Hi,
als Orts- und Nikolaikirchkundiger, der mehr durch Zufall auf diese Seite und diesen Thread gestoßen ist, muss ich trotz der sehr schönen Bilder und der gut zusammengefassten Wiederaufbaugeschichte der Nikolaikirche einige Anmerkungen machen:
1. Die Pultdächer, die kleinen Dächer nördlich und südlich am Turm, und das sanierungsbedürftige Dach des Südanbau (Sakristei, Vorhalle und Südkapellen, nach der Zerstörung in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg errichtet) sind nicht Bestandteil der aktuellen Baumaßnahme. Die Pultdächer sind aber Bestandteil eines aktuell laufenden Fördermittelantrags bei der Pomerania (Entscheidung im Februar 2011?), die dem Zweck der Wiederherrichtung des Turmes mit einer Turmspitze und einem Innenausbau ähnlich wie im Anklamer Steintor (Museum im Steintor) dient, während für das Dach des Südanbaus noch eine Lösung gesucht wird.
2. Das neue Dach beinhaltete in einer frühen Planung direkt nach der Fördermittelzusage des Landes jeweils zwei waagerechte Lichtbänder auf der Nord- und Südseite und eine teilweise verglaste Fläche an des Ostseite (Chor), die für die zukünftige Nutzung mit einer kulturellen oder musealen Zielstellung eine natürliche Lichtquelle geboten hätte, wie man sie auch in anderen Museen, die nach dem 2. Weltkrieg restauriert wurden, findet (z.B. Bodemuseum o.Neues Museum in Berlin). Inspiriert wurden die Glasflächen auch durch das Notdach (1995/96 - 2010), das senkrechte lichtdurchlässige Dachplatten enthielt. Die Ideen für die Lichtbänder wurden dann im Laufe der weiteren Planung aus finanziellen Gründen (!) verworfen, so dass das neue Dach in einer dem Dach von 1945 angelehnten Form ohne Lichtbänder entstehen wird bzw. fast fertig ist.
3. Wie die Turmspitze und die Pultdächer nun endgültig aussehen werden, ist noch offen. Eine offene Turmspitze ist nichts Neues und findet sich in vielen wiederaufgebauten Kirchen wieder. Die gedrehte Spitze, wie man sie auf dem Bild von Schloßgespenst gut erkennen kann, nachzubauen, ist zum einen schwierig und sicher bei der Errichtung auch nach einigen Theorien nicht absichtlich erfolgt. Frühere Untersuchungen vor der letzten Restaurierungsmaßnahme von 1906-09 mutmaßten, dass die Drehung eher durch witterungsbedingte Verschiebungen im Dachstuhl der Spitze entstanden ist. Das der Teufel für die Drehung zuständig gewesen sein soll, entspricht zwar einer Sage aus Anklam, aber ihn beim Wiederaufbau einzubeziehen, halte ich für übertrieben.
Die offene Gestaltung und die teilweise Nutzung der Turmspitze als Aussichtsplattform, wie man sie in der Gedächtniskirche Rosow und der St. Jakobikirche in Stettin findet, gehört mit zum Gesamtkonzept einer kulturellen und musealen Nutzung der Nikolaikirche unter dem Schlüsselwort 'Ikareum' (IKARus + musEUM). Beispiele für eine komplette Umnutzung der Kirche findet man zum Beispiel in der Neubrandenburger Konzertkirche. Wichtig und somit ein Ziel der gesamten Planung bleibt dabei aber, die Kirche in der äußeren Erscheinung und ihren Abmessungen so gut wie möglich an ihren historischen Ursprung anzunähern.
Abb. 1: Gedächtniskirche Rosow, 27.06.2010
4. Die Nikolaikirche wurde am 02. Oktober 2004 im Rahmen eines Stadtfestes für 99 Jahre + 50 Jahre Option in die Verantwortung der Hansestadt Anklam übergeben. Der Grund dafür: Die kleine evangelische Kirchengemeinde ist mit der älteren Marienkirche und der in 1950-er Jahren erbauten Kreuzkirche mehr als ausgelastet und war sicher auch froh, die zweite große Stadtkirche zum zweiten Mal in ihrer über 700-jährigen Geschichte in die Hände der Stadt zu übergeben.
5. 2004, 2009 und 2010 sind zehn neue Fenster eingebaut und eingeweiht worden:
- 2004, das Nikolausfenster nach Vorbild des 1909 gefertigten und 1943 beim ersten Bombenangriff auf Anklam zerstörten Bleiglasfensters mit gleichem Motiv und Namen - eingebaut in der Nikolauskapelle (östliche der beiden Südkapellen)
- 2009, ein Gedenkfenster zur Erinnerung und zur Mahnung an die Zerstörung der Stadt und der Nikolaikirche im 2. Weltkrieg und an die vielen Opfer - eingebaut in der westlichen der beiden Südkapellen
- 2009 u. 2010 acht farblose Fenster, davon drei Fenster (Südseite) mit Fensterscheiben mit sandgestrahlten Schriftzügen einer Spendenaktion des Förderkreises Nikolaikirche Anklam e.V.
Abb. 2: Nikolausfenster (*2004, Fertigung durch Glasgestaltung Altlandsberg)
Abb. 3: Gedenkfenster (*2009, Fertigung durch Glasgestaltung Altlandsberg)
6. Ein Großteil der verbliebenen Fresken, vor allem in den Jochbögen, wurden mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, teilweise mit Netzen und teilweise durch Restaurationsarbeiten vor der weiteren Zerstörung gerettet. Parallel zur gerade zu Ende gehenden Dachbaumaßnahme wurden 2010 nochmals Bestandsaufnahmen der Fresken vorgenommen und sollten somit eine gute Grundlage für weitere Sicherungsmaßnahmen bilden.
Abb. 4: Nikolaikirche vom 24.01.2011
Abb. 5: Nikolaikirche vom 24.01.2011
Inzwischen waren die Nord- und die Südseite des Daches fast vollständig gedeckt und die Verschalung des Chores fast abgeschlossen.
MfG LaSt
Quellen:
Abbildungen 1 - 3: Förderkreis Nikolaikirche Anklam e.V.
Abbildungen 4 u. 5: eigene Fotos
Änderungen wg. später gefundener Schreibfehler notwendig... Man sollte solche Schreibarbeiten halt nicht am frühen Abend machen