Ich fürchte, das ist nicht wirklich möglich. Es betrifft letztlich Fragen der Bewusstseinsbildung, die sich leider bis heute nicht wissenschaftlich erklären oder objektivieren lassen. Hier gibt es nur Empfindungen und Erfahrungswerte, deskriptive statistische Werte, die die Architekturpsychologie zu erfassen versucht. Aber keine objektiven Maßstäbe. Eigentlich jeder Mensch empfindet unmittelbar, was für ihn schön ist, und was weniger schön. Nur, ehrlich gesagt, objektivieren lässt sich das nicht. Eine altbekannte Problemstellung der Philosophie.
Normalerweise wird bei so einem Problem ein statistisches Verfahren herangezogen, wie Du es glaube ich zumindest anschneidest. Ich wäre daher zutiefst überrascht, wenn man nicht statistisch klare Qualitätskriterien festmachen könnte. Meiner Vermutung nach ist das höchstens bisher nicht erfolgt, weil das eine hohe Finanzierung voraussetzen würde, die es wohl grundsätzlich bei der Erforschung in diesen Themenfeldern kaum gibt.
Aber man kann auch ohne Forschung zumindest extrem grobe Pflöcke einschlagen, welche in etwa so gehen: Über die Innenräume der Moderne gibt es eigentlich kaum Diskurs. Jeder mag helle Räume, praktische Nutzbarkeit (z.B. Fenster, putzaufwandsarme Oberflächen,...), schönen Ausblick ggf. ins Grün, Barrierefreiheit, Größe und Weite, ... , alles Errungenschaften der modernen Gestaltung.
Aber über die Fassaden gibt es einen riesigen Diskurs. Nun ist das eine Innen/Privat, das andere Außen/Öffentlich. Aber das ist zu einfach. Denn es gibt den latenten Wunsch, auch im Innern in Altbauten diese modernen Errungenschaften zu verwirklichen, soweit eben möglich. D.h. es herrscht dort eine relative Einigkeit über die Vorzüge der Gestaltung, selbst wenn sogar die Substanz eigentlich etwas anderes vorgibt. Die Vorzüge sind bei modernen Fassaden nicht Grundkonsens. Damit vermute ich, dass es hier bereits eine massengeschmackliche Disparität gibt, zwischen dem aktuellen Fassadenstandard und älteren Fassadenvorstellungen.
Arbeiten Wir Uns hier weiter: Warum könnten alte Fassaden menschliche Grundwahrnehmungen vermutlich befriedigen? Auch hier wieder ein Indizienprozess: Die Natur als der ursprüngliche Lebensraum ist immer noch präsent. Jeder kennt die urmenschliche Art sich von Wasser angezogen zu fühlen, als Zufallsbeispiel. Alte Fassadengestaltung könnte mehr diesen Ansprüchen genügen, weil sie greifbarer ist, weil sie eingängig ist, weil sie anatomisch begründete Schönheitsaspekte aufnimmt, wie Symmetrie, weil sie ,,gefühliger" ist. Nicht umsonst heißt es hier Architektur für den Menschen.
Die Attribute müssten und können sich auch an objektiven Merkmalen festmachen lassen.
Ich habe bereits Symmetrie genannt, ein erwiesenermaßen sehr starker Reiz in Uns Menschen. Aber auch z.B. das Verhältnis zwischen den Materialien, vornehmlich das tragender (auch simulierter) Elemente und nicht tragender Elemente. Dann haben Wir auch ein ausgesprochen gutes Gefühl für Farben nach Wärme und Kälte. Zuletzt vielleicht noch das Sicherheitsgefühl, das geprägt ist von einer gewissen Einschließung, wie es z.B. vorkragende Fassaden tun. Das sind jetzt alles Ebenen, die eher gleicher sind bei den meisten Menschen. Der Schönheitsdiskurs hat aber viele Themen die dann doch individuell sind, hautpsächlich die Frage des Zuviels. Ab wann ist es Reizüberflutung z.B. Aber umgekehrt scheint es eine Mehrheitsmeinung zu geben, was zu wenig Reiz ist. Das fühlt sich dann unangenehm an, und scheint relativ vergleichbar zwischen Menschen.
Also was sind die Pflöcke:
- Unzufriedenes Gefühl mit heutiger Fassadengestaltung, aber zu wenig Leidensdruck
- Alte Außengestaltungsformen orientieren sich stärker am menschlichen Wohlbefinden
- Maßstäbe sind: Symmetrie, Ausgeglichenheit, Stabilität, Würdigkeit, Schutz, eher abweisend oder umschließend, Reizarmut
Viele moderne Fassaden wirken instabil, sind eigentlich immer unsymmetrisch, haben kaum Würde u.a. durch die hässliche Form der Alterung (man zeige mir ein schönes nicht saniertes gealtertes modernes Gebäude), bieten optisch kaum Schutz, durch die Kastenform ohne Dach, sind abweisend, durch die Farben Weiß, Graustufen, bläuliches Glas, sehr reizarm durch die Großflächigkeit, industrielle Standardisierung und Minimalismus.
Soweit einig mit den objektiven Maßstäben einer gelungenen Gestaltung?
Noch ein kleiner Exkurs:
Warum wird nun dann nicht einfach neu so gebaut, wenn es doch das Beste ist? Zuerst würde ich sagen, weil heute vorwiegend großdimensioniert gebaut wird, und die Moderne war die Antwort darauf (s. z.B. Entwicklung von Hochhäusern). Weil die Standardisierung und damit die Baukosten eng mit einer modernen Bauweise verknüpft ist. Auch, weil Wir in einer Gesellschaft leben, die die Gegenwart verherrlicht, die Zukunft und die Vergangenheit geringschätzt. Das schafft Anreize ,,zeitgemäß" zu bauen, bloß nicht auch nur ansatzweise ,,altbacken", aber auch nicht zu zukunftsbewusst (ob die Häuser schnell altern interessiert kaum). Dann haben Wir immernoch einen Altbaubestand, der all jene Menschen bindet, die eventuell auch noch traditioneller gebaut hätten. Umgekehrt gibt es viele Gesellschaftsgruppen, die nie von traditionellen Wohnformen geprägt wurden bzw. nur (meist von der Innennutzung her) die Nachteile erfahren haben, und damit kategorisch traditionelle Formensprache ablehnen. Ein letzter gewichtiger wäre wohl auch Mangel an Exposition, man ignoriert den Missstand, mit viel Auto und Blick aufs Handy ist die Architektur kaum relevant.
Es gibt sicher noch viele weitere Gründe.