Beiträge von RMA

    Diese Einschätzung würde ich teilen, Zeno. Folgt man der Literatur sehe ich eine Ablösung des Denkmals- vom Kunstbegriff auch so um 1970. Damals erscheinen auch die allerersten Studien von Kunsthistorikern, die es wagen, die Bauten des Historismus als wertvoll zu erachten (ausgerechnet in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] recht früh, das erste Inventar des Westends stammt aus dem Jahr 1973). Diese Auffassung kann sich in voller Breite d. h. als Lehrmeinung jedoch erst gegen 1980 durchsetzen. In einigen Ämtern sitzen aber immer noch alte Kader, die ihre Denkmalauffassung spürbar aus der Zeit vor 1970 haben.

    Aktuell problematisch ist m. M. n. die spürbare Stärkung des Bodendenkmalsektors vulgo der Archäologie in den letzten Jahren. Mir hat vor kurzem jemand, der recht weit oben beim Landesamt für Denkmalpflege in Hessen arbeitet, erzählt, dass dies auch politisch durchaus gewollt ist. Ohne daraus jetzt eine Verschwörungstheorie machen zu wollen sitzen beim genauen Hinsehen mittlerweile in der Tat in vielen Denkmalbehörden der verschiedenen Hierarchieeben aller Bundesländer in führenden Positionen Archäologen, die sich mal zynisch ausgedrückt naturgemäß eher für das interessieren, was unter Häusern (nach deren Abbruch) zu finden ist, und weniger für das Gebäude selbst.

    Wobei die Verstümmelung historistischer Kirchen im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts ein gesamtwestdeutsches, und kein München-spezifisches Phänomen ist. Gerade weil die historistischen Kirchen oft am Rande oder außerhalb der stark bombardierten Stadtkerne stehen und häufig den Krieg völlig unbeschadet überstanden haben zählt deren bewusste und gezielte Verstümmelung vermutlich zu den bizarrsten Erscheinungen der Kunstgeschichte, wohl nur vergleichbar mit den Bilderstürmen des 16. Jahrhunderts. Man könnte mal einen Sammelthread zu denen aufmachen, die noch original erhalten sind.

    RMA: Über eine Fortsetzung der Galerie "Ludwig Bickell - Hessische Holzbauten" würde ich mich sehr freuen. Sind die Bestände von Ludwig Bickell eigentlich irgendwo verzeichnet, es sind ja mehrere 1000 Fotografien, oder kann man diese nur verstreut im Bildindex finden.

    Informationen zu den Bildern von Bickell bei Bildindex bzw. Foto Marburg findest du hier. Unten gibt es dort auch die Fundstellen in der Form:

    • 810.001 - 812.823 &
    • 400.126 - 400.141 &
    • 427.458 - 427.486


    Noch einfacher ist es aber, wenn du auf Bildindex statt „Gesamtindex“ einfach „Fotograf“ wählst und „Bickell“ als Suchbegriff eingibst, das liefert über 3.000 Ergebnisse. Da Bickell kinderlos blieb, dürften das ausschließlich seine Fotos sein. Wenn du danach „Suche verfeinern“ eingibst und wieder „Gesamtindex“ wählst, kann du gezielt nach Orten suchen, von denen es Bickell-Fotos gibt. Kassel liefert z. B. 87 Ergebnisse. Obwohl Bickell aufgrund seiner zahllosen Beschäftigungen kaum etwas publiziert hat wusste er meines Erachtens mehr über Fachwerkhäuser als kaum ein zweiter Mensch seiner Zeit. Seine Fotos gerade von Abbrüchen zeigen, dass er ganz genau einschätzen konnte, welches Haus von hohem Alter oder konstruktiver Besonderheit war.

    Ja, das ist echt erstaunlich. Wenn man diese alten Denkmaltopographien liest, versteht man auch, wieso die Generation unserer Ur-Ur- und Ur-Großväter im Historismus so gründlich und sorglos in den Großstädten mit alter Bausubstanz aufgeräumt hat. Bürgerhäusern wurde, sofern sie nicht reich verziert oder durch irgendwelche historischen Gestalten (und auch der Kreis dieser Leute war klein) geadelt waren, praktisch kein Wert beigemessen. In der Tradition dieser Auffassung stand dann ja fatalerweise auch der „Wiederaufbau“ nach dem Zweiten Weltkrieg.

    Speziell im Fachwerkbereich fehlte aufgrund des völlig ungenügenden Verständnisses von Bauweisen und -techniken sowie deren historischen Abhängigkeiten, deren Erforschung ja auch erst im Wesentlichen in den letzten 30 Jahren wirklich wissenschaftlich betrieben wird, jeglicher Sinn für den Denkmalwert. Auch hier standen eher Bauten im Vordergrund, die sich durch reiche Dekoration auszeichneten oder (vor allem auf dem Land) im Sinne einer urbanen Spätromantik besonders altertümlich, ländlich und an die „alte Zeit“ erinnernd galten.

    Zitat

    Mir ist es immer wieder ein Rätsel, wieso München dieser Schönheitsnimbus umgibt. Der Wiederaufbau ist doch nicht besser als der von Köln, bezogenauf Martinsviertel und Altermarkt sogar schlechter. Glücklicherweise hat in München mehr Altbausubstanz überlebt und die Zerstörungsrate war nicht ganz so verheerend. Ansonsten wäre München eine ausgesprochen banale Stadt.

    Naja, da wären zuerst mal die Kirchen, die eine unglaubliche Wiederaufbauleistung darstellen. In jedem anderen Bundesland hätte man die soweit möglich im typischen Philistergeschmack der 1950er Jahre auf romanisch zurückgebaut, hier wurden die extrem aufwändigen barocken Raumfassungen über Jahrzehnte wiederhergestellt. Das Gleiche gilt für die Residenz in weiten Teilen, sieht man mal von den Päpstlichen Zimmern und den Erweiterungsbauten des 19. Jahrhunderts ab, die man in der Nachkriegszeit nicht als wertvoll genug erachtete (gleiches Schicksal wie Würzburg).

    Auch hat man der Altstadt die so beliebten großen Straßendurchbrüche erspart und so ihr Gefüge im Wesentlichen erhalten. Sträflich vernachlässigt wurde natürlich wie so oft der Wiederaufbau der Adelspalais und Bürgerhäuser (wobei der Bestand an letzteren im Rahmen der historistischen Überformung vor 1945 auch schon ganz gewaltig reduziert worden war), aber es wurde doch recht konsequent kleinteilig und mit einer vernünftigen Dächerlandschaft wiederaufgebaut. Dadurch bleibt vieles im positiven Sinne für die Zukunft möglich, was andernorts durch Verleugnung der gewachsenen Stadt nachhaltig ruiniert wurde.

    Tja, du darfst halt nicht außer Acht lassen, dass die Frankfurter Bautradition im Wesentlichen eine Mischung aus oberdeutschen und mitteldeutschen Strömungen ist. Diese oberdeutsche Spießigkeit führt dazu, dass ein Entwurf wie der von Zaha Hadid Architects de facto nicht zu bauen ist, aber auch, dass man weiter an eher simplen Fassaden und Kubaturlösungen hängt. Nach 1918 war man ja auch ganz schnell bei der Neuen Sachlichkeit, vor 1866 praktisch komplett im schlichten Spätklassizismus, die ganze preußische Kaiserzeit mit ihrer historistischen Bautradition empfand man sichtbar so wie die Herrschaft als aufoktroyiert.

    Sehr interessante Galerie, gerade für mich, da ich von vielen der Bickell-Bilder alte Lichtdrucke besitze und so eine Vergleichsmöglichkeit habe. Ich gelobe, die angesprochene Galerie die nächsten Tage mal fortzusetzen. Insgesamt ist die Stadt für westdeutsche und Zonenrandverhältnisse aber noch ganz gut über die seither verstrichenen ~ 150 Jahre gekommen.

    Das Fachwerk ist das ganz typische des Werra-Meißner-Kreises, das sowohl niederdeutsche als auch thüringische Einflüsse verarbeitet. Ersteres findet sich in der häufigen und auch schon frühen Traufständigkeit der Bauten, letzteres eher in vereinzelten und subtilen Details der Formen und Ornamente, insbesondere aber den etwas dünneren Hölzern.

    Die Bebauung am Goetheplatz ist wohl ein Block, dem 5 unterschiedliche Fassaden "vorgehängt" wurden. Mäckler hat an dieser Stelle das beste rausgeholt. Ansonsten hätten die Investoren einen Zaha Hadid Dekonstruktivismus-Klotz gebaut. Gründerzeitlicher Historismus stand überhaupt nicht zur Debatte und war bei den Investoren mit Sicherheit völlig unrealistisch.

    Das ist erstmal festzuhalten. Aber fassen wir nochmal zusammen: die vier Häuser an der Goetheplatz-Westseite, errichtet um 1950 nach vollständiger Zerstörung der Vorgängerbebauung (mehr dazu und Fotos von mir hier) wurden von einer Investmentgesellschaft zwecks Neubebauung erworben, die dann auch ziemlich bald und barsch den teils alteingesessenen Geschäften und Bewohnern die Mietverträge kündigte. Die 1950er Jahre-Bebauung hatte meiner persönlichen Meinung nach abzüglich einer gewissen Heruntergekommenheit durchaus ihre Qualitäten (Fotos (DAF-Link).

    Aus einem internationalen Architekturwettbewerb ging ein enger Kreis von drei Büros hervor: die Frankfurter KSP Jürgen Engel Architekten (Entwurf (DAF-Link, siehe oben) sowie Prof. Christoph Mäckler Architekten (Entwurf (DAF-Link, siehe unten) und sowie die Londoner Zaha Hadid Architects (Entwurf (DAF-Link). Auch solche tollen Sachen (DAF-Link) waren übrigens dabei, flogen aber früh raus.

    Der Investor wollte vom Raumprogramm her einen Block mit gleichen Stockwerkshöhen, und das natürlich zu geringstmöglichen Kosten. Deswegen war auch lange Zeit der Entwurf von Zaha Hadid Architects im Rennen, flog dann aber wohl auch auf massiven Druck seitens der Stadt zuerst raus, dann auch schließlich der von KSP Jürgen Engel Architekten. Persönlich hatte ich ja sehr große Zweifel an dem Projekt, insbesondere, weil die die 1950er Jahre-Bebauung zwar heruntergekommen, aber in den Details doch schon sehr wertig war, wurde aber positiv überrascht.

    Warum? Erstens, weil sich die Mäckler-Neubebauung in Bezug auf die handwerkliche Qualität, wie die nachfolgenden Fotos von mir, die zwar schon ein paar Monate alt sind, jedoch die wichtigsten Details bereits zeigen, keinesfalls hinter der Vorgängerbebauung verstecken muss. Das ist heutzutage alles andere als selbstverständlich.

    Zweitens, weil es an dieser Stelle, durch wen auch immer, geschafft wurde, wieder echte Dächer in der Innenstadt von [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] einzuführen. Man beachte die Ausführung gegenüber Mäcklers Wettbewerbsentwurf, der noch Flachdächer vorsieht! Als Außenstehender kann man diese Begeisterung vielleicht nicht nachvollziehen, aber das dürfte so mit das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sein, dass innerhalb der historischen Stadtmauern wieder Gebäude ohne Flachdach gebaut werden. Sie wirken (hoffentlich nicht mehr lange) geradezu wie ein Fremdkörper innerhalb der kastrierten Dächerlandschaft, gut zu erkennen etwa hier (DAF-Link).

    Natürlich kann man manches kritisieren. Die langweilige 1960er Jahre-Fassade von Goetheplatz 5 mit ihren Fensterbändern. Das Dachmaterial, dass es nicht Schiefer ist. Aber sonst? Fällt es mir schwer, etwas zu finden, was im Gegensatz zur Vorgängerbebauung (der 1950er Jahre) und der im Hinblick auf traditionelles Bauen immer noch sehr zurückhaltenden Baupolitik in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] nicht einen erheblichen Schritt nach vorne darstellt. Übrigens wurde auch die historisch überkommene Gliederung des Baublocks in sechs Parzellen wiederhergestellt, die die Vorgängerbebauung (der 1950er Jahre) durchbrochen hatte.

    Klar, auch ich hätte mir die Rekonstruktion der Deutsch-französischen Kirche gewünscht. Aber die hat man (außerhalb kunsthistorischer Kreise) noch nicht mal vor dem Krieg als wirklich wertvoll betrachtet, geschweige denn, dass heute vielleicht noch 100 Frankfurter überhaupt wissen, was die war.


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    Danke für diese wertvolle Information, Maxileen. Da lege ich schonmal was beiseite für. Das umfangreichste mir bekannte Werk dieser Art ist wohl bisher die dreiteilige Denkmaltopographie von Wiesbaden. Sieht man mal von dem seit über 20 Jahren laufenden, immer noch nicht fertig gestellten Werk für Bamberg ab, das aber einen wesentlich höheren, eher enzyklopädischen Anspruch verfolgt. Von Freiberg (Sachsen) ist wohl auch in absehbarer Zeit ein ähnlicher Klopper (~ 1.200 Denkmale!) zu erwarten, nachdem ein einführendes Werk bereits erschienen ist.

    Architekt? :biggrin: Und dein euphemisierendes Attribut „geschmacklich“ ist eigentlich auch unnötig. Aber mal im Ernst, wenn man schon dachte, das Teil in der Erfurter Pergamentergasse wäre übel, das Teil ist echt das schlimmste Bauwerk, was ich in der Größe und Kategorie je gesehen habe.

    Das alte Spiel. Wenn man sowas liest, kann man dankbar sein, dass in Bamberg in der Theuerstadt der Bereich, den das UNESCO-Weltkulturerbe erfasst, recht ausgedehnt ist, sonst könnte so ein Schicksal gerade im nördlichen Bereich der Oberen Königstraße auch so manchem Ensemble drohen, an das mich diese Häuser zumindest typologisch erinnern. Goethestraße 23 ist aber in der Tat wohl schonmal fast vollständig entkernt worden, wenn man das Abbruchbild sieht. Vermutlich vor Inkrafttreten der Denkmalschutzgesetze, sonst hätte eine solche Umbaugenehmigung nie erteilt werden können.

    Geil auch die Kommentare im Artikel von 03.12.2013, da kann man unter anderem Sachen lesen wie:

    Zitat

    "Erlangen ist ein hervorragendes Beispiel barocker Stadtbaukunst in Deutschland." Das ist wirklich ein Witz. Bis auf den Schloßpark und Orangerie ist wirklich NICHTS schön in Erlangen. Von Barockstadt zu reden, ist absurd. Genau so, wie diese Bruchbunden unter Denkmalschutz zu stellen ohne Grün etc. Wer schon mal in Dresden war, der weiß, was eine Barockstadt ist ...

    Weitere Kommentare bezeugen derart die Verblödung weiter Schichten der Bevölkerung, dass ich sie hier erspare.

    Brand 5. Dieses ausladende und stattliche giebelständige Fachwerkhaus fränkischen Typs erscheint schon auf Gemälden, die etwa um 1800 herum angefertigt wurden, wobei auffällt, daß die beiden oberen Geschosse geohrte Fenstergewände aufwiesen und unter den Fenstern vermutlich Stuckfestons und Stuckspiegel angebracht waren. Eine Überarbeitung der beiden oberen Geschosse ist daher zwar zu vermuten, aber durch die Quellenlage derzeit noch nicht belegbar. Auffallendes Merkmal war an der Ecke zur vorderen Schafsgasse hin das barocke Relief einer Marienkrönung in einer von Pilastern gegliederten Nische vor einem Muschelbaldachin.

    Blick auf die Südseite sowie einen Teil der Westseite. Linkerhand zunächst die Einmündung der Rentengasse, folgend das Hotel zum Karpfen. Die Brand-Südseite macht nach rechts einen Knick, wodurch dem Platz seine eigenartige Keilform zukommt. Das bedeutendste Haus war das Klein-Brandenberg oder auch zum Brandenburg, welches wohl etwa kurz vor 1500 als viergeschossiges gotisches Fachwerkhaus errichtet wurde- interessanterweise als "Doppelhaushälfte". Auch das Abknicken der Fassade war ein typisches Merkmal.

    Interessant finde ich auf diesen beiden Bildern (zweites Bild: zweites Gebäude von rechts) ja, dass hier m. M. n. recht deutlich mittelalterliche Geschossbauten als Kern zu erkennen sind, was ich beispielsweise in alten Ansichten aus [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] bis auf 2– 3 Kandidaten so noch nie gesehen habe. Die repräsentative hohe Ständerhalle, die einst ein Geschoss bildete, und dann später im Rahmen der Nutzung als Mietshaus ab der frühen Neuzeit durch Einziehen einer Zwischendecke in zwei Geschosse geteilt wurde, ist ja ein recht typisches Phänomen im hessisch-fränkischen Fachwerk und findet sich heute noch an vielen Beispielen in Limburg, aber z. B. auch Alsfeld oder Fritzlar. Die Obergeschosse, die bei den Exemplaren aus dem 14. Jahrhundert häufig noch über eine Hängepfostenkonstruktion auskragten, hat man ganz gerne spätestens im 18. Jahrhundert im Zuge der klassizistischen Fassadenglättung zurückgeschnitten.

    Das Haus Klein-Brandenberg oder auch zum Brandenburg erinnert mich stark an das Haus Kleines Paradies (Markt 27) in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon]. So spinnefeind sich die beiden Reichsstädte im Mittelalter auch waren, die rein bürgerliche Architektur (in Mainz aufgrund der Herrschaftssituation freilich etwas seltener als Dribbdebach) ist sich verblüffend ähnlich.

    Vielen Dank auch von mir für diesen höchst sachkundigen und informativen Thread. ursus schrieb vor ein paar Seiten so treffend, wie es genauer nicht mehr geht: „Es ist wirklich kaum zu fassen, was alles vernichtet worden ist, so sang- und klanglos, ohne dass man als Normalinteressierter irgendeine Ahnung davon hätte.“

    Danke für die Info. Anhand des Fachwerks hätte ich das auch eher so eingeschätzt und hatte mich über die Angabe von 500 Jahren gewundert.
    Woher hast Du diese Information? Ich bin nur mal neugierig.
    Im übrigen eine interessante Definition von "Neubau" :wink:

    Ja, dem geneigten Fachwerkfreund dürfte recht schnell aufgefallen sein, dass zumindest die Hafenfassade die Merkmale eines typischen Fachwerk-Ingenieursbaus dieser Zeit zeigte. Wobei das natürlich nichts über das Vorderhaus aussagen muss, in dem Fall war es wohl so. Die Informationen habe ich aus der erst 2009 erschienenen Denkmaltopographie der Stadt Lüneburg – da für Lübeck immer noch keine vorliegt, ist dieser Schmöker, mit dem man ob seines Gewichts notfalls auch die Schwiegermutter erschlagen kann, aufgrund der sehr ausholenden Einleitung zu Dachformen, Kellern etc. gegenwärtig nebenbei eines der wertvollsten Standardwerke zum traditionellen Hausbau im Nord- und Ostseeraum.

    Diese Wahrnehmung entspricht auch durchaus der Realität, denn das Gebäude ist ein weitgehender Neubau von 1856 – im Gegensatz zu den meisten älteren Gebäuden am Stintmarkt respektive den einigen bereits auf eine malerische Wirkung abzielenden Neubauten der Jahrhundertwende, die vielfach kaum von den älteren zu unterscheiden sind. Wirklich alt an dem jetzt abgegangenen Gebäude sind nur die Keller des wohl Vor-Vorgängerbaues, die noch auf das frühe 16. Jahrhundert zurückgehen. Insofern kann man sagen: Glück im Unglück, bei einem Brand in den Nachbarhäusern wäre weit mehr kulturhistorischer Schaden entstanden.

    Siehe hier:

    Das DomRömer Projekt :: Hühnermarkt 22 (optionale Rekonstruktion)

    Ich finde den Entwurf recht überzeugend. Die französischen Fenster werden hier zur modernen Ausbildung eines Risaliten benutzt, die übrigen Eigenschaften zitieren die des historischen Vorgängerbaus. Was insgesamt an dem Entwurf so schlecht ist, vermag der gute Herr Jaeger ja auch nicht so recht zu artikulieren. Man könnte seinen Beitrag beinahe als Plädoyer pro Rekonstruktion lesen. :lachen:

    P.S.: Kann einer von der Technik hier mal diese saudämliche automatische Umwandlung der Links abschalten? Von hundert Foren im Internet ist das das einzige mir bekannte, das sowas macht... :daumenunten:

    Das Problem ist, dass kein einziges der genannten Gebäude unter Denkmalschutz stand. In Frankfurt befinden sich ungefähr 91.000 Gebäude (Stand: 1994), von denen rund 4.600 (Stand: 2000) unter Denkmalschutz stehen. Also ungefähr 5 Prozent. Der Grund für fehlenden Denkmalschutz ist in den meisten Fällen, dass es sich um Gebäude handelt, die nach Kriegsschäden oder durchgreifenden Entkernungen v. a. der 1960er und 1970er nur noch aus einer historischen Hülle bestehen.

    In solchen Fällen besteht für die Verwaltung – das muss ich auch mal als jemand sagen, der bei der Stadt arbeitet – nahezu kaum eine Möglichkeit, dem Abrissantrag des Eigentümers *nicht* statt zu geben. Denn die Denkmaleigenschaft stellt die autonom agierende Untere Denkmalschutzbehörde fest. Ein gutes Beispiel dafür ist das Haus Landsberg in Frankfurt-Höchst, wo man, wie ich anderswo berichtete, zweimal von Seiten des Magistrats sogar genau das erfolglos versucht hat, zu beantragen.

    Eine Ausnahme stellte das Gebäude Eckenheimer Landstraße / Ecke Zeißelstraße dar, wo man ebenfalls eine gutachterliche Meinung zur Denkmaleigenschaft einholte, und dann mit der wirklich haarsträubenden Argumentation auch noch von einem von Frankfurts führenden Denkmalschützern abgerissen wurde, das Gebäude stamme aus der Zeit *vor* der Bebbauung des Nordend und falle damit nicht unter dessen Ensembleschutz. Da mag man dann schonmal an Gefälligkeitsdienste glauben...

    Die Perversion der geltenden Gesetzgebung liegt darin, dass der Weg anders herum, also den Abrissantrag für ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erteilen, wesentlich unproblematischer gestaltet ist. Oder anders ausgedrückt, wirtschaftsfreundlicher. Bei der momentanen Regierung ist dahingehend jedoch kaum eine Besserung zu erwarten, und in Zeiten, wo die Schaffung von Arbeitsplätzen im Zuge von Neubauprojekten genauso gerne als Totschlagargument verwendet wird wie Kinderförderung oder Verbrechensbekämpfung im Internet via Vorratsdatenspeicherung, wohl auch kaum von anderen Parteien, die demnächst vielleicht mal wieder in Berlin an die Hebel kommen.

    Ist ja alles schön und gut. - Da kann man noch so lange und ausgedehnt intellektuell und besserwisserisch argumentieren und diskutieren. Wirklich weiter bringt es uns nicht. Auf einen Punkt gebracht heisst es doch nur, daß wir alle mit der Wiederaufbauleistung nach dem Krieg mehr oder weniger unzufrieden sind. - Viel lieber würde ich aber wissen was wir als Verein und Freunde der Baukultur unternehmen können um den unerträglichen Zustand in unseren geliebten Städten zu verbesser. Wir sollten lieber unsere Kraft und Intelligenz nutzen um zusammen nach Lösungen und Möglichkeiten zu suchen. Und nicht gegeneinander in diesem Forum kämpfen.

    Nein, in diesem Forum pflegt man lieber Feindbilder, kotzt sich aus und glaubt fest daran, dass man mit seinem Auskotzen bereits etwas bewegt. Das ist auch das Kernproblem dieses Forums. Viele Utopisten und Kellerkinder mit abwegigen bis völlig realitätsfernen Vorstellungen, bei denen man sich fragt, ob sie die letzten 10 Jahre mal Kontakt mit der Welt da draußen gehabt oder eine andere Meinung als die ihre gehört haben. Und da wundert sich noch einer, dass hier immer weniger Leute schreiben oder woanders hingehen. Selbstverständlich ist auch dies nur eine Verschwörung der Modernisten oder es handelt sich um, wie mich ein Moderator nach Jahren der Arbeit hier mal titulierte, Nestbeschmutzer. Damit überlasse ich die genannten ihrer eigenen Realität, gegen die sie anschreiben können, soviel sie wollen.