Architektonische Beschreibungen bzw Beschreibungen von Städten und Bauwerken sind in der Belletristik erstaunlich selten. Während der Film sehr gerne schöne Landschaften oder Ortschaften als Kulissen auskostet, ja man zuweilen den Eindruck hat, dass es mehr auf die Kulissen denn auf den eigentlichen Film gehalt ankäme, ist ein derartiges Phänomen in der erzählenden Literatur kaum zu beobachten. Wenn schon, sind es Landschaften, bzw Natursehenswürdigkeiten, die mitunter auch titelgebend sind (Der Hochwald, Die Wasserfälle von Slunj).
Hier ein berühmter Fall, der allerdings ein fiktives (oder unbekanntes) Bauwerk zum Gegenstand hat.
Im ganzen entsprach das Schloß, wie es sich hier von der Ferne zeigte, K.s Erwartungen. Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können. Nur einen Turm sah K., ob er zu einem Wohngebäude oder einer Kirche gehörte, war nicht zu erkennen. Schwärme von Krähen umkreisten ihn.
Die Augen auf das Schloß gerichtet, ging K. weiter, nichts sonst kümmerte ihn. Aber im Näherkommen enttäuschte ihn das Schloß, es war doch nur ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen, ausgezeichnet nur dadurch, daß vielleicht alles aus Stein gebaut war; aber der Anstrich war längst abgefallen, und der Stein schien abzubröckeln. Flüchtig erinnerte sich K. an sein Heimatstädtchen; es stand diesem angeblichen Schlosse kaum nach. Wäre es K. nur auf die Besichtigung angekommen, dann wäre es schade um die lange Wanderschaft gewesen und er hätte vernünftiger gehandelt, wieder einmal die alte Heimat zu besuchen, wo er schon so lange nicht gewesen war. Und er verglich in Gedanken den Kirchturm der Heimat mit dem Turm dort oben. Jener Turm, bestimmt, ohne Zögern geradewegs nach oben sich verjüngend, breitdachig, abschließend mit roten Ziegeln, ein irdisches Gebäude – was können wir anderes bauen? – aber mit höherem Ziel als die niedrige Häusermenge und mit klarerem Ausdruck, als ihn der trübe Werktag hat. Der Turm hier oben – es war der einzig sichtbare -, der Turm eines Wohnhauses, wie es sich jetzt zeigte, vielleicht des Hauptschlosses, war ein einförmiger Rundbau, zum Teil gnädig von Efeu verdeckt, mit kleinen Fenstern, die jetzt in der Sonne aufstrahlten – etwas Irrsinniges hatte das -, und einem söllerartigen Abschluß, dessen Mauerzinnen unsicher, unregelmäßig, brüchig, wie von ängstlicher oder nachlässiger Kinderhand gezeichnet, sich in den blauen Himmel zackten. Es war, wie wenn ein trübseliger Hausbewohner, der gerechterweise im entlegensten Zimmer des Hauses sich hätte eingesperrt halten sollen, das Dach durchbrochen und sich erhoben hätte, um sich der Welt zu zeigen.
Welches Bauwerk kann mit "dem Schloss" gemeint sein?
Der Hradschin? Dagegen spricht das großstädtische Umfeld. Manche tippen auf das Arwa-Schloss in der Slowakei, das Kafka gekannt haben musste. Allerdings will ich mir die Umgebung des Schlosses "böhmischer" vorstellen, also weniger gebirgig.
Eine interessantere Deutung ist Schloss Střela bei Strakonitz.
https://www.google.at/search?q=strel…h7FgAQtZkNl9MM:
Aber im Grunde muss man an die klassischen Böhmischen Beispiele denken, an Sternberg, Namiescht /O, Nachod und an viele andere.
Wer sagt allerdings, dass das Schloss unbedingt in Böhmen liegen muss?
Wäre Schloss Ernstbrunn über Dörfles, das Eichendorff als "unordentlich durcheinanergebaut" beschrieb, nicht ebenso prototypisch? Für mich überhaupt ein heißer Tipp: Schloss Raabs an der Thaya.
Burg Bertholdstein
https://www.google.at/search?q=berth…C9GyNDgGAHqAmM:
die filmische Vorlage von 1968 wäre mir ansonsten bis heute unbekannt.
Burg Clam ist grundsätzlich gut gelegen, aber wohl zu ritterlich und malerisch.
Hochosterwitz wäre einerseits ideal (schwere Erreichbarkeit), ist andererseits zu sehr mit sich selbst identifiziert, als dass etwas anderes darstellen könnte.
Reichsdeutsche Möglichkeiten gibt es natürlich auch, aber es ist nicht so leicht.
Weesenstein ist eine Spur zu prunkvoll, Heiligenberg sogar zu viel, Torgau liegt auf keinem Berg, Colditz passt ebenso wenig wie Krumau in Böhmen, besser wäre Rochsburg, allerdings hätte ich da auch Bedenken. Augustusburg kommt wohl auch nicht in Betracht.
Harburg bei Nördlingen ist wieder zu pittoresk.
Denkbar wäre Fürstenstein bei Waldenburg.
Na ja, für ein Nicht-objekt wäre hier schon viel geschrieben.
Nächstens widmen wir uns einem real bestehenden Bauwerk, das für einen berühmten österr. Roman titelgebend geworden ist: Die Strudlhofstiege