? Diese liegen zum Beispiel in existenten Dorfgemeinschaften ohne zu viele nicht eingliederbare Gruppen. Und in der guten Sicherheitslage, die auch ganz andere Freiheiten ermöglicht. Da kann eine Frau in der Regel noch nachts alleine durch die Straße gehen.

    Bei Zuwanderung kommt es ja sehr auf die Qualität an. Auf eine Filterung nach diesem Prinzip wird aber hierzulande grundsätzlich und bewusst kein Wert gelegt, was bedeuten würde, dass der Zimmermann trotzdem keinen Lehrling findet, allenfalls einen der mit 25-prozentiger Quote wieder abbricht, weil er keine Voraussetzungen mitbringt, sondern ganz andere Berufsvorstellungen. Und, dass die ohnehin klamme Kommune nun mit einer Menge neuer Hartz IV-Bezieher finanziell belastet und in den Ruin getrieben wird. So also wird das Problem nicht zu lösen sein.

    Meine ehemalige Friseurin hatte ihr Salon sogar mitten im Rhein-Main-Ballungsraum, wenngleich im Stadtteil. Sie fand trotzdem keine geeignete Azubi. Ich hatte ihr dazu geraten, als ihre Assistentin krankheitsbedingt ausfiel. Sie antwortete mir: "Von drei Lehrjahren investiere ich in den beiden ersten, in denen sie mir nicht viel Hilfe ist. Erst im dritten Lehrjahr habe ich etwas von ihr. Da haben die meisten schon abgebrochen. Die letzte Azubi, die ich hatte, kam regelmäßig zu spät. Es seien doch nur 15 Minuten, wurde geantwortet. Und ich antwortete ihr, dass aber die Kundin eben schon 15 Minuten hier sitzt, und das den Zeitplan insgesamt verschiebt. Am Abend aber hat sie nicht 15 Minuten länger gearbeitet. Da stand punktgenau der Freund mit dem Smartphone vor der Tür und hat sie rausgeklingelt. Daraufhin habe ich auf weitere Azubis verzichtet."

    Sie wollte dann ihren Salon an eine Nachfolgerin abgeben. Es fand sich niemand, der Interesse hatte. Ein, zwei Türkinnen schauten vorbei und lehnten ab. Zitat Friseurin: "Die wollen nicht in den Stadtteil, sondern nur in der City arbeiten, weil dort ihre ganze Community lebt. Die wollen nur mit ihren Leuten zu tun haben." Also wurde das gut gehende Friseursalon aufgegeben, alles Inventar auf dem Müll geschmissen. Heute ist ein ganz anderes Geschäft drin.

    Ergo, lange Rede, kurzer Sinn, es gibt kein Allheilmittel für das platte Land. Es muss eben ein gewisser Schrumpfungsprozess gestaltet werden. D.h. Abrisse am Ortsrand, bei Erhalt historischer Substanz. Förderung von Grundversorgung durch den Staat, z.B. Prämien für Ärzte, die sich dort niederlassen. Steuererleichterungen für Unternehmen, die sich dort ansiedeln. Usw.

  • Der Abbau an Infrastruktur war fast ausschließlich im Bahnsektor und in der Tat ein schwerer Fehler. Für neue Straßen hat es aber auch in den abgelegensten Gegenden noch gereicht.

    Ich würde bei dieser Aussage zweierlei anders deuten, wobei eventuell eines davon schon so gemeint war: Zur Infrastruktur zählt ja nicht nur Verkehr, sondern auch Krankenhaus, Polizei, Justiz, Schwimmbad, Lehreinrichtungen, usw. Diese Infrastruktur ist auch deswegen verschwunden, weil die Rahmenbedingungen nur eine Agglomeration zulassen, nicht aber z. B. kleinere Einheiten. So ist gut belegt, dass die Zusammenlegung von Rathäusern, die Kosten nicht gesenkt hat, und die Ergebnisse auch nicht besser sind. Auch diese zusammengelegten Rathäuser können nach heutigen Förderkriterien kaum Gelder abrufen, weil sie trotzdem zu klein sind. Da wachsen die Anforderungen schneller als zusammengelegt werden kann und sinnvoll ist. Das zeigt aber schon, dass es Unfug ist, dem weiter nachzuhecheln. Gleiches bei den Kliniken. Dem Patienten ist es erstmal wichtig überhaupt ein Angebot vorzufinden. Dann kann man über Angebotsqualität usw. reden.

    Meine zweite Meinung zu dem Zitat: Es geht auch nicht nur darum, was alles abgebaut wurde, sondern welche Infrastruktur im sonst stattfindenden Wandel gar nicht erst Eingang gefunden hat. Das zähle ich auch als Verlust an Infrastruktur im direkten Wettbewerb der Standorte. Wenn der eine Ort Internet bekommt, der andere aber nicht, dann entspricht das einem Infrastrukturverlust, weil es sich in der Zwischenzeit um einen Mindeststandard handelt, wie es eine befahrbare Straße auch ist.

    Ich bin für gute Ideen zur Verbesserung der Situation echt dankbar, aber Jahrzehnte von teurer und im wesentlichen gescheiterter Regionalförderung (von der "Zonenrandförderung" bis hin zur Strategie der Dezentralisierung von Behörden und Universitäten) lassen mich skeptisch sein. Große Teile der heute strukturschwachen Regionen waren dies übrigens auch historisch schon seit langem, es gab lediglich einen durch Zuwanderung und Nachkriegsboom (im Westen) befeuerten Ausnahmezeitraum. Also Harz, Eifel, viele der heute strukturschwachen Mittelgebirgsregionen waren auch vor dem Zweiten Weltkrieg Abwanderungsgebiete, nur dass jetzt eben bei 1,5 Kindern pro Frau nicht mehr genügend Leute überbleiben, wenn von 1,5 auch nur 0,5 gehen. Das Gleiche gilt für große Teile Sachsen-Anhalts (Norden), Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns - das sind teilweise jahrhundertalte Trends, die wird man nicht mehr rumreißen, und schon gar nicht mit der aktuellen Demografie in den Regionen.

    Ich bin wie gesagt für gute Ideen immer offen. Viele ganz regionale Maßnahmen werden ja auch mit Erfolg versucht (kleine Dorfläden, Umbau-Renovierungsprogramme für Dorfhäuser, "Rückkehrprogramme" für Leute aus bestimmten Städten) etc. Ich habe auch nichts dagegen, dass ein Teil von Deutschlands Ressourcen in den Erhalt ländlicher und strukturschwacher Räume geht, da davon letztlich das ganze Land profitiert. Man muss aber auch Realist bleiben, und unkontrolliert vielem Geld immer weiteres Geld hinterherzuwerfen, während umgekehrt die Infrastruktur in den Ballungsräumen weiterhin unterfinanziert ächzt, hat Grenzen.

    Diese Einschätzung würde ich gerne in Frage stellen. Hat Deutschland nicht bereits sehr viel erreicht im Vergleich zu den sonstigen zentristischen Staaten und diesen Wandel deutlich verlangsamt bisher, was ich als Erfolg werte? Ich würde genau den gegenteiligen Schluss ziehen und sagen, wir sollten zurückfinden zu den starken Wurzeln, die immer hießen, Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass vor Ort die Entscheidungen getroffen werden können, die nötig sind. Da haben in Zeiten von Industrialisierung Einzelne Schienentrassen gebaut, weil sie wussten Bedarf vor Ort ist da. Es gab einen fairen Wettbewerb, sonst hätten nicht in kleinsten Dörfern Weltkonzerne entstehen können. Bürgermeister konnten noch ehrenamtlich nebenher kleine Dörfer zur Blüte treiben. Nicht alles mag wiederholbar sein, gerade im internationalen Umfeld, aber ich denke ich konnte ein ganz leichtes Gefühl vermitteln, dass es die Rahmenbedingungen sind, die das Land ausbluten lassen und keine höhere Fügung, wie es Dein Text besagt. In dieser investitionsreichen Zeit damals konnten strukturschwache Gebiete sehr wohl plötzlich wieder boomen, als z. B. die Eisenbahn plötzlich vor Ort war. Es ist mehr eine Frage, wie wichtig einem das Thema ist : So könnte man in Großstädten die Gewerbeansiedelung auch stark begrenzen. Dazu bräuchte es Mut und die Gewissheit, dass das Unternehmen sich dann einen B-Standort in den meisten Fällen in Deutschland trotzdem suchen wird.

    Aber da beißt sich die Maus in den Schanz. Deutschlands Stärke ist die Dezentralität, die aber gleichzeitig eine kraftvolle Reaktion der Politik auf diese enorm starken Trends verhindert. Aber was ich damit sagen möchte ist, und ganz entschieden dabei den zitierten Aussagen widerspreche, dass es sich um ein Steuerungsproblem handelt, wie auch Heimdall andeutet, das wie alle Steuerungsprobleme lösbar ist und nicht alternativlos bzw. mit kleinklein sondern mit Strukturreform habhaft wird.

  • Sie wollte dann ihren Salon an eine Nachfolgerin abgeben. Es fand sich niemand, der Interesse hatte. Ein, zwei Türkinnen schauten vorbei und lehnten ab. Zitat Friseurin: "Die wollen nicht in den Stadtteil, sondern nur in der City arbeiten, weil dort ihre ganze Community lebt. Die wollen nur mit ihren Leuten zu tun haben." Also wurde das gut gehende Friseursalon aufgegeben, alles Inventar auf dem Müll geschmissen.

    Das hier ist eine Schlüsselstelle. Danke für die Anekdote Heimdall. Seht Ihr was da passiert? Da wird die Wirtschaft in die Tonne gekloppt, Werte zerstört. Eine kleine Firma abgewickelt ohne ökonomischen Grund oder Wert. Gleiches passiert z. B. mit super laufenden Arztpraxen, aber auch mit den Wohnungen von alten Menschen. Wie kann es ökonomisch sinnvoll sein, einen Hausstand ohne überhaupt zu prüfen zu entsorgen? Nur Edelmetall wird vor dem Verbrennen bewahrt. So sieht keine nachhaltige Wirtschaft aus, so sieht aber generell keine Volkswirtschaft aus, die Wertschöpfung betreibt.

    Auch hier ist mein Fazit, wir haben einen eklatanten Steuerungsstau. Und eine Angst im System und Visionslosigkeit, die uns langfristig das Genick brechen wird. Der Megatrend ist gesetzt: Weniger Ressourcenverbrauch. Wo sind die Politiker die mutig sagen, unser Wirtschaftssystem kann auch mit Reparaturen und Upcycling Technologie wachsen und florieren. Im Zweifelsfall muss eben eine neue Metrik her statt dem BIP. Das hat das Kaiserreich damals auch so gemacht mit Einführung ganz neuer unbekannter Systeme wie Patentrechten. Das hat Deutschland ganz sicher nicht das Genick gebrochen im Gegensatz zu dieser Verstocktheit.

  • Warum sollten diese Regionen nun auch noch ihre Vorteile aufgeben? Diese liegen zum Beispiel in existenten Dorfgemeinschaften ohne zu viele nicht eingliederbare Gruppen. Und in der guten Sicherheitslage, die auch ganz andere Freiheiten ermöglicht. Da kann eine Frau in der Regel noch nachts alleine durch die Straße gehen.

    Wenn diese Regionen so viele Vorteile haben, warum sind dann die Menschen dort so unzufrieden und wütend? Das passt für mich nicht zusammen und riecht nach Romantisierung. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass die Last der Abwanderung, das Zurückgelassenwerden, von dem deutlich mehr Männer als Frauen betroffen sind, einer der Trigger für die Unzufriedenheit ist. Wenn man sieht, wie jedes Jahr weniger Kinder bei der Jugendfeuerwehr mitmachen wollen, wenn wieder eine Grundschule geschlossen wird, weil kaum noch Kinder da sind, wenn die Freunde, mit denen man sein ganzes Leben verbracht hat, doch genervt in die Großstadt ziehen, wenn das Freibad nach 10 Jahren Kampf und Engagement doch schließen muss, weil der Sommer scheiße war und einfach niemand kommen wollte, dann legt sich dieses Gefühl wie Mehltau über die Region.

    Ich kann das für meine eigene Heimat Südniedersachsen ebenso konstatieren. In den Kleinstädten Leerstand und Verwahrlosung, überall ein Gefühl des Niedergangs trotz einmalig schöner Landschaften und Dörfer. Das bleibt bei den Leuten hängen und macht etwas mit ihnen. Im Westen augenscheinlich weniger als im Osten, aber auch hier erkennt man nicht erst auf den zweiten Blick, wie schlecht es aussieht in den kleinen Städten, die etwas weiter weg von den Oberzentren Hannover und Göttingen entfernt liegen.

    Meine zweite Meinung zu dem Zitat: Es geht auch nicht nur darum, was alles abgebaut wurde, sondern welche Infrastruktur im sonst stattfindenden Wandel gar nicht erst Eingang gefunden hat. Das zähle ich auch als Verlust an Infrastruktur im direkten Wettbewerb der Standorte. Wenn der eine Ort Internet bekommt, der andere aber nicht, dann entspricht das einem Infrastrukturverlust, weil es sich in der Zwischenzeit um einen Mindeststandard handelt, wie es eine befahrbare Straße auch ist.

    Diese Einschätzung würde ich gerne in Frage stellen. Hat Deutschland nicht bereits sehr viel erreicht im Vergleich zu den sonstigen zentristischen Staaten und diesen Wandel deutlich verlangsamt bisher, was ich als Erfolg werte? Ich würde genau den gegenteiligen Schluss ziehen und sagen, wir sollten zurückfinden zu den starken Wurzeln, die immer hießen, Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass vor Ort die Entscheidungen getroffen werden können, die nötig sind. Da haben in Zeiten von Industrialisierung Einzelne Schienentrassen gebaut, weil sie wussten Bedarf vor Ort ist da. Es gab einen fairen Wettbewerb, sonst hätten nicht in kleinsten Dörfern Weltkonzerne entstehen können. Bürgermeister konnten noch ehrenamtlich nebenher kleine Dörfer zur Blüte treiben. Nicht alles mag wiederholbar sein, gerade im internationalen Umfeld, aber ich denke ich konnte ein ganz leichtes Gefühl vermitteln, dass es die Rahmenbedingungen sind, die das Land ausbluten lassen und keine höhere Fügung, wie es Dein Text besagt. In dieser investitionsreichen Zeit damals konnten strukturschwache Gebiete sehr wohl plötzlich wieder boomen, als z. B. die Eisenbahn plötzlich vor Ort war. Es ist mehr eine Frage, wie wichtig einem das Thema ist : So könnte man in Großstädten die Gewerbeansiedelung auch stark begrenzen. Dazu bräuchte es Mut und die Gewissheit, dass das Unternehmen sich dann einen B-Standort in den meisten Fällen in Deutschland trotzdem suchen wird.

    Aber da beißt sich die Maus in den Schanz. Deutschlands Stärke ist die Dezentralität, die aber gleichzeitig eine kraftvolle Reaktion der Politik auf diese enorm starken Trends verhindert. Aber was ich damit sagen möchte ist, und ganz entschieden dabei den zitierten Aussagen widerspreche, dass es sich um ein Steuerungsproblem handelt, wie auch Heimdall andeutet, das wie alle Steuerungsprobleme lösbar ist und nicht alternativlos bzw. mit kleinklein sondern mit Strukturreform habhaft wird.

    Ja, Deutschland hat genau aus den Gründen, die Du nennst, diesen Wandel bislang besser bewerkstelligt als etwa Frankreich oder Italien (oder Japan). Die föderale Struktur, die (relative) Stärke regionaler Gebietskörperschaften mit Budget und Entscheidungsgewalt, alles das hat etwas gebracht. Trotzdem geht es -wie Du schreibst- im Langfristigen eher um ein Abpuffern eines relativ unerbittlich laufenden Prozesses.

    Du vergisst z.B. bei Deinen Überlegungen zur Entwicklung in der Vergangenheit die völlig andere Alterstruktur dieser "boomenden Dörfer" vor 100 Jahren. Damals hatten die Frauen gerade im ländlichen Raum oft noch 4-7 Kinder, die alle irgendwas machen mussten. Natürlich gab es die Arbeit auf dem Hof, aber meist ging dieser an den ältesten Sohn, vielleicht konnte eines der Mädchen als Magd bleiben, im Prinzip aber mussten die anderen eben weg oder etwas anderes machen. Jemand mit einer guten Geschäftsidee konnte so ziemlich überall einen Betrieb gründen und sofort Leute einstellen und wachsen. Auch eine Eisenbahnstrecke war verhältnismäßig schnell gebaut, auch wenn schon damals viele nicht wirklich tragend waren und bereits in den 20er Jahren eine erste Stillegungswelle übers Land schwappte.

    Heute stellt sich das in Deinem fiktiven Ort anders dar, zumindest in den Schrumpfregionen. Es gibt weiterhin florierende ländliche/kleinstädtische Räume (große Teile Oberbayerns, Schwabens, Westfalens, Westniedersachsen). Allen diesen Regionen ist aber eine vergleichsweise gesunde Demografie zu eigen, d.h. viele Betriebe können noch in der Region rekrutieren und auch wachsen. Auch haben viele dieser Regionen entweder althergebracht (Westfalen mit Möbel- und Elektroindustrie) oder neu erworben (z.B. Westniedersachsen mit der kompletten Wertschöpfungskette in der Nahrungsproduktion (Mast-->Schlachten-->verarbeiten-->Endprodukt) Alleinstellungsmerkmale, weil zum richtigen Zeitpunkt fähige Leute richtige Entscheidungen getroffen haben. Diese Momente liegen aber alle zwischen 50 und 100 Jahren zurück. In einem reifen Markt etwas völlig Neues zu starten, können sich viele Menschen v.a. in Schrumpfungsregionen kaum noch vorstellen. Und selbst wenn so etwas mit viel Aufwand regional wieder durch beherzte Akteure und ein wenige Fügung gelingen wird, ist dies in der Fläche eben kaum noch machbar.

    Ich will gar nicht Deinen Äußerungen widersprechen, glaube auch, dass noch einiges besser geht - aber ohne (junge) Menschen haben die strukturschwachen, dezentral gelegenen Regionen nunmal keine Zukunft. Das ist für mich auch vollkommen okay so, es muss nicht jeder begeistert sein über 500.000 Zuwanderer im Jahr oder was auch immer da für Zahlen genannt werden, zumal diese ohnehin überwiegend (aber mitnichten ausschließlich) in die Städte ziehen. Trotzdem muss man sich der Realität stellen. Und diese sagt eben, dass langfristige Trends, die in allen anderen, nicht autoritär geführten Ländern der Welt nicht aufzuhalten waren, dies auch nicht in Deutschland sein werden. Man sollte also eine gute Kosten-Nutzen-Analyse machen, bevor man weitere teure Umgehungsstraßen um schrumpfende Dörfer baut. Die Digitalisierung wird sicherlich viele Dinge in Zukunft leichter machen und die von Dir zurecht als verfehlt genannten Kreisfusionen wieder abfedern. Wenn man seinen PKW auch von zu Hause aus anmelden kann oder einen neuen Pass bestellen kann, fällt der Wegfall des Bürgerbüros in der ehemaligen Kreisstadt vielleicht etwas leichter. Eine der genialsten und in ihrer Wirkung unterschätztesten Maßnahmen der letzten Jahre war die (optionale) Wiedereinführung der alten Kfz-Kennzeichen (vor den großen Gebietsreformen in West (meist 1970er) und Ost (meist 1990er Jahre). Die Anzahl der schrägen Kennzeichen, die man als Mitte der 70er Geborener nur noch von alten Treckern kennt, hat massiv zugenommen. Eine einfache Maßnahme, die sicherlich einiges gebracht hat für das regionale Identitätsgefühl. Bin mir ziemlich sicher, dass die Osteroder ihre (Zwangs)-Fusion mit dem Kreis Göttingen deshalb so stoisch ertragen haben, weil keiner ihnen an ihr OHA-Kennzeichen gegangen ist.

    Alles in allem ein interessantes und wichtiges Thema, denn in der Tat entscheidet sich auch auf dem Land die Zukunft des Landes. Die Mengen an Frust, die sich regional im Osten und ganz ausgeprägt z.B. in den USA in den "flyover states" angesammelt haben, sind ein Warnzeichen. Trotzdem glaube ich nicht an die einfache Lösung, mit der man alles Probleme lösen kann. Rückbesinnung auf lokale Stärken und Entscheidungen ja - aber andersherum ist die freie Entscheidungsgewalt der Gemeinden bei der Ausschreibung von Gewerbegebieten eben auch wieder Teil des Problems (Wohngebiets- und Gewerbekannibalismus), der in seiner ungezügelten Form (Flächenfraß, Zugewinne hauptsächlich durch Abwanderung (von Menschen und Betrieben) aus benachbarten Gemeinden) auch wieder ganzen Regionen Schaden zufügt.

  • Wenn diese Regionen so viele Vorteile haben, warum sind dann die Menschen dort so unzufrieden und wütend? Das passt für mich nicht zusammen und riecht nach Romantisierung. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass die Last der Abwanderung, das Zurückgelassenwerden, von dem deutlich mehr Männer als Frauen betroffen sind, einer der Trigger für die Unzufriedenheit ist.

    Erstens wird vorausgesetzt, dass die Menschen auf dem Land unzufriedener und wütender sind. Zweitens wird damit impliziert, dass die Menschen in den Metropolen zufriedener und weniger wütend seien. Ich kenne eine Menge Leute in den Großstädten, die überhaupt nicht zufrieden sind. (Vgl. mal hier den aktuellen Post von "Vitusstädter" über Möchengladbach-Rheydt) Wobei man natürlich fragen kann, womit man jeweils nicht zufrieden ist. Dass Leute in Großstädten eher bestimmte Wahlentscheidungen treffen, die auf Zufriedenheit mit der dominierenden Politik schließen lassen, könnte vielerlei Gründe haben. Unter anderem auch einkommenstechnischer Natur.

    Ich will gar nicht Deinen Äußerungen widersprechen, glaube auch, dass noch einiges besser geht - aber ohne (junge) Menschen haben die strukturschwachen, dezentral gelegenen Regionen nunmal keine Zukunft. Das ist für mich auch vollkommen okay so, es muss nicht jeder begeistert sein über 500.000 Zuwanderer im Jahr oder was auch immer da für Zahlen genannt werden, zumal diese ohnehin überwiegend (aber mitnichten ausschließlich) in die Städte ziehen. Trotzdem muss man sich der Realität stellen. Und diese sagt eben, dass langfristige Trends, die in allen anderen, nicht autoritär geführten Ländern der Welt nicht aufzuhalten waren, dies auch nicht in Deutschland sein werden.

    Da ist wieder mal der alte Glaube, dass Entwicklungen einfach die Widerspiegelung von naturhaften Prozessen seien, auf die der Mensch ohnehin keinen Einfluss habe. Das lapidare "nun sind sie halt da" der Ex-Kanzlerin, das dann einfach als "Realität" anerkannt werden solle. Franklin Delano Roosevelt hatte dem schon seinerzeit widersprochen, als er äußerte: "In der Politik passiert nichts zufällig. Wenn etwas passiert, können Sie wetten, dass es so geplant wurde."

    Dass was hier als "Zukunft" präsentiert wird, ist in Wirklichkeit keine, sondern eine Mogelpackung. Jedenfalls ist das nicht die Zukunft, in der ich leben möchte. Gut, ich persönlich lebe in ihr, aber ich wünsche sie nicht dem ganzen Land, da dies das endgültige Ende seiner angestammten Kultur wäre.

    Und ich kenne z.B. Leute, die mir sagen: "Ich bin extra in den Osten gezogen, um bis zu meinem Lebensende Ruhe vor dem ganzen Mist zu haben. Und dann kam 2015, was das ganze Straßenbild hier plötzlich umkrempelte. Überall laufen die jetzt rum, wegen denen ich weggezogen bin. Jetzt reicht es doch nicht bis zum Ableben." Dann grinse ich (denke mir dabei vielleicht, wie unzufrieden doch Städter sein können) und antworte: "2015 habe ich gar nicht bemerkt. Ich war ja auch vorher, von ein paar Omas abgesehen, der einzige Ureinwohner im Bus. Das bin ich immer noch. Kein Unterschied." :lachen:

    So, und jetzt sind wir wieder in einer off-topic-Diskussion, die ich nicht führen will. Sie führt irgendwann dazu, dass es wieder Angriffe und falsche Unterstellungen hagelt, sich dann die üblichen Verdächtigen einmischen, dann die Moderation wieder Arbeit bekommt. Das Thema allerdings hast Du hier wieder angebracht. Ich wolllte und konnte das aber eben nicht so unwidersprochen stehen lassen.

  • Wenn man sich die Zuwanderung als Rettung für die ländlichen Dorfbilder erhoffen mag, so hat dies scheinbar sehr enge Grenzen. So können nur Zentren (bis Klein-/ Unterzentrum, eher aber Mittelzentrum) als noch einigermaßen geeignet betrachtet werden. Siehe hier:

    https://www.bpb.de/gesellschaft/m…dlichen-raeumen

    Ich vermute daher, dass sich kein Politiker dieser Hoffnung hingibt, mit Migration dem ländlichen Raum ernsthaft zu helfen. Stattdessen geht es wohl vorrangig um gute Zahlen zum Konsum und zur Bevölkerungsentwicklung, sowie einen steten Zufluss an Arbeitskräften. Um es etwas zynisch auszudrücken. Daher halte ich die Diskussion um Einwanderung und ländlicher Raum für wenig fruchtbar. Den einzigen positiven Aspekt den ich aus dem von mir verlinkten Artikel entnehme, ist, dass die Flüchtlinge auf dem Land nochmal mit dem Brennglas aufzeigen wie schlecht das öffentliche Angebot eigentlich dort ist. Wenn ein PKW zur Grundausstattung zählt und lebensnotwendige Angebote für ein integriertes Leben vor Ort gar nicht finden. Natürlich stimmt, was Heinzer schrieb bezüglich ausgeblutete Demografie auf dem Land, und demfolgend entsprechendes Angebot. Jedoch liegt der Schlüssel für mich in der heute verwehrten Möglichkeit kleine Nahversorgung anzubieten. Das muss ermöglicht werden durch Bürokratieabbau oder zentrale Übernahme von auslagerbaren Aufgaben bei günstigem kleinen Vor-Ort-Angebot. Ein Beispiel wäre hier, dass die Kreisverwaltung einen erheblichen Teil eines Förderantrags verwaltet und die kleinen Dörfer aber selbstverwaltet Initiativgeber sind und auf die Umsetzung Einfluss nehmen können. Oder dass man eine Schule einrichtet, die weitestgehend aus der Ferne geleitet und nur ein Lehrer vor Ort das Lernen unterstützt, alle anderen Lehrer digital zuschalten, aber mit unterstützendem Material vor Ort arbeiten.

    Wenn man Heinzers Ausführung konsequent umsetzt, so müsste man zudem entscheiden ab welcher Ortsgröße welche Angebote überhaupt gefördert werden. Damit legt man dann auch fest, welche Orte untergehen werden. Die Bewohner dieser Orte werden sich dann von der staatlichen Struktur (weiter) abwenden, die sie offen zurücklässt. So sieht das nämlich dann aus, wenn man tatsächlich so argumentieren möchte, dass Geld in kleinen Kommunen ,,verbrannt" wird, die ,,eh dem Untergang" geweiht sind.

    Nein, der Blick in eine Glaskugel, welche Region wohl eh keine Zukunft hat und dann das Geld zu sparen ist, erscheint wenig aussichtsvoll. Ich finde man sollte von der Basis her, auch von dem was bereits da ist, denken und mehr Folgekosten bedenken (was man bei der Einwanderung auch nicht tut). Im zweiten Absatz schrieb ich schon vom lebensnotwendigen Angebot vor Ort. Das geht aber noch weiter: Man sollte sich die Arbeitsplatzangebote anschauen. Gibt es genügend Arbeitsplätze aber zu wenig Arbeitnehmer, muss man staatlich investieren ohne Frage der Kosten, bis die Arbeitnehmer kommen. Verlagerung der Arbeitsplätze in eine größere Stadt wäre in so einem Fall immer teurer (siehe Südeuropa). So hätte man plötzlich eben kein ,,Rückzugsgefecht" mehr. Unternehmen könnten darauf vertrauen, egal wo sie sich niederlassen aus ökonomischen Gründen, es wird nicht an einer mangelhaften Grundversorgung scheitern. Das gäbe einen Mentalitätswandel sondersgleichen.

    Gerade Deutschland hat eigentlich beste Perspektiven in diesem Szenario des starken ländlichen Raumes:

    Deutschland muss sich das als europäisches Zentralland leisten, flächendeckend entwickelt zu sein. Wir sind kein Randstaat, dessen Peripherie weder von internationaler Infrastruktur ausgelassen wird, noch unverhältnismäßig teuer erhalten muss (es gibt eine bestehende Struktur mit ausreichend Ressourcen an Wasser, gesunden Naturräumen, und relativ nahen Großzentren).

  • Erstens wird vorausgesetzt, dass die Menschen auf dem Land unzufriedener und wütender sind. Zweitens wird damit impliziert, dass die Menschen in den Metropolen zufriedener und weniger wütend seien. Ich kenne eine Menge Leute in den Großstädten, die überhaupt nicht zufrieden sind. (Vgl. mal hier den aktuellen Post von "Vitusstädter" über Möchengladbach-Rheydt) Wobei man natürlich fragen kann, womit man jeweils nicht zufrieden ist. Dass Leute in Großstädten eher bestimmte Wahlentscheidungen treffen, die auf Zufriedenheit mit der dominierenden Politik schließen lassen, könnte vielerlei Gründe haben. Unter anderem auch einkommenstechnischer Natur.

    Nein, das wurde bei meinem Post nicht vorausgesetzt. Die Menschen in vielen ländlichen Regionen sind sehr zufrieden, so schneidet z.B. Schleswig-Holstein regelmäßig sehr stark ab bei solchen Erhebungen (z.B. "Glücksatlas"), auch das westliche Niedersachsen lag dort sehr oft weit vorne. Das ist einfach eine Zustandsbeschreibung.

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  • Das Problem liegt natürlich schon in der Vergangenheit. Die Dorfstraßen wurden zur Verkehrsschneise, die Bauernhäuser wurden teils baulich entstellt und dann ließ man sie vergammeln. Wenig Grün kommt oft hinzu. Und da sind viele Kommunen, die ständig Neubaugebiete ausweisen und keine Gestaltungssatzungen erlassen, so dass jeder bauen kann, was ihm gerade in den Sinn kommt. Das alles muss durch gute Planung zum Teil rückgängig gemacht werden.

  • Und da sind viele Kommunen, die ständig Neubaugebiete ausweisen und keine Gestaltungssatzungen erlassen, so dass jeder bauen kann, was ihm gerade in den Sinn kommt.

    Das sehe ich auch als Kernproblem. Ich habe erst vor kurzem aus Interesse bewusst Neubaugebiete im ländlichen Raum aufgesucht. Ich hätte Euch Fotos mitgebracht, aber es ist wirklich einfach nur übel und es ist mir wirklich so vergangen. Ich kannte bisher wenig sehr dörfliche Neubaugebiete, komme zu selten mal in eines und nehme mir dann Zeit das wahrzunehmen. Aber lass mich berichten: Es war zehnmal intensiver, als was man bereits in Städten so vorgesetzt bekommt. Dort herrscht immer noch der Trend aus den USA vor (dort überigens mittlerweile als Fehlentwicklung gut belegt) zu einem Labyrinth aus Straßen, die meist überraschend in irgendwelchen Sackgassen enden, klassischer Wohnungsbau einfach inmitten von einer Einfamilienhaussiedlung am Ortsrand, alle haben sich im Geiste vereinigt möglichst jede Farbe zu vermeiden (keine roten Dächer, keine nicht-grauen oder hellen Hölzer, alles Anthrazit-weiß). Dann die Außenanlagen, man war froh Rasen zu sehen, ansonsten mussten für viele Autos und Pflegeleichtigkeit möglichst viel mit Beton ausgelegt sein, wo etwas Grün erwünscht dann eben Schotter darunter. Baumpflanzungen waren vollkommen abstinent, Hecken, wenn überhaupt dann hinter diesen Plastiksichtschutzwänden, von denen man übrigens auch eine wahnsinnige Menge vorfand. Dazu dann noch mehr Betonmauern oder diese Gitterkästen mit Bruchstein. Und die Architektur selbst, auch eine reine Verschärfung dessen, was man in der Stadt sieht. Kuben werden abgewechselt mit sehr flachen Satteldächerhäusern, alle möglichst ohne Dachüberstand. Fenster wie aus einer Tüte über die Fassade gestreut in nahezu willkürlicher Formen und Proportionen. Die teuren Architektenhäuser darunter hatten dann neben dem Kubus oder dem sehr flachen Walmdach noch einen mit Holzimitat oder Cortenstahl Panelen verschalten Querriegel, in welchem sich die Garage befand. Man könnte noch mehr berichten, aber das liest sich ja doch keiner durch in einem ewig langen Text.

    Es war jedenfalls enorm steril, unnatürlich und feindlich dem öffentlichen Raum gegenüber.

  • Ja, das ist eine gute Beschreibung, was auf vielen Dörfern passiert, besonders um Ballungsgebiete und/oder wirtschaftlich potenten Regionen. Hat sich in den Kommunen und Kreisen in den 80er oftmals ein Bewusstsein für Baukultur entwickelt und sind Vorschriften erlassen worden, wie man zu Bauen hat, sind diese Satzungen seit Anfang/Mitte der 90er größtenteils wieder verschwunden oder nicht auf die folgenden Neubaugebiete erweitert worden. Es ist zum davonlaufen.

    Mit „Land“ hat das nichts mehr zu tun, mit regionaler Identität schon gleich zweimal nichts. Städter, die auf dem Land leben wollen, nur ohne „Land“. Einheimische, die vergessen wollen, wo sie herkommen.

    Das sind sie, die heutigen Schlafsiedlung, ganz oft wie Majorhantines beschrieben hat, mit diesen grau-weißen (Standardfertig-)Häusern: graues Pultdach, graue/ anthrazitfarbene Fenster (Holz findet man mittlerweile so gut wie überhaupt nicht mehr), manche der übergroßen Panoramafenster dauerhaft mit grauen Jalousien verschlossen (so viel Einblick will man der Nachbarschaft dann doch nicht geben, hat man bei der Planung nicht berücksichtigt, dass man nicht allein auf der Welt ist), entweder grauer oder oder arktisch-weißer Anstrich, als vermeintlich schicker Farbakzent irgendwo am Haus noch eine weinrote Metallverblendung, dazu Glas- oder Edelstahlbalkone, vorm Haus Gabionen oder Edelstahlzäune oder als billigere Variante wie beschrieben die Metallgitter mit Folie, die das Abstandsgrün einhegen, falls es eins gibt, ganz oft wird ja mittlerweile vorm Haus alles gepflastert oder als Stein-„Garten“ mit passenden „Steppengräsern“ angelegt. Auf der Terrasse darf der Webergrill, mit dem man eine Fußballmannschaft verpflegen könnte, als Statussymbol nicht fehlen. Alles was Baustoffindustrie, Baumarkt und Gartencenter hergeben.

    Vermeintlich pflegeleicht, zum kärchern geeignet, steril bis in die letzte Ritze. Alles so entsetzlich praktisch. Ein „Wohnen im Grünen“, das eigentlich gar keines mehr ist. Ein totales Chaos an Stilen, Geschmäckern und Baustoffen, nichts passt zusammen, vereint nur in ihrer Künstlichkeit, für den Betrachter ein absoluter Graus. Bei den Gärten ist man beim Grad der Armseligkeit wieder in den 60er angekommen oder unterbietet es noch (Steingärten hat’s damals noch nicht gegeben). Ein Trauerspiel mit wenigen Ausnahmen. Wenn es dann doch mal Bauherrn gibt, die dieser Sterilität und dem ewigen Grau etwas entgegensetzen und es etwas „heimeligeres“ sein darf, greift man dann ausgerechnet zum ortsfremden, „hyggeligen“ „Schwedenhaus“, zum „mediterranen“, mit Säulchen bestückten „Toskanahaus“, oder zum wuchtigen, „rustikalen“, „kanadischen“ Blockhaus nach „Holzfäller Art“ etc.

    Aber keine Angst, dass es besser werden könnte. Hatten die Einfamilienhäuser hier auf dem Land bislang alle noch etwas, was man als Dach bezeichnen konnte, und wurden bislang nur die vom örtlichen Baulöwen reingeklotzten Mehrfamilienhäuser mit Staffelgeschoss zur Flächenmaximalausnutzung gebaut, so findet nun endlich seit ein/zwei Jahren auch noch der Flachdachbau Einzug in die EH-Siedlungen. Im großstädtischen Umfeld mögen die die Einfamilien-Flachdachbungalows schon lange ein gewohnter Anblick sein, hier auf dem Land gab es sie bislang nicht.

    Innen mittlerweile alles hochgradig elektrifiziert, technisiert und vernetzt, mit „intelligenten“, per WLAN regulierbaren Lichtschaltern, Dunstabzugshauben, Heizungen, Jalousien/Rolläden und Klospülungen, die man per App steuert und man sich die Klobrille fürs Geschäft vorwärmen kann etc. Aber bloß nicht das Fenster öffnen oder kippen!!! Das bringt den Frischluft-Wärmetauscher durcheinander und schmälert die Effizienz der Polysterol Dämmung!

    Man ist mittlerweile soweit weg von dem, was ich unter natürlichen Bauen (und Wohnen) im weiteren Sinne verstehe (und damit meine ich gar nicht mal Ökobaustoffe wie Lehmputz etc). Geschlossene Sondermüllorgien mit immer größer werdenden Elektroschrottanteil auf grüner Wiese. In 15 Jahren kann dann alles einmal komplett erneuert werden wegen technischen Fortschritts, Abnutzung und geplanter Obsoleszenz... Die Pointe ist dann die Photovoltaikanlage, die man sich aufs Dach schrauben lässt und die Wärmepumpe, mit der man sich besonders umweltfortschrittlich hält.

    Wenn ich daheim bei mir unterwegs bin, und ich mache auch öfter mal im Jahr solche Touren durch die Dörfer und Städte in meiner Region, dann meide ich diese Gebiete mittlerweile komplett. Es ist einfach zu frustrierend. Im besten Fall sieht man dort belanglosen Hausbau von ewig gleicher Machart (wann wurden die Leute eigentlich so geil auf grau?), im schlechteren Fällen ein aggressives, künstliches, naturfeindliches und im Sommer aufgeheiztes, abgeschottetes Schlachtfeld der neuesten Hausbau- und Baustoffmoden, das einem schon beim anschauen sagt: HAU AB!!

    Und von den Lokalpolitikern kommt nur noch: „Ja mei d‘Leut wolln heut halt a bisserl mehr Freiheit beim baun. So werd halt heut gebaut.“ Dass es die ureigenste Aufgabe von Bürgermeister, Stadtrat, Stadtbaumeister wäre, den Siedlungen ein Gesicht zu geben und die Häuslebauer daran zu erinnern, dass Bauen auch eine Gemeinschaftsaufgabe ist, sehen die gar nicht mehr. Es wird so gut wie alles genehmigt. Und wenn die Bauherrn über die Strenge schlagen und die eh schon sehr lockeren Regeln nicht einhalten (so wie in meinem Heimatort vor zwei Jahren, da wurde ein Haus „aus Versehen“ zwei Meter höher), wird zwar ein großer Lokaltermin anberaumt, aber dann heißts, ja der junge Bauherr kann ja nix dafür, der Architekt/Bauzeichner ist schuld, das jetzt nochmal zurückzubauen wär jetzt eine viel zu große Belastung bla bla…, am Ende kreiste der Berg und gebar eine Maus. Das motiviert natürlich weiter, sich nicht an die wenigen Regelungen zu halten…

    Dazu kommt das sich auch die Kommunen selbst keine Mühe mehr geben: Ganz wie in den 50er, 60er und 70er werden Siedlungen als ewig gleiche gerade Straßenraster angelegt, mit „stylischen“ LED Leuchtkörpern, die mühelos aus der tiefsten Nacht noch den hellsten Tag machen.* Irgendwelches Nachdenken über eine Gestaltung? Nicht mehr vorhanden. Bäume? Wie Mh. schrieb, scheint mittlerweile komplett aus dem Repertoire gestrichen worden zu sein. Bei meinen Eltern wurde damals Anfang der 90er von der Kommune noch vor jedes Haus auf einem Grünstreifen ein Baum gepflanzt, die Häuser um grüne Inseln, ebenfalls mit Bäumen bepflanzt, platzartig gruppiert, es gibt keine einzige gerade durch die Siedlung verlaufende Straße. Selbst so simple Maßnahmen scheinen heute anscheinend undenkbar zu sein.

    In Bayern war man definitiv schon mal weiter. Das Bewusstsein für wirklich nachhaltiges und gesamtheitlich betrachtetes Bauen, ja für eine Baukultur hat massiv abgenommen bzw. ist schlicht nicht mehr vorhanden.

    *Darüber wundere ich mich auch: Vor zwanzig Jahren hat man bei uns angefangen, einen Großteil der Leuchtstofflampen durch Natriumdampfstrahler mit ihrem orangenem Licht peu à peu auszutauschen. Ein Argument: wesentlich besser für Mensch und Natur in der Nacht als dieses helle weiße Licht der Leuchtstoffröhren. Ohne Not werden heute die Natriumdampfstrahler reihenweise durch die hellsten Neon-LED Leuchtmittel ausgetauscht. Kosten? Egal. Die Argumente von damals zur besseren Umweltverträglichkeit des Lichts der Natriumdampfstrahler? Egal. Dass die Strahler teilweise erst wenige Jahre alt oder sogar fast neu sind? Egal. Das oftmals viel zu helle Licht, das bis in die Wohnungen die ganze Nacht leuchtet? Egal. Offensichtlich haben manche Gemeinden immer noch zu viel Geld.

  • Hier einen Vorschlag, den ich vor allem für das Alpenvorland mit seinen versprengten Höfen äußerst charmant finde:

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    Im Video wird ein Beispiel vorgestellt, bei dem holzverarbeitende Betriebe eine solche ehemalige Landwirtschaft komplett übernommen haben und ergänzt haben. Die Hürden scheinen recht hoch zu sein für eine Gemeinde, wie der Ortsvorsteher andeutet. Das Resultat sind aber keine Metallhallen am Ortsrand und eine Wiederbelebung von Strukturen. Oft sind nämlich diese ehemaligen bäuerlichen Betriebe in keinem guten Zustand, durch die landwirtschaftliche Restnutzung mit wenigen Kühen bis zur Aufgabe und einer älteren Einwohnerschaft. Es wäre sehr schade um diese einzigartige Kulturlandschaft, die sich in Auflösung befindet.