Abseits der touristischen Hotspots ist noch viel zu entdecken, das Herrenhaus Heinrichsruh
Der Gartensaal
Der fast quadratisch, also zentral wirkende Gartensaal im Erdgeschoss weist mit einer Erstreckung von 7,4m in der Längsachse und 9,1m in der Querachse hingegen faktisch einen querrechteckigen Grundriß auf. Mit einer Höhe von 3,65m zeigt sich deren „nüchterne [...] und zweckvolle [...] Klarheit, jedoch ohne Ermangelung einer Eleganz in Raumproportion und Ausstattung.“[1]
Der Gartensaal ist von drei Seiten begehbar, vom Vestibül an der Nordseite und von den beiden benachbarten Räumen im Westen und Osten aus. Drei große Fenster an der südlichen Gartenseite belichten den Raum.
In der nordwestlichen Ecke befindet sich ein Ofen, auf der nordöstlichen Seite ein Kamin.
[1] Schwerin, LKD: Heinrichsruh: Mappen 01–04, hier 02, 03: Lange, Zielsetzung, S. 2.
Nordwestliche Ofenwand: Dekor mit Blumengirlande
In der Nordwestecke des Raumes steht an der Schrägwand ein mit drei Seiten dreidimensional in den Raum vorkragender Ofen. Auf der blauen Rückwand sind in Blautönen gehaltene Dekormotive angebracht, die auf die blau-weiße Farbgebung des Ofens Bezug nehmen. Dieser wird von einer annähernd halbkreisförmigen, gemuldeten Spange übergriffen, die perforiert ist und an den beiden Enden mit einer Schnecke abschließt. Von hier aus entwickeln sich dünne C-Bögen, an denen weitere Stäbe angehakt sind.
Diese Stäbe bilden zusammen ein Gerüst, an dem eine lange, den Ofen umrankende Blumengirlande hängt, die in der Spangenmitte ihr florales Zentrum ausbildet.
Nordöstliche Kaminwand: Dekor mit Blumengirlande
An der schrägen Kaminwand werden dieselben Dekormotive verwendet wie an der gegenüber liegenden Ofenwand. Identisch ist ebenso ihr kompositioneller Aufbau und Farbgebung (siehe dortige Beschreibung).
Wandmalerei: Spectaculum vanitatis (2001–2002)
Alle vier Wände des Gartensaales umzieht eine Ansammlung verschiedener Figuren, die alle Teilnehmer eines Maskenballes sind. Das mit ,Spectaclum vanitatis‘ betitelte Werk zeigt „das Spiel der Eitelkeiten und Vergänglichkeit.“[1] „Gaukler, Händler, Possenreißer, üppige Damen und auch der maskierte Tod geben sich ein Stelldichein.“[2]
Diese modernen Wandbilder malte Claudia Hauptmann. Die Vorzeichnungen legte sie 2001 an,[3] 2002 war der Zyklus vollendet. In den Darstellungen sind mehrere Referenzen auf kunstgeschichtlich bedeutende Maler des 20. Jahrhunderts (Beckmann, Grosz, Dix) wie auch auf den Renaissance-Maler Mantegna (Scheitelbild als Anspielung auf Mantua, Herzogspalast, Camera degli Sposi) zu erkennen.
[1] Schwerin, LKD: Heinrichsruh, Mappen 01–04, hier 04: Ernst, Gaukler, MVKZ 6.10.2002, o.S.
[2] Schwerin, LKD: Heinrichsruh, Mappen 01–04, hier 04: Ernst, Gaukler, MVKZ 6.10.2002, o.S.
[3] Abb. in: Lange, Heinrichsruh, 2001, S. 11–13.
Deckenmalerei: Dekorband
Über der zur Decke überleitenden Hohlkehle sind wenige Fragmente einer ehemaligen Deckenbemalung zu sehen. An den noch sichtbaren Resten kann man auf ein mehrteiliges Dekorband schließen, das am Deckenanfang eine massive Kordel ausbildet, die von dünnlinigen Dekorleisten begleitet wird.
Der Theatersaal im 1. Obergeschoss
Der querrechteckige Raum mit einer Länge von 7,4m, einer Breite von 9,1m und einer Höhe von 3,3m ist mit zwei Kaminen an der NO- und NW-Seite bestückt. Der Raum wird von drei großen Fenstern an der Südseite belichtet. Der Zugang zum Saal erfolgt vom nördlich gelegenen Treppenhaus aus.
Nordwestliche Wandmalerei über dem Kamin: Schäferszene (Pastorale)
Über dem Abschlussgesims der grau-braunen Kaminfassung ist ein längsrechteckiges Bild angebracht, das von einfachen Blumenranken umrahmt wird.
Der Bildhintergrund zeigt eine Landschaft, die von links nach rechts ihren Charakter von dicht geschlossen (Baumbestand, Architektur) zu offen mit einem Blick über einen See abwechslungsreich ändert. In diese Landschaft sind insgesamt vier Personen integriert. In der Bildmitte sitzen zwei Frauen, von denen die Vordere einen voluminös gebauschtem blauen Rock trägt, während die Kleidung der Hinteren eher durch ihr offenes Dekolleté auffällt. Die vorne Sitzende hält einen Hirtenstab in ihrer rechten Hand und fixiert eindringlich den Betrachter, der Blick ihrer Nachbarin ist ganz auf sie gerichtet.
Diesem Frauenpaar nähert sich von der rechten Seite mit gebührendem Abstand ein Mann mit Perücke, rotem Gehrock und blauer Hose, der aus taktvollem Anstand seinen Hut abgenommen hat und sich gerade anschickt, bei den Damen einzuführen.
Auf der linken Seite steht ein Musiker in brauner Kleidung und mit Hut, der eine Querflöte spielt und die Ankunft des Mannes beobachtet. Hinter dem Musikus ist auf der einen Seite eine mit Arkaden geöffnete Architektur, eine Maison de plaisance, zu sehen, auf der anderen Seite, im Rücken der beiden Damen, eine Schafherde.
Berechtigterweise ist diese Szenerie als „Schäferszene“[1] bestimmt worden. In der Darstellung hat sich der Maler ein kleines Scherzchen erlaubt, indem er den Hirtenhund durch ein am Boden kauerndes und verschreckt zur Schafherde schauendes Schoßhündchen ersetzte, das zudem unter dem Rock seiner Herrin Schutz sucht.
[1] Lange, Heinrichsruh, 2001, S. 13.
Programm und Synthese (1. OG): Heinrichsruh als vorpommersches Arkadien
Eine Programmschrift zu den beiden Kaminbildern hat sich nicht erhalten, falls es sie denn jemals gegeben hat. Dennoch kann man von einer sehr bewussten Themenbesprechung von Seiten des Auftraggebers ausgehen, weil die dargestellten Inhalte in ihrer Entstehungszeit ikonographisch präsent und beliebt waren.
Der ikonographische Bewusstseinsgrad ermisst sich u.a. daran, dass in den beiden Kaminbildern zwei unterschiedliche Gesellschaftsschichten einander gegenübergestellt werden. Mit der Schäferszene oder Pastorale werden ideale Vorstellungsweisen der höfisch-adeligen Welt verbildlicht, die im Gegensatz zum Gemälde mit der Gitarrenspielerin und den Spaziergängern ein bürgerliches, auf keinen Fall ein bäuerliches Milieu andeuten.