Beiträge von ulgemax

    ihr lieben,

    ich muss sagen, dass ich euer geschimpfe völlig unangemessen finde. die schlacht ist geschlagen, und aus sicht der mehrheit in diesem forum hier verloren. wenn man sich nun den staub von den schultern klopft und sich auf das resultat einlässt, wird man vielleicht, trotz grundsätzlicher bedenken, das geschaffene auch mit freude erleben können. ich habe das neue museum am wochenende unvoreingenommen besichtigt, und ich kann euch nur sagen: das ergebnis ist atemberaubend. hier wurde mit sehr großer sorgfalt gearbeitet, sowohl was die handwerkliche qualität anbelangt als auch was die ernsthaftigkeit des umgangs mit der ruine betrifft. wer immer sich auch eine totalrekonstruktion gewünscht hätte - bitte schön, über die grundsätzliche herangehensweise dieses projekts lässt sich natürlich streiten und auch über die im einzelnen getroffenen entscheidungen. aber hier von mist zu reden ist wirklich völlig daneben: fahrt mal raus an eure stadtränder, in die baumärkte und fertigteilhäuser, dann könnt ihr solche fäkalvokabeln in den mund nehmen. enttäuschend, weil doch reichlich neutral und dem erzählerischen ansatz stülers so gar nicht folgend - dieser hätte in meinen augen durchaus inspirierend wirken können -, fand ich die ausstellungsräume im neuen nordwestflügel. aber besucht im herbst das museum selbst und seht es euch mit eigenen augen an, dann werdet ihr euer urteil sicher mildern, wenn nicht revidieren müssen. noch einmal: es ist legitim, über das projekt grundsätzlich zu streiten, aber der leistung sowohl der planer als auch der handwerker gebührt allemal respekt.

    Zitat von "ulgemax"

    den eiermann-bau abreissen? das ist wohl kein vorschlag, der diesem forum hilft, ernst genommen zu werden. es gibt immerhin eine gemeinde, die sich wohl kaum unter freiem himmel zum gottesdienst versammeln mag, und, wer weiss, vielleicht gibt es sogar das ein oder andere gemeindemitglied, dem das ensemble aus historismus und nachkriegsmoderne auch eine spirituelle heimat ist. der in blaues licht getauchte innenraum lohnt durchaus mal einen besuch. da gibt es andere gebäude aus jener zeit, die das stadtbild verunzieren.

    warum sollte die gemeinde ihre kirche abreissen? ihr fantasiert doch.

    noch zwei anmerkungen: in der tat war die kwg kein meilenstein des kirchenbaus in europa, gleichwohl aber ein politisch hoch interessanter bau, sozusagen der höhepunkt des protestantismus als preußische staatsreligion. mit schwechtens rückgriff auf das vokabular der romanik demonstrierte der kaiser unmissverständlich seinen anspruch, in der tradition des deutschen kaisertums jener zeit gesehen zu werden. zusammen mit den beiden romanischen häusern auf der ost- und westseite des breitscheidplatzes wäre das, so es denn erhalten wäre, ein hoch interessantes ensemble und ein sehr viel sprechenderes denkmal des kaisers als, sagen wir, das denkmal am schloss es war. vielleicht - hier aber kann ich nur spekulieren, in diese materie habe ich mich nie vertieft - war eben dieses explizit kaiserliche dann aber auch der grund für die evangelische kirche, das gebäude nicht wiederaufzubauen, um diese durchaus nicht unproblematische traditionslinie zu kappen und sich als institution unabhängig vom staat zu zeigen.

    @ erbsenzähler: auch dem möchte ich widersprechen: die umbauung des breitscheidplatzes muss man fraglos nicht goutieren, die situation zeigt aber ganz vortrefflich die unterschiede des wiederaufbaus im ost- und westteil der stadt: während vom marx-engels-forum bis zum strausberger platz ohne rücksicht auf private interessen quasi ein neues zentrum aus einem guss geschaffen wurde, mussten sich die planer in der city west mit einer starken privateigentümerlobby auseinandersetzen. man vergleiche nur die utopischen entwürfe des wettbewerbs von 1948, bei dem die meisten beiträge quasi eine völlig neue stadtstruktur vorschlugen, in der allenfalls noch die lage der stadtbahn daran erinnerte, dass es eine vorgeschichte gab, mit dem realisierten: die normative kraft des faktischen hat sich allen utopien widersetzt. diese zähigkeit von besitzstrukturen, der unterschied der stadtplanung nach dem zweiten weltkrieg in ost und west unter den bedingungen der verschiedenen politischen und ökonomischen systeme, lässt sich kaum irgendwo in berlin ähnlich deutlich nachvollziehen wie bei diesem vergleich. und was sollte denn anstelle des zoobogens rekonstruiert werden? die 20er jahre moderne von poelzig? zweifellos ein starker bau, aber angesichts des bilderstürmerischen anspruchs jener zeit doch ein etwas abwegiger gedanke, oder? und ob die hochhäuser, die nach dem abriss des schimmelpfeng-hauses kommen, die situation verbessern, wage ich doch sehr zu bezweifeln.

    @schlossgespenst: egon eiermann ist 1970 gestorben, hat sich also bereits selbst erledigt ;) die kwg war damals übrigens ebenso viel oder wenig ein altbau, wie es der eiermann-bau heute ist: 1895 fertig gestellt, zählte sie zum zeitpunkt des wettbewerbs gerade 60 lenze.

    ob so beabsichtigt oder nicht, ist doch nicht so wichtig: eiermann wollte abreissen, die bürger wollten die ruine behalten, herausgekommen ist ein kompromiss. und dieser wirft doch ein erhellendes licht darauf, dass nach den rabenschwarzen zwölf jahren von terror, diktatur und krieg plötzlich bürgerschaftliches engagement ernst genommen wurde und auf eine solche planung einwirken konnte. ob das unseren heutigen persönlichen geschmack trifft oder nicht, sei dahin gestellt - die stadt braucht solche erzählenden situationen, an denen eltern ihren kindern das werden und vergehen der zeit und des menschenlichen wirkens zeigen können. wie öde stünde im vergleich dazu doch der ruinöse turm alleine, nur vom ende und vom tod kündend, nicht vom neubeginnen und von der bedeutung des gesprächs.

    den eiermann-bau abreissen? das ist wohl kein vorschlag, der diesem forum hilft, ernst genommen zu werden. es gibt immerhin eine gemeinde, die sich wohl kaum unter freiem himmel zum gottesdienst versammeln mag, und, wer weiss, vielleicht gibt es sogar das ein oder andere gemeindemitglied, dem das ensemble aus historismus und nachkriegsmoderne auch eine spirituelle heimat ist. der in blaues licht getauchte innenraum lohnt durchaus mal einen besuch. da gibt es andere gebäude aus jener zeit, die das stadtbild verunzieren.

    das bedeutendste ensemble in diesem bereich der stadt war das graue kloster mit der klosterkirche der franziskaner, das bedeutendste gotische baudenkmal berlins, seit dem krieg als ruine dastehend. der kirche wenigstens ihr dach wiederzugeben, um die ruine für einen wiederaufbau langfristig zu sichern, wäre wohl einer größeren öffentlichkeit, ja selbst dem fachpublikum vermittelbar, da die ruine zu ddr-zeiten zwar als kriegsmahnmal etikettiert worden war, anders als ihr pendant im westteil der stadt, die kaiser-wilhelm-gedächtniskirche, nicht in einem neuen ensemble aufging und auch nie eine vergleichbare rolle in der wahrnehmung der stadt gespielt hat. vielleicht bringt die geplante rückkehr des grauen gymnasiums, immerhin die älteste höhere schule berlins, hier den nötigen schwung für eine neubewertung des status quo.

    lieber holländer,

    bei aller begeisterung für die reichshauptstadt möchte ich doch zu bedenken geben, dass berlin seine rolle als weltstadt nicht erst durch die kriegszerstörungen verloren hat, sondern bereits 1933 ff. mit dem auslöschen des kulturellen lebens und dem terror gegen seine bevölkerung. wo wir übrigens kürzlich vom flächenabriss sprachen: speer bereits liess das alsenviertel schleifen für hitlers germania-pläne.

    liebes schlossgespenst,

    flächenabrisse waren auch im westen ein gängiges werkzeug der stadtsanierung. man denke nur an die abrisse in der südlichen friedrichstadt für die geplante südtangente, der auch der gesamte bereich um den oranienplatz zum opfer gefallen wäre. man bedenke, dass hans scharoun 1947 den rückbau berlins zum mit wohnzellen durchsetzten spree-urstromtal vorgeschlagen hatte, und im vom westberliner senat 1957 ausgeschriebenen wettbewerb hauptstadt berlin lediglich einzelbauten wie das schauspielhaus am gendarmenmarkt oder das brandenburger tor als erhaltenswert eingestuft waren. im gleichen jahr entstand zur interbau das hansaviertel als tabula-rasa-projekt auf weitgehend neuem stadtgrundriss, nachdem selbst noch intakte bauten des quartiers (etwa die nordwestecke klopstockstraße/altonaer straße) abgerissen worden waren (dass das ergebnis wiederum etliche spitzenleistungen des berliner wohnungsbaus zeitigte - man nehme nur die häuser aalto, vago, jaenecke, bakema, schwippert...- steht auf einem anderen blatt). die abkehr von dieser planungsmegalomanie und die rückkehr der geschichte in die stadtplanung erfolgte im westteil erst mit der internationalen bauaustellung 84/87 (stichwörter behutsame stadterneuerung, kritische rekonstruktion).

    ihr lieben,
    ihr missversteht mich, wenn ihr mir eine pauschale herabsetzung des historismus unterstellt. der historismus des 19. jahrhunderts hat großartige leistungen vollbracht, nur zählt aus genannten gründen der berliner dom nicht dazu. wem der berliner dom trotzdem freude macht, dem gönne ich diese freude von herzen, aber eine diskussion auf der ebene - mir gefällt dieses und dir eben das - führt uns zu keiner weiter reichenden erkenntnis, welche uns für die gestaltung unserer gegenwart hilfreich sein könnte. was wir vom historismus lernen können, ist die damalige feier des öffentlichen raums: alle kraft zur straße bzw. zum platz, die eindeutige orientierung eines gebäudes zur wichtigsten seite, die gestaltung des straßen- und platzraums in allen details. aus dieser lust auf das gemeinsame, um es mal so zu nennen, ließe sich heute, wo der öffentliche raum weitgehend zur nutzung für den privaten pkw verkommen ist, manches lernen, und zwar sowohl in der disziplin der stadtplanung als auch in der architektur, und daraus ließe sich für das gemeinwesen in weitestem sinne nur gewinn ziehen.
    aus dieser hinwendung zum öffentlichen speisen sich die architektonischen errungenschaften des historismus: die bandbreite der öffentlichen bautypen, die in jener zeit quasi aus dem nichts heraus entwickelt und für die stadt nicht nur verträglich integriert, sondern zu ihrer steigerung gestaltet wurden: die bahnhöfe und markthallen, die museen und bibliotheken, die gerichts- und verwaltungsgebäude. wir sehen den klassizisten durand in seiner entwurfslehre noch daran scheitern, diese neuen öffentlichen gebäude auch funktional zum klingen zu bringen, aber den nachfolgern - man nehme nur labrouste - ist dieses dann mit jahrzehnte gültigen lösungen gelungen.
    der hinwendung des historismus zur säkularen welt der metropole entspricht die gleichzeitige schwäche des sakralbaus geradezu folgerichtig, und dies lässt sich an den berliner kirchenbauten des späten 19. jahrhunderts studieren.

    bitte sehr: "baukunst ist der räumliche vollzug geistiger entscheidungen" (ludwig mies van der rohe), nicht das prunksüchtige anhäufen von einzelelementen, ohne, dass damit einer raumidee gedient wird. der raschdorff-dom zeigt genau diesen krämergeist, daher auch kerrs damaliger spott, dass am lustgarten ein neues kaufhaus eröffnet habe. pantheon und parthenon verkörpern idealtypisch die polaren grundideen des architektonischen raums, und deswegen bewundern wir sie, ebenso wie andere, auf ähnlich konzeptuelle weise einer raumidee verpflichteten bauwerke (die stereometrie der romanischen dome, die in farbe und licht aufgelösten kathedralen der gotik, die idealgeometrien der renaissance-villen...) noch heute. das beweist, dass ideen zeitlos sind, weshalb der heute so viel strapazierte begriff der innovation im reich der baukunst eine untergeordnete rolle spielt. die architektur unserer zeit krankt wie die architektur des wilhelminismus an einer bevorzugung des einfalls gegenüber der idee, gepaart mit der prunksucht der innovation (damals des ornaments).

    natürlich kommt ein abriss des krümelmonsters nicht ernsthaft in frage. aber so, wie es in der architektur des 20. jahrhunderts - und nicht zuletzt in berlin - neben einigen wenigen ganz hervorragenden architekten und architekturen eine große zahl harmloser epigonen und leider auch viele missgriffe gab, gab es dieses auch in vorherigen zeiten. ich halte es mit oktavian: historische förmchen allein ergeben noch keine große baukunst. im grunde sind doch sämtliche kirchen des ausgehenden 19. jahrhunderts in berlin künstlerisch wertlos.

    danke für das foto der dorotheenstädtischen kirche, das ist eine seltene ansicht dieser situation. mit dem fortzug der US-amerikanischen botschaft besteht jetzt immerhin hoffnung, dass sich dieser bereich neu belebt. die sprengung erscheint ebenso sinnlos wie jene des anhalter bahnhofs, an dessen stelle auch nichts neues entstand.

    der grund für die begeisterung diesem bauwerk gegenüber verschlägt mir immer wieder die sprache. der berliner dom ist doch das hässlichste, unproportionierteste gebäude der ganzen stadt, ein ästhetischer terrorangriff auf das alte museum und die alte nationalgalerie. als dieses krümelmonster seinerzeit fertiggestellt wurde, ziehen es die zeitgenossen als kaufhausarchitektur, während der neubau von messels warenhaus wertheim in der leipziger straße als eigentliche kathedralenarchitektur gerühmt wurde. in diesem sinne: rekonstruktion des schinkel-doms! tod dem krümelmonster!!

    na, das bauhaus kann man mit verlaub in diesem fall kaum dafür verantwortlich machen, dass der turm im bombenkrieg unterging und anschließend nur mit einem notdach vor dem weiteren verfall geschützt wurde. zu hoffen ist, dass der denkmalpflegerisch wertlose nachbau der schlossfassaden nicht alles bürgerschaftliche engagement auf sich zieht und damit der wiederherstellung authentischer historischer bauten wie der parochialkirche im wege steht.