City 2020: „Wir stehen in der Pflicht, Bedeutendes zu tun“
Lässt sich Urbanität planen? In Hannovers ambitionierten Zukunftsdialog City 2020 haben Experten aus [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und Hamburg, München und Zürich versucht, den gut 650 Besuchern Antworten zu geben.
Der Blick richtet sich nach [lexicon='Leipzig'][/lexicon]. In Hannovers Partnerstadt wird gerade ein neues Einkaufszentrum geplant. Es hat etwa die Dimension der hannoverschen Ernst-August-Galerie (gut 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, gut 200 Millionen Euro Investition), es liegt nahe am Hauptbahnhof der Messestadt, und es stammt vom Investor mfi, dem größten Konkurrenten des Handelsriesen ECE, der in Hannover gebaut hat.
Doch der Name „Höfe am Brühl“ lässt schon ahnen: Das Konzept ist ein anderes. Während bei Hannovers Galerie ein monolithischer Block von 30 000 Quadratmetern Grundfläche ein ganzes Areal dominiert, passen die Leipziger ihr neues Einkaufszentrum auf zwei Parzellen in den historischen Grundriss der Stadt ein. Im Inneren gibt es begrünte Höfe.
Das Einkaufszentrum hat nicht die üblichen zwei, sondern acht Zugänge zur Stadt, um einen regen Austausch zu ermöglichen. Jedes Geschäft im Erdgeschoss muss Türen zur City haben, damit angrenzende Straßen nicht verwaisen. Und in der vierten, obersten Etage gibt es Wohnungen mit Dachterrassen. In Hannover hingegen finden sich oben 1200 Parkplätze. Das Leipziger Einkaufszentrum ist – stadtplanerisch betrachtet – gewissermaßen das genaue Gegenteil von dem in Hannover.
Handel, Kultur, eine Kita, Wohnen, und das alles in einem Einkaufszentrum: „Es war nicht einfach, bei dem Investor die Bereitschaft dazu zu wecken“, sagt Martin zur Nedden. „Aber bei uns ist das Planungsrecht so ausgestaltet, da gab es kaum eine Alternative für ihn.“ Der gebürtige Hannoveraner zur Nedden ist seit einem Jahr Stadtbaurat von [lexicon='Leipzig'][/lexicon], und er erinnert sich genau, was an dem Tag passierte, als die Bilder von den oberen Wohngeschossen der „Höfe am Brühl“ in der Zeitung waren: „Es gab Anrufe von Bürgern, wann sie einziehen können.“ Nachfrage nach modernen Stadtwohnungen gibt es eben auch in [lexicon='Leipzig'][/lexicon]. Weil die Rendite bei Wohnungen aber nicht so hoch ist wie bei Büros, muss man die Investoren meist zum Wohnungsbau zwingen.
Mit solchen Problem kämpft nicht nur [lexicon='Leipzig'][/lexicon]. Das wurde beim mittlerweile dritten Forum des hannoverschen Zukunftsdialogs City 2020 deutlich, bei dem erneut die 400 Plätze im Auditorium des Sprengel Museums nicht reichten. Etwa 250 Besucher verfolgten daher die Fachvorträge vom Foyer aus über eine Leinwand, drei Stunden lang. „Der Blick von außen“ war der Abend diesmal überschrieben. Außer dem Leipziger Stadtbaurat waren seine Münchener Kollegin Prof. Elisabeth Merk, der Züricher Städtebaudirektor Franz Eberhard und der Hamburger Oberbaudirektor Prof. Jörn Walter gekommen, um in Hannover über ihre Erfahrungen und Probleme zu berichten.
Alle diese Städten experimentieren: mit Masterplänen und Stadtmodellen, mit Bürgerbeteiligungen und Expertenforen. Stets scheint es drei Kernfragen zu geben. Wie reagiert man darauf, dass der Handel mit der Krise von Kaufhäusern und inhabergeführten Geschäften zum Funktionsverlust der Städte beiträgt? Wie geht man mit den Bausünden der vergangenen Jahrzehnte um, die die Struktur der Städte teils zerstört und Gebäude hinterlassen haben, die schon nach wenigen Jahrzehnten dysfunktional sind? Und: Wie stärkt man das Wohnen in der Stadt?
Alle vier Beispielstädte haben mehr oder minder starre, meist von den Parlamenten beschlossene Quoten von 20 bis 30 Prozent der Baufläche, die in innerstädtischen Neubauprojekten für Wohnungen eingeplant sein müssen. Gäbe es so etwas auch in Hannover, würden bald vielleicht oben im neuen Kröpcke-Center, im Neubau auf dem Heutelbeck-Grundstück oder in anderen Innenstadtlagen Menschen wohnen – und die City beleben, auch wenn die Geschäfte gerade mal geschlossen sind.
Ob diese „Prozentarithmetik“ funktioniere, wollte Hannovers Baudezernent Uwe Bodemann von den Gastreferenten wissen. „Winkt man sich da nicht von Dachgeschoss zu Dachgeschoss zu?“, fragte er, und: „Wollen Menschen nicht eher in Quartierszusammenhängen leben?“ Hintergrund ist, dass Hannover derzeit über Wohninseln nachdenkt, komplette neue City-Wohnquartiere etwa auf dem Köbelinger Markt.
Eindeutige Antworten erhielt der Baudezernent nicht. „Dachwohnen, wie es in Südeuropa gang und gäbe ist, hat eine andere Qualität als das familiengerechtere Quartierswohnen“, sagte etwa Hamburgs Bauchef Prof. Walter, der aber einräumt, dass das Ziel, Investoren zur Berücksichtigung von Wohnetagen zu zwingen, auch in Hamburg nur „in 20 bis 30 Prozent der Fälle funktioniert hat“. Zürich dagegen scheint stärker durchzugreifen. Nur durch Wohnen in der Stadt entstehe Urbanität, sagte Baudirektor Eberhard. Später wurde etwa Breslau angeführt, wo die Uni mitten in der Stadt liegt, die dadurch „belebt ist bis Mitternacht“. In Hannover dagegen wandern immer mehr Hochschulinstitute in Randgebiete ab: nach Garbsen, Marienwerder oder aufs Expo-Gelände.
Einfache Lösungen, das wurde am Ende klar, hat noch keiner gefunden. Immerhin gab es manch charmantes Lob, etwa aus Zürich für Hannovers neuen Opernplatz („weitläufige Großzügigkeit, das möchten wir auch gerne haben“) oder aus Hamburg für Hannovers Rathaus oder das Nord/LB-Gebäude. Vor allem aber gab es den eindringlichen Appell, trotz aller Rücksicht auf das Bestehende auch Neues bei der Stadtgestaltung zu wagen.
„Wir stehen in der Pflicht, Bedeutendes zu tun“, sagte Hamburgs Oberbaudirektor Prof. Walter unter Applaus der Besucher. Dem gewachsenen Stadtbild mit Bedacht Prägendes hinzuzufügen, wie etwa in der Hafencity die neue Elbphilharmonie, das stehe „nicht in Konkurrenz zum Bestand, es kann ihn ergänzen“, sagte Walter und erinnerte: „Viele Generationen haben das über Jahrhunderte gemacht.“
Die Foren des Zukunftsdialogs Hannover City 2020 gehen am Mittwoch, 10. Dezember, 19 Uhr, im Sprengel Museum unter dem Titel „Nachkriegsmoderne weiterdenken“ zu Ende. Erstmals wird der Abend als Podiumsdiskussion gestaltet, Mitveranstalter ist die Bundesstiftung Baukultur. Der Eintritt ist wie immer frei.
von Conrad von Meding