Abrisswahnsinn vs. Wiederaufbau Altstadt

  • Kosten von mindestens 130 Millionen Euro für - derzeitiger Stand - 17 Rekonstruktionen: Der Wiederaufbau eines Teiles der [lexicon='Altstadt Frankfurt'][/lexicon]/M. ist eine wahre Mammutleistung. Um jedes zu rekonstruierende Haus und um jede Veränderung ("Stichwort Beseitigung Schirn-Tisch") wird mühsam gerungen und diskutiert. Gleichzeitig wurden alleine in den letzten Jahren zig Altbauten in Frankfurt/M. den Erdbogen gleichgemacht.

    Eine Liste der Schande:
    - Die historische Villa "Senckenberganlage 30" musste einem Kfw-Neubau weichen.
    - Zwei gründerzeitliche Bauten Ecke Ludwigstrasse /Mainzer Landstrasse 117-119 wurden für ein Hotel-Neubau geopfert
    - Unter die Abrissbirne kam auch die alte "Villa Kennedyalle 121"
    - Die letzten historischen Gebäude der "Freiherr-vom- Stein-Schule" in F.-Sachsenhausen mussten einem Schul-Neubau weichen
    - Die 1884 erbaute „grüne Villa“ (Eckenheimer Landstraße/Ecke Zeißelstraße) im Nordend wurde für ein neues Wohnhaus abgerissen
    - Ein innerstädtischer Altbau - das "ex-Jugendzentrum in der Bleichstraße 8-10" - musste einem geplanten Betreuungszentrum weichen
    - In Frankfurt-Sachsenhausen wurde das "alte Druckereigebäude in der Schulstr. 37" platt gemacht.
    - In der Hohenstaufenstraße fiel 2008 das repräsentative Gebäude der "Bundesbahndirektion von 1905-1907" für ein Hochhaus
    - Im Juni 2010 wurde die 1928 erbaute "Villa Hirsch" im Frankfurter Westend (Friedrichstr. 64) abgerissen
    - Unter die Abrissbirne kommt demnächst auch die "Villa Helfmann", Untermainkai 34.

    Jüngster Abriss: In der "Feuerbachstraße 40" kam, unbemerkt von der Öffentlichkeit, für ein austauschbares Neubauprojekt auf dem riesigen ZAV-Areal
    http://binged.it/lQHyZ7 (s. Bing Map) im Frankfurter Westend ein schöner mit typischen roten Sandstein ausgestatteter Gründerzeitler unter die Abrissbirne: http://bit.ly/lmDSwN (s. Google-Maps). Im dazugehörigen Bebauungsplan 842 ist sogar von Stadtreparatur die Rede.

    Wie passt das Zusammen? Auf der einen Seite Rekonstruktionen - auf der anderen Seite Abrisse von authentischer historischer Bebauung. N.m.E. ist diese Stadtpolitik in einem hohen Maße ungläubwürdig.

    ...

  • Ich fürchte, diesen Widerspruch wird es immer wieder geben - in Frankfurt, aber auch in anderen Großstädten. Bauwerke aus der Zeit zwischen 1870 und 1920 haben einfach nach wie vor nicht die notwendige Lobby, um sie vor Abrissen zu schützen. Und in kleineren Städten erwischt es ja sogar Fachwerkhäuser, die noch viel älter sind. Es fehlt einfach an einem positiven Zusammenwirken von Kommunalpolitik und Denkmalschutz, es fehlt an dem unbedingten Willen, historische Bausubstanz zu schützen. Der Wille fehlt natürlich nicht zuletzt auch bei Hauseigentümern und Projektentwicklern - da kann man nur auf einen Generationswechsel hoffen... :kopfschuetteln:

    Zitat

    Die historische Villa "Senckenberganlage 30" musste einem Kfw-Neubau weichen

    Zwei gründerzeitliche Bauten Ecke Ludwigstrasse /Mainzer Landstrasse 117-119 wurden für ein Hotel-Neubau geopfert

    Um welche Gebäude handelt es sich denn da, hast Du Fotos?

  • Zitat

    Kosten von mindestens 130 Millionen Euro für - derzeitiger Stand - 17 Rekonstruktionen (...)

    Zitat

    (...) können nach diesen Kriterien neben den acht von der
    Stadtverordnetenversammlung beschlossenen, weitere neun Gebäude
    rekonstruiert werden, sofern sich Investoren finden.

    Entschuldigung. Da bin ich wohl nicht ganz auf dem Laufenden. Steht denn mittlerweile fest, daß die neun (9) weiteren Rekonstruktionen auch tatsächlich umgesetzt werden?

  • Die historische Villa "Senckenberganlage 30" musste einem Kfw-Neubau weichen

    Um welche Gebäude handelt es sich denn da, hast Du Fotos?


    Zur Senckenberganlage 30 habe ich kein Foto greifbar. Es handelte sich wohl um eine Villa aus der Jahrhundertwende
    siehe Lust&Partner - Ihr Architektur- und Bauleitungsbüro in Darmstadt: KfW-Senckenberganlage
    Die zwei Gründerzeitler die Luwigsstraße / Ecke Mainzer gefallen waren sieht man hier: Architektur Darmstadt

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  • Das Problem ist, dass kein einziges der genannten Gebäude unter Denkmalschutz stand. In Frankfurt befinden sich ungefähr 91.000 Gebäude (Stand: 1994), von denen rund 4.600 (Stand: 2000) unter Denkmalschutz stehen. Also ungefähr 5 Prozent. Der Grund für fehlenden Denkmalschutz ist in den meisten Fällen, dass es sich um Gebäude handelt, die nach Kriegsschäden oder durchgreifenden Entkernungen v. a. der 1960er und 1970er nur noch aus einer historischen Hülle bestehen.

    In solchen Fällen besteht für die Verwaltung – das muss ich auch mal als jemand sagen, der bei der Stadt arbeitet – nahezu kaum eine Möglichkeit, dem Abrissantrag des Eigentümers *nicht* statt zu geben. Denn die Denkmaleigenschaft stellt die autonom agierende Untere Denkmalschutzbehörde fest. Ein gutes Beispiel dafür ist das Haus Landsberg in Frankfurt-Höchst, wo man, wie ich anderswo berichtete, zweimal von Seiten des Magistrats sogar genau das erfolglos versucht hat, zu beantragen.

    Eine Ausnahme stellte das Gebäude Eckenheimer Landstraße / Ecke Zeißelstraße dar, wo man ebenfalls eine gutachterliche Meinung zur Denkmaleigenschaft einholte, und dann mit der wirklich haarsträubenden Argumentation auch noch von einem von Frankfurts führenden Denkmalschützern abgerissen wurde, das Gebäude stamme aus der Zeit *vor* der Bebbauung des Nordend und falle damit nicht unter dessen Ensembleschutz. Da mag man dann schonmal an Gefälligkeitsdienste glauben...

    Die Perversion der geltenden Gesetzgebung liegt darin, dass der Weg anders herum, also den Abrissantrag für ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erteilen, wesentlich unproblematischer gestaltet ist. Oder anders ausgedrückt, wirtschaftsfreundlicher. Bei der momentanen Regierung ist dahingehend jedoch kaum eine Besserung zu erwarten, und in Zeiten, wo die Schaffung von Arbeitsplätzen im Zuge von Neubauprojekten genauso gerne als Totschlagargument verwendet wird wie Kinderförderung oder Verbrechensbekämpfung im Internet via Vorratsdatenspeicherung, wohl auch kaum von anderen Parteien, die demnächst vielleicht mal wieder in Berlin an die Hebel kommen.

    Einmal editiert, zuletzt von RMA (21. Juni 2011 um 19:31)

  • RMA: Danke für die Zusammenfassung der Sachlage. So sieht es leider aus. Ich finde es zwar sehr irritierend, wenn gleichzeitig mit Millionenaufwand versucht wird Altes wiederauferstehen zu lassen und gleichzeitig massenhaft historische Bausubstanz abgebrochen wird - mein Vorwurf richtete sich jedoch nicht in erster Linie an den Denkmalschutz oder an die Stadt. Mich erschüttert vielmehr die Einfältigkeit, Phantasielosigkeit und Skrupellosigkeit mit der manche "Projektentwickler" mit historischen Bauerbe umgehen.

    Es ist verwunderlich, dass z.B. im Westend derzeit schlichte Nachkriegsbauten mit gußeisernen Balkonen und Klebestuck ausgestattet werden um eine "gründerzeitliche Wertigkeit" zu erzeugen und selbst Neubauten wieder 3-4 Meter hohe Decken erhalten um eine großbürgerliche Atmosphäre für solvente Anleger zu schaffen. Gleichzeitig sind viele Entwickler Hand in Hand mit den Architekten nicht in der Lage, bestehende Altbauten einzubeziehen. Bestes Beispiel "Feuerbachstraße 40". Ein fußballgroßes Areal http://binged.it/lQHyZ7 (s. Bing Map) auf dem der einzige Altbau http://bit.ly/lmDSwN (s. Google-Maps) ohne Not weggerissen wurde. Der Bau war offenbar bewohnt und in einem guten Zustand, also noch nicht einmal ein Sanierungsfall. Der bestehende Altbau schreit doch gerade danach in ein Immobilien-Marketingkonzept mit einbezogen zu werden und mit seiner besonderen architektonischen Note das Vermarktungspotential zu erhöhen.

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    2 Mal editiert, zuletzt von Wikos (21. Juni 2011 um 21:11)