Posts by Siedel?

    Wer dort auf den Balkon zwischen den Kolossalpfeilern tritt, sollte aber vorher seinen rechten Arm festbinden ...

    Eigentlich großartig, daß es Bauherren gibt, die sogar dem Neoklassizismus wieder eine Chance verschaffen; etwas mehr Gelassenheit in der Geste täte dem Bau aber gut.

    Ist es nicht von Belang, daß die Gittertore mit Eosanders Konzept nichts zu tun haben? Die Verglasung ist sicher unschön, aber die Gitter, funktional sinnlos bei gleichzeitiger Verglasung, helfen doch in keiner Weise weiter. Besser wäre eine Verbesserung der verglasten Front, z.B. durch eine filigranere Gliederung und eventuell Einsatz desselben Glases wie in den historisch rekonstruierten Fenstern. Dieses"Antikglas" wirkt in der Reflektion deutlich lebendiger.

    Genaugenommen ist das alles Historismus aus dem 21.Jahrhunderts. Schön, dass die heutigen Handwerker so etwas noch können.

    Dass es "Neuschöpfungen" sind, trifft auch schon nicht zu, denn der Begriff der Neuschöpfung beinhaltet doch die Gesamtheit von Idee, Entwurf, Planung bis ins Detail und Ausführung. Diese fehlt bei einer Rekonstruktion, auch wenn eine gute Reko keineswegs "unschöpferisch" ist. Historismus ist aber etwas ganz anderes, wie Heimdall ausführte. Ich finde, der ewige Streit um die Begrifflichkeiten und Zuordnungen ist wenig fruchtbar. Viel wichtiger ist der genaue Blick auf die Resultate, und da gibt es am Neumarkt tatsächlich große Unterschiede.

    Zitat von Mozart

    "Die Erklärung für die miesen Proportionen der Ecktürme des Doms liegt im Imponiergehabe Wilhelms II. begründet."


    Immer wird der ausgeführte Dom als viel zu gigantisch angesehen, maßstabslos oder megaloman. Und zugleich wird er in dieser angeblichen Maßstabslosigkeit immer mit Wilhelm II. assoziiert. Wilhelm war aber lediglich Erbe einer noch weitaus umfangreicheren Planung seines Vaters.

    Friedrich III., also der "99-Tage-Kaiser", die "Hoffnung der Liberalen", verfolgte eine geradezu gigantische Neugestaltung nach Plänen seines Lieblingsarchitekten Raschdorff. Diese Planung mit weitgehendem Abriß der Spreefront des Schlosses, einem großen Verbindungsbrücke zum Dom und der Errichtung eines Turms, dessen einziger Sinn wohl darin bestanden hätte, aus der Sicht der "Linden" den Rathausturm zu verstellen, hätte den ganzen Ort durchgreifend verändert und dominiert.

    Wilhelm II. strich diese umgehend radikal zusammen. An Raschdorff hielt er aber als Domarchitekt fest. Allerdings wurde der Dom nur noch mit einer, allerdings etwas höheren Kuppel realisiert anstatt geplanter drei Kuppeln (vgl Albert Geyer. Geschichte des Schlosses zu Berlin, Bd. II).

    Ich persönlich finde den ausgeführten Raschdorff-Dom weit besser als er immer noch zumeist beurteilt wird (innen ist er wunderschön) und vor der Reduzierung wesentlich besser als seitdem.

    Sehr gutes Beispiel für ergänzendes Bauen im Bestand. Besser geht es immer, aber für eine Mall in Moabit (!) geradezu herausragend. Man vergleiche es mit der alles in allem sehr schwachen Leistung im Fall der Mall of Berlin an so prominentem und legendärem Ort, dem Leipziger Platz.

    Die von Mantikor markierten Reliefs stammen aus der Erbauungszeit unter FW I (also nach 1713) und sind daher deutlich martialischer als der Figurenschmuck unter F I. Adlerkartusche sowie Volutengiebel und die unteren Reliefs wurden unter W II hinzugefügt (um 1890).

    Die steinernen Reliefs sind nicht barock, sondern 1890er Jahre; der Volutengiebel wurde unter Wilhelm II rekonstruiert, nicht hinzugefügt (Schinkel hatte ihn entfernen lassen).

    Pronold war als parlamentarischer Staatssekretär sehr für die Rückführung des Schlossbrunnens vor Portal II und verkündete die Mittelfreigabe dafür durch den Haushaltsausschuß; das war am 13.11.2015 (ich war dabei). Leider wurde die Umsetzung dann von seinen Parteifreundem im Berliner Senat brüsk abgelehnt. Obwohl er deutlich gesagt hatte: „Wir wollen uns nicht in die Entscheidung Berlins einmischen“, man wolle aber vonseiten des Bundes die finanzielle Voraussetzung schaffen, damit der Brunnen überhaupt eine realistische Chance habe, an seinen historischen Standort zurückzukehren, wurde von Berlin völlig sinnfrei empört auf die Landeshoheit verwiesen.

    Ich vermute daher, Pronold könnte ein guter Mann für das Projekt Bauakademie sein.

    Der Krögel war eine 120 m lange Straße die vom Molkenmarkt bis zum Spreeufer verlief. In dieser Straße konzentrierte sich das Elend von Berlin. Die Häuser wurden in den dreißiger Jahren abgerissen. Auf der freiwerdenden Fläche entstand das Gebäude der Reichsmünze nach dem Krieg die Münze der DDR. Heinrich Zille gab mit seinen Bildern dem Krögel ein Gesicht, den in dieser Gegend verirrte sich kein Berliner Tourist.

    Ich finde das Einstellen historischer Fotos sehr gut, bitte beibehalten.

    Zu obigem Kommentar aber einige Anmerkungen:

    Das "Elend" des Krögel war teils übertrieben, teils inszeniert. Als Charlie Chaplin in den 20ern hindurchgeführt wurde, um ihm das von der Kaiserzeit hinterlassene soziale Elend zu demonstrieren, sagte Chaplin sinngemäß: Ist doch gar nicht dramatisch, saubere Wohnungen, nette Leute etc. (und er wußte wahrlich, was Elend heißt). Es war also ein Bereich, der gewissermaßen der republikanischen Stadtregierung als "Vorzeigeelendsquartier" diente.

    Warum aber war die Bausubstanz so baufällig? Weil das Quartier grundsätzlich nicht mehr saniert wurde, denn man wollte es abreißen. Dazu kam es aber in der Kaiserzeit nicht. Nun hätte man es also, da es ja so unzumutbar war, baldigst abreißen oder, viel besser, sanieren können. Dies geschah aber erst in der Nazizeit, nämlich 1935, um dem Neubau der Reichsmünze Platz zu machen.

    Und es ist ganz und gar nicht so, daß sich keine Touristen hierher verirrten. Im Gegenteil: Es gab geradezu Fotosafaris im Krögel, denn schon damals galt dieser als kultiger Ort mit seiner Uhr ("mors certa, hora incerta" - "Totsicher geht die Uhr falsch"); es gab sogar ein kleines Krögelmuseum. Am Eingang standen Kinder, die sich den Touristen gegen kleine Münze für Führungen anboten (siehe Willy Römer: Höfe und Gassen im alten Berlin, Verlag Dirk Nishen, Berlin 1987).

    Man sollte sich von Stuck und und Blattgold, auch wenn es schwerfällt, weil es genauso natürlich gedacht war, nicht allzu sehr blenden lassen.


    Doch, soll man. Es sei denn, man möchte sich das Vergnügen aus Gründen landsmannschaftlichen Stolzes versagen. Schon die Farbaufnahmen der Paradekammern des Berliner Schlosses überwältigen. Wie wäre erst der Eindruck des ganzen Raumkunstwerkes?

    Dies nimmt den Dresdener Paradekammern nichts von ihrer Delikatesse und erst recht schmälert es nicht die schier unglaubliche Leistung der Rekonstruktion.

    Ist es nicht faszinierend, wie man damals das Thema Paradekammern in benachbarten Residenzen auf so unterschiedlich großartige Weise umzusetzen imstande war?

    Ich teile die Einschätzung in keiner Weise, dass der Dom dem Alten Museum oder dem Stadtschloss die Show stehlen will.
    Der Dom will gar nichts, dazu fehlt im das Bewusstsein.
    Und welche Show denn?

    Volle Zustimmung. Solche Formulierungen sind nichts als die negative Variante der üblichen Architektenprosa à la "Der Bau drängt sich nicht auf".

    Es wäre der Mühe wert, überhaupt einmal wirklich den architektonischen Einfluß Wilhelm II. näher zu bestimmen. Es wird immer einfach so dahingesagt, daß "bekanntlich" Wilhelm stets persönlich als eine Art Architekturtrump irgendwelche, und selbstverständlich immer blöde, Eingriffe vorgenommen habe. Das hat Tradition: Noch bei der Teilzerstörung des Reichstages nach dem Krieg wurden frei erfundene Stories dieser Art als Legitimation für die Zerstörungen herangezogen.

    Ich möchte hier nur (ich glaube, das hatte ich schon einmal vor einigen Jahren getan) darauf hinweisen, daß es nicht Wilhelm war, der sich für Raschdorff entschied, sondern, daß er lediglich an diesem festhielt, da er der Lieblingsarchitekt seines Vaters Friedrich III. war (deshalb ließ er seinen Eltern auch durch Raschdorff das Mausoleum in Potsdam errichten).

    Ein paar Beispiele für Entscheidungen bzw. Einflußnahmen Wilhelms II. möchte ich hier einmal nennen:

    - Hofarchitekt Eberhard von Ihne, der schon seit Friedrich III. im Amt war, baute unter Wilhelm II. Marstall, Kaiser-Friedrich-Museum und Staatsbibliothek, allesamt hoch qualitätvolle Beispiele einer zunehmend gemäßigt historisierenden Architektur.

    - Wilhelm berief ganz persönlich Ludwig Hoffmann nach Berlin, eine der segensreichsten Personalentscheidungen in Sachen Architektur in Deutschland in dieser Zeit. Dieser blieb sogar in der Weimarer Republik im Amt. Seine fantastischen Bauten in Berlin sind Legion. Noch Ludwig Mies van der Rohe äußerte: "Ja, dem Ludwig Hoffmann [und damit auch dem Kaiser, Anm. Siedel?] haben wir alle Unrecht getan."

    - durch diesen faßte auch Alfred Messel in Berlin Fuß (Wertheim, Pergamonmuseum)

    - Neben eher traditionellen Bildhauern förderte er auch Louis Tuaillon (Reitende Amazone)

    - unter Wilhelm II. entwickelte sich Berlin zu einem Labor der Frühmoderne (Peter Behrens Turbinenhalle 1909, Bruno Taut Tuschkastensiedlung Falkensee 1914 u.v.m.)

    - nicht alles (ich nehme an, das gelte z. B. für Taut) muß dem Kaiser persönlich gefallen haben, na und? Er mochte auch den Impressionismus nicht; dennoch konnte in Sichtweite von seinem Schloss Tschudi bis zu seinem Abgang infolge des Konfliktes mit Wilhelm 1909 die erste Impressionistensammlung in einem Museum in Europa präsentieren.

    - Wilhelm war sogar kritikfähig. Hoffmann schreibt in seinen Erinnerungen, daß, als er die Pläne für ein neues Opernhaus ohne die vom Kaiser gewünschte Kolossalsäulenfront vorstellte und dies damit begründete, daß eine solche jedem Bühnenbild die Chance nehmen würde, Eindruck auf das Publikum zu machen, eisige Stimmung im Raum mit den kaiserlichen Räten geherrscht habe.
    In die Stille hinein habe Wilhelm gesagt: "Ludwig Hoffmann hat wie immer Recht."

    - Der Märchenbrunnen am Friedrichshain ist nun nachweislich ein Werk, das unter starker persönlicher Einflußnahme Wilhelms entstand (so Hoffmann). Ergebnis: Ein wunderschönes Werk und eine Freude für die KInder und ihre Eltern seit über 100 Jahren.

    Ich bin ehrlich genervt von den allgegenwärtigen Ressentiments gegenüber Wilhelm II.

    Ceterum censeo laternam aeterna restituendam esse!

    [wahrscheinlich fehlerhaft, aber egal]

    Das schöne Foto vom Dombau mit fertiggestellter Laterne zeigt nun einmal, wie hinreißend schön diese war (auch gerade mit der Aussichtsplattform!). Da ist es kein Wunder, verehrter Ur-Potsdamer, daß man die Uhr danach stellen kann, daß sich Stimmen vernehmen lassen, die ihre Wiederherstellung wünschen. Ich schließe mich diesen mit Vehemenz an.

    Ich habe auf dem Alten St. Matthäi-Friedhof in Schöneberg das Grab meiner Urururgroßeltern entdeckt, von dem in unsrer Familie niemand mehr wußte (meine Familie hatte nur wenige in Berlin lebende Mitglieder). Da ich nur 1,2 km entfernt wohne und erst seit eineinhalb Jahrzehnten überhaupt in Berlin, ein besonderer Zufall!

    Ich habe inzwischen eine Patenschaft angemeldet und erste Erkundungen zur Restaurierungs-bedürftigkeit angestellt; glücklicherweise ist es eher schlicht und es ist wohl nur wenig zu tun. Im Gegenzug kann man das betreffende Grab dann auch selbst belegen.