Der 18. November
ist nicht nur der Todestag von Gustav Theodor Fechner, der sich heute zum 130. Male jährt und dessen Pseudonym hier weiterverwendet wird, weil er sich Leipziger Themen stellte und satirische wie ernste und hintersinnige bzw. auch heute und künftig nachdenkenswerte Beiträge verfaßte, sondern auch ein Geburtstag.
Es ist der Geburtstag der Matthäikirche.
Daß dieser derzeit kaum bekannt ist, weil zwei deutsche Diktaturen ihr arg zusetzten, mag nicht stören.
Denn es gibt erstaunliche historische Parallelen, wie man in Leipzig schon einmal die Zwangsjacke abstreifen mußte und wie auch die Matthäikirche wie Phönix aus der Asche neu erstand.
Aus diesem Anlaß hier erst einmal der Text zur Geschichte der Matthäikirche von Pastor D. Paul Kaiser.
I.
DieGeschichte der Matthäikirche.
VonPastor D. Paul Kaiser
Nichtbloß als einzelne Personen sind wir da mit unserm Denken undErinnern. DasMenschengeschlecht ist auch ein Ganzes und muß den Zusammenhangnicht vergessen mit sich selbst und das Nachdenken über sich selber.Das nennen wir Geschichte. - Aus der Geschichte unserer Matthäikirchewähle ich jetzt das Wichtigste aus vier Jahrhunderten und beginne.
Mancherliebe Leser wird dieses Zeichen gar nicht kennen und denkt am Ende,es sei hebräisch und aus dem Alten Testament oder syrisch oder einegyptischer Hieroglyph. Aber an dieser Zahl – denn eine solche istes – sind die lieben Gemeindemitglieder schon hundertmalvorübergegangen, ohne sie vielleicht zu sehen. Man muß freilichdazu nicht bloß ein Paar offene, sondern auch gute Augen haben;sonst sieht man sie nicht. Denn die Gasse, in der sie steht, ist eng,und das Himmelslicht darüber ein ebenso schmaler Streifen. Auchsteht die Zahl etwas hoch an einem Pfeiler unserer Kirche. Aber wergute Augen hat, den bitte ich, einmal an die nordwestliche Ecke desGotteshauses hinzutreten und nach der Zahlenschrift auszuschauen.Dieselbe ist nämlich der Geburtsschein unsrer Matthäikirche. Denhaben alte Hände da oben angeschrieben und mit eisernen Zahlen inden Stein gesetzt. Warum? Damit er ja festsitze auch noch nach vielenhundert Jahren und nicht vom Regen ausgelöscht werde wie Leimfarbeoder Kalk – kurz, damit die nachkommenden Geschlechter darandächten, wenn wieder ein Jahrhundert um ist, und Gott für alleGnade dankten und bäten um ein Jahrhundert voll neuen Segens. Wirwollen auch die Erwartung der guten Leute nicht täuschen und zuschanden machen. Die Zahl ist heute unmodern; denn die Hände, diedas geschrieben oder geschmiedet haben, sind längst verfallen zuStaub. Die Jahreszahl ist: 1494. Sie ist soeben vergoldet worden,damit man sie besser sehe, und daß unsere Kirche als Jubilarin aucheinen goldenen Kranz bekomme wie zu einem goldenen Hochzeitsfest.Vierhundert Jahre sind also an unserem lieben Gotteshausevorbeigegangen.
VierhundertJahre sind eine lange Gedenkzeit. Man könnte aus ihnen eine großeErzählung machen und Altes und Neues darin vorbringen; und zwar mehrAltes als Neues. Das Neue haben wir erlebt, und ´s ist auch nichtgar viel. Das Alte aber, welches wir nicht erlebten, haben manchenicht gehört oder wiederum vergessen. Altes, das man vergaß, ist sogut wie Neues, das man vernimmt. So wird auch das Alte für manchenwie neu sein.
Wievieles hat sich um diese alten vierhundertjährigen Kirchenmauernnicht zugetragen, drinnen und draußen! Zudem ist vieles dabei, wassich nun und nimmer schreiben läßt, und nur im Himmel geschriebensteht. Die Geschichte der Herzen, die zwischen diesen Kirchenwändengeschlagen haben, froh und bang, und die hier erfüllt wurden mitGeist und Trost von obenher, wird erst droben offenbar.
DasJauchzen und Seufzen, Danken und Bitten der Alten ist verstummt, aberimmer wieder geht ein Geschlecht durch dieselben Hallen und Thore desGotteshauses, und es ist gut und hat am Ende auch einen stillenSegen, wenn die gegenwärtige Zeit sich wieder einmal sinnend an denalten Denkpfeiler stellt und sich erinnert an die vergangenen Tage.
2.Bei den Barfüßern.
Beidiesem Kapitel muß ich etwas weiter vorn anfangen, als mit dem Jahrean dem Denkpfeiler. Denn die kirchliche Niederlassung am Neukirchhof,wie er noch immer heißt, aber hoffentlich nicht beständig heißenwird, weil das wenig Berechtigung mehr hat, ist älter als diegegenwärtige Kirche. Man glaubt etwa 200 Jahre. Ganz genau wissenwir es nicht. Denn vor 6 Jahrhunderten schrieb und druckte man nochnicht so viel wie heut. Auch sollten die gedruckten Buchstaben,welche vor nicht zu langer Zeit auch ihr vierhundertjähriges Daseingefeiert haben, noch erfunden werden.
Umdie Mitte des dreizehnten Jahrhunderts war es, als seltsame Leutedurch die Thore unserer guten Stadt herein kamen. Heute muß manschon eine Reise machen, um solche Gestalten noch zu sehen; denn ausunserem Land sind sie wieder verschwunden und werden wohl auch kaumwiederkommen wie die Jesuiten. Sie fuhren nicht in Droschken heranund gingen auf der Landstraße, auf der sie her pilgerten, nichteinmal in Schuhen. Auch reiten durften sie nicht wie einmal ein alterPfarrherr trotz der dringlichen Mahnung seines fürstlichen Patronsauch nicht reiten wollte, weil ja geschrieben stünde; G e h e t hin(und nicht reitet) in alle Welt. Diese Leute gingen nämlich barfußihr lebenlang. Es waren Barfüßer. Eine Mühle und Gasse trägt nochheute bei uns ihren Namen. Warum sollten denn die Leute barfußgehen? Besonders im Winter hat das doch gewiß nicht zu denAnnehmlichkeiten gehört. Es war eine wörtliche Befolgung des WortesJesu, mit dem er die Jünger aussendete, und worin er sie anwies,keine Schuhe an den Füßen zu tragen, wie sie kein Gold noch Silberhaben sollten in ihren Gürteln. Das glaubten diese Mönche auf sichbuchstäblich anwenden zu müssen. Auch in ihren Kleidern machtendarum die Barfüßer keinerlei Aufwand und gingen alle gleich, wieheute ein Regiment Soldaten. Nur waren sie nicht so bunt, sonderntrugen nur eine dunkle Kutte mit einer Kapuze dran. An diesemKleidungsstück konnte kein Schneider etwas verpassen. Ein Strick umden Leib war der Gurt, welcher zur Befestigung der langenMönchskleider diente. So gingen sie der Demut und freiwilligen Armutwegen, in der sie wandeln sollten auf Erden.
DieseBarfüßer waren Franziskaner – ein Orden, welchen ein reicherKaufmannssohn Franciscus gegründet hatte. Seinen Reichtum gab erweg, wie der reiche Jüngling sollte, aber nicht that. Er bettelte zuseinem Lebensunterhalt und führte von seinen Almosen ein ganzärmliches Leben. Er ging mit Aussätzigen um und küßte sogar ihreGeschwüre. Die einen hielten ihn für unsinnig, die andern fürheilig. Seine zärtliche Mutter lief ihm in die Einöde nach, in derer als Einsiedler lebte, und flehte ihn an, er möge zurückkehren indie Welt und einen ordentlichen Lebensberuf erwählen, aber die innigflehende Mutter mußte ohne den Sohn umkehren. Sein Vater verfluchteihn und wollte ihm seinen Vatersegen nicht erteilen, er aber spracheinen Bettler an, ob er nicht wolle sein Vater sein, und dieser Vatersegnete ihn. Sich selbst hielt er nicht für heilig, sondern für dengrößten Sünder. In seinen Reden an das Volk redete er nicht bloßseine Zuhörer an, sondern wandte sich auch an Engel und Teufel.Kurz, es war nach unserer heutigen Anschauung ein ganz absonderlicherMann, dessen Jünger in unserem Kloster wohnten. Freilich ganz wieihr Meister waren sie nicht. Eigentlich wollte der Papst damals keineMönchsorden mehr bestätigen; denn er meinte, es gäbe davon genug.Aber endlich hat er doch nachgegeben.
DenBettelmönchen, unseren Barfüßern, waren an dem Ort, an dem sichbald ihr Kloster erhob, die Überreste einer Burg geschenkt worden.Die war nicht alt und von der Zeit zerstört gewesen wie sonstRuinen, sondern mit Gewalt niedergerissen worden, wie sie auch mitGewalt nicht gar viele Jahre vorher erbaut war. Sie sollte nämlicheine Art Zwangsjacke sein, in welche Markgraf Dietrich von Sachsendie gute freie Stadt Leipzig gezwängt hatte; denn sie war eineZwingburg, von welcher aus er der Stadt die schöne freieSelbständigkeit dauernd nehmen wollte. Aber nach des Markgrafen Todesollte die Sache anders kommen. Zwischen Dietrichs Witwe und demVormund seines unmündigen Sohnes herrschte Eifersucht und Streit. Wozwei sich streiten, hat oft ein dritter den Vorteil. Dieser Drittewar diesmal unsere liebe Stadt. Der Vormund Ludwig von Thüringenließ die Zwingburg am Ranstädter Thore (in Leipzig gab es derendrei) wieder abbrechen, weil die Witwe Dietrichs dieselbe mit ihrenAnhängern besetzte. Oft hat man aus einer Kriegskanone eineKirchenglocke gegossen, so wurde hier aus einer Zwingburg einKloster. Die Franziskaner-Barfüßer bekamen den Ort; es sollte andieser Stätte des Zwanges und Krieges nun für immer heißen:„Friede auf Erden!“
Werdie an die Kirche grenzenden Häuser besucht, sieht in denErdgeschossen noch die alten Klosterbogen, in denen vor Zeiten diebarfüßigen Mönche wohnten. Heute befinden sich Schlosserei undKohlenhandlung und Kaufgeschäfte in denselben Räumen, in denen maneinst fastete und betete und manches Klostergut unterbrachte. Zuerstwaren die Klosterleute arm und blieben es wie der heilige Franciscus.Aber bald fanden die frommen Bettler doch einen Ausweg aus derlästigen Armut und sagten, wenn sie selbst kein Geld und Gut habendürften, so könnte es doch wohl das Kloster besitzen. DieKlosterkeller waren kühl und der Wein darin gut. Die Klosterküchelieferte manchen Braten; davon durften sie essen, wenn sie nichtFasttag hatten. Sie waren die armen Kinder eines reichen Hauses. Denndas Messelesen war damals einträglicher als das Predigen heutzutag.Die Mönche ließen das Kloster von wohlhabenden Leipziger Bürgernzu Erben einsetzen und versprachen, dafür auch nach dem Tode vieleMessen für die Verstorbenen halten zu wollen. Das war so zu sageneine Art Lebensversicherung, nämlich eine Versicherung des ewigenLebens. Die streng katholische Zeit glaubte fest an die seligmachendeWirksamkeit der guten Mönche. Dieselben hielten auch dieLeichenbegängnisse, und mancher Tote wurde in den Gewölben derKlosterkirche zur Ruhe gebettet, was als eine große vornehmeWohlthat angesehen wurde. Die frommen Brüder kamen sogar bald in denBesitz vieler Grundstücke, wußten dieselben wohl zu verwalten underrichteten auch außerhalb der Stadt, wie eifrige Geschäftsleute,ihre Filialen, eigene Häuser, die sogenannten Termineien. Ja auchdas schöne Rosenthal wurde das Eigentum der Barfüßer. Denn auchFürsten wollten nach dem Tode ihre Seelenmessen haben und bezahltensie vorweg und zwar fürstlich. So gaben die Markgrafen Friedrich,Wilhelm und Balthasar im Jahr 1380, wie eine Urkunde in unseremRatsarchiv deutlich nachweist, für Messen „zu gewissen Zeiten“unserem Kloster das Rosenthal. Und auch für die Burggrafen vonNürnberg übernahm man solche geistliche höchst einträglicheAmtshandlungen.
Daaber fuhr ein rechter Schrecken wie ein trennender Messerstich durchdas Mönchsgewissen. Es waren Kirchentage gehalten worden, auf deneneine Verbesserung der Kirche verlangt worden war. Es waren auchOrdensleute aufgetreten, welchen den Klöstern ihren Reichtum mitgewaltigen Worten vorgehalten und die Rückkehr zur unbedingten Armutdes heiligen Franciscus und seiner ersten Jünger gepredigt hatten.Solch ein ernster mächtiger Prediger war der Barfüßermönch Johannvon Chioli, welcher 1452 auch nach Leipzig kam und von derBürgerschaft und der ganzen Klerisei in großer Prozession mitFahnen und Kreuzen eingeholt und in unser Kloster geleitet wurde. DemVolke predigte er auf dem Markt, und die Leipziger Bürger und ihreFrauen standen in Scharen vor diesem Barfüßer Johannes, ähnlichwie vor Zeiten das Volk vor dem Täufer Johannes oder wie die Leutevor dem Apostel Petrus bei der Pfingstpredigt, welche von der Predigtbewegt, fragten: „Was sollen wir thun?“ Und der Bußpredigersagte ihnen streng und deutlich, was sie sollten. Und er verlangtedie Karten und Würfel der Männer, mit denen damals viel gespieltwurde, und verlangte die Schleier und Spitzen der Frauen und ähnlicheDinge. Das wurde dann immer auf einen Haufen gethan und verbrannt,wie man Unkraut verbrennt auf einem Ackerfeld. Er wollte alleEitelkeit weg haben. Im Kloster aber blieb er dreißig Tage, und wenner von den Bürgern vieles verlangte, so verlangte er von den Mönchennoch viel mehr.
Auchpries er das enthaltsame Klosterleben mit seinem beredten Mund alsein so herrliches, daß an einem Tage, wie es in einem Berichtdarüber heißt, sechzig Akademiker der Welt entsagten und die Kutteder Barfüßer angezogen haben.
Solcheund ähnliche Anläufe gegen die Verweltlichung und den Besitz desOrdens verfehlten ihre Wirkung nicht, und man glaubte im Ordenselber, es könne nichts schaden, etwas von dem Reichtum abzulegen,und es werde dem Kloster nützen wie einem sehr vollblüthigenMenschen ein Aderlaß. So entschlossen sich die Barfüßer sogar, ihrschönes Rosenthal dem Rat der Stadt zu schenken; der steht somit ineiner alten Ehrenschuld zu ihnen und soll an unserem Jubeltage daranerinnert werden. Wenn das reiche Geschenk auch später einmal in dieHände des Landesherrn überging, so ist doch die Gabe der Barfüßernicht weniger zu ehren.
Abernicht alle Franziskaner waren mit solchen und ähnlichen Vorgängenzufrieden. Es bildeten sich in dem ganzen Orden zwei Richtungen, einestrenge, welche ganz arm sein wollte, und eine milde, welche denKlosterherren mehr Besitz und Genuß erlaubte. Ohne Streit ist es inund außer den Klöstern dabei nicht abgegangen. In Leipzig kam esendlich dahin, daß die leichtfertigeren Mönche ganz aus dem Klostervertrieben wurden.
Umdiese Zeit vollzog sich vor vierhundert Jahren die Gründung unsererKirche. Was die Barfüßer vorher für ein Gotteshäuslein gehabthaben, wissen wir nicht recht. Aber jetzt beschloß man einestattliche Kirche zu bauen, und die Klosterbewohner hatten dasBaugeld im Sack, ohne erst mit Steuern sich abzugeben und häßlichenFehlbeträgen. Man wollte den Dominikanern nicht nachstehen, welchedie jetzige Pauliner Kirche gebaut hatten. Acht Altäre zierten dasneue Gotteshaus.
DiePriester der Stadt sahen die ausgedehnte Wirksamkeit der Mönche,welche wie sie, Beichte hielten, Messe lasen, Tote begruben, nichtgerade gern, und mancher Wettstreit entstand um die geistlichenVerrichtungen. Das Volk aber schätzte die Wirksamkeit der Mönche,und viele Bürger sahen es für eine Ehre und ein Glück an, in diegeistliche Brüderschaft aufgenommen zu werden. Dabei verblieben dieLaien zwar in ihrem Stande, aber waren doch dem Kloster nicht bloßsehr zugethan, sondern, so zu sagen, mit dem geistlichen Hauseverwandt.
3.Wüst und verfallen.
UnsereKirche war erbaut worden am Rande der alten Zeit, und ein Neuesbereitete sich vor. Das Geschick der neuen Klosterkirche war jetztdas des Klosters, und sehr lange haben die Barfüßer zwischen denhohen Pfeilern und an den schönen Altären ihre geistlichenVerrichtungen nicht mehr halten können. Es war ein gewaltiger Sturmdurchs Land gebraust, der manches Kloster umgestoßen hat in unseremdeutschen Land und in der ganzen Christenheit. Aber es war einFrühlingssturm, der die dürren Zweige wegnimmt von den hohen Bäumenwie ein Gärtner, und das alte stehengebliebene Laub herunterweht vonden Ästen. Das war die Reformation, welche die ganze Kircheverbesserte und die verdorbene Luft reinigte und einen fruchtbarenRegen aufs dürre Land goß. Eine Nachtigall hatte hell zu singenangefangen im Dunkel und in der Dämmerung, die „WittenbergerNachtigall“, nämlich unser Luther. Wer wüßte nicht davon, wieunser Reformator Dr. Martin Luther auch nach Leipzig kam und hierdisputierte und predigte, und wie die Leute, welche nicht mehr in dieKirche hinein konnten, mit Leitern an die zerbrochenenFensterscheiben stiegen, um ihn nur zu hören. Das ist ein Bild, dasich niemand zu zeigen brauche, so bekannt ist es. Und das weiß auchjedes Schulkind, wie der Herzog Georg von Sachsen ein gar heftigerGegner der Reformation gewesen ist und viel Gewalt angewendet hat, umdas helle Licht wieder unter den dunklen Scheffel zu bringen. Aberwas aus Gott ist, kann man nicht hindern noch dämpfen. Der Feind derneuen Lehre starb, und der Freund derselben stieg auf den Thron. Eskam für Leipzig das denkwürdige Pfingstfest 1539, an welchembekanntlich der neue Herzog Heinrich die Reformation in unserer Stadteinführen ließ.
Wassagte man dazu im Kloster? So fest man die Klosterpforten vor dieser,wie man meinte, gar gefährlichen Neuerung zugehalten hatte, die neueLehre ist doch auch durch die Thüren gezogen wie ein frischer Wind.Auch in unserem Barfüßerkloster waren solche, die sich der Stimmeder Wahrheit, welche wie ein heller Posaunenton durchs Land ging,nicht verschlossen haben. Als der Franziskaner Fleck die ThesenLuthers gelesen hatte, rief er seinen Brüdern mit lachendem Mundezu: „Ha, ha, ha, der ist schon gekommen, welcher euch richtigtraktieren wird!“ Besonders lebte aber in unserem Kloster ein Mann,der sein besonderes Lebensbild in diesem Büchlein haben soll. Denndieser Barfüßer wurde, wie Justus Jonas ihn nannte, „ein rechternützlicher Apostel der Leipziger“. Er hat in einem unsererKirchenfenster, das sein Brustbild enthält, ein Ehrendenkmal inunserer Stadt erhalten. Das war Friedrich Mykonius, Luthers Freundund Mitreformer. Aber sonst war das Barfüßerkloster eine Burg deralten Anschauungen, und seine Bewohner glaubten es aufs eifrigsteverteidigen zu müssen gegen die eindringende Reformation. DieBarfüßermönche liefen wie eifrige Seelsorger in den Häusern umherund wollten die Leute abhalten, sich der neuen Lehre zuzuwenden. Ausunserem Kloster ging manche Streitschrift wider Luther in die Welt,und die scharfe Feder Luthers hat dagegen sich gewendet.
Am6. August 1539 sah man ins Leipziger Rathaus viele in Kuttengekleidete Leute, mehr denn 50 Prediger und Mönche schreiten. Auchwar der ganze Rat versammelt, dazu die vom Herzog Heinrich bestelltenKirchen-Visitatoren und -Kommissarien. Da wurden denn die Ordensleuteeinfach verabschiedet.
Wolltensie bleiben, so sollten sie ihre Kutte mit einem gewöhnlichen Rockvertauschen, „ein christliches Leben führen und ihren Unterhalterwerben“. Da zogen denn viele Mönche aus dem ketzerischen Leipzigweg wie die Schwalben, wenn es kühl wird im Herbst. Andere abernahmen die lutherische Lehre an. Noch andere trotzten dem Befehl derObrigkeit und blieben im Kloster wohnen; denn sie waren garverwachsen damit, wie eine Schnecke mit ihrem Häuslein. So ging esauch im Thomaskloster nebenan, doch half alles Sträuben nichts. Siestanden im Jahre darauf wieder vor dem eingesetzten Gericht underklärten, ihre Kapuze nicht ablegen und ihr Kloster nicht verlassenzu wollen. Erst im Jahre 1543 wichen sie der staatlichen Gewalt, undKloster und Kirche wurde von ihnen leer. Die verlassenenKlosterhäuser und -Güter fielen dem Landesherrn zu, der sie aberdem Rat der Stadt verkaufte.
Esist schon oft dagewesen, daß ein Schuppen in Zeiten der Not zumGotteshaus gebraucht ward, aber hier gings umgekehrt. Hier wurde auseiner Kirche ein Schuppen, ein Warenhaus, eine Niederlage vonBlaufarben. Zum katholischen Gottesdienst war sie erbaut worden, aberder hatte aufgehört, und die Messen der Mönche hielt das Volk nachdem gewaltigen Umschwung der öffentlichen Meinung in derReformationszeit nicht mehr für nötig. So stand die Kirche da,ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen, dem Verfall preisgegeben, 156Jahre lang. Die angrenzenden Klostergebäude wurden vom Rat der Stadtan Privatpersonen verkauft. Die Unruhe einer schweren Zeit, der Sturmdes dreißigjährigen Krieges ging an dem verlassenen Gotteshausvorüber und versetzte ihm seine Stöße. Aus einem späterenKostenanschlag im Ratsarchiv können wir die damalige wüsteVerfassung der Kirche erkennen. Darin heißt es: „Die Gewölbe sindteils eingefallen, teils ganz böse, welches alles wieder gebessertund gemacht werden müßte.“ Aber immer reger wurde der Wunsch, dasverfallene Gotteshaus seinem ehemaligen Gebrauch zurückzugeben.Frommer evangelischer Bürgersinn brauchte ein neues Heiligtum. Wurdedoch trotz des Nachwachsens der Stadt regelmäßiger Gottesdienst nurin zwei Hauptkirchen gehalten, und kam es doch vor, daß, wie es indem an den Rat gerichteten Schreiben der Zünfte und Kaufmannschaftheißt, „ein großer Teil der Eingepfarrten und unter diesen vielefeine, angesehene, teils in öffentlichen Ämtern stehende Leute wieauch viele Fremde bei den Messen wegen Mangel an Raum und Stühlendie Sonntags-Predigten öfters unbesucht lassen mußten“. Daserfahre, so lesen wir in dem Bittgesuch an den Rat weiter, jederchristliche Hauswirt nicht ohne Betrübnis. Diesem Vorhaben, das ausder freien, frommen Liebe der kirchlichen Bürgerschaft hervorging,schenkte der Rat seinen Beifall.
4.Die neue Kirche.
Invielen ländlichen Gemeinden übernimmt ein Gutsbesitzer oder Bauerzum Kirchen- oder Schulbau in seinem Ort persönliche Dienste, gibtBausteine oder schafft den Vorspann. Manchmal ist er verpflichtetdazu. Wenn er es aber mit Freuden thut und nicht mit Seufzen, nichtbloß von Gesetzes wegen, sondern zu Gottes Ehre, und aus heiligerLiebe zu seinem Reich, so ist das von doppeltem Wert. So haben einstdie Kinder Israel nach der Heimkehr aus Babel selber teilgenommen amBau der Mauern Jerusalems. - Einen ähnlichen Eifer finden wir in derdamaligen Leipziger Bürgerschaft für den Bau unserer Kirche. DieMittel brachten die Leute zusammen, „ohne des Rates geringstenBeitrag“. Es fehlte an Gaben nicht, von den Backsteinen an bis zuden zahlreichen Geschenken zum inneren Kirchenschmuck. Die Leute,heißt es in der darüber in unserem Turmknopf befindlichenlateinischen Urkunde, haben das alles wetteifernd zusammengebracht,Männer und Frauen, Akademiker und Kaufleute. Da ist gleichsam diefromme Liebe mit in die Mauern und Bänke hineingebaut. Ob nichtsolch ein Gotteshaus dem Herrn am liebsten ist, zu dem so viel treueHände ganz freiwillig einen Baustein herzugetragen?
DerKirchenbau wurde in fast einem Jahr beendet, und viele meiner liebenLeser kennen noch die alte „Neukirche“. Ein Bild des Innern (esgibt ein solches) brauche ich für viele nicht herzusetzen; denn siewaren darin zu Hause wie in ihrem eigenen Betkämmerlein. Da warenbesondere Kapellen hineingebaut oder Betstübchen für den Rat undmanche Leipziger Familie. Auch der Kurfürst Friedrich August derStarke hatte vom Rat eine Empore für sich und die fürstlichenPersonen, Minister und Bediente begehrt, die er in und außer denMeßzeiten betreten könnte. Der Rat der Stadt aber erwiderte, daßdie Kirche weder auf seinen Anlaß noch seine Kosten erbaut wäre,und daß er darum auch keine freie Hand habe, über die Kirchenplätzenach Gefallen zu verfügen. So erhielt auch die Kirche keinefürstlichen Kirchensitze.
Esgibt eine Denkmünze, die zur Feier der Erneuerung geprägt wurde.Man sieht darauf den Vogel Phönix, der bekanntlich nach der Sage ausseiner eigenen Asche immer wieder aufersteht. Da haben die altensinnigen Leute für die wiederhergestellte Kirche ein gar passendesZeichen erwählt. Der Vogel sitzt auf einem brennendenScheiterhäuflein; weiter ist eine Kirche sichtbar mit einerlateinischen Schrift, die ich für die Gelehrten lateinisch (PULVEREDELITUI – TAMEN INDE RENASCENS – LUCE NITESCO NOVA – AEDES SAC.INSTAUR. LIPSIAE. 1699 24. Sept.), für die Nichtlateiner aber hierdeutlich hersetzen will:
„Verborgenwar ich in der Asche – Aber daraus wieder erstehend – Strahle ichin neuem Licht – Das Gotteshaus ist erneuert Leipzig 1699 den 24.September.“
AchtTage vorher wurde nach dem Kirchengebet in der Nikolaikirche folgendeAbkündigung verlesen, die ich ganz, wie sie lautete, herschreibe.Sie weicht wohl recht ab in Form und Sprache von unseren heutigenkirchlichen Bekanntmachungen und ist unmodern geworden wie ein altesKleid, aber es steckt darin ein frommer Geist, und die jetzigeGemeinde liest vielleicht gerne einmal eine Abkündigung, wie sieunsere Vorväter vor zweihundert Jahren vernommen haben.
„EuerChristl. Liebe ist euch zu vermelden, wie daß E.E. Hochweiser Rathdie biß anhero sehr ruinirt gewesene und sogenannte Barfuß-Kirchebei verspührter Zunahme derer Bürger und Einwohner dieser Stadt,und auff dero geschehenes Ansuchen, auch vieler frommer Hertzendarauff gethanen ansehnlichen Beytrag, dergestalt renoviren und indergleichen Stand setzen lassen, daß hinführo der Gottesdienstdarinnen gehalten, Sonntags frühe und Nachmittags das Wort Gottesvorgetragen und gepredigt, Beichte gehört, und das heilige Nachtmahlhierauff dispensieret und ausgetheilet werden solle. Und wird derGottesdienst jedes mahl, der Zeit nach, wie bey denen beydenHauptkirchen gebräuchlich, angehen, zu welchem Ende denn bereitszweene Geistliche dahin verordnet, so voriges alles gebührendverrichten, der Anfang auch nächst-künfftigen Sonntag, als den XVInach Trinitatis darmit gemacht werden solle. Gott aber gebe seineGnad und Seegen, und bereite die Hertzen der Lehrer und Zuhörerdurch seinen Heiligen Geist, damit biß ans Ende der Welt, seinheilig und allein seeligmachendes Wort rein und lauter nach denenSchrifften derer Propheten und Aposteln und daraus gefaßetenAugspurgischen Confession, auch anderen Libris Symbolicis gelehret,niemals ohne sonderbahre Frucht gepredigt, deren Zuhörer Glaube anihren eigenen Heiland und Erlöser dadurch kräfftig gestärcket, vonihnen mit einem willigen gehorsamen Hertzen solches angenommen, undin dem beständigen festen Vorsatz ihr Leben nach denselbeneinzurichten und zu bessern darinnen behalten, tausendfältige Fruchtgebracht, endlich das Ende ihres Glaubens die ewige Seeligkeiterreichet, auch also keiner von ihnen verlohren werden möge um ihresund unsers einigen Erlösers JEsu CHristi willen, in Krafft desHeiligen Geistes. Amen.“
Garfeierlich mag der Eröffnungsgottesdienst gewesen sein, der, wieberichtet wird, vor einer „unzählbaren Menge Volks“ gehaltenwurde. Da predigte der neuerwählte erste Prediger OberdiakonusSteinbach über das Evangelium des Sonntags, den Jüngling zu Nain.Das paßte auch gar wohl zu dem Vogel Phönix und der Kirche, diewieder auferstanden war.
Nurein Ober- und Unterdiakonus amtierten an der Neuen Kirche, und einStudent war ihr erster Küster. Auch den Studierenden der Universitätwaren einige Bänke gegeben worden, und der Rektor derselben hattesie durch Anschlag ermahnt, diese Gunst anzuerkennen, mit den wenigenBänken zufrieden zu sein und keine anderen zu besetzen. Dabei hatteer nicht unterlassen, ihnen einzuschärfen, das Wort Gottes jaaufmerksam zu hören, für ihr Heil, für das Glück der Universität,Stadt und Kirche demütig zu Gott zu beten und ihr Leben nach dergöttlichen Richtschnur einzurichten.
EinenTurm hatte die Kirche noch nicht. Den empfing sie erst vier Jahrespäter, im Jahre 1703, und damit war dem Bau der Neuen Kircheaufgesetzt. Ihr damaliges Bild steht hier vor unseren Augen.
Hierwalteten nun treue Geistliche ein Jahrhundert lang ihres segensvollenAmtes.
Wasein Seelsorger thut, das steht im Buche des Lebens und ist auf Erdennicht aufgeschrieben. Eine eigentliche bestimmte Gemeinde freilichgehörte zu der Kirche noch nicht; sie war eine Diakonenkirche, nureine Hilfskirche, an der kein Pfarrer stand. Aber gepredigt wurde inihr viel, vormittags und zur Vesper, Sonntags und auch zweimal jedeWoche alltags.
Aberwieder sollten die kirchlichen Klänge verstummen. Böse Kriegszeitenbrachten sie zum Schweigen. Statt des Gesanges erfüllte Seufzen ihreRäume und manches stille Gebet aus dem gepreßten Herzen Gefangeneroder Verwundeter. Im Kriegsjahr 1806 wurden preußische Gefangenehier untergebracht, und das Gotteshaus wurde eine Kriegskaserne. Erstvier Jahre später konnte der Oberdiakonus Gräfenhain wieder dieerste Predigt in der Neukirche halten und wählte dazu den sehrpassenden Text Psalm 27, 4-6, der von beidem handelt, von Krieg undGottesdienst. Bald jedoch wurde das Gotteshaus wieder geräumt; dennnun trug man Verwundete herein aus der Völkerschlacht, und auchunsere Kirche war 1813 ein Lazarett. Nach drei Jahren konnten dieGottesdienste hier wieder veranstaltet werden. Im Jahre 1876 bekamdie Neukirche eine eigene Gemeinde und wurde Pfarr- undParochialkirche.
5.Die Matthäikirche.
Diesesletzte Kapitel kann das kürzeste sein. Denn was hier zu sagen ist,haben die meisten, welche dies lesen werden, selber erlebt. Vorvierzehn Jahren war`s, da hat die inzwischen altgewordene Kircheihren Namen „Neu-Kirche“ abgelegt und that im Grunde recht daran;sie war nicht mehr neu. Sie ward noch einmal umgetauft und zwar nachdem ersten Evangelisten in der Schrift genannt, dem Apostel Matthäus.Und wie der Name geändert ward, so ging`s auch mit ihr selbst. Eswar eine gründliche Umgestaltung, die sie erfuhr. Die altenBetstübchen wurden herausgenommen, die spätgotischen Formen wurdenhergestellt bis auf den Hauptturm hinauf und den Treppen- undNebenturm, welche beide statt ihrer runden Gestalt, spitzere Formenerhielten. Der Altarraum wurde hinzugebaut. Die Kirche wurdeerweitert.
Abermanches Alte hatte doch noch verbleiben müssen, und es ging imInneren wie`s im Evangelium heißt: der neue Lappen hielt nicht aufdem alten Kleid. Die neuen Farben hielten nicht auf den alten Wänden.Altersgrau und verblichen sahen die Pfeiler und Wandflächen aus, undein langer tiefer Riß im Putz war wie eine klaffende Wunde. EineAbhilfe war dringend erforderlich und ließ sich nicht längerverschieben. Leider hat ein fünf Monate langer Bau und die Stätteder Sammlung und Erbauung verschlossen. Aber viele Hände haben sichaufgethan, um, was die vorigen Jahrhunderte nicht vollbracht, zuvollenden. In neuem Glanze strahlt unser Gotteshaus an seinemJubeltage.
FreilichGlanz und Farbe, Turm und Kirche macht noch nicht die Gemeinde,gerade so wenig wie der Sonntagsrock den Christen macht. Es muß einfrommes christliches Herz hinein, und viele solcher schenke uns Gott!
Mag der Text etwas auch lang sein für das Forum, so folgt noch wesentlich kürzer des Geburtstagsgeschenk für alle.