Interview mit Denkmalschützer Gottfried Kiesow

  • Andererseits sind gerade die bürgerlichen Profanbauten in ihrer inneren Struktur immer wieder um- und neugebaut worden, während die Schauseiten und Außenmauern erhalten und allenfalls sporadisch verändert wurden. Im extremen Falle konnte ein städtisches Bürgerhaus im Laufe seiner Geschichte ein halbes Dutzend Umbauten im Inneren erfahren haben, während der Giebel, erbaut im Mittelalter und letztmalig verändert im 16. Jahrhundert (oft wars nur zusätzlicher Stuck), bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg - oder im Glückfalle bis heute - stand. In Rostock, Frankfurt, Bremen und anderen deutschen Städten wuchsen lange VOR der Industrialisierung die Häuser zusammen, wobei auf einen kostspieligen straßenseitigen Umbau verzichtet wurde - so einige Rat- und Stadthäuser kamen erst dadurch zu ihrem Rang, u.a. der Frankfurter "Römer".
    D.h., eine "oberflächliche" Rekonstruktion nur der Schauseite kann durchaus im Sinne einer "neuzeitlichen" Denkmalpflege sein, selbst wenn das Innere eine andere Nutzung und andere Grundrisse aufweist als das Original - was auch ohne die britischen Kulturbombardements zugunsten von Banken, Versicherungen und Einkaufszentren geschehen wäre. Selbst ein greller Leuchtschriftzug irgendeiner Kaufhauskette, über drei historische Fassaden verteilt, wäre verschmerzbar gewesen - Zeiten und Infrastrukturen ändern sich; sie können entstehen und auch nach Modewechseln wieder verschwinden - mit der gebauten Geschichte in Form, ja von Schaufassaden, einer Zeitspanne von 1200 Jahren ist das leider nicht so einfach.

    Nein, die werden gedünstet

  • natürlich gab es früher schon jede menge umbauten, aufstockungen und grundstückszusammenlegungen. auch deshalb kam ja der denkmalschutzgedanke auf.
    umgekehrt bedeutet dies dann auch, dass denkmalsschutz, der achselzuckend genau auf jene früheren entwicklungen verweisen würde, sich damit eigentlich obsolet macht.
    denkmalpflege ist nicht (allein) stadtbildpflege. wenn ihm bewahren nicht vor immitieren ginge, würden billigere immitationen noch leichter bewahrenswerte originale verdrängen.

    beispiele wie görlitz, bautzen oder andererseits der dresdner neumarkt zeigen doch, dass es schier unmöglich ist, originale ensembles zu ersetzen. und weil dem so ist, ist es gut, dass sich denkmalschützer dieser illusion entgegen stellen.

  • ist ja alles verstaendlich,
    aber wie gesagt, den Luxus koennen wir uns im total zerstoerten D nicht mehr leisten

    ausserdem muessen wir zugunsten rekos darauf verzichten, um den neubaumist zu verhindern. schlicht und ergreifend.

  • mir ist das zu schlicht, um ergreifend zu sein.

    es kann sich ja jeder ausmalen, wie die ostdeutschen städte heute aussehen würden, wenn man seit der wende auf den luxus denkmalschutz verzichtet hätte.
    d ist ja nicht total zerstört. ein blick auf die seiten hier verrät, dass noch massenhaft baudenkmäler akut gefährdet sind. davon möglichst viele zu schützen ist nun mal die intension des denkmalschutzes - und nicht, darüber entscheiden zu wollen, was "neubaumist" ist.

    oder anders gesagt: solange in d gleichzeitig wertvolle altbausubstanz vernichtet wird, wird für denkmalschützer so ziemlich jeder neubau "mist" sein. und besonders (weil besonders kontraproduktiv) eben altbauten vorgaukelnder "mist".

    dass das reko-befürworter vielleicht nicht begeistert, finde ich verständlich. aber umgekehrt kann man ja auch als solcher verständnis für denkmalschützer aufbringen. einem gärtner würde man ja auch nicht verübeln, wenn er sogar auch den schönsten plastikbaum ablehnen würde...

  • Der Argumentation kann ich nicht so recht zustimmen - wenn sich kein Investor findet oder der Käufer nicht ausreichend Geld zur Verfügung hat, tut sich halt trotz Denkmalschutz nichts... und das Gebäude (wie Schloß Übigau oder Hotel [lexicon='Leipzig'][/lexicon]) verfällt dennoch. Schließlich zahlt ja nicht der Denkmalschutz die Renovierung, sondern der Bürger vor Ort (der allenfalls Zuschüsse in Anspruch nehmen kann).

    Auch das häufig gehörte Argument, man solle sich eher auf die "echten" Baudenkmale konzentrieren, anstatt am Neumarkt neueu "falsche" Denkmale zu errichten, ist nicht stichhaltig - hier wird immer so getan, als würde alles von einer Art gigantischen Behörde mit beschränktem Budget organisiert, die dann dresdenweit das Geld verteilt... nur - was hat denn beispielsweise das Schloß in Übigau mit dem Coselpalais zu tun? Würde das Geld von Condor Wessels ohne Neumarkt-Bebauung etwa nach Cotta oder Cossebaude fließen, um dort irgendein verfallenes Gründerzeitgebäude zu rekonstruieren? Das glaubt doch wohl niemand...

    Das Gegenteil ist richtig: eine attraktivere Innenstadt sorgt dafür, daß Dresden insgesamt attraktiver wird - für die Wirtschaft, für neu zugezogene Bürger, für Investoren, die dann möglicherweise auch in bislang weniger nachgefragte Objekte investieren, da die Nachfrage insgesamt steigt.

    Andererseits stehen viele der zahllosen Gründerzeitbauten in Dresdner Vororten überhaupt nicht unter Denkmalschutz und wurden in vielen Fällen dennoch kompetent renoviert und nicht etwas abgerissen - weil eben die Bürger vor Ort den Wert dieser Bauten erkannt haben. Dank gesundem Menschenverstand und ohne Denkmalschutzbehörde.

    Zudem verhindert der Denkmalschutz mit überzogenen Anforderungen auch in vielen Fällen, daß Gebäude wieder genutzt werden können. Ein Musterbeispiel hierfür ist das Elbhotel am blauen Wunder, für das schon mehrfach Investoren gute und maßvolle Umbaupläne vorgelegt haben - die wurden aufgrund von Denkmalschutzerwägungen abgelehnt, so daß das Gebäude immer weiter verfiel - keine Ahnung, ob sich da inzwischen wieder etwas getan hat (bin leider nicht auf dem laufenden).

    Wie ich schon öfters geschrieben habe, finde ich den heutigen Denkmalschutzansatz reichlich absurd, weil dabei so getan wird, als wäre das Haus X zum Zeitpunkt Y erbaut und seitdem niemals geändert worden und daher ein "Original", das unter gar keinen Umständen geändert oder gar neu aufgebaut werden dürfe. In der Praxis wurden natürlich fast alle Gebäude zahllose Male völlig umgebaut, umgestaltet, entkernt - bis plötzlich der Denkmalschutz wie ein Regisseur mit einer Klappe ins Bild springt und laut "Halt - bis dahin und nicht weiter" ruft.

    Plötzlich haben alle vorher vorgenommenen Änderungen selbst Denkmalcharakter und müssen um jeden Preis erhalten werden (selbst wenn es nur Wasserschäden oder Einschußlöcher sind), während gleichzeitig Neubauten im alten Stil "verboten" sind, weil sie ja das "Original" entwerten.

    Selbst gründerzeitliche Hinzufügungen wie die Türme des Meissner Doms müssen heute "denkmalgerecht" erhalten werden, obwohl heute eine derartige Änderung "aus Gründen des Denkmalschutzes" nicht mehr zulässig wäre, weil sie ja eine Verfälschung des Originals darstellt. Wenn man dann feststellt, daß viele "Originale" überhaupt nicht original waren, weil sie (wie das Münchner Nationaltheater) schon zuvor eine "Kopie" eines zuvor zerstörten Baus waren, wird diese Argumentation endgültig absurd.

    "es kann sich ja jeder ausmalen, wie die ostdeutschen städte heute aussehen würden, wenn man seit der wende auf den luxus denkmalschutz verzichtet hätte. "

    In Westdeutschland gibt es doch schon seit Jahrzehnten den heutigen Begriff des Denkmalschutzes - und was hat er gebracht? Wenn man sich Städte wie Stuttgart anschaut, praktisch überhaupt nichts. Gut erhaltene und wertvolle Altbauten wurden bis in die siebziger Jahre willkürlich abgerissen und durch bemerkenswert scheußliche Neubauten ersetzt. Ganze Viertel wurden für den Stadtbahnbau abgerissen. Erhalten gebliebene andere Bauten wurden komplett umgebaut, meist im Sinne einer deutlichen Verschlechterung. Dies gilt selbst für zentrale Bauten wie das Stuttgarter Schloß.

    Gleichzeitig "darf" ein Gebäude wie das Kronprinzenpalais (was in den siebziger Jahren mal angedacht wurde, aber "dank" neuem Kunstmuseum nie kommen wird), das für eine nie gebaute Straße abgerissen wurde, nicht rekonstruiert werden, weil es ja kein "Original" wäre (wobei das "Original" ohne weiteres gesprengt werden durfte).

    Die ideale Lösung im Sinne des heutigen Denkmalschutzes ist wohl, auf irgendwelche unbrauchbaren (von der Raumaufteilung und Statik) alten (aber "originalen") Keller ein "zeitgenössisches" (und daher wieder neu geschaffenes "originales") neues Gebäude aufzusetzen. Gedanken wie Ästhetik, Bürgerwünsche oder städtebauliche Aspekte interessieren bei dem ganzen überhaupt nicht - also eine reine Ideologie, die unbedingt umgesetzt werden muß. Und mit Ideologien habe ich so meine Probleme...

  • ab hier dreht sich die diskussion im kreis.

    natürlich kann es unterschiedliche meinungen zum denkmalschutz geben.
    das sieht man ja schon daran, dass empfehlungen des denkmalschutzes bei bauentscheidungen oft ignoriert werden, denn er befasst sich ja nur mit einem teilaspekt - dem bemühen um die bewahrung erhaltenswerter bausubstanz. das ist genau seine aufgabe und sollte man - meiner meinung nach - ihm dann auch nicht vorwerfen.

    wer jedoch denkmalschutz nur für "luxus" oder "reine ideologie" hält, sollte dann auch diese meinung vertreten, wenn es mal wieder um den abriss von baudenkmälern geht.
    denn dann sieht es doch (hier im forum) wie folgt aus: ist der denkmalschutz dagegen, sind alle gleich doppelt empört, wie man diesen frevel dennoch wagen kann. und stimmt der denkmalschutz - völlig unideologisch - einem abriss zu, na dann kennt die empörung keine grenzen. und oft genug schäumen diejenigen am meisten vor wut, die von den jeweiligen gegebenheiten vor ort die wenigste ahnung haben.

    da sind mir dann schon denkmalschützer lieber. auch wenn man ihren einschätzungen nicht in jedem fall folgen kann: sie sind immer fachlich fundiert und man kann sie deshalb zumindest respektieren.

  • Hallo rakete!
    Ich denke, viele hier im Forum sind einfach enttäuscht, dass sich der deutsche Denkmalschutz angesichts der unvergleichlichen, gigantischen Menge von Verlust historischer Substanz, einfach in seinen akademischen Elfenbeinturm zurückzieht.

    Die Auflagen und "Handlungsanweisungen" im Umgang mit den verbliebenen, z.T. kümmerlichen Resten einstiger Pracht, sind einfach nicht mehr von dieser Welt und manchesmal sogar nur lächerlich ...

    Nach allem, was der deutschen Bausubstanz seit ca. 1941 wiederfahren ist, wäre ein DS notwendig, der Mumm hat und sich traut aufzustehen.

    Leider trägt diese Fachdisziplin seit Jahrzehnten eben besondere Verantwortung - da können sich andere Berufsgruppen schon leichter zurücklehnen. Der Krieg sollte für die Denkmalschützer eigentlich noch nicht vorbei sein - so merkwürdig das klingt ... stattdessen pflegen sie ihren Beamtenstatus und tun so, als gäbe es bei Dehio noch etwas, das uns weiterhelfen kann.

    Zitat

    wer jedoch denkmalschutz nur für "luxus" oder "reine ideologie" hält, sollte dann auch diese meinung vertreten, wenn es mal wieder um den abriss von baudenkmälern geht.

    Vielleicht bist Du jetzt verwundert - aber der Eintritt für Baudenkmäler ist das absolut mindeste, was ich erwarte. Ich kann hier keinerlei Besonderheit entdecken, dafür werden die Inhaber der Planstellen schliesslich bezahlt - wofür sollen sie denn ansonsten ihre Vergütung erhalten...?

  • Ich wünsche mir oft, der deutsche Denkmalschutz wäre methodisch dem der Schweiz gleichwertig - aufgrund einer Überfülle historischer Bausubstanz in Deutschland. Ich kann mir vorstellen, daß es ziemlichen Gauz machen muß, mit seinen Kollegen in Schwarz über Sichtbetonkuben, vom kleinbürgerlichen Unverstand bedrohte Zeitzeugnisse der brutalistischen Epoche und die Natürlichkeit klarer, asketischer Strukturen bei einem Latte Machiato(schreibt man das so?) zu sinnieren, wenn man in jeder Innenstadt des Landes, egal ob klein oder groß, wie selbstverständlich eine Ansammlung vielhundertjähriger Geschichte weiß. Ich könnt's genießen - wenn der Rest ebenfalls stimmen würde. :?

    Nein, die werden gedünstet

  • Jürgen: da bin ich ja so ziemlich deiner meinung.
    meine vorgängerbeiträge habe ich jedoch in dem sinne verstanden, dass dem denkmalschutz vorgeworfen wird, sich um eben jene bedrohten z.t. kümmerlichen reste einstiger pracht mehr zu sorgen als um rekos, die -weil sie ja noch nicht gebaut wurden - auch zu jedem anderen zeitpunkt gebaut werden könnten. könnte man einen denkmalschutz, der gegenteiliges propagiert, noch denkmalschutz nennen?

    zum besseren verständnis: welchen "mumm" sollten denkmalschützer haben, um wofür aufzustehen?