Was für Luxusprobleme man noch im 19. Jahrhundert hatte...

  • Ich habe gerade eine Oberamtsbeschreibung von Reutlingen von Mitte des 19. Jahrhunderts gelesen, und da fiel mir auf, wie kritisch selbst damals der Schreiber über die Stadt Reutlingen her zog. Dabei muss man sich bewusst machen, dass Reutlingen und viele, viele andere Städte im deutschen Raum, sich um das Jahr 1810, als diese Ortsbeschreibung verfasst wurde, nach wie vor im noch mittelalterlichen Korsett befanden, und Bausubstanz vorwies, die noch nicht vom 2. Weltkrieg gebeutelt war.

    Der Schreiber berichtete Folgendes:

    "Weniger freundlich, als die Umgebung ist die Stadt selber, und weniger regelmäßig, als ihre Gestalt, ihre Anlage, obgleich die Stadt nach dem Brand von 1726 ganz neugebaut wurde. Die Straßen sind meist krumm, eng und ohne Plan angelegt, die Häuser größtentheils schlecht, durchaus von Holz, unverblendet und durch hohe Giebel verunstaltet. Nur wenige Straßen sind gepflastert, und häufig sind Bäche durch dieselben gerichtet. Das eigenthümliche reichsstädtische Aussehen vermißt man in Reutlingen ganz; man glaubt sich vielmehr in einem großen Dorfe zu befinden; wie im Innern der Häuser, so spricht sich auch im Äußern überall die Genügsamkeit und Sparsamkeit der Reutlinger aus."

    Das muss man mal schlucken. Hier wurden unverblendete Fachwerkfassaden, krumme Gassen, und hohe Giebel kritisiert! Ich wünschte mir, wir hätten so ein Luxusproblem heutzutage.