Dies ist eine recht einfache Fragestellung. Die Liebfrauenstraße, die den Liebfrauenberg mit der Zeil verbindet, ist im Gegensatz zu der sie südlich zum Römerberg fortsetzenden Neuen Kräme nicht mittelalterlichen Ursprungs, sondern ein Straßendurchbruch des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt, des Jahres 1855. Dies ist insofern bemerkenswert, als es sich um den ersten Frankfurter Straßendurchbruch nach Hausmanns Vorbild handelte, der in Paris ja gerade mal zwei Jahre zuvor losgelegt hatte. Bereits Goethe meckerte in „Dichtung und Wahrheit“ über den Umweg, den man entweder durch die romanische Katharinenpforte oder die Hasengasse nehmen musste, wenn man aus dem ältesten Teil der Altstadt in die seit dem 18. Jahrhundert massiv an Bedeutung gewinnende Neustadt gelangen wollte.
Da der Ravenstein-Plan von 1862 versagt, hier eine Situationsansicht aus dem Ullrich-Plan in seiner letzten Ausgabe aus dem Jahr 1832, also vor dem Durchbruch. Schön ist die überkommene Situation der komplett von Bürgerhäusern umgebenen Kirchen erkennbar:
Auf die Vorgängerbebauung kann hier aus Zeitgründen nicht eingegangen werden. Die Schwierigkeit bestand nach dem Straßendurchbruch darin, auf sehr engem Raum bzw. Grundriss die freigelegten Brandwände bzw. im Osten die Kirche mit neuen Häusern zu verdecken. Gewünscht waren explizit Läden im Erdgeschoss, die die Stadt nach Fertigstellung an den Meistbietenden versteigerte. Im Rahmen eines Architekturwettbewerbs erhielt der junge Rudolf Heinrich Burnitz den Auftrag. Burnitz? Ja, es war der Sohn des Architekten Rudolf Burnitz, der das Frankfurter Stadtbild des Klassizismus neben Hess in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz entscheidend geprägt hat, am bekanntesten wohl das noch heute erhaltene und nach ihm benannte Bauteil des Saalhofs. Aktuell ist ihm auch eine Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt gewidmet.
Doch zurück zur Liebfrauenstraße. Die 1858 von Burnitz vorgelegten Entwürfe sind nur durch einen glücklichen Zufall erhalten geblieben, denn bekanntlich verbrannten Ende 1943 die gesamten, akribisch seit dem 14. Jahrhundert geführten und selbst national bis dato in seltener Vollständigkeit erhaltenen Bauamtsakten nach einem Bombentreffer mit dem Stadtarchiv.
Ostseite:
http://goo.gl/pYJSn7 (Link auf die Webseite des Historischen Museums Frankfurt)
Westseite:
Die besondere Leistung des Entwurfs liegt darin, die äußerst geringe Tiefe der Baukörper durch die schwere Sandsteinfassade zu überspielen. Auffällig ist zudem der Rückgriff auf Formen der italienischen, insbesondere venezianischen Renaissance. Hier stellte der junge Burnitz, gerade von einer zweijährigen Italienreise zurückgekehrt, eine neue Architektengeneration dar, die sich langsam von der im reinen Klassizissmus verharrenden lokalen Bautradition löste und diese in noble Formen des Historismus übersetzte. Durch die reiche Verwendung von rotem Mainsandstein blieb es dennoch ein erkennbar mainfränkischer Bau.
Entsprechendes Aufsehen erregte der Bau auch sowohl in Bevölkerung als auch in Fachkreisen seinerzeit und noch Jahre später. In der Bevölkerung erhielten beide Bauteile ob ihrer Fremdartigkeit und ungewöhnlichen Schwere den Namen „Malakoff“ nach dem gleichartigen, damals durch die Presse während des Krimkriegs im Bewusstsein präsenten Festungswerks bei Sewastopol. Cornelius Gurlitt würdigte Burnitz und das Bauwerk 1899 in seiner Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts als einen Wegbereiter des historistischen Bauens.
Situation nach Durchbruch und Neubebauung auf dem Ravenstein-Plan von 1862:
Die Ostseite bekam die Hausnummer Liebfrauenstraße 2, die Westseite die Hausnummern Bleidenstraße 2 / Liebfrauenstraße 1–3 / Holzgraben 21 verpasst. 1925 war es in Frankfurt am Main mit der Berufung von Ernst May zum Stadtbaurat mit der Wertschätzung für den Historismus vorbei. In diesem Klima wurde der westliche Malakoff 1927 abgebrochen und bis 1931 durch ein Geschäftshaus im Stil der Neuen Sachlichkeit nach einem Entwurf des Architekten Willy Cahn ersetzt, das den Krieg meines Wissens völlig unbeschadet überstanden hat. Wie Riegel schon anmerkte wurde die Ostseite erst im März 1944 durch Bomben schwer beschädigt und schließlich abgebrochen. Das heutige Gebäude der Ostseite ist definitiv ein völliger Neubau. Die Mauern der Liebfrauenkirche waren derart durchgeglüht, dass sie von Bodenniveau her neu aufgemauert werden musste, schon deswegen wird kaum noch alte Substanz des direkt angebauten östlichen Malakoffs erhalten sein.
Zum Abschluss nach dieser traurigen Gewissheit aber noch ein schönes Bild, entstanden 1927 direkt nach dem Abbruch der Westseite, das die ganze Pracht des leider verlorenen Gebäudes zeigt, einem, wie wir nun wissen, auch überregional bedeutsamen Frühwerk des Historismus in Deutschland (zur Orientierung, rechts ist der Liebfrauenberg bzw. die davon nach Osten wegführende Töngesgasse zu sehen):
Das wars.
P. S.: Alle Fotos und Pläne sollten aufgrund ihres Alters bzw. des Todesdatums ihrer Urheber gemeinfrei sein.