@ Heimdall
Manchmal kommt einem halt schon der Frust durch, wenn ein komplexer Zusammenhang von einem "pfiffigen" Journalisten auf einen Halbsatz mit Halbwahrheit komprimiert wird und man dann im Kreuzfeuer der Kritik landet. Normal trage ich das auch mit Fassung, da aber dieses Forum eine andere Qualität hat (das war jetzt ein Lob an die Forumsmitglieder :-)), habe ich mich aus der Deckung gewagt.
Die Hoffnung, daß Plauen und seine Verwaltung wieder wächst, wird sich nicht erfüllen. Wir haben aufgrund der Kassenlage (Stichwort Landesbank-Pleite) von 1990 bis 2010 über ein Drittel der Verwaltung abgebaut, der Verlust der Kreisfreiheit 2008 erfaßte allein 180 Mitarbeiter. Geplant war das Rathaus tatsächlich für 200.000 Einwohner, aber der erste Weltkrieg beendete schlagartig die Boom-Situation. Natürlich füllte die sozialistische Bürokratie das Haus locker, denn das Credo hieß damals ja "Vollbeschäftigung. Koste es, was es wolle". Zurzeit haben wir große Teile des Rathauses an den Landrat vermietet, aber wenn der Umbau des ehemaligen Tietz-Kaufhauses (es war übrigens der Probebau für das KaDeWe) zum Landratsamt mal fertig ist, ziehen die alle aus. Genau genommen brauchen wir den Bau gar nicht, denn den Ratssaal könnte man auch durch Umbau eines Zwischenflügels woanders unterbringen und dann bleibt nur noch der Eingang - ausgerechnet an der topografisch kritischsten Stelle.
Plauen wird auch nicht mehr wachsen, sondern weiter schrumpfen. Prognose: 50.000 Einwohner. Zuzüge und Wegzüge halten sich seit Jahren die Waage aber den Sterbeüberschuß von 500/Jahr gleicht nichts aus. Da überwiegend junge Leute wegziehen (nach der oder wegen der Ausbildung) und vor allem ältere zuziehen, wird sich langzeitorientiert die demographische Situation weiter verschärfen.
Wenn man die historische Fassade wieder erstellen will, muß man auch die Dachlandschaft historisch getreu erstellen, und genau die verursacht die überdimensionierte Kubatur. Und eigentlich gehört dazu auch die historisch korrekte Innenarchitektur, denn die war noch prägnanter als die Fassade, die sich so oder ähnlich bei vielen deutschen Gründerzeit-Rathäusern findet. Und da ist man dann schnell bei 20 Mio. Baukosten und mehr.
Es gibt aber noch einen besonderen historischen Aspekt, den zu recht der Altbürgermeister angemahnt hat: Der Grundstein zur deutschen Einheit und zu einer neuen Europa-und Friedenspolitik wurde am 7. Oktober 1989 in Plauen gelegt. An diesem Tag war in Plauen die erste Großdemonstration, vor der die Staatsmacht letztlich kapituliert hatte, und damit begann die Wende, die mit der Demonstration der 70.000 in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] zwei Tage später umumkehrbar wurde. Und die Stützmauer des jetzigen Rathauseingangs markiert genau diese Trennlinie zwischen der Staatsmacht und den 15 bis 20 Tausend Demonstranten. (siehe http://www.wendedenkmal.de) Es gibt also einen authentischen Ort für diesen wichtigen Teil der deutschen Geschichte. Der wird jedoch dem Rathausneubau komplett zum Opfer fallen, da die alte Architektur vollständig abgebrochen werden soll. Und das gerade einmal ein viertel Jahrhundert nach dem Ereignis selbst. Historisch gesehen gab es das eigentlich - von Kriegen abgesehen - nur noch einmal zur französischen Revolution 1789, das authentische Orte kurz nach dem Ereignis absichtlich zerstört wurden.
Und um die Diskussion zu befeuern noch ein paar Gedanken zur jetzigen "gläsernen" Lösung. Zu ihrer Zeit (Anfang der 70er Jahre) war sie für die DDR und den damaligen "sozialistischen" Baustil (siehe Henselmann und andere) geradezu revolutionär. Es gab ja zeitgleich einen Architekturwettbewerb zur Umgestaltung des gesamten Stadtzentrums nach sozialistischen Vorstellungen - gottseidank nie umgesetzt. Natürlich ist die Fassade durch den Verschleiß und die Billig-Ausführung schlichtweg potthässlich, aber wie würden wir diskutieren, wenn uns Daniel Libeskind mit wenigen Änderungen eine aktuelle Glaslösung vorschlüge, die sich nur marginal von der jetzigen unterscheidet? Interessanterweise hat die Landesdenkmalbehörde festgestellt, daß Plauen das einzige deutsche Rathaus hat, das geschickt/harmonisch(?) drei sehr prägnante aber reine Baustile in sich vereint und daher als Ensemble schützenswert ist. Es wäre durchaus lohnenswert und herausfordernd gewesen zu prüfen, ob man nicht einen Weg findet, die jetzige Architektur von ihrer Idee her zu erhalten, aber konsequent alle konzeptionellen und architektonischen Mängel außen und innen zu beseitigen. Also eine Mischung aus Rekonstruktion und Neubau. Abreißen und einfach was Neues hinstellen kann jeder. Ich fand es jedenfalls schade, daß sich keiner der Wettbewerbsteilnehmer dieser spannenden Herausforderung gestellt hat, obwohl die Ausschreibung dies zuließ, weil es der Stadtrat ausdrücklich so wollte. Auch die Bürgermeinung hat sich mehrfach gewandelt: Am Anfang gab es ein breites Voting für den historischen Nachbau, dann hat man mehrheitlich den jetzt vorgesehenen Entwurf als beste Lösung gesehen. Es gab aber auch ein breites Spektrum, die das jetzige Vorhaben als zu teuer kritisieren und zum Ausdruck bringen, daß sie nicht grundsätzlich gegen eine gläserne Lösung sind sondern nur gegen die Qualität der jetzigen Lösung.