„Ich würde den Zuckerhut nicht bauen“
Ortstermin am Andreasplatz mit Gottfried Kiesow, Deutschlands wichtigstem Denkmalschützer
Hildesheim (-dt). Kommenden Mittwoch lüften Kaiserhausstiftung und Stadtenwicklungsausschuss das Geheimnis, was mit dem Bauprojekt „umgestülpter Zuckerhut“ künftig geschehen soll. Derweil führte die HAZ Deutschlands wichtigsten Denkmalschützer, Prof. Dr. Gottfried Kiesow, direkt zum Zentrum der Debatte an den Andreasplatz mit Pfeilerhaus und Glaspavillon.
[...]
Kiesow ist von den vielen Leserbriefen in der HAZ über das Pro und Kontra beim Zuckerhut berichtet worden. Solche Debatten liebt er, es sei herrlich, wenn eine Stadt über ihre Bauten spricht.
Wir biegen in die Kardinal-Bertram-Straße ein. „Die Bürger müssen ein persönliches Verhältnis zum Wiederaufbau nach dem Krieg bekommen“, sagt er, als wir die Michaelisstraße passieren und er sich rechts die Häuserfronten anschaut. Die Einfachheit sei Stil, die Fassaden beispielhaft. Wir fahren in die Eckemekerstraße. Kiesows Blick fällt auf den Kirchplatz, seine Augen mustern die gegenüberliegende Fassadenzeile vom H&M-Haus Richtung Süden. „Die ganze Zeile ist gut, kein sozialer Wohnungsbau, sehr individuell“, lobt er. Die H&M-Fassade sei meisterhaft, die Hildesheimer sollten stolz darauf sein, sollten das Sehen wieder lernen. Die Häuser seien ihren Ursprüngen nachempfunden, deswegen auch stimmig wiederhergestellt. Dann stehen wir dort, wo früher der Zuckerhut prangte. Als erstes nimmt er den Pavillon in Augenschein. „Doll ist das hier nicht“, sagt er, auch die Farbe gefällt ihm nicht. Aber die Nierentisch-Form des Pavillons sei schon historisch, Zeitgeist eben. Das Pfeilerhaus kann ihm keine Kommentare entlocken. Weiter vorn in Richtung Hoher Weg findet er die Steinstele mit dem Eisen-Modell des umgestülpten Zuckerhuts. „Sehen Sie, das ist doch hübsch, mir würde das Modell schon als Erinnerung reichen“, nimmt er sein späteres Urteil spontan vorweg.
Rechts erblickt er das Vordach über dem Antiquariat. „Das passt gar nicht“, kritisiert er und wendet sich der Hauptsache zu, dem Standort des Zuckerhuts. „Der Pavillon wäre doch gar nicht betroffen“, stellt er fest und ergänzt, der Rundbau sollte doch erhalten werden: „Es wäre schade, wenn das Zeugnis des Wiederaufbaus verschwinden würde.“ Die Idee der Planer, den künftigen Neubau des alten Zuckerhuts an den Originalort zu stellen, leuchtet ihm ein. Zur Einbeziehung des Pavillons für das Café im Erdgeschoss des Zuckerhuts samt derzeitigem Durchgang unter dem Pfeilerhaus (unter Beibehaltung der waagerechten Pavillon-Flächen, aber ohne dessen rote Mauerscheibe), hält sich Kiesow zurück. Aber die Öffnung der Seiten mit viel Glas und sichtbaren Balken in der Mitte könnte ganz gut aussehen.
Er schaut auf die Uhr, findet noch Zeit für einen abschließende Würdigung, die schon fast so wie ein Gutachten klingt: „Der Andreasplatz ist schön, ganz toll. Der neue Zuckerhut würde dort nicht stören. Einen großen Effekt aber für den Platz sehe ich nicht. Hier Geschäfte anzusiedeln, das wird nichts.
Wohnungen gehen, auch kleine Gaststätten, Kneipen. Die Verengung des nördlichen Zugangs zum Platz durch den Zuckerhut könnte für den vom Hohen Weg kommenden Betrachter zum Aha-Effekt werden. Das dürfte nicht falsch sein. Wie gesagt, ich würde den Zuckerhut nicht aufbauen. Wenn es aber in Hildesheim eine Mehrheit gibt, die den Zuckerhut haben will, dann baut ihn doch eben.“
[...]
HAZ-Interview mit Prof. Gottfried Kiesow
„Gar nicht dogmatisch“
Hildesheim. Vielen ist der Schmuckpavillon ein Graus, sie wollen ihn direkt abreißen. Andere, vor allem Stadtbaurat Dr. Kay Brummer, verweisen auf den Denkmalschutz. Die HAZ fragte nach bei Prof. Dr. Gottfried Kiesow, Vorstandschef der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
HAZ: Herr Professor Kiesow, Sie haben sich gerade den Pavillon angesehen. Greift der Denkmalschutz?
Gottfried Kiesow: Man muss sich den Pavillon anschauen. Das habe ich aber nicht getan. Also sage ich nichts dazu. Aber ich bin beim Denkmalschutz kein Dogmatiker, jedenfalls bin ich nicht so dogmatisch wie die Niedersächsische Denkmalpflege. Damals beim Knochenhauer-Amtshaus hatte sich die Denkmalpflege auch geweigert, und sie wird sich auch beim Pavillon wieder weigern. Ich jedenfalls bin kein Anhänger solcher Dogmen.
Heißt das, dass der Hinweis auf den Denkmalschutz allein diese Frage nach Pavillon und Zuckerhut nicht beantworten kann?
Im Prinzip ja. Es ist nicht Aufgabe des Denkmalschutzes, verschwundene Gebäude wiederherzustellen. Das steht in unserer Satzung: kein Geld für tote Bauten. Denkmalpflege an lebenden Objekten, das ist unsere Aufgabe. Aus diesem Grund würde ich auch den Zuckerhut nicht wieder aufbauen.
Sind Frauenkirche in Dresden oder Stadtschloss in Berlin Ausnahmen?
Nein, beim Schloss zum Beispiel sind die Skulpturen von Baumeister Andreas Schlüter noch erhalten.
Interview: Hartmut Reichardt
HAZ-Forum
Diese Diskussion um den Zuckerhut würde sich in Hildesheim lohnen“, meinte Prof. Gottfried Kiesow und sagte zu, der Hauptredner zu sein auf dem HAZ-Forum „Pro und Contra Zuckerhut“ am 19. Februar im Roemer-und Pelizaeus-Museum. Zusagen für die Teilnahme an der Podiumsdiskussion liegen vor vom Vorsitzenden und vom Geschäftsführer der Kaiserhausstiftung, Heinz Geyer und Ignaz Jung-Lundberg. Das HAZ-Forum wird von Chefredakteur Dr. Hartmut Reichardt moderiert.
„Wer braucht den Zuckerhut?“ HAZ-Forum mit Dr. Gottfried Kiesow, Vorstandschef
Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Donnerstag, 19. Februar, 18.30 Uhr, im RPM.