Liebe BautzenFan,
danke für Deinen tollen Beitrag. Seit Weihnachten schiebe ich es vor mir her, zum Thema Tapisserien im 1. Vorzimmer etwas zu schreiben.
Nun also:
Da mich die Textilweberei für das 1. Vorzimmer extrem interessiert, habe ich es vor Weihnachten geschafft die "Real Fábrica de Tapices" mit englischer Führung zu besuchen. In einem einstündigen Rundgang bekommt man die verschiedenen Bereiche der Manufaktur in Madrid zu sehen.
Da ich den Kunsthandwerkern ein paar Fotos aus Dresden zeigen konnten, haben sie sich sehr gefreut, dass jemand extra aus Deutschland kommt und sich für ihre Kunst interessiert.
Im Anschluss an die Führung hatte ich dann ein spontanes halbstündiges Gespräch mit dem Kurator und der PR-Chefin der Institution.
Leider wurde meiner Bitte nach Zusendung von Fotos vom Produktionsprozess für Veröffentlichung in diesem Forum bisher nicht entsprochen.
Die Einrichtung wollte sich beim SIB erst das Okay geben lassen...
Und vor Ort darf man wegen des Copy-Rights nichts fotografieren.
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Zunächst haben meine Gesprächspartner mit der Mähr einer "Rettung" der Institution durch den Dresdener Auftrag aufgeräumt. Es handelt sich bei der Real Fábrica de Tapices mittlerweile um eine gemeinnützige Stiftungs-Einrichtung des Staates zum Erhalt des textilen Kunsthandwerkes. Zwar beherrschten in 2012 nur noch 2 Handwerker die alte Technik und man hat durch den Dresdener Auftrag einige Mitarbeiter in der historischen Technik der Tapisserie-Weberei geschult. Die Manufaktur macht aber noch viele andere Dinge und hat zahlreiche Mitarbeiter. Hauptschwerpunkt der Tätigkeit sind Restaurierung von Knüpf-Teppichen und Tapisserien (eine sehr große Abteilung ). Es werden aber auch Applikationen ähnlich der im Dresdener Paradeschlafzimmer hergestellt, etc. pp.
In einem Saal der Manufaktur werden auf mehreren historischen, über 150 Jahre alten Hand-Webstühlen die Dresdener Stücke gefertigt.
(virtueller Rundgang hier, leider kann ich keinen Link zu dem Produktionsraum hier direkt einstellen, man halte sich rechts den Korridor entlang und findet dann den Produktionssaal und tatsächlich hinten rechts eine Dresdener Säule auf einem alten Webstuhl..., mit Musterkarton und der 5. Mustersäule dahinter.
http://tourmake.it/es/tour/9b0b1b4992855c986c8e7d7dd810fbfe)
Am 18.12. 2019 war die von Dir gezeigte jetzt „frisch geschnittene“ Säule bereits nahezu fertig. Es musste „nur noch“ ein Großteil des eher monochromen ockerfarbigen "rechten Randes" gewebt werden.
Eine weitere Säule ("Mustersäule") ist fertig, verbleibt aber wohl als Vorbild zum direkten Vergleich für die Kunsthandwerker in Madrid. Die Mustersäule hängt direkt am Webstuhl und die Künstler haben hinter sich die fertige und vor sich die zu bearbeitende Säule.
In Dresden sind 3 Stück Säulen seit September 2019 an der Wand. Macht zusammen die benannten 5.
An der jetzt fertigen Säule waren durchschnittlich 4 Künstler seit Mai 2019 beschäftigt (Größe 3,3m * 0,6m = 2qm, ca. 4.300 Arbeitsstunden). Für einen qm braucht eine Arbeitskraft durchschnittlich 18 Monate.
Am Tag meines Besuches waren 6 weitere Künstler an 2 anderen Webstühlen mit Teilen des (oberen) Feston-Frieses und der (unteren) Balustrade beschäftigt.
Der Kurator teilte mir mit, dass 5 kleinere Stücke am 9.12.2019 nach Dresden gesendet worden waren; also Balustraden-, Feston-Fries- und Zwickel-Stücke.
Die Herstellung zu sehen war für mich höchst interessant. Man macht sich keine Vorstellung von der unglaublichen „Fummelei“.
Der Kurator meinte, man hätte in Madrid noch nie eine so filigrane Arbeit gefertigt. Statt der hier sonst seit 1721 üblichen 80 Kettfäden auf einen Dezimeter Stoffbreite wären es bei den Dresdener Tapisserien 112 Fäden (Leinen). Außerdem sind die unterschiedlich farbigen Einzelflächen winzig.
Durch den geringen Abstand der Fäden ist die Arbeit wohl besonders anstrengend und deswegen wird (wenn ich es mir richtig gemerkt habe) nur 6h am Tag an den Stücken gearbeitet.
Die Maufaktur hat die originale Krakauer Säulen-Tapisserie nie in Natura gesehen. Aus Dresden wurden
- hochauflösende Fotos und
- ein Musterblatt (sog. Karton) mit Darstellung der unterschiedlichen Farbflächen und v.a. deren exakter Abgrenzung gegeneinander (Grenzlinien = Konturen)
nach Madrid gesendet.
Der Karton wurde mit Konturstift auf eine Folie übertragen. Diese Folie (Master-Copy) wird nun jeweils von einem Konturisten hinter die am Webstuhl senkrecht gespannten Kett-Fäden (zur Erinnerung: 112 Fäden aus Leinen pro 10cm spätere Stoffbreite) gehalten und von dort mit Tinte oder Kohle auf die Kettfäden übertragen.
(Auf den Bild hier ganz gut zu sehen)
http://realfabricadetapices.com/en/continuan-l…acio-de-dresde/
http://realfabricadetapices.com/en/weavers-and-craftsmen/
Im eigentlichen Web-Prozess werden nun die konturierten Flächen von den Webern jeweils (nach dem Prinzip „Malen nach Zahlen“ ) ausgefüllt.
Allerdings darf man sich auch das nicht so leicht vorstellen…
Die Handwerker sitzen und haben die senkrechten Kettfäden mit den mit Tinte konturierten winzigen Einzelflächen vor sich. Sie arbeiten die Tapisserie seitenverkehrt: Die Handwerker führen die verschiedenen Schussfäden durch die Kettfäden - beginnend von hinten - hindurch und sehen die "richtige" Vorderseite des Teppichs nur - durch die Kettfäden hindurch - in einem Spiegel. Auf der den Handwerkern zugewandten Teppich-Rückseite hängen Unmengen Spulen unterschiedlichster Fäden, die man irgendwann an anderer Stelle im Teppich wieder benötigt.
Das "Gefitze" würde mich wahnsinnig machen...
Das ferige Ergebnis einer einzelnen Farbfläche (im Spiegel) muss immer mit dem farbigen Karton und der "Mustersäule" verglichen werden.
Neben dem Webstuhl liegen hunderte von unterschiedlichfarbigen Fadenspule. Überwiegend Seidenfäden, weniger häufig Wolle, ein paar Spulen Gold- oder Silber-Lahn. Alle jeweils noch in verschiedenen Fadenstärken.
Über 120 Grundfarben sind es sicher allein gewesen.
Eine konturierte Farbfläche wird nun jeweils aus einem Mix unterschiedlicher Farbfäden erzeugt, sodass es im Ergebnis schier unendliche Farbnuancen auf dem Teppich gibt.
Die Gold- und Silberfäden wurden aus Dresden nach Madrid geliefert (aus Lyoner Produktion). Die farbigen Seiden- und Wollfäden wurden in Madrid handgesponnen, gefärbt und auf die Spindeln von Hand aufgezwirnt. „Fertige Fäden“ aus industrieller Produktion gibt es nicht.
Wenn ich es richtig notiert habe, werden aus Madrid insgesamt 32 Einzelteile nach Dresden kommen. 12 Säulen, 6 Balustraden-Stücke, 6 Feston-Friese und 8 kleinere individuelle „Zwickelstücke“. Man mag mich berichtigen…
Auftragsvolumen beträgt netto 1.165.867,20 €, schrieb Bautzenfan vor Jahren hier im Forum.
Ursprünglich sollte man im September 2019 mit allem fertig sein.
Die Fertigstellung hat sich auf ca. Ende 2022 verschoben, denn dem „billigen“ Dresdener Auftrag kam ein lukrativer Großauftrag aus dem Libanon (Tapisserie des Picasso-Bildes Guernica, 349 × 777 cm = 27qm) dazwischen.
Die am Guernica-Teppich gebundenen Arbeitskräfte sind nun frei und man arbeitet mit – ich schätze – 10 Personen an dem Dresdener Auftrag.
http://realfabricadetapices.com/en/presentacio…abra-y-shatila/