Um mal zu illustrieren wo wir bei der Aufstockung des ESW-Gebäudes am Hans-Sachs-Platz angefangen haben:
Quelle: Evangelisches Siedlungswerk, Vorlage beim Baukunstbeirat der Stadt Nürnberg, 12.05.2016
Diese ersten Entwürfe fanden wohl zunächst Zustimmung bei den Juroren und der Stadt, das Bild hat sich erst gewendet als die Altstadtfreunde auf die Schwächen der Entwürfe hingewiesen hatten. Allen voran dieser vollkommen unnötige Kontrast zwischen den bestehenden Bauteilen des 1950'er Jahre-Hauses und den neu gebauten Teilen. Es brauchte also wieder einmal den Widerspruch u.a. der Altstadtfreunde, um die Damen und Herren Architekten zur Vernunft zu bringen.
Und das zeigt ganz deutlich wo wir in Nürnberg stehen: Nichteinmal das nach dem Krieg geleistete findet gestalterische Wertschätzung und Anerkennung, sondern soll regelmäßig durch modernistische An-, Um- und Aufbauten erkennbar in die Zukunft transferiert werden. Das Ergebnis freilich wäre ein unappetitlicher Architektursalat.
Deshalb finde ich ist es wichtig, auch der Nachkriegsarchitektur eine gewisse Anerkennung entgegen zu bringen, denn schnell ist es schlecht geredet, und Architekten und Verwaltung träumen dann von etwas ganz neuem, einem Glasturm, einem Hubschrauberlandeplatz, einen begrünten Hochhaus oder sonstwas (alles schon mal dagewesen!). Das Gefüge der Nürnberger Altstadtarchitektur ist nach meinem dafürhalten extrem fragil, da die 1950'er auch so wenig sympathisch sind.
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Sehr interessant und informativ, danke!
Ich muss jetzt aber von meiner Seite aus etwas Enttäuschendes beitragen: Für mich macht es keinen Unterschied, ob nun jener ältere Entwurf gebaut worden wäre oder der, der nun eben dort steht. Es ist, wie wenn man Gäste empfängt, und der Kaffeetisch auf einer blütenweißen Tischdecke angerichtet ist - ob da nun an zentraler, gut sichtbarer Stelle ein brauner oder schwarzer Fleck drauf wäre, wäre mir egal: Das Tischtuch müsste auf jeden Fall weg.
Ich finde sogar, dass es einige Städte besser machen als Nürnberg, indem sie gute moderne Architektur zulassen. Das ist zwar nicht meine erste Wahl - ich würde fast immer rekonstruieren - aber immer noch besser, als diese spießige, piefige Fünzigerjahre-Wiederaufbau-Billigarchitektur, die nicht Fisch noch Fleisch ist. Angepasste Architektur kann auch ihren Platz haben; sie muss aber Mindestanforderungen erfüllen, um als Lückenbüßer und Platzhalter fungieren zu können.
So verstehe ich also deinen Standpunkt, teile ihn aber nicht. Wahrscheinlich liegt es auch an der Perspektive: Gehe ich aus von einem Nürnberg, das ich in einem Atemzug mit Florenz oder Bologna nennen möchte, oder geht es mir einfach um eine halbwegs lebenswerte Stadt ohne historischen, internationalen, städtebaulichen, künstlerischen Anspruch? Bin ich also zufrieden, wenn Nürnberg so aussieht wie eine einfache Vorstadt mit renovierten Mietskasernen? Genau so sieht Nürnberg nämlich östlich vom Hauptmarkt, also im östlichen Sebald, aus.
Ästhetisch macht es für mich keinen Unterschied, ob man das Gebäude so gelassen hätte, wie es war, ob man es aufgestockt hätte, wie ursprünglich geplant, ob es nun so aufgestockt ist, wie ich es weiter oben fotografiert habe, oder ob man dort einen Glaskubus hingesetzt hätte.
Das einzige Argument, was zählen könnte, ist, dass das Gebäude in der jetzigen Form weiterhin als Platzhalter fungieren kann, während solche Entwicklungen wie auf dem Augustinerareal die Stadt auf sehr lange Sicht beeinträchtigen werden. Allerdings ist das eine Haltung, die ich noch eher vor 20 Jahren eingenommen habe; inzwischen frage ich mich, wie alt ich wohl werden muss, um die zahlreichen Platzhalter ersetzt zu sehen, und ob ich es wohl jemals erleben werde. Vielleicht belügt man sich damit auch selbst, um es sich erträglicher zu machen.
Im Grunde ist Nürnberg für uns, die wir jetzt leben, verloren, und ob die gesellschaftliche Entwicklung wirklich dahin geht, dass man in hundert Jahren mehr rekonstruiert, wage ich zu bezweifeln. Das heißt nicht, dass man in Nürnberg nicht leben könnte; schließlich kann man auch in Pforzheim oder Gelsenkirchen leben. Auch dort werden manche Leute noch die vielbeschworenen "schönen Ecken" finden! Kunsthistorisch ist solch ein Nürnberg aber ohne Bedeutung, und ästhetisch ein Schlag ins Gesicht.