Es wäre der Mühe wert, überhaupt einmal wirklich den architektonischen Einfluß Wilhelm II. näher zu bestimmen. Es wird immer einfach so dahingesagt, daß "bekanntlich" Wilhelm stets persönlich als eine Art Architekturtrump irgendwelche, und selbstverständlich immer blöde, Eingriffe vorgenommen habe. Das hat Tradition: Noch bei der Teilzerstörung des Reichstages nach dem Krieg wurden frei erfundene Stories dieser Art als Legitimation für die Zerstörungen herangezogen.
Ich möchte hier nur (ich glaube, das hatte ich schon einmal vor einigen Jahren getan) darauf hinweisen, daß es nicht Wilhelm war, der sich für Raschdorff entschied, sondern, daß er lediglich an diesem festhielt, da er der Lieblingsarchitekt seines Vaters Friedrich III. war (deshalb ließ er seinen Eltern auch durch Raschdorff das Mausoleum in Potsdam errichten).
Ein paar Beispiele für Entscheidungen bzw. Einflußnahmen Wilhelms II. möchte ich hier einmal nennen:
- Hofarchitekt Eberhard von Ihne, der schon seit Friedrich III. im Amt war, baute unter Wilhelm II. Marstall, Kaiser-Friedrich-Museum und Staatsbibliothek, allesamt hoch qualitätvolle Beispiele einer zunehmend gemäßigt historisierenden Architektur.
- Wilhelm berief ganz persönlich Ludwig Hoffmann nach Berlin, eine der segensreichsten Personalentscheidungen in Sachen Architektur in Deutschland in dieser Zeit. Dieser blieb sogar in der Weimarer Republik im Amt. Seine fantastischen Bauten in Berlin sind Legion. Noch Ludwig Mies van der Rohe äußerte: "Ja, dem Ludwig Hoffmann [und damit auch dem Kaiser, Anm. Siedel?] haben wir alle Unrecht getan."
- durch diesen faßte auch Alfred Messel in Berlin Fuß (Wertheim, Pergamonmuseum)
- Neben eher traditionellen Bildhauern förderte er auch Louis Tuaillon (Reitende Amazone)
- unter Wilhelm II. entwickelte sich Berlin zu einem Labor der Frühmoderne (Peter Behrens Turbinenhalle 1909, Bruno Taut Tuschkastensiedlung Falkensee 1914 u.v.m.)
- nicht alles (ich nehme an, das gelte z. B. für Taut) muß dem Kaiser persönlich gefallen haben, na und? Er mochte auch den Impressionismus nicht; dennoch konnte in Sichtweite von seinem Schloss Tschudi bis zu seinem Abgang infolge des Konfliktes mit Wilhelm 1909 die erste Impressionistensammlung in einem Museum in Europa präsentieren.
- Wilhelm war sogar kritikfähig. Hoffmann schreibt in seinen Erinnerungen, daß, als er die Pläne für ein neues Opernhaus ohne die vom Kaiser gewünschte Kolossalsäulenfront vorstellte und dies damit begründete, daß eine solche jedem Bühnenbild die Chance nehmen würde, Eindruck auf das Publikum zu machen, eisige Stimmung im Raum mit den kaiserlichen Räten geherrscht habe.
In die Stille hinein habe Wilhelm gesagt: "Ludwig Hoffmann hat wie immer Recht."
- Der Märchenbrunnen am Friedrichshain ist nun nachweislich ein Werk, das unter starker persönlicher Einflußnahme Wilhelms entstand (so Hoffmann). Ergebnis: Ein wunderschönes Werk und eine Freude für die KInder und ihre Eltern seit über 100 Jahren.
Ich bin ehrlich genervt von den allgegenwärtigen Ressentiments gegenüber Wilhelm II.