Beiträge von Philoikódomos

    Ich weiß nicht, welcher Historiker neulich die Formulierung gewagt hat, das deutsche Kaiserreich sei großbürgerlich geprägt gewesen, die Bundesrepublik Deutschland dagegen kleinbürgerlich. Da ist sicher etwas dran. Der Kleinbürger hat nun mal keine finanziellen oder geistigen Resourcen übrig, sich um Schönheit zu kümmern, und wenn man bedenkt, dass das heutige Deutschland im Blick auf die Eigentumsverhältnisse zu den ärmsten Ländern Europas gehört, kann auch dieser Tatbestand einiges erklären. Am ehesten kann heute noch von der wohlhabenden Kaufmannschaft der Hansestädte oder von norddeutschen Gutsherren eine gewisse um Schönheit bemühte Alltagskultur erwartet werden. Im süddeutschen Raum muss man oft lange suchen, um in den patrizischen Hinterlassenschaften der Reichsstädte oder des Landadels Inseln kultivierten Geschmacks zu finden. Das Vorhaben der Geschmackserziehung, dem sich auch unser Verein verschrieben hat, braucht einen langen Atem, und wir wissen nicht, ob die derzeitigen Entwicklungen ind Deutschland und Europa dafür günstige Voraussetzungen bieten.

    Ich glaube nicht, dass der von Erbse verlinkte Passus aus der Feder der Bundesstiftung Baukultur erwarten lässt, dass von dieser Institution Impulse zu erwarten sind, wie wir sie uns wünschen. Ich hatte vor vielen Jahren Kontakt mit dieser Bundesstiftung und habe damals den Einsdruck gewonnen, dass diese eine Bau(un)kultur vertritt, wie sie seit Jahrzehnten an den Hochschulen und bei den Architektenverbänden hochgehalten wird, einen unterkühlten Rationalismus und Minimalismus, wie er landauf landab in Architektenkreisen immer noch als vorbildlich gepriesen wird. Natürlich lässt man sich verbal auf Forderungen wie die zitierten ein, versteht darunter aber etwas ganz anderes als wir es verstehen.

    Ich sehe den Moneo-Bau weniger kritisch. Warum sollte es dem Spanier nicht gestattet sein, ein wenig südländische Farbigkeit in das ewige Berliner Einerlei von grauweißer Langeweile zu bringen! Der Bau dürfte, wenn er fertig ist, als charaktervolle Architekturpersönlichkeit seinen Respekt einfordern. Sicher ist er nicht berlintypisch, was immer unsere diesbezüglichen Erwartungen ausmachen mag, aber das neue Berlin ist nun mal äußerst international geraten; Architekturkoryphäen aus der ganzen Welt bauen hier und haben der seit 1945 daniedeliegenden deutschen Architektur kräftig auf die Beine geholfen. Überdurchschnittliche Architektur (verschiedener Richtungen) strahlt von Berlin ins ganze Land aus.

    Wir haben jetzt grünes Licht von Herrn Prof. Dr. Friedrich Thießen von der Uni Chemnitz für die Veröffentlichung eines Aufsatzes von ihm und einem Doktoranden (nicht Nicole Küster) über das Thema Bewertung von Architektur in der Öffentlichkeit innerhalb unserer SCHRIFTENREIHE STADTBILD DEUTSCHLAND e.V. Der Aufsatz präsentiert praktisch die gleichen Ergebnisse wie die Dissertation von Nicole Küster, aber in einer handlicheren und gur lesbaren Version. Ich denke, dass die Broschüre innerhalb von drei/vier Wochen verfügbar sein wird.

    In der Tat, sehr sehenswert, obgleich ich mir mehr Gewichtung auf dem Städtebaulichen gewünscht hätte. Völlig überflüssig fand ich die beiläufig untergebrachte Wertung als "Zuckerbäcker-Kitsch", die eine für deutsche Journalisten bezeichnende Ahnungslosigkeit in Architekturfragen dokumentiert.

    sicher neben Potsdam die schonste Stadt in Deutschland.

    Meines Wissens ist Leipzig nach Potsdam die zweite deutsche Stadt, die es wagte, das bis dahin in Deutschland geächtete Architekturbüro Rob Krier/ Christoph Kohl in die Weiterentwicklung bzw. Wiedergewinnung identitätsstiftender Stadtgestalt einzubeziehen, zunächst mit dem Katharinum in der Katharinenstraße und nun mit dem Geschäftshaus am Burgplatz. Beide Gebäude sind sogar mit Bauplastik versehen - eine im heutigen Deutschland geradezu unerhörte Innovation, die bestimmt in dieser Stadt und selbst in ganz Deutschland Kreise ziehen wird.

    Wir reden aneinander vorbei. Du beziehst dich auf die Zersiedelung der Landschaft, die in der Schweiz nicht weniger verstörend ausgreift als in Deutschland und irgendwo sonst. Nicht von ungefähr wurde "Bauen als Umweltzerstörung" erstmals in der Schweiz in Form eines Bilderbuchs angeprangert. Ich dagegen beziehe mich auf die Architekturbetrachtung. Während ich in jungen Jahren diesseits der Schweizer Grenze wohnte und jenseits der Grenze oftmals die Städte erkundete und sogar zum Studium dort täglich weilte, hatte ich reichlich Gelegenheit, mich in Architekturwahrnehmung zu schulen. Die Differenzierungen, die ich wahrgenommen habe, kann man mir nicht ausreden, so wenig, wie man einem Literaturkenner ausreden kann, dass er zwischen Fontanes "Effi Briest" und einem Trivialroman gewisse Gegensätzlichkeiten wahrnimmt. Es wäre ja auch höchst verwunderlich, wenn die Unterschiede zwischen Mentalität, Nationalbewusstsein, Kunstverstand, bürgerschaftlichem Zusammenhalt und materiellen Voraussetzungen zwischen den Völkern sich nicht in der Architektur niederschlügen.

    Schön, dass du dieser Fragestellung einen eigenen Strang gewidmet hast. Schön auch, dass du gleich etwas Anschauungsmaterial beigefügt hast. Man könnte die von dir getroffene Auswahl als Beleg für den durchschnittlich-modernistischen Stand derzeitiger Schweizer Architektur werten; man könnte sie auch eher als Negativauswahl einschätzen. Ich sehe aber doch in einigen der abgebildeten Beispiele einen Beleg für subtile Qualitäten, für Feinheiten in Proportionierung und Materialwahl, die einen für Schweizer Architektur typischen Anflug von Eleganz, Strahlkraft und Frische demonstrieren, wie sie in Deutschland nur schwer zu finden sind. (Am ehesten iim 3., 5., 9. und 10. Bild deiner Reihe) Gewiss sind Schweizer Architekten zumeist ausgekochte Modernisten, daber sie haben ihre Kunst in jahrzehntelanger Praxis ohne volkswirtschaftliche Krisen zu einer gewissen Verfeinerung weiterentwickelt, die man so am ehesten noch in den Niederlanden oder in skandinavischen Ländern wiederfindet.

    Wenn du aber genau hinschaust, erschließen sich dir schon die Qualitätsunterschiede zwischen deutscher und schweizerischer Architektur, die nicht so sehr im Städtebaulichen sondern hauptsächlich in der Detailbehandlung der Gebäude auszumachen sind. Früher (mit kleinen Einschränkungen aber auch noch heute) traute ich mir zu, jedes beliebige Gebäude, das mir gezeigt wird, der Schweiz oder Deutschland zuzuordnen. Es muss diese in der Architektur ablesbaren Differenzierungen ja geben, da sich die schweizerische Mentalität, das Nationalbewusstsein, die zielgerichtete Rationalität, die Wohlhabenheit und andere der Architektur zugrundeliegenden Voraussetzungen von den deutschen Gegebenheiten deutlich unterscheiden.

    Nicht die "Kleinteiligkeit" ist der Knackpunkt, sondern die Orientierung der Gebäude zum öffentlichen Raum hin, der raumbildende Stadtbau im Sinne der europäischen Stadt. Das hier gezeigte Beispiel aus Brygge zeit das sehr anschaulich: entscheidend ist die Abwechslung der Fassadengestalt als Begrenzung des städtischen Raums als Grundvoraussetzung für Urbanität, konkret gesprochen auch für die Ansiedlung von publikumsbezogenen Einrichtungen in der Erdgeschosszone. Man kann es auch auf die Formel bringen: die Stadt als Gefüge öffentlicher Räume funktioniert, die Stadt als Anhäufung von Baukörpern funktioniert nur sehr eingeschränkt. Die Klötzchenbauerei des Berliner Europaviertels wird niemals ein attraktives Stadtquartier zustande bringen.

    Die deutsche "Moderne" ist so unfassbar bieder, langweilig und abweisend. Es ist ein Wahnsinn.

    Ja, das wird in unseren Diskussionen immer wieder bestätigt. Es bewahrheitet sich hierin das Diktum des Engländers Geoffrey Scott aus dem späten 19. Jahrhundert: "Die Geschichte der Zivilisation hinterlässt in der Architektur ihre wahrsten, weil unbewusstesten Aufzeichnungen." Die zwar nicht wirtschaftliche aber umso mehr geistige Depression des deutschen Volkes seit 1945 spiegelt sich bis heute in seiner Architektur. Ein Volk, das sich bis heute nicht in positivem Sinne zu seiner Geschichte bekennt, dessen sogenannte Eliten es am liebsten in Europa aufgehen lassen oder durch Massenzuwanderung unkenntlich machen wollen, kann keine Architektur im vollen Wortsinne hervorbringen, sondern nur Wohnraumversorgung, Produktionsstätten, Verkehrsinfrastruktur. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, machen deutsche Architekten - wie Hans Kollhoff es einmal treffend beschrieben hat - um das Thema Architektur einen großen Bogen und beschäftigen sich lieber mit Bauökologie, Statik, Brandschutz usw. Architektur gilt als ein irgendwie durch den Nationalsozialismus anrüchig gewordenes Thema, und was wäre heutzutage dringlicher als den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Da muss eben die Architektur daran glauben, und die Armen der Welt, die sich ein Leben in Deutschland ersehnen, fragen eh nicht danach. .

    Es ist eben diese angenehme Zurückhaltung, ja, die Askese im positiven Sinne, wenn man manch andere Übertreibung des späten Historismus sieht, diedas Viertel so nobel macht.

    Es ist ja auch gerade diese städtebaulich-architektonische Zurückhaltung, die den Ruhm der Stadt Paris ausmacht: dieses Austarieren zwischen strengem Reglement für den riesige Stadtareale prägenden Haustyp einerseits und die gebändigte Variationsfreude in der Ausarbeitung eleganter metropolitaner Fassaden. Das ist auch in anderen deutschen Gründerzeitvierteln einigermaßen gelungen, aber kaum irgendwo so flächendeckend erhalten wie in Leipzig, unserem Klein-Paris.

    Dieser Umschwung, der in Deutschland besonders krass ausfiel, hatte eine ganze Reihe von Gründen, von denen der wirtschaftliche, die anfängliche Notlage der Nachkriegszeit der unerheblichste ist. Erstens würde ich die spezifisch deutsche Depression der bis heute andauernden Nachkriegsjahrzehnte nennen, die anhaltende Verstörung des deutschen Volkes, die sich in Selbstzweifel, Selbsthass, Lebensverneinung, Kulturverlust äußerte und im puren Funktionalismus eine Zuflucht fand. Architektur und alle Lebensfeier, die Grundlage für das Gedeihen von Architektur ist, war für lange Zeit anrüchig geworden. Man muss aber auch bedenken, dass die Generation unserer Großväter die gründerzeitlichen Hinterlassenschaften keineswegs so positiv wahrnehmen konnte wie wir heute. Zm einen konnte die Fülle der gründerzeitlichen Hinterlassenschaften dem Stadtbürger schon ein Gefühl des Überdrusses bescheren, das nach Abwechslung, Ruhe, Schlichtheit verlangte, zum aneren waren diese Bauten zumeist heruntergekommen, schäbig, schmutzig, schließlich, nach dem Krieg ruinös und verfallen. Man kann schon verstehen, dass der damalige Mensch einen architektonischen Neuanfang mit sauberen, klaren Formen ersehnte; denn noch war die Banalität der endlosen Kistenbauerei nicht geboren. Natürlich sehen wir heute, da die Moderne so gründlich abgewirtschaftet hat, wie für unsere Großväter die Gründerzeit abgewirtschaftet hatte, alles in anderem Licht, und wenn erst der modernistische Dogmatismus an den Hochschulen sich totgelaufen haben wird, wird ein neuer menschengemäßer Stadtbau möglich werden.

    Der Vorschlag, eine Negativ-Auszeichnung für das hässlichste Gebäude des Jahres zu vergeben, wurde hier früher schon einmal erhoben - ich weiß nicht mehr wo -, und ich wiederhole gerne meine damals geäußerte Skepsis gegenüber dieser Idee. Das Epitheton "hässlich" lässt sich noch schwerer aus objektiv zu erhebenden Kriterien ableiten als das Wörtchen "schön". Ich weiß aus Erfahrung, dass in unseren Kreisen jedes glatt, ungegliedert und schmucklos sich präsentierende Bauwerk kurzerhand als "hässlich" abqualifiziert wird und dass die Neigung vorherrscht, ebenso pauschal das Glatt-Nüchterne zu verdammen, wie man zwei Generationen früher das differenziert Gestaltete verdammt hat. Ich bin überzeugt, dass unser Verein im Handumdrehen seine Reputation verspielen wird, wenn er der verbreiteten populären Aversion gegen alle Modernität in der Architektur durch eine Scheinkompetenz beizupflichten versucht.

    Die Beiwörter "schön" und "hässlich" sind im Umgang mit Architektur möglichst zu vermeiden. Man kann aber sehr wohl auf das Angemessene, Passende, auf die harmonische Einfügung hinsichtlich Baukörperkontur, Materialität, Proportionierung, Gliederung, Farbe verweisen und natürlich auf das Fehlen dieser Qualitäten. Die eine Feststellung unterstreicht das Streben nach Harmonie, Ordnung, Stimmigkeit, die gegenteilige verweist auf eine ins Chaos tendierende Ungestalt. Nur sind diese beiden Beurteilungsrichtungen nur mit größter Behutsamkeit zu vergeben. Und diese Behutsamkeit ist eher zu erzielen, wenn man das qualitativ Herausragende rühmt als wenn man das Missratene anprangert. Das Missratene ist im heutigen Deutschland Legion und keine dieser Missgeburten ist es wert, dass man ihr viel Aufmerksamkeit widmet und sie in eine Rangordnung des Missratenen einzuordnen sucht. Das Vorbildliche zu preisen ist genug, das Missratene übergehen wir durch Nichtbeachtung.

    Ich muss sagen, dass mir die Gründerzeit in Leipzig deutlich mehr ugesagt hat wie in Wiesbaden.

    Könnte es daran liegen, dass man in Wiesbaden, vor allem im Bereich der Ringstraßen viel Eklektizismus findet, während der Leipziger Gründerzeitstil sich strenger an Neorenaissance und Neobarock ausrichtet? Wo immer diese Stilhaltung qualitätvoll und oftmals durch den Gebrauch von Naturstein veredelt angewandt wurde, bestätigt sich die von Gottfried Semper ausgesprochene Direktive, dass der Renaissancestil, der in den italienischen Stadtrepubliken der frühen Neuzeit entwickelt wurde, am ehesten in die modernen Städte des republikanischen Zeitalters passe. Und so fühlen wir heute wieder, dass dieser Stil, der die deutschen Vorkriegsstädte geprägt hat, dann aber eine Zeit lang verachtet und zerstört wurde, mit vollem Recht von dem Großmeister des 19. Jahhunderts empfohlen wurde. Vielleicht wird er eines Tages von fähigen Architekten in metamorphosierten und abtrahierten Varianten neu zum Leben erweckt werden.

    Und hat Sgraffitotechnik in München Tradition?

    Soweit ich München kenne, ist gerade die Sgraffitotechnik ein Münchner Spezifikum. Vor allem die Epoche der Jugendstil- und Reformarchitektur am Beginn des 20. Jahrhunderts brachte in München mehr Sgrafitto-Fassaden hervor als in anderen deutschen Städten. Insofern wäre eine Gründerzeit-Fassade in dieser Ausformung ein bemerkenswerter Ansatz, als er das gewöhnlich stark plastisch-dreidimensionale Gründerzeitdekor durch die flächig wirkende Sgraffito-Technik verfremdet und ein wenig abstrahiert, womit das Gründerzeitliche ein Stück weit einen Kompromiss mit modernem Reduktionsstreben eingeht.

    Das KaDeWe hatten wir hier noch nicht. Für dieses Warenhaus mussten fast ein Dutzend Häuser weichen, die mal gerade etwa zwölf Jahre alt waren.

    Das ist Berlin! Welche baulichen Werte, welche Pracht großbürgerlicher Wohnpaläste wurde damals leichtfertig beseitigt! Ein Vorspiel zu der gigantische Vernichtungsorgie während des Zweiten Weltkriegs und dem Entstuckungswahn, der danach über die Riesenstadt hinwegfehte!