Beiträge von RMA

    Und das Gejammer in einem Internetforum oder Schuldzuweisungen bringen genau was? Genau. Immerhin ist es bei weitem nicht ausgebrannt, teilweise haben sogar die Decken gehalten. Auch der wichtigste, da unikale Teil der Ausstattung, die Bibliothek, war nicht betroffen. Es dürfte eine hervorragende Fotodokumentation geben, man kann alles rekonstruieren. Die großen Residenzschlösser, denen man es heute nicht mehr ansieht, waren erheblich schwerer beschädigt. Brände durch dämlichste Umstände hat es immer gegeben, beim Münchener Residenzbrand von 1729 wurden große Teile der Gemäldesammlung von europäischem Rang vernichtet, es könnte also alles viel schlimmer sein.

    Nachlese (Bilder vom August 2013) zu meinem Beitrag #42 aus dem Frühjahr 2012, der sich mit der Bausituation im besterhaltenen Frankfurter Stadtteil Höchst beschäftigte. Hier passiert zur Zeit einiges, glücklicherweise fast ausschließlich positives im Bauwesen, andererseits leidet er wie kaum ein zweiter unter der Armutszuwanderung aus den neuen EU-Ländern, zusätzlich zu dem ohnehin schon hohen Anteil „weißer Unterschicht“, die hier seit dem Niedergang der klassischen Chemieindustrie in den letzten 25 Jahren vorhanden ist. Dazu kommt noch die Prägung durch jahrzehntelange Nutzung als US-Militärstützpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg.

    Im letzten guten Jahr entstand am Rande der Altstadt, genauer gesagt an der Ecke Hiligengasse / Melchiorstraße in einer ausschließlich von Altbauten geprägten Straße der Neubau eines Mehrfamilienhauses auf einer lange Zeit als Parkplatz genutzten Brachfläche. Bauherr war die Städtische KEG (Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft), die bereits in der Vergangenheit gute Arbeit mit angepassten und vor allem bezahlbaren Sozial- und Wohnbauten im Frankfurter Westen abgeliefert hat. Insgesamt ein meines Erachtens relativ erfreuliches und für die Lage (vgl. erster Absatz) wertiges Ergebnis. Lobend hervorheben darf man, dass sich die Architekten sichtbar mit den örtlichen Gegebenheiten beschäftigt haben.

    Anfangs zwei Übersichtsbilder (Südseite, Nordseite) von der Ecke an der Stichstraße Albanusstraße nach Osten, also Richtung Königsteiner Straße, die die Höchst-typische Heterogenität des Straßenzuges charakterisieren – einige (einstige Vorstadt-)Häuser stammen sicher noch aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, das Eckhaus rechts im ersten Bild vorne ist ein Neubau der letzten Jahre (naja), im zweiten Bild links im Hintergrund das „Anlieferzentrum“ des ebenfalls erst vor wenigen Jahren neu errichteten Einkaufszentrums (alter Zustand (Wikipedia), neuer Zustand (DAF-Link)) an der Königsteiner Straße (die „Zeil“ des Frankfurter Westens):


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    Etwas näher ran ist besser erkennbar, dass sich der Neubau trotz seiner gegenüber den Nachbarn gewaltigen Dimensionen aufgrund des rhythmisierenden Rücksprungs – das Treppenhaus – und vor allem natürlich des Dachs mit Gauben (diese sogar mit Schiefereindeckung) gut in das Straßenbild einpasst:


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    Gesamtansicht des Neubaus aus der Gegenrichtung nach Westen:


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    Detail:


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    Ansicht von der Ecke Hiligengasse, die zur Bolongarostraße führt, nach Süden, wir sind sichtbar direkt am Rand der Altstadt:


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    Rückseite von der Hiligengasse aus:


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    Genau gegenüber gammelt allerdings weiter eine sogenannte „Götz-Immobilie“ vor sich hin. Herr Götz ist ein Mannheimer Unternehmer, eigentlich Automatenaufsteller, der in den 1980er Jahren eine ganze Reihe von Altstadthäusern von der Henninger-Bräu AG gekauft hat, zahlreiche davon auch in Höchst und wesentlich älter als das Gezeigte, in die seitdem augenscheinlich sehr wenig investiert wurde. Kardinal ist im DAF mal darauf näher eingegangen, sehr lesenwert, wir kommen darauf am Ende des Beitrags nochmal zurück.


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    Weiter geht es in der Hostatostraße (vgl. #42). Die weiße Plastikverkleidung der altentstuckten Nr. 10 ist einer dicken Dämmung gewichen. Ein gewisses Bemühen der Vermittelung zwischen den Nachbargebäuden ist immerhin in der Basalt(?)-Verkleidung des Erdgeschosses, der Farbwahl sowie der schwachen Andeutung von Profilen im Putz zu erkennen, über eine Wiederbestuckung hätte man sich natürlich mehr gefreut. Insgesamt leider weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung:


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    Gut ausgegangen ist es dagegen an der diagonal gegenüber gelegenen Hostatostraße 21, hier wurde nur die Fassade gereinigt und eine Dämmung einzig zur ohnehin nicht auf Sicht gestalteten Hofseite zur Justinuskirchstraße aufgebracht:


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    Und wo wir gerade bei Dämmung sind, als ich vor ein paar Wochen an der Häusergruppe Bolongarostraße 87–93, die wohl gegen 1900 in einem Zug entstand, vorbeifuhr, wuchs dort gerade ein Gerüst gen Himmel. Da mich nichts mehr wundert, hatte ich die prächtigen neobarocken Fassaden schon abgeschrieben, umso erfreuter war ich heute, festzustellen, dass man sich nur an der wohl schon vor Jahrzehnten vom Stuck befreiten Nr. 87 am Dach und (wohl der Lehrling?) mit dem Pinsel ausgetobt hat:


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    Hier sind wir nicht mehr weit von der Dauerbaustelle Ehemaliges Kreishaus (Höchst war bis in die 1980er Jahre kurioserweise Kreisstadt des Main-Taunus-Kreises, obwohl es bereits 1928 nach [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] eingemeindet worden war) – ob das nochmal ein Ende nimmt? Immerhin kenne ich das Gebäude nun fast schon zehn Jahre als Baustelle. Entwurfsverfasser dieses 1892 fertig gestellten Schmuckstücks, das nun in Wohnungen umgebaut wird, war übrigens Franz von Hoven, der wenige Jahre später maßgeblich an der Planung der historistischen, nun teilverstümmelten, Frankfurter Rathausbauten beteiligt war. Ursprünglich wurde das Gebäude von der Leipziger Heritus AG restauriert, die bekanntlich in die Insolvenz ging, Mitte 2012 übernahm nach langem Stillstand die Dolphin Capital GmbH aus Hannover, die bis Mai 2013 fertig sein wollte, womit es sichtbar nichts geworden ist. Aktuell schien man mal wieder am Inneren zu werkeln:


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    Direkt gegenüber wurde im Spätsommer 2013 an der Ecke Bolongarostraße / Kasinostraße / Kranengasse das Haus Bolongarostraße 102 (Google Street View) abgerissen. Das wirklich sehr heruntergekommene (ich war mal bei einer Begehung mit dem Sozialamt drin, man fühlte sich an alte S/W-Fotos der Frankfurter Altstadt vor der Restaurierung erinnert) und zuletzt nur noch von fragwürdigen Gestalten genutzte Haus war entgegen meiner Vermutung, dass es wohl erst im 19. Jahrhundert entstanden ist, im Kern wohl doch noch barock, wie der nun einsehbare, aus Bruchsteinen gemauerte, mächtige Gewölbekeller zeigt. Ein äußerst grenzwertiger Abriss, trotz des schlechten Zustandes. Man darf trotz der unsäglichen Verhältnisse gerade in diesem Abschnitt der Bolongarostraße (erinnert an das Bahnhofsviertel vor 20 Jahren, nur ohne Rotlicht) nicht vergessen, dass ein Großteil der Bausubstanz noch Teil der barocken Höchster Neustadt ist, und auf Restaurierung / Sanierung durch Abriss setzen.

    Nachfolgen soll die auf dem Bauschild visualisierte Bebauung, die einen ganz ordentlichen Eindruck macht. Wer da künftig wohnt braucht allerdings wohl vorerst ähnlich starke Nerven wie in einer Kaiserstraße 48.


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    Einigermaßen brauchbar sein sollte der Entwurf ohnehin, denn genau gegenüber steht der Bolongaropalast, das bedeutendste und wohl am vollständigsten erhaltene bürgerliche Palais des Rokoko in Hessen, das weiter auf eine grundlegende Restaurierung wartet:


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    Und das Beste zum Schluss, Bewegung kommt endlich in die verfahrene Situation um den „Goldenen Adler“, wohl eines der wertvollsten noch nicht restaurierten Altstadthäuser im Rhein-Main-Gebiet. Auch bei diesem Gebäude handelt es sich um eine „Götz-Immobilie“. Nachfolgend ein Bild vom Mai 2010:


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    Die Denkmaltopographie von [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], die im Wesentlichen aus dem Jahr 1986 stammt, also schon wieder 25 Jahre alt ist, und 1994 nur unwesentlich erweitert wurde, kennt das Gebäude Bolongarostraße 156 / Nach dem Brand 2 nur als „Im Kern Fachwerkhaus der Spätrenaissance des 17. Jahrhunderts unter Verputz; 1772 barock ergänzt.“. Meiner bisherigen Vermutung nach war es damit nach dem großen Höchster Stadtbrand von 1586, aber wohl bis spätestens etwa 1650 entstanden. Die nicht zu tief geschnittenen jüngeren Fenster, wohl aus dem frühen 19. Jahrhundert, lassen zudem annehmen, dass von dem ursprünglichen Sicht- bzw. Zierfachwerk noch eine ganze Menge, sicher aber genug für eine Restaurierung mit anschließender Rekonstruktion vorhanden ist.

    Wie das Haus unter dem Putz nach sorgfältiger Restaurierung aussehen könnte, zeigt ein bisschen die Straße runter Bolongarostraße 167, von der Denkmaltopographie ihrerzeit noch fälschlich auf 18. Jahrhundert datiert, das erst vor rund 10 Jahren freigelegt und dabei eben als Bürgerhaus der Renaissance aus dem frühen 17. Jahrhundert erkannt wurde (man beachte die feinen Schnitzverzierungen im Großbild, die recht typisch für den Fachwerkbau vor dem Dreißigjährigen Krieg sind):


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    Aber zurück zum „Goldenen Adler“. Zuletzt beherbergte das Gebäude im Erdgeschoss eine bestenfalls als schäbig zu bezeichnende Kneipe, die übrigen Räumlichkeiten waren bis in den letzten Winkel „vermietet“, falls man davon überhaupt sprechen kann. Als sich das Gebäude Mitte 2010 aufzulösen begann, also Teile auf den Gehweg stürzten, haben Städtische Bauaufsicht und Denkmalpflege das Haus erstmals betreten können, nach einer Großrazzia Anfang 2011, bei der man über 40 Menschen aus den neuen EU-Ländern antraf, wurde es dann geräumt, notgesichert, steht seitdem leer und sieht so aus:


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    (Rechts im Bild übrigens das Haus Bolongarostraße 154 von 1526 (d), das bereits in den 1980ern restauriert und teilweise rekonstruiert wurde.)

    Im Frühjahr 2012 wurde bekannt, dass das Denkmalamt der Stadt ein bauhistorisches Gutachten in Auftrag gegeben hat, um den Zustand des Hauses zu dokumentieren. Dann war es lange still. Im Oktober 2013 sprang mir das Gebäude dann ausgerechnet in Bamberg in der Judenstraße im Schaufenster eines Bauforschungsunternehmens wieder ins Auge. Die Bamberger Bauforscher Geller - Bornschlögl erhielten den vorgenannten Auftrag offenbar im Sommer / Herbst 2012, was anschließend sehr interessante Details zu Tage brachte:

    Das Gebäude wurde erstmals dendrochronologisch genau datiert, es ist demnach 1658 kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg erbaut worden (gar nicht so schlecht geschätzt, s. o.) und hat das bedeutende Alter von über 350 Jahren erreicht. Die Gaststätte „Goldener Adler“ gab es bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts, im Zuge dieser offenbar erfolgreichen Nutzung wurde das Gebäude im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts mehrfach nach Norden erweitert. Im 19. Jahrhundert erfolgte der Anbau des Hauses Nach dem Brand 2 und die Zusetzung der Tordurchfahrt an der Albanusstraße, noch heute gut zu erkennen. Unter dem Haus befinden sich (wie häufig) gleich mehrere Keller verschiedener Vorgängerbauten, die, da das Gebäude auf ältestem Höchster Stadtgebiet bzw. innerhalb der ersten bekannten Stadtmauer aus der Mitte des 14. Jahrhunderts steht, wohl mindestens auf die Zeit des Wiederaufbaus nach der Zerstörung der Stadt durch die Frankfurter 1396 zurückgehen.

    Das nachfolgende Bild ist eine Abfotografie der ausgestellten Tafel, leider nur mit der dürftigen Kamera meiner Begleitung. Interessant neben der Bau- und Nutzungsgeschichte vor allem das Bild unten links aus dem oberen Teil des (Ost-)Giebels zur Albanusstraße von innen, das einen gewissen Vorgeschmack der Schönheit des nun hoffentlich bald zu restaurierenden Fachwerks liefert:

    Gestern kam dann die gute Nachricht, dass die Verhandlungen zwischen Götz und der Städtischen KEG (Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft) kurz vor dem Abschluss stehen, so dass einer Restaurierung dieses Schmuckstücks der Höchster Altstadt mittelfristig nicht mehr viel im Wege stehen dürfte:

    http://goo.gl/YiaHiN

    Das wars.

    Es ist in der Tat so, dass in den letzten Jahren immer wieder fragwürdig mit Mäzenen und Initiativen aus der Bevölkerung umgegangen wurde. Da kann ich manchem gar nicht mal mehr übel nehmen, dass er mittlerweile die Sause nach St. Moritz vorzieht. Dazu nur mal zwei Links:

    http://www.faz.net/aktuell/rhein-…ef-1905621.html

    http://www.faz.net/aktuell/rhein-…g-12666925.html

    Der Brückenbauverein wollte sich übrigens auch langfristig für die Rathausdächer einsetzen. :sad:

    Kommt das Thema jetzt schon wieder hoch? Lüneburg scheint die Brandstifterei respektive den Ikonoklasmus ähnlich wie Quedlinburg magisch anzuziehen. Da gab's doch schonmal vor einem halben Jahrhundert gleich drei vergleichbare Ereignisse, welche (allerdings wesentlich bedeutendere) Baudenkmäler (Altes Kaufhaus, Ratsbücherei und noch irgendein Bürgerhaus) beschädigten oder zerstörtem, welcher aber meines Wissens zumindest äußerlich alle wieder mustergültig hergestellt wurden.

    Edit: Habe sogar einen Spiegel-Artikel aus dem Mai 1960 gefunden, in der Denkmaltopographie sind die Brandstiftungen auch ein Thema.

    Sinnvoller wäre es eher gewesen, nicht irgendwelche rein ideologisch gefütterten Energiesparziele in Rekonstruktionen pressen zu wollen – als ob an den nichtmal 50 Häusern der Meeresspiegel in 100 Jahren hängt. Aber indirekt hat man aus Sicht der verantwortlichen Partei mit diesen utopischen Forderungen ja genau das erreicht, was man wollte.

    Der Trend, dass die (Groß-)Stadt wieder als „Lebensraum“ und nicht als ein Sammelsurium von Funktionsbauten begriffen wird, ist eigentlich relativ neu. Als die Städte im Mittelalter entstanden, war es für den Großteil der Bevölkerung ja nicht so, dass er einfach in die Stadt ziehen konnte, dafür brauchte man das Bürgerrecht. Das konnte man überwiegend entweder kaufen oder durch Einheirat erwerben, Stadtmenschen waren also Privilegierte. Das wurde ja erst im 19. Jahrhundert nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches aufgeweicht, aber meines Wissens wohnte noch im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts, als die erste große Stadtfluchtwelle der jüngeren Zeit einsetzte, immer noch ein Großteil der Bevölkerung auf dem Land. Die Geburtenraten waren gerade nach 1870/71 zudem derart astronomisch, dass man davon heute nur träumen kann, und dies die Bevölkerungsbewegungen wohl weitgehend kompensieren konnte.

    Der Bruch und die Suburbanisierung konzentrierte sich – interessanterweise in den USA ebenfalls – auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und das anschließende dritte Viertel des 20. Jahrhunderts. Eine Ursachensuche fällt mir recht schwer, in den USA waren es angeblich vor allem die Rasseunruhen der 1960er Jahre, die die weiße Oberschicht wie einen Schock trafen und aus den Großstädten trieben. In Deutschland sind die Großstädte mit ihren Altstädten und über Jahrhunderte gewachsenen, fein in Funktionalität und Nutzung austarierten Strukturen oftmals völlig zerstört worden, der Wiederaufbau erfolgte ausnahmslos nach funktionalen Maßstäben und in ebensolcher Architektur. Der damalige Städtebau erhob die Stadt zu einem durch das Auto zu erschließenden Gebilde aus Funktionsbauten, die man für die Arbeit oder zum Einkaufen besuchte, aber dann abends ebenso wieder verließ, um im Reihenhäuschen bestenfalls am Stadtrand, häufig aber auch auf dem Land unterzukommen. Eventuell spielte auch die bleierne Schwere des Kalten Krieges eine Rolle, in der die allgegenwärtige Angst vor einem Atomkrieg mit den Großstädten als Primärzielen diese zumindest psychologisch abwertete.

    Paradoxerweise war in dieser Zeit, als die ländlichen Regionen in Folge der Suburbansierung nicht die Probleme von heute hatten, die Bausubstanz kaum besser dran als heute. Den Denkmalschutz gab es vor 1975 de facto nicht, in den alten Bundesländern wurde im Zuge des Wirtschaftswunders möglichst viel abgerissen und neu gebaut (welches Dorf hat keine abartige Sparkasse aus der Zeit 1950–1975?) oder zumindest kaputtsaniert, in der DDR fehlt noch mehr als in den Großstädten das Geld, um irgendetwas zu erhalten.

    Was den nun vielleicht bestenfalls 20 Jahre jungen Trend zurück in die Stadt ausgelöst hat, ich weiß es nicht so Recht. Uneingeschränkt würde ich erbse nicht Recht geben, dass das Leben in der Stadt in fast allen Belangen attraktiver sei als auf dem Land respektive Dorf. Hier in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] macht ein Club nach dem anderen zu, es gibt bald nur noch Großraumdiscos mit entsprechendem Publikum. Passt irgendwie nicht dazu, dass die Stadt selbst in den gerade mal knapp 10 Jahren, die ich jetzt hier wohne, jedes Jahr mehr zunehmend von Zuzüglern geradezu überrannt worden ist und momentan aus allen Nähten platzt. Und wir sind noch nichtmal Berlin. Leerstand gibt's hier keinen, stattdessen statt alter Traditionsgeschäfte und -restaurants immer mehr Schickeria-Läden aller couleur und Restaurant-Ketten.

    Ich sehe rein objektiv bis auf die massive Zusammenballung von verschiedensten Menschen, die freilich für viele die wahre Attraktivität der Großstadt ausmacht, wenig strukturelles, was man nicht auch auf dem Land haben könnte. Vermutlich dreht sich der Spieß in einer Generation wieder um, wenn ein Großteil der jungen Leute, die jetzt in der Großstadt geboren werden und aufwachsen, davon die Schnauze voll hat und aufs Land zieht.

    Problem war halt, dass das Ding unddicht war, typischer (AFAIR) 1960er Jahre-Mist halt. Es wurde angeblich zumindest eine Kostenschätzung einer Wiederherstellung des historischen Dachs vorgenommen, die sich auf die bereits angesprochenen ungefähr 20 Millionen Euro belief. Wir alle wissen, dass man da bei öffentlichen Bauprojekten nochmal 50 % draufschlagen darf. Dem gegenüber standen meines Wissens rund 2 Millionen Euro, die jetzt die Flachdachsanierung gekostet hat.

    Problematisch bei dem Dach ist ja, neben der sehr aufwändigen Konstruktion mit den Ecktürmchen, dass sogar erhebliche bildhauerisch bearbeitete Partien in Form der Blendgiebel oberhalb der Mittelrisaliten auf der Ost- und Westseite zu rekonstruieren wären (hier auf einer zeitgenössischen Aufnahme mit der Ostseite gut zu sehen, im Vergleich der heutige Zustand). Das schlimmste ist eigentlich, dass diese mindestens noch 1946 vorhanden waren und offenbar beim Aufbau des ersten Nachkriegsdaches (das immerhin noch ein Walmdach war) nachträglich beseitigt worden sind.

    Naja, die Tatsache dass so Perlen wie Osterwieck verkommen hat meines Erachtens eher etwas mit der Urbanisierung und Stadtflucht zu tun. Die Wohnraumprobleme in praktisch allen deutschen Großstädten, während sich Mittel- und Kleinstädte selbst in besseren Lagen bestenfalls in Schlaf-, häufig aber in Geisterstädte verwandeln (das kann man mittlerweile schon 30 km von [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] beobachten) legen Zeugnis davon ab. Natürlich gibt es auch Nebeneffekte eines halben Jahrhunderts Eiserner Vorhang, Stichwort Zonenrand, Stichwort Städte mit US-Militärpräsenz, wo immer gewisse Viertel von, sagen wir mal vorsichtig, geprägt worden sind (hier in der Region z. B. das Frankfurter Bahnhofsviertel oder die Friedberger Kaiserstraße).

    Wobei man es ja schon als positiv bezeichnen kann, dass Städte wie Dresden oder [lexicon='Leipzig'][/lexicon] wieder wachsen oder die Abwanderung anderswo zumindest mittelfristig gestoppt ist, so dass die neuen Bundesländer nicht mehr so krass ausbluten wie in den 1990er Jahren. Aber wie gesagt, das ist lange schon ein gesamtdeutsches Problem geworden. Wenn man durch Mittel- und Nordhessen mit seinen zahllosen trotz Jahrzehnten BRD gut erhaltenen Fachwerkstädten fährt, wird einem anbetrachts des Altersdurchschnitts auf den Straßen wirklich Angst und Bange, was da noch auf uns zukommt. Wenn man einen solchen Blick in die Zukunft schon heute mal voll auf die Fresse haben will, muss man bloß angucken, was in Altenburg in Thüringen, einer im Krieg völlig unbeschädigten Stadt seit der Wende (nicht davor!) alles weggerissen worden ist – Zittau ist ein Witz dagegen.

    Nichts für ungut, aber man kann auch dramatisieren. Wenn man manche Kommentare hier liest, könnte man meinen, die Stadt wäre abgebrannt. Natürlich ist das Museum eine dumme, unnötige und typisch niedersächsisch-provinzielle Bausünde. Aber das Ding steht am äußersten Rand der Altstadt am Ende einer Ausfallstraße, beeinträchtigt praktisch keine Sichtachse und es wurde dafür auch nichts abgebrochen. Gerade im Harzraum im weitesten Sinne gibt es so ungefähr 1001 vom Abriss bedrohte wertvolle Gebäude, um die ich mir mehr einen Kopf machen würde als um diese Aktion hier.

    Disneyland ist nach meinem Empfinden ein Anglizismus für die hierzulande noch recht geläufigen „böhmischen Dörfer“, also eine Architektur, die funktionslos, ohne „etwas dahinter“, überwiegend nur der Dekoration dient. Sowas wie in Elbing mag Geschmackssache und für den ein oder anderen wie mancher Auswuchs der Postmoderne gar Kitsch sein, aber ganz sicher kein Disneyland.

    Die Problematik in der Planung von altstadtgerechten Bauten ist heute, dass ein Architekt ein Gebäude aus den Nutzungsanforderungen, vom Bauherren geforderten Nettogeschossflächen und den daraus hergeleiteten Grundrissen entwickelt und die Fassade als zweitrangig angesehen wird. Die genannten Kriterien waren bei historischen Bauten zwangsläufig völlig andere als heute, da z. B. Dielenfleet und Speichergeschosse ihre Bedeutung völlig verloren haben und überwiegend bis unter das Dach gewohnt wird. Einen Gewölbekeller will bis auf Weinliebhaber auch keiner mehr, man will gerade in einer zugeparkten Altstadt eine Tiefgarage. Auch wird nicht mehr akzeptiert, dass sich die Deckenhöhen in der horizontalen Staffelung eigentlich zwangsläufig verjüngen müssen.

    Andererseits stehen die historischen Häuser in Lübeck, die eben diese Merkmale aufweisen, die Gewölbekeller, die unausgebaute Dachgeschosse und keine Parkmöglichkeit haben, die níedrige Geschosse für einstige Bedienste direkt unter dem Dach aufweisen, bekanntlich nicht leer. Entsprechend läuft alles auf ein dogmatisches bzw. städtebauliches Problem zu: ist man bereit, von den oben genannten Anforderungen wie maximale Ausnutzung der Grundrisse oder einheitlichen Stockwerkshöhen zugunsten des Stadtbildes abzurücken, oder ist man es nicht?

    Verkaufen oder vermieten lassen sich sicher auch moderne Wohnungen mit uneinheitlichen Stockwerkshöhen, unter einer Dachneigung oder ohne eine direkte Parkmöglichkeit. Solange die Stadt Lübeck aber ohne scharfe Gestaltungssatzungen Parzellen in dieser Lage an Investoren verhökert, ist es in gewisser Weise nachvollziehbar, dass diese im Sinne der Gewinnmaximierung sowas hochziehen lassen.

    Vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag, frank1204. Man ist wirklich hin- und hergerissen, wenn man sieht, was die letzten Jahre in Lübeck im Altstadtbereich gebaut wurde, sind die jetzigen Neubauten in Relation betrachtet ein gewisser Schritt nach vorne. Alleine das Einhalten einer Giebelständigkeit und vernünftige Dächer, selbst wenn sie durch Lichtschlitze so entstellt sind wie hier, sind ja eine ganz andere Hausnummer als der Trash, den man dort bisher vorfand und vorfindet (v. a. Mengstraße) und in Gewerbeviertel-Manier ohne jeden Respekt für Fluchtlinien einfach zwischen die Reste der Altbebauung gesetzt wurde.

    Andererseits darf man halt auch nicht die Vorkriegsbilder anschauen respektive bedenken, was für Chancen da mal wieder verschwendet wurden. Selbst bei der offenbar in Lübeck nicht durchsetzbaren Rekonstruktion wäre hier eine Gestaltungssatzung bitter nötig, die etwa ordentliche Fenster oder das von dir angesprochene Absetzen von Einzelbauten durch unterschiedliche Materialwahl vorschreibt. Auch die Anordnung der Fenster ist einfach unter aller Kanone. Der Drill an den Architekturschulen muss echt einer nordkoreanischen Gehirnwäsche gleichen, dass man danach dann so autistisch ist, einfach ein (hier zu sehendes) Bürohochhaus-Raster in eine Altstadthaus-Kubatur zu klatschen.

    Wie soll denn über der Glaskuppel ein Cafe entstehen, ohne massiv in die Substanz bzw. Lichtführung einzugreifen? :wie: Bei Anbau werde ich ja auch gleich reflexartig misstrauisch. Insgesamt natürlich gut, dass sich etwas tut, aber dieses Gebäude ist von der Erhaltung ein echtes Museumsstück, es gibt es kein zweites Kaufhaus in Deutschland aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, das so gut überliefert ist, und so sollte es auch behandelt werden.

    Kann man doch problemlos im Satellitenbild erkennen, dass da in den Traufgang zwischen VHS und Melanchthonhaus eine Hundehütte in Ekeloptik mit anschließendem Neubau zur Pforzheimer Straße in ebenso abartiger Architektur gestellt wurde. Aber mein Gott, wir sind in BaWü, wen wundert da noch irgendwas.

    Komischerweise findet man auf der Webseite der Stadt Bretten erstmal gar nichts mehr zum Hebererhaus. Eine Suche ergibt dann im französischsprachigen (!) Tourismusteil der Webseite folgendes:

    Zitat

    La maison classée monument historique fut presque complètement détruite par une incendie en Septembre 2007. Dans l’entre-temps le bâtiment fut déblayé. Sur le site on veut construire un bâtiment neuf d’après l’exemple historique.

    Was man sich darunter vorzustellen hat, bleibt freilich offen. Die Tatsache, dass es im Tourismusteil zu lesen ist, deutet für mich darauf hin, dass es zumindest eine äußerlich vom Original kaum zu unterscheidenen Rekonstruktion sein dürfte (die wohl nur aus den üblichen dogmatischen Gründen nicht als solche bezeichnet wird).