Ihr bringt es auf den Punkt, Philon und Heimdall: Ging es in den Nachkriegsjahrzehnten noch darum, der Verdrängungsmentalität der Wirtschaftswundergeneration eine Auseinandersetzung mit der vorausgegangenen katastrophalen deutschen Geschichte abzutrotzen, läuft in unserer Zeit das Unheil längst in entgegengesetzter Richtung. Indem eine Gedenkstätte des Naziterrors nach der anderen eröffnet wird, indem in Publikationen und Medienbeiträgen die zwölf Jahre der Naziherrschaft immer neu bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet werden, indem alles Kunstschaffen der "Moderne" sich vor dem Hintergrund des Nazi-Ungeistes zu profilieren versucht (natürlich stets mit hochmoralischem Sich-in-die Brust-Werfen: "Damit so etwas n i e wieder passiert!"), gelingt es den hinter der zeitgenössischen Meinungsmache agierenden Mächten, im öffentlichen und möglichst weltweiten Bewusstsein eine über tausend Jahre währende deutsche Geschichte auf die zwölf Jahre der Nazizeit zusammenzudampfen. Und alle vorausgehenden Entwicklungsepochen fallen entweder der Unkenntnis anheim oder sie werden als Entwicklungsstadien verstanden, welche die Katastrophe des 20. Jahrhunderts vorbereitet und mitverschuldet haben. Soll denn diesem Volk, das von manchen Zeitzeugen ein "gekreuzigtes Volk" genannt wurde, auch noch der letzte Rest von Selbstachtung und damit seine Seele genommen werden?
Wundern wir uns, dass in diesem Volk eine Architektur, die diesen Namen verdient, kaum noch gedeihen kann? Wie recht hatte Ludwig Wittgenstein mit seinem Diktum, Architektur könne es nur da geben, wo "es etwas zu verherrlichen gibt"! Wenn wir Deutschen uns nicht bereit finden, aufs neue den Großtaten der deutschen Geschichte, den Schöpfungen der Kunst (einschließlich der Architektur), des Städtebaus, der Literatur, der Musik, der Philosophie und der Wissenschaft Aufmerksamkeit und Respekt entgegenzubringen, wird es hierzulande keine Architektur der Zukunft geben.
Lernen wir wieder das "Rühmen" (im Rilkeschen Sinne), die Verehrung, die Liebe auch zum eigenen Volk, zu den Monumenten seiner Geschichte, zu den Werken seiner genialen Geister. Seien wir nicht bang, von den Meinungsführern der "Moderne" verhöhnt zu werden. Nur wenn aus diesen Voraussetzungen heraus auch in diesem Land eine Architektur der Zukunft möglich und erlebbar wird, die im Dialog mit dem Architekturschaffen einer tausendjährigen Geschichte steht, wird unser Volk überhaupt eine Zukunft haben.