Bremen – Altstadt – Ratsgestühl von 1903

  • Teil 5 : Rückwand der Bürgermeisterstühle

    Lage der Rückwand der Bürgermeisterstühle in der Oberen Rathaushalle (rot eingekastelt).

    Totale des Ratsgestühls mit rot hervorgehobener Rückwand der Bürgermeisterstühle.

    Nahansicht der Rückwand.

    Die Basis der Rückwand: Sockel für die Sitzfiguren der vier Kardinaltugenden (noch in situ in der Oberen Rathaushalle). Die Fronten der Sockel zieren zwei Putten- ein Löwen und ein Eulengesicht. Der Löwe soll wohl für Stärke, die Eule wohl für Weisheit stehen. Die Reihenfolge der Gesichter korresponiert nicht mit den jeweils über ihnen sitzenden Tugenden.

    Die Sockel im Magazin. Einer der beiden Sockel mit Puttengesichtern ist nicht mehr vorhanden (er wird wohl mit der oberhalb sitzenden Fortitudo verschenkt worden sein).

    Totale der sitzenden Tugendfiguren auf ihren Sockeln.

    Temperantia (Besonnenheit)

    Die einzige 2001 im Magazin noch vorhandene Tugendfigur. Alle anderen wurden in - hoffentlich gute - private Hände abgegeben.

    Justitia (Gerechtigkeit)

    Fortitudo (Tapferkeit / Stärke)


    Prudentia (Klugheit)

    Der Präsident des Senats und sein Kollege, der andere Bürgermeister, sollten sich wohl stets von diesen - hinter ihnen sitzenden - Kardinaltugenden leiten lassen.

  • Zwischen den mittig sitzenden Figuren der Justitia und der Fortitudo war folgende Inschrift angebracht (die 2001 nicht mehr fotografiert werden konnte):

    UNTER DEM SICHEREN SCHUZT

    DES NEUERSTANDENEN REICHES

    WARD WAS TRAURIGE ZEIT

    STUERZTE VON NEUEM ERBAUT

    Diese Inschrift nimmt zwar Bezug auf die Zerstörung des mittelalterlichen Ratsstuhls während der Franzosenzeit, kann aber heute auch als Auftrag gelesen werden, das Unbill, welches nun wiederum diesem Ratsgestühl in den 1950er Jahren widerfuhr, zu korrigieren...

  • Aus der Sockelzone der Rückwand der Bürgermeisterstühle mit ihren sitzenden Tugendfiguren...

    ...haben die Puristen das hier gemacht:

    (eigenes Foto aus dem Jahr 2000)

  • Banalität, deren offene Präsentation sich im absoluten Herzen der Polis eigentlich verbieten sollte...

    Unsere Vorväter um 1900 haben sicherlich ebenso wie wir dem Brandschutz und dem Anschluß des Rathauses an das Stromnetz die gebührende Beachtung geschenkt. Aber dennoch verstanden sie es, das Funktionale derart zu kaschieren, daß nicht solch unschönen Anblicke entstanden:

    Würdig und ästhetisch sieht anders aus !

    Trotz ihrer drastischen Höhenreduzierung hätte die Rückwand dennoch einen direkt hinter ihr auf Bodenhöhe angebrachten Feuerlöscher für den Betrachter aus der Halle optisch verschwinden lassen.

    Und konnten die Steckdosen tatsächlich nur direkt vor dem Bürgermeistertisch angebracht werden ? Unauffälliger war es nicht möglich ?

  • Was die weißen Lätzchen uns sagen...

    ... und diese weißen Servietten (oder sollte man hier besser von Lätzchen sprechen ?) sehen nicht nur piefig und kleinkariert , sondern an dieser Stelle auch absolut unpassend aus. Mag ja sein, daß kurze Zeit bevor das Foto aufgenommen wurde, ein Senatsempfang stattfand. Aber bei dem Tisch handelt es sich eben nicht um eine x-beliebige Anrichte, sondern um den zeremoniell wichtigsten Tisch der ganzen Stadt. Würden Katholiken jemals etwas auf dem Kirchenaltar 'zwischenlagern' ? Nein, selbstverständlich nicht, denn sie haben sich noch den nötigen Respekt vor dem heiligen Tisch bewahrt. Natürlich kommt dem Bürgermeistertisch keinerlei liturgische Rolle zu, aber man kann hier eben sehr gut sehen, daß mit der 'Entdekorierung' dieses Ortes auch der Respekt und die Ehrfurcht vor demselben offensichtlich stark gelitten haben !

  • Großes Staatswappen

    Im Herzen der Rückwand befand sich das große Staatswappen der Freien Hansestadt Bremen. Dieses wich in seiner Gestaltung deutlich von der während des Kaiserreichs ansonsten gültigen, amtlichen Version ab und orientierte sich mehr an den schon in der Oberen Rathaushalle vorhandenen Exemplaren von Bremens höchstem heraldischem Schmuck: Den Wappen in den Portalbekrönungen der (ehemaligen) Rheederkammer und der Güldenkammer.


    Vergleich des Fotos aus der Oberen Rathaushalle mit einer Collage von 2001 .

    Vorbilder und Einflüsse:

    Rechts oben : Portal der ehemaligen Rheederkammer, links unten: Portal der Güldenkammer, rechts unten: Großes Staatswappen während des Deutschen Kaiserreichs.

  • Das Feld nördlich des Wappens

    Auf dem folgenden Foto erkennt man, daß die beiden Säulen zu dreiviertel aus einem separierbaren Teil bestanden, welcher vor das fest an der Rückwand montierte Viertel gestellt wurde. Die Pilaster waren ebenfalls fest mit der Rückwand verbunden.

    Oculus mit zentral eingestellter - mit einer Mund- und Kinnpartie versehener (!) - Vase. Leider ist hier der Abgang einer Groteskenmaske zu beklagen (helle Stelle).

    Schmuck der Laibung.

    Details der Laibung: Adlerköpfe.

    Dreiviertelsäule und ihre Bestandteile:

    (Auf die Vorbilder all dieser Bestandteile der Rückwand wird noch eingegangen werden.)

  • Das Ratsgestühl ist m. E. im sog. Knorpel- bzw. Ohrmuschelstil gehalten, der schon dem frühen Barock zugerechnet werden kann, auch wenn wir uns bewußt sind, dass wir ein Werk des Historismus vor uns haben. Überaus phantasiereich gestaltet, jedoch mit einem zu Grunde liegenden Programm der Figuren, welches uns Pagentorn so anschaulich und detailliert vorgestellt hat. Die sich überschneidenden Voluten, die Groteskenmasken, der Reichtum der Ausstattung und des Schnitzwerks, das alles stellt sowohl eine große künstlerische, als auch eine handwerkliche Leistung dar, aus der selbstbewußte Lebensfreude und Lebenslust zu uns sprechen. Ich möchte sagen, es handelt sich hierbei um ein großartiges Gesamtkunstwerk.

  • Das Hauptgesims



    An den leeren , mit blauen Ziffern markierten Stellen des Hauptgesimses waren ursprünglich ornamental gefaßte, fast vollplastisch hervorkragende Köpfe angebracht. Ob diese verloren gingen oder ganz gezielt abmontiert und verschenkt wurden, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden.

    Im Zentrum des Hauptgesims befindet sich der folgende 'Liktoren-Putto' mit zwei Fasces (Rutenbündeln).

  • Die Rückseite der Rückwand

    Der innere Stützrahmen und die beiden Inschriften auf der Rückseite . Mit der oberen der beiden Inschrift wurde dieser Themenstrang ja eröffnet; man wird sich erinnern...