Bremen-Vegesack
Ulrichs-Villa in der Weserstraße
Einer der seltsamsten Fälle der jüngeren "Stadtentwicklung" spielte sich im Bremer Norden ab. Ein sechsgeschossiger Neubau am Weserhang wurde unter Denkmalschutz gestellt. Unfassbar, aber wahr. Nach Abschluss des Anerkennungsverfahrens sagte Bremens verantwortlicher Denkmalschützer Georg Skalecki: "Das ist uns aus dem Ruder gelaufen".
Die Ulrichsvilla von 1840 in Bremen-Vegesack, Weserstraße 65, wurde von dem Werftbesitzer Hermann Friedrich Ulrichs bewohnt. Sein zweigeschossiges Wohnhaus wurde im Stil des Klassizismus erbaut und 2011 vom Landesamt für Denkmalpflege unter Denkmalschutz gestellt. Die Ulrichssche Werft wurde 1895 vom Bremer Vulkan übernommen, dessen Direktor Nawatzki bewohnte dann später die Villa.
Ulrichssches Wohnhaus
Erst ein Testat der Denkmalschutzbehörde ermöglichte eine Denkmalabschreibung für die geplanten Neubauten, die nun neben und hinter die Ulrichsvilla am Weserhang als sechsgeschossiger Bauklotz jedes hier in der Weserstraße vorkommende Maß sprengen sollte. Der Investor wollte auch noch den alten Baumbestand des Vegesacker Stadtgartens zur Weser hin kappen, damit die Neubewohner einen freien Blick auf den Fluss bekommen. Konnte sich aber damit glücklicherweise nicht durchsetzen.
Ohne die Afa-Anerkennung der Eigentumsneubauwohnungen hätten sich deren Käufer vermutlich zurückgehalten, der Verkauf wäre nur mit einer geringeren Rendite für die Nord-Bau möglich gewesen. Mit der Genehmigung der Denkmalschutzbehörde konnten die Erwerber der 20 Eigentumswohnungen ein Drittel ihres Kaufpreises steuerlich absetzen. Dadurch erhöhte die Firma Nord-Bau der hier schon mehrmals erwähnten Herren Ex-Senator Sakhuth und Mosel die Attraktivität der zum Verkauf stehenden Wohnungen.
Die Größenverhältnisse zwischen der Ulrichs-Villa und der Neubebauung sind gewaltig: Der Neubau erdrückt die Villa von zwei Seiten, in den Hochglanzprospekten der Nord-Bau dominiert optisch aber immer die alte Villa. Nord-Bau bezeichnete seine Neubauten hinterlistig als "Assistenzprojekt". Das ist wieder mal beste Architekten- und Investoren-Prosa, die den Eindruck erwecken soll, dass es sich um einen kleineren Anbau an das Hauptgebäude - die Ulrichs-Villa - handelt. Von dieser blieb am Schluss nur die Fassade erhalten, das Dach wurde höher als im Original vorhanden gebaut (Da denken sicher manche an die strengen Kriterien beim Medienhauses, das ja bekanntlich nicht denkmalschutzwürdig war).
Werbetafel für das Bauprojekt: Die alte Villa rückt in den Vordergrund, die Neubebauung (kleines Bild) mit ihren 20 Wohnungen, um die es ja eigentlich geht, hält sich auf dem großen Bild schüchtern im Hintergrund. Frage: Warum stellt die Nord-Bau die alte Villa so dominant dar? Vermutlich, weil Schönheit und Historie den Verkauf ankurbeln. Wie wäre es denn, wenn der Investor auch bei der Neubebauung auf Schönheit gesetzt hätte? Ist natürlich ein Kostenfaktor, den man im anspruchslosen Bremen nicht bemühen muss. Es geht ja auch so:
Quelle: Die Norddeutsche
Georg Skalecki später selbstkritisch: "Das hat sich zu einem Koloss entwickelt, auf den ich wahrlich nicht stolz bin" und " das Projekt der Nord-Bau dürfe "kein Präzedenzfall" für ähnliche Vorhaben in anderen Bremer Stadtteilen werden. Das Finanzamt verwies auf das Einkommenssteuergesetz, in dem festgelegt ist, dass Steuerpflichtige ihre Aufwendungen für Baudenkmale von der Steuerschuld abziehen können. Durch das OK des Landeskonservators waren diese Voraussetzungen gegeben. So kam die Denkmal-Afa für 20 exklusive, neu gebaute Wohnungen zustande.
"Die Norddeutsche" äußerte sich dazu in einem kritischen Kommentar:
Aus: "Die Norddeutsche" vom 22. September 2011
Aus dem Ruder gelaufen
Diese aus dem maritimen Bereich stammenden Redewendung scheint hier am Hang nahe der Weser eine angemessene Beschreibung des Vorgangs zu sein. Die größte Segelschiffreederei der Welt, Wätjen, brachte im 19 Jahrhundert ihre Waren aus allen Kontinenten in die Bremischen Häfen, die Mannschaften der Segelschiffe konnten da schon die Ulrichsvilla bewundern. Später dann fuhr die "Bremen" von der Gröpelinger Werft AG Weser zur Jungfernfahrt hier entlang und bis in die 1960er Jahre belieferten große Frachtschiffe den damals umsatzstärksten Hafen Europas, den Überseehafen. Alle immer an Vegesack vorbei.
Zur Redewendung konnte ich folgende Informationen finden: Sie kommt aus der Seefahrt und bezieht sich auf das am Heck von Segelschiffen befindliche Ruder, mit dem die Seeleute steuern und den Kurs bestimmen können. Trifft nun im Sturm viel Wind seitlich auf das Schiff, beginnt es sich zu neigen. Dadurch hebt sich das Ruder immer weiter aus dem Wasser, bis es keinen Kontakt mehr hat. Das Segelschiff dreht sich nun ungewollt zum Wind und läuft aus dem Ruder. Dadurch kann der Kurs nicht mehr bestimmt werden.
Diese Beschreibung lässt sich als Analogie natürlich sehr gut auf das Verhalten der Denkmalschutzbehörde anwenden:: Schärft sie doch den Eindruck, dass diese evtl. schon länger nicht mehr Kurs halten kann bzw. bei jedem größerem Sturm - Investorenbegehren - den Kurs verliert.
Aus der Entscheidung der Denkmalschutzbehörde ergeben sich mehrere Fragestellungen:
Warum erklärte die Denkmalschutzbehörde nicht, weshalb sie so gehandelt hat?
Hatte der Landeskonservator die Pläne der Nord-Bau vorher nicht begutachtet?
Gab es Strategien der Nord-Bau, den Denkmalschützer so über den Tisch zu ziehen?
Gab Druck aus der Politik?
Wie glaubwürdig ist die Aussage der Denkmalschutzbehörde, dieses Projekt der Nord-Bau dürfe "kein Präzedenzfall" für ähnliche Vorhaben sein? Der Vorgang ereignete sich im September 2011. Danach sah die Behörde keine Möglichkeit, das Theresienhaus - hier im Strang - unter Denkmalschutz zu stellen. Dies erwarb der Ex-Senator Sakhuth, ließ es abreißen und stellte einen Neubau hin. Kein Präzedenzfall? Diese Aussage wirft auch ein Licht auf das Neubau-Projekt Schröder-Villa der Firma M-Projekt. M Steht für den ehemaligen Geschäftsführer der Nord-Bau, Mosel. So trifft man sich wieder. Als Geschäftsführer der Nord-Bau verstand Olaf Mosel die Aufregung nicht: Er hielt die Denkmal-Afa für berechtigt.
Der Bauamtsleiter für den Bereich Nord Maximilian Donaubauer hatte - danach - eine eindeutige Meinung. Er hielt h die Wirkung des wuchtigen Neubaus für "grenzwertig" und das Ganze für "nicht wiederholenswert". Dazu wird es auch nicht kommen. Es ist ja ein Einzelfall. Aber der nächste "Einzelfall" steht ja schon wieder vor der Tür. Und dann wäre eine ähnliche Bemerkung von Herrn Donaubauer auch nicht wiederholenswert. Durch die vielen Einzelfälle bekommen die Bremer langsam den Eindruck, sie befinden sich in dem Film: "Und täglich grüßt das Murmeltier".