Die Neue Börse war ein gestalterisch ausgereifter und ansehnlicher Bau. Ohne Frage! Der Begeisterung über die Neue Börse kann ich mich aber nicht (mehr) anschließen, noch viel weniger einer Rekonstruktionsabsicht (an der alten Stelle).
Ich möchte meine Haltung knapp begründen.
1. Die Neue Börse war sehr groß. Nach meinem individuellen Dafürhalten zu groß für den Marktplatz. Sie hat dem Rathaus erkennbar die Hauptrolle streitig gemacht. Wie ich finde, ein Unding. Das Bauwerk stand, meiner Ansicht nach, am falschen Platz.
2. Wenn das Fassadenmaterial des Hauptteils des Gebäudes mit dem des Börsenhofes übereinstimmt (gelblicher Ziegel + Sandstein), dann passte das Gebäude auch im Material nicht zum Rest des Marktes, sondern fügte diesem in einer ungeheuren Massigkeit einen materiellen Fremdkörper hinzu, der auch sonst am Platz keine Entsprechung hat.
3. Der neugotische Baustil und seine Türmchen lassen die Neue Börde stilistisch als Paradiesvogel erscheinen.
Eine Rekonstruktion ergibt Sinn und wird von mir auch befürwortet, wenn sie dem Ganzen eine Verbesserung beibringt. Das sehe ich bei St. Ansgarii unbedingt gegeben. Das Kirchengebäude wäre selbstverständlich eine neue (alte) Dominante, aber eine dem Stadtbild förderliche, der Umgebung verträgliche und Ziel gebende! Es würde die Rolle zurückerhalten, die ihm gebührt.
Und das ist der Unterschied zur neuen Börse -in meinen Augen aber nur.
Ein Bau im Stil der Neorenaissance, ähnlich dem der Bremer Bank, etwas dezenter vielleicht, hätte viel besser an die Ostseite des Marktes gepasst. Ja, wahrscheinlich hätte Gabriel von Seidl, wenn er noch gelebt hätte, dem Markt die perfekte Ergänzung geschenkt. Wie großartig fügte er dem alten Rathaus das neue hinzu. Dezent, doch präsent, stilistisch eigenständig, aber nicht fremdartig.
Möglicherweise wären auch verschiedene Fassaden ist dezentestem Neoklassizismus angebracht gewesen (siehe Koberg, Lübeck).
Die Gesellschaft Lüder von Bentheim hat seinerzeit den wahrscheinlich besten Ansatz verfolgt, in der Absicht eine Zeile Bürgerhäuser wieder hinzuzufügen. Diese hätten sich stilistisch und maßstäblich eingepasst (klar, es gab sie teils ja schon einmal an der Stelle), aber eben formell untergeordnet. Eine Rekonstruktion dieser Bürgerhäuser wäre in jedem Falle vorzuziehen, denn ihr Abbruch war der eigentliche Verlust.
Überdies wäre das Haus der Bürgerschaft Luckhardts in meinen Augen tatsächlich - man sehe davon ab, mich zu steinigen - ein Verlust für die Architektur der Stadt.
Ich empfinde das Haus der Bürgerschaft als stilistisch passend, weil konsequent. Es ist formell und maßstäblich ausgereift.
Im Material zwar leicht vergriffen (dasselbe gilt auch für die Neue Börse) - vielleicht wäre Sandstein angebrachter gewesen, der Ziegel hätte rötlicher sein dürfen (wie beim Deutschen Haus), aber an und für sich durchaus stimmig.
Die vertikale Betonung und Axialität stehen in der Tradition von Rathaus und Schütting und führen diese fort. Die gezackte Traufe/Attika erinnert an hanseatische Rathäuser, wie in Stralsund oder Lübeck. Das Kupfer fügt sich logischerweise in die Dachlandschaften der umliegenden Gebäude ein. Die Stützen im Erdgeschoss nehmen die Arkaden des Rathauses auf, ohne zu kopieren.
Das Haus der Bürgerschaft ist echt! Und im Gegensatz zu anderen Bauten seiner Zeit, sehr ausgewogen! Es ist ein Kunstwerk. Aber auch das vielleicht an der falschen Stelle.
Die Neue Börse wäre hier aber eben nicht besser geeignet, als das Haus der Bürgerschaft - nur nostalgischer.
Wie eingangs erwähnt, halte ich die Neue Börse für eine gelungene Architektur, aber ihr gebührt ein anderer Standort. Ein Standort, an dem sie die Hauptrolle einnehmen kann. In Bremen wüsste ich aktuell keinen angemessenen. Vielleicht hätte sie gut als "Rathaus" eines Stadtteils fungiert - an einem entsprechend gestalteten Platz.
Aber das ist nur meine unbedeutende Meinung.