Es gibt nur wenige Ausnahmen, bei denen das Moderne einen selbstständigen Anziehungspunkt erschaffen hat. Z.B. bei ikonischen Kulturbauten oder auch manchen Städten, deren Image und touristisches Interesse nun um Hochhäuser angesiedelt ist. Absehen von diesen Ausnahmen, muss die breite Masse an Stadträumen mit dem arbeiten, was sie hat, und dieses pflegen und erweitern.
Städte müssen ihr historisches Erbe pflegen. Sie müssen gleichzeitig aber auch Weiterentwicklung und Neues zulassen, um nicht zu einem ausschließlich touristischen Museum zu mutieren. Das passiert langfristig, wenn sich nur auf dem baulichen Erbe der Könige und Herzöge ausgeruht wird. Entscheidend ist eine räumliche Differenzierung. Zurückhaltende, stilsichere Neubauten, gar Rekonstruktionen und historische Platzgestaltung (oft zu Ungunsten des MIV) bilden eine Säule, eine weitere ist aber auch die Entwicklung von Gebieten, in denen gewagte moderne Architektur Raum finden kann. Ein Beispiel sind London und Paris: Während Paris seine "Moderne" weitgehend nach La Defense verlagerte und sogar ein inzwischen anerkanntes Zitat des Triumphbogens schuf, das Profil quasi nicht verwässerte, sondern um einen weiteren Aspekt erweiterte, banalisiert London sein Stadtbild fast schon durch das Einfügen großmaßstäblicher Büro- und Wohngebäude im gesamten Innenstadtbereich.
Blickbeziehungen zwischen Alt und Neu schließt meine Beschreibung nicht aus, im Gegenteil, sie können spannend sein und dazu anregen, verschiedene Gegenden einer Stadt kennen zu lernen.
Eines der Ambitionen der Moderne, und auch folgender architektonischer und stadtplanerischer Konzepte war einen lebenswerten Stadtraum in einem Planungsprozess auf dem Papier erschaffen zu können. Die verschiedensten Anläufe dazu sind - ja, mussten - alle mehr oder weniger scheitern.
Beginne ich jedes Mal jedoch von Grund auf neu, habe ich dieses Wissen verloren und stochere im Nebel.
Hier beschreibst du das Geschehen überwiegend nach dem 2. WK und leitest darauf aufbauend eine Kausalität ab, die so meiner Ansicht nach genauso gut nur eine Korrelation sein könnte.
Teile der heutigen Maxvorstadt in München wurden vor weit über 100 Jahren auf dem Papier als Masterplan entworfen und nach diesem umgesetzt (wobei noch während der Bauzeit viele geplante Stadtvillen aufgrund Platzmangels durch mehrgeschossige Gebäude ersetzt wurden). Es finden sich sicher dutzende weitere Beispiele auf der Welt, wo heute extrem beliebte Viertel ursprünglich vor hunderten Jahren auf Reisbrettzeichnereien zurückgehen.
Für entscheidender halte ich persönlich: Durchmischung der Bevölkerungsgruppen (Wohnraumangebot für alle Schichten), Funktionsmix (Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Infrastruktur beisammen), Abkehr vom MIV als Schrittmacher der Planungen (jedoch kein Ausgrenzen des MIV) und letztlich eben auch Zeit (Durchgrünung, Sozialstruktur, Vernetzung).
Gerade diese Faktoren sollten in der Nachkriegsperiode aber bewusst keine Rolle spielen, eine Abkehr von den bisherigen Maximen war explizit gewünscht. So entstanden dann unsere autogerechten Plattenbausiedlungen mit krasser Funktionstrennung und oftmals sozialer Undurchlässigkeit.
Fazit: Auf dem Papier lässt sich alles planen, Gutes und Schlechtes. Entscheidend sind meiner Meinung nach die Parameter und die mitgegebenen Rahmenbedingungen.
Die Fehler der vergangenen Jahrzehnte kennen Städtebauer heute, es hat lange gedauert; bei einigen der neuesten Planungen merkt man jedoch schon ein Wiederaufgreifen der alten Rezepte. Eine andere Baustelle ist es dann, dass sich dies auch wieder bei den konkreten Gebäudearchitekturen widerspiegelt
Den meisten Architekten dürfte es ein Anliegen sein, ihre Energie und Schaffenskraft in etwas zu stecken, dass wie bei alten Meistern über mindestens viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte einen Ort prägt. Je mehr man sich einzig auf finanzielle und rechtliche Einschränkungen fokussiert und dabei die Außengestaltung zu einem großteiligen, detailtiefenmangelndem und oder zu stark epressionistischen Ausdruck führt, dessen Resultat kein Wohlgefühl erzeugt, desto stärker muss man davon ausgehen, dass eine solche Provokation zwar kurzzeitig Aufmerksamkeit erzeugt, aber schon mittelfristig wieder zu einem Verlust der Kreation führt. Denn Gebäude werden dann erhalten mit Blick auf Jahrhunderte, wenn sie für eine größere Zahl an Bürgern ansprechend ist. Dann gibt es z.B. Initiativen gegen einen Abriss, oder einen Liebhaber, der das Gebäude dann liebevoll saniert, wenn es der Gefahr ausgesetzt ist, aufgrund von Alterung ersetzt zu werden.
Mangels menschlicher Lebenszeit wird es niemand von uns in Erfahrung bringen können, ob ein für uns heute stilloser Kasten nicht doch noch in 200 Jahren steht oder nicht . Es ist ja nicht so, dass früher nicht ohne langen Prozess reihenweise Gebäude aus dem 16. Jh. abgerissen wurden, um Platz für Gebäude des 18. Jh. zu machen und so weiter. Historisch wertvoll wird das Jetzt naturgemäß erst in der Zukunft. Ist das Vergangene heute nur so wertvoll, da das Vergangene so rar ist? Stünden überall Gründerzeitler, würde sich dann jemand um dessen Erhalt, trotz ansprechender Bauweise, einsetzen (auch wissend, dass "Modernes" nachfolgt?).
Differenzieren wir nach Nutzungsart, liegen die Bürogebäude natürlich ganz vorne. Da werden ja bereits Gebäude aus den 00er Jahren abgerissen. Nicht etwa, weil sie marode wären oder das Äußere hinüber, sondern aufgrund "angeblich" mangelnder Flexibilität im Inneren sowie veralteter Gebäudetechnik (IT, Brandschutz). Je mehr Technik in einem Gebäude, je höher die technischen Vorschriften, desto teurer der Erhalt, desto eher lohnt der Abriss. Das passt zur Wegwerfgesellschaft, das passt zum Kapitalismus, das wird in der Wirtschaft nachgefragt, der Architekt liefert und muss liefern nach Anforderungskatalog und Kostenrahmen um zu überleben - Heimdall hat diesen Aspekt bereits auf den Punkt gebracht. Nur wenige Stararchitekten können sich eine "freie Hand" leisten.
Entkernungen und aufwendigere Sanierungen haben wir schon auch, in den meisten Fällen natürlich mit völlig neuer Außenhaut. Hier verweise ich auf den Disput zur Umgestaltung des in den 80ern erbauten Gasteigs in München. Nur der Denkmalschutz schiebt dem in wenigen Fällen einen Riegel vor (Einzeldenkmal Hypo-Hochhaus 1984), 1:1 Austausch der Fassade).
1. Gerade die Utopie der grünen Stadt, zeigt bereits eine bedrohliche Entwicklung, wie es jedem Architekten augenscheinlich werden sollte: Gebäudefassaden werden zunehmend hinter Bäumen ,,versteckt", hinter begrünten Fassaden.
2. Was jedoch ganz objektiv und mit zeitlichem Weitblick passiert ist, dass man auf eine echte architektonische Gestaltung verzichtet und stattdessen einen Garten/Natur die Architektur übernehmen lässt.
3. Es bleibt eine kahle, glatte Wand, meist mit durch die Pflanzen vorher kaschierter Ungestaltung. Dass dies nicht immer so ist, zeigt die Architektur der 70/80er. [...] nahm man die Begrünung weg, war aber noch Architektur da.
4. Dazu kommt, wie angesprochen bereits, dass die bereits laufende Ausweitung von Baumpflanzungen dazu führen, dass Architektur in den Hintergrund rückt. Das ist kein Zufall, da man wohl eher vermeiden würde eine wundervoll gestaltete Fassade durch einen großen Baum zu verdecken.
5. [...] Im Prinzip ist die grüne Stadt lediglich Ausdruck einer abweisenden Architektur.
6. Das ist vielen Architekten bewusst, versuchen sie doch ihre kalt-modernen Entwürfe zu gern mit etwas Grün schon in den Darstellungen abzuschwächen.
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1. Es gibt aktuell in Deutschland vielleicht ein Dutzend Gebäude mit wirklich begrünter Fassade in deinem Sinne. Eine "bedrohliche Entwicklung" kann ich da nicht erkennen (wenn dann eine Steingarteninvasion).
2. Das Forum nennt sich APH. Provokative Fragen: Was ist dem Menschen näher als die Natur? Wie definiert das APH Architektur für den Menschen? Ist Architektur ein Gegenspieler der Natur?
3. Ja, kahle Betonplatten, die ohne Grün davor zur Depression anregen Da finde ich sowas schon deutlich ansprechender: https://schluchtmannpartner.de/hochhaus-mit-vertikalem-garten/
4. Viele der schönsten und prächtigsten Altbauvillen und Gründerzeitler befinden sich hinter inzwischen hochgewachsenen, ebenso prächtigen Bäumen (Einzeln oder gar Allee). Eine Rolle spielt natürlich der Straßenquerschnitt (vgl. Pappeln Ludwigstraße beim Siegestor).
5. Siehe 2. und in dieser Zuspitzung lehne ich die Behauptung ab. Sie verallgemeinert zu sehr.
6. Siehe 2. und hier spielen auch psychologische Faktoren mit. Der Blick auf Natur, auf Grün beruhigt nachweislich. Vielleicht auch die Gemüter der Wettbewerbsjuroren Klar ist auch, aufgrund des abnehmenden Baumbestands in vielen Großstädten (jung <> alt), kommen Bäume, kommt Grün in Wettbewerben bei Vertretern der Kommunen gut an, ganz besonders bei den Grünen. Ein Architekt, der gewinnen will, setzt da schon mal ein paar Bäume und Efeuranken ins Bild, um seine Chancen zu steigern. Ähnlich wie gerne bei atmosphärischem Sonnenuntergang simuliert wird. Bauträger agieren auch nicht anders, warum auch nicht, gegen Grün spricht für mich nichts, im Gegenteil. Auch bei historisierenden Neubauten: https://www.neubaukompass.de/neubau/chamissostrasse-muenchen/. Sehr fraglich, ob der Flieder da mal so üppig wächst.